Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 3

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Stimmungen

Aus den weitaus meisten Stellungnahmen in den Tagen der in Oberhausen so gutmütig verlaufenen Revolution spricht Erleichterung und Optimismus.

Mitte November erfuhr die Oberhausener Bevölkerung, dass der Belagerungszustand aufgehoben war. Damit galten viele einschränkende Verordnungen der Kriegszeit nicht mehr: Z.B. die Genehmigungspflicht für „Lustbarkeiten ohne höheres Interesse an Kunst“, besondere Auflagen für Jugendliche in der Öffentlichkeit oder die „Einschränkung des Fahrradverkehrs“.46 Das kulturelle Leben kam wieder in Gang – wenn auch mit Anlaufschwierigkeiten: Die Operette „Wenn Männer schwindeln“ konnte im Kaak’schen Saale am Neumarkt, dem heutigen Ebertplatz, zunächst nicht aufgeführt werden, weil das Oberhausener Theater für die Musik Mitglieder der Garnisonskapelle Wesel brauchte; und die konnten nicht anreisen, weil dort der ▶ Arbeiter- und Soldatenrat Schwierigkeiten machte.47

Als besonders kennzeichnend für die erstaunlich optimistische Lagebeurteilung wenige Tage nach Ausbruch der Revolution kann ein Stimmungsbild vom Oberhausener Bahnhof in diesen Tagen gelten:

Abb. 4: Endlich wieder Operetten im Theater Oberhausen! OZ vom 15. November 1918

„Ein Bild buntester Vielgestaltigkeit, das den Beschauer mit einer sinnverwirrenden Fülle von Eindrücken bestürmt, bietet augenblicklich unser Bahnhof. Alle Bahnsteige sind von heimkehrenden Ausländern, Belgiern, Russen, Franzosen usw. belagert. In malerischen Gruppen hocken die Heimkehrenden, Männer, Frauen und Kinder mit ihren Habseligkeiten beieinander. Die meisten sind freudig erregt, nur einzelne starren teilnahmslos wie indische Fakire vor sich hin. Aber auch in sie kommt Leben und Bewegung, sobald ein Zug einläuft, den sie benutzen können. Dann beginnt ein wahrhaft chaotisches Treiben. […] Ganz besondere Behendigkeit und Zähigkeit entwickeln die Frauen. Bahnbeamte und wachhabende Soldaten bemühen sich ehrlich und mit Erfolg, Ordnung in den Knäuel zu bringen. Überall greifen sie mit freundlichem Zuspruch helfend und fördernd ein. Kein häßliches Wort fällt. Es gibt keine Feinde mehr, jeder sieht in dem anderen nur den Menschen, dem er nach Kräften helfen muss.“48

„Es gibt keine Feinde mehr“ – Oberhausener Mädchen ließen sich von dieser Stimmung anstecken und tanzten mit französischen Kriegsgefangenen auf dem Bahnsteig – was aber der patriotischen „Oberhausener Zeitung“ überhaupt nicht gefiel: „In Deutschlands furchtbarsten Schicksalsstunden, von dem unbarmherzigen Feind bald zur Verzweiflung getrieben, ist es so ziemlich das Ärgste, was man dem Vaterlande noch zufügen kann, wenn man sich nach den Klängen der Musik des gleichen Feindes munter im Takt dreht.“49

Das idyllische Bild, das der Berichterstatter des „Generalanzeiger“ gezeichnet hatte, war also doch nicht so ungetrübt. Nicht alle teilten die Freude über Verbrüderungsszenen. Aber es ist doch wert festgehalten zu werden, dass die Erleichterung über das Kriegsende und die Bereitschaft zur Versöhnung auch in bürgerlichen Kreisen verbreitet war. Der Journalist des „Generalanzeiger“ mit dem poetischen Stil fährt fort:

„Dann wieder rollt ein Zug mit heimkehrenden deutschen Kriegern aus dem Westen heran. Nicht nur die Abteile sind überfüllt, auch die Trittbretter und selbst die Dächer der Wagen sind mit Soldaten besetzt. […] Auf allen Gesichtern glänzt die Freude, dass endlich das wahnwitzige Morden zu Ende ist und dass es wieder zu den Lieben in der Heimat geht.“50

Die entspannte Stimmung überdauerte kaum den November. Anders als in den Eisenhütten und Stahlwerken war die Lage auf den Zechen explosiv. Nach der Novemberrevolution wurden auch auf den Oberhausener Zechen Forderungen zum Lohn und zur Arbeitszeit aufgestellt, die weit über das hinausgingen, was bis dahin von den Gewerkschaftsspitzen erreicht worden war. Im Zentrum der Forderungen stand die Acht-Stunden-Schicht einschließlich der Ein- und Ausfahrt. Am entschiedensten wurden die Forderungen von den Arbeitern der Thyssen-Zeche „Deutscher Kaiser“ in Hamborn, dem Zentrum „syndikalistischer“ Aktivitäten, verfochten. Als die Werksleitung dort dem Druck nachgab und die wichtigsten Forderungen der Streikenden erfüllte, griff die Streikbewegung auf viele andere Zechen des westlichen Ruhrgebiets, auch auf Oberhausen, Sterkrade und Osterfeld über.

Auf den Zechen des heutigen Oberhausener Stadtgebietes begannen die Streiks am 12. Dezember 1918, und zwar zunächst auf „Hugo“ und „Sterkrade“, den beiden Sterkrader Zechen, die dem Unruheherd Hamborn am nächsten lagen. Auf „Concordia“ – dort war es bereits im November zu Krawallen gekommen – schlossen sich auch die Steiger dem Streik an, was die Direktion offenbar so schockierte, dass sie deren Forderungen sofort erfüllte. Einer weiteren Solidarisierung zwischen Steigern und Gesamtbelegschaften sollte anscheinend vorgebeugt werden. Am 13. Dezember begann der Streik auf den Zechen „Alstaden“ und „Roland“, ganz im Süden von Oberhausen. Die Arbeiter übernahmen durchweg die Forderungen der Belegschaft von „Deutscher Kaiser“ in Hamborn.51 Der Vorsitzende des Oberhausener Arbeiter- und Soldatenrates Apenborn geißelte in einer öffentlichen SPD-Versammlung das „unverantwortliche Treiben der Bergarbeiter“. „Diese Extratänze müßten im Interesse der anderen Volksgenossen aufhören, da sie die Früchte der Revolution zu vernichten drohen.“52

Tatsächlich schien eine in Essen zwischen Gewerkschaften und Zechenbesitzern ausgehandelte Tarifvereinbarung den „Extratänzen“ zunächst einen Riegel vorzuschieben: Als Gegenleistung für eine 15-prozentige Lohnerhöhung sagten die Gewerkschaftsvertreter die Mithilfe bei der Durchsetzung einer drastischen Erhöhung des Kohlepreises zu. Dieses Zugeständnis löste noch einmal große Empörung bei den Bergarbeitern aus. Außer auf „Roland“ wurde der Streik auf allen Zechen in Oberhausen, Sterkrade und Osterfeld zunächst fortgesetzt, flaute dann aber, wie in allen Nachbarstädten außer Hamborn, in den Tagen vor Weihnachten rasch ab. Als letzte beendeten die Bergleute auf „Jacobi“ am 20. Dezember 1918 ihren Ausstand.

Für die Bevölkerung unmittelbar spürbar wurde der Streik dadurch, dass die städtischen Betriebe zeitweise die Gaszufuhr absperrten.53 Pikanterweise bezog Oberhausen sein Gas von der Zeche „Deutscher Kaiser“ in Hamborn, der unruhigsten Zeche im ganzen Revier!54 Es waren also nicht die Oberhausener Bergleute, die den Haushalten den Gasherd absperrten und die Redakteure im Dunkeln sitzen ließen! Die aus der „Gasnot“ resultierenden Ängste wurden aber auch noch angeheizt, wenn öffentlich die „allerschlimmsten Folgen“ an die Wand gemalt wurden: Auf der Zeche Concordia verhinderten Streikposten angeblich auch „die dringlichsten Arbeiten“; es bestünde die Gefahr, „dass die Schächte versaufen“. „Kommen die Streikenden nicht noch in zwölfter Stunde zur Einsicht, so wird ein unabsehbares Elend wohl unvermeidlich sein.“55

In Wirklichkeit konnte die Produktion auf allen Zechen noch vor Weihnachten wieder reibungslos anlaufen. Die Oberhausener Bergleute hatten sich bei der Tarifauseinandersetzung im Dezember 1918 insgesamt durchaus diszipliniert verhalten. Von den GHH-Zechen waren nur „Sterkrade“ und „Hugo“ mit je fünf Streiktagen sowie „Jacobi“ mit sieben Streiktagen betroffen.56

Kann es vor diesem Hintergrund verwundern, dass viele Bergleute mit größter Empörung reagierten, als sie erfuhren, dass die Vorbereitung für ein militärisches Eingreifen zugunsten der Unternehmer bereits auf vollen Touren liefen, während die Zechenbesitzer noch mit den Gewerkschaften verhandelten? Wie in Berlin und anderen deutschen Großstädten sollte sich der Ruf nach dem Militär auch in Oberhausen als verhängnisvoll erweisen. Dass auch einzelne Belegschaften „militärischen Schutz“ forderten, trug keineswegs zur Beruhigung bei.

Das Demonstrationsspektakel, das die Hamborner ▶ Syndikalisten am Heiligen Abend inszenierten, verlief noch einigermaßen friedlich. Als die Streiks auf allen GHH-Zechen gerade beendet waren, erschien am 24. Dezember ein riesiger Demonstrationszug aus Hamborn und legte erst die Zeche Sterkrade, dann die Zeche Hugo und schließlich auch die Zeche Osterfeld still. Auch ein so wohlwollender Historiker wie Erhard Lucas berichtet, dass ein Teil der Demonstranten bewaffnet war und die Wachmannschaften der Sterkrader Volkswehr zwang, ihre Waffen abzugeben. Danach marschierte ein Demonstrationszug zum Sterkrader Rathaus, um dort mit Oberbürgermeister Most zu sprechen. Der Oberbürgermeister war wohl nicht in seinem Büro – es war ja schließlich Heiligabend! Danach löste sich die Demonstration ohne ernstere Zwischenfälle auf.

Drei Tage später lief die Sache nicht so glimpflich ab. Am 27. Dezember traf ein Demonstrantenzug aus Hamborn mit etwa tausend Teilnehmern, wieder mit Musik und roten Fahnen, auf der Zeche Concordia ein. Auf allen Schächten dieser Zeche wurde die Arbeit niedergelegt.57 Kaum anzunehmen, dass die Hamborner Demonstranten, anders als am 24. Dezember, diesmal nicht bewaffnet waren. Dass sie aber „bis auf die Zähne bewaffnet“ waren, wie von der Concordia-Direktion später behauptet, wurde von Oberhausener Bergleuten bestritten. Von den Concordia-Schächten im Westen wälzte sich der Demonstrationszug, sicherlich durch Oberhausener Bergleute von „Concordia“ verstärkt, in den Oberhausener Osten. Ziel war die GHH-Zeche Oberhausen, zu der der Schacht Königsberg gehörte. Als die Spitze des Zuges dort ankam, schossen die Soldaten des ▶ Freikorps Heuck offenbar ohne Warnung mit Maschinengewehren in die Menge.58 Es gab drei Tote: die Bergleute Lott von „Neumühl“ und Meyer von „Concordia“ sowie ein weiterer Oberhausener und mehrere Schwerverletzte.

 

Die Erregung in der Arbeiterschaft nach diesem Blutbad war gewaltig. Die Hamborner Volkswehr schickte sofort zwei LKWs mit vier Maschinengewehren nach Oberhausen zur Unterstützung der Demonstranten. Aber auch das Freikorps auf der anderen Seite hatte inzwischen Verstärkung aus Essen erhalten. Es entwickelte sich ein regelrechtes Gefecht, das auf beiden Seiten weitere Todesopfer forderte; schließlich wurden die Hamborner von den Berufssoldaten überwältigt, 14 Mann von ihnen wurden gefangen genommen.59

Durch die Stationierung von Freikorps-Soldaten war eine verhängnisvolle Eskalation in Gang gesetzt worden. Wer die Anordnung zur Stationierung gab und welche Befehle für die Soldaten galten, ist nirgends dokumentarisch belegt. Es ist aber völlig ausgeschlossen, dass ein Werksleiter oder auch ein Vorstandsmitglied Entscheidungen von dieser Tragweite getroffen hätte, ohne sich die Rückendeckung vom Generaldirektor zu holen. Dass Paul Reusch von der Regierung „rücksichtsloses Durchgreifen“ erwartete, daran hatte er nie einen Zweifel gelassen.

Auf der einen Seite rohe Landsknechtstypen, auf der anderen Seite friedlich demonstrierende Arbeiter – diese Sicht der Dinge würde jedoch die Verhältnisse allzu sehr vereinfachen. Es kann nicht geleugnet werden, dass es im Verlauf der revolutionären Unruhen verschiedentlich zu Ausschreitungen und Plünderungen kam. Vor allem die Ereignisse in Hamborn, dem Zentrum linksradikaler, z. T. anarchistischer („syndikalistischer“) Agitation, über die Weihnachtsfeiertage müssen die Zechenbesitzer und die Lokalpolitiker auch der Nachbarstädte sehr schockiert haben. Demonstranten hatten den Polizeidirektor von Hamborn schwer misshandelt; ein Kaufhaus und das Rathaus in Hamborn waren geplündert worden. Am 26. Dezember „verhaftete“ die Hamborner Streikleitung mehrere Bergwerksdirektoren, die zunächst nach Mülheim verschleppt, dann aber nach kurzer Zeit wieder freigelassen wurden. Diese Vorfälle und die – teilweise sehr dramatisierende – Berichterstattung darüber trugen dazu bei, dass die Reichsregierung die Vorbereitung militärischer Gegenmaßnahmen gegen die Streikbewegung beschleunigte. Wie sehr Ausschreitungen der Demonstranten und rhetorische Eskalation auf der Gegenseite die Brände immer neu entfachten, illustrierte ein Telegramm der Zechenleitung von „Concordia“ an Friedrich Ebert. Ganz unverhohlen wurden darin „durchgreifende Maßnahmen“ gegen die „bewaffneten Banden“ verlangt.60

Von Berlin aus war es sicherlich schwer, ein realistisches Bild von den Vorgängen im Ruhrgebiet zu bekommen. Diese Schwierigkeit erklärt vielleicht zum Teil die verhängnisvollen Fehlentscheidungen der sozialdemokratisch geführten Regierung der „Volksbeauftragten“ in den ersten Wochen und Monaten der Weimarer Republik. Die Verantwortlichen vor Ort waren aber nicht auf schriftliche Berichte angewiesen. Bürgermeister und Verwaltungsbeamte, Stadtverordnete und Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates, Gewerkschaftsführer und Unternehmer vor Ort mussten wissen, dass die Darstellung der Ereignisse in dem Concordia-Telegramm die Lage allzu sehr dramatisierte. Dem preußischen Minister Ströbel (USPD) gelang es dann in den letzten Dezembertagen, die große Erregung wegen des Blutbades in Oberhausen zu dämpfen und für die Thyssen-Zechen in Hamborn, Neumühl und Lohberg und einen Tag später auch für Concordia in Oberhausen eine Vereinbarung zwischen Direktion und Streikkommissionen zustande zu bringen.61 Das Freikorps Heuck wurde aus Oberhausen abgezogen.

Natürlich forderten die Bergleute der GHH für sich die gleichen Bedingungen, wie sie ihre Kollegen bei Thyssen und Concordia durchgesetzt hatten. Die Zechen „Oberhausen“, „Hugo“ und „Sterkrade“, etwas später auch „Alstaden“, „Roland“ und sogar „Osterfeld“ wurden an Silvester 1918 bestreikt. Demonstranten versammelten sich am 31. Dezember vor dem Verwaltungsgebäude der GHH. Die Direktion musste mit den Streikenden verhandeln und schließlich erhebliche Zugeständnisse machen.62 Dies bewirkte sehr schnell eine Beruhigung der Situation. Vor dem GHH-Verwaltungsgebäude spielte die Kapelle der streikenden Bergleute „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“, nicht gerade ein klassenkämpferisches Lied! Drei Tage später waren die Streiks auf allen Oberhausener Zechen beendet.63

Zum Jahreswechsel gab es – trotz der Gewaltausbrüche und mehrerer Todesopfer – noch Grund zum Optimismus. Für Oberhausen und das Industrierevier an Rhein und Ruhr lässt sich bilanzieren, dass

■ bei der großen Mehrheit der Bergleute eine latente Streikbereitschaft vorhanden war, falls es nicht spürbare Verbesserungen ihrer Arbeits- und Lohnbedingungen geben sollte;

■ auswärtige Streik-Agitatoren nur im Ausnahmefall auf Belegschaften trafen, die nicht streikbereit waren;

■ die Belegschaften sich im Dezember 1918 in den meisten Fällen noch durchaus diszipliniert verhielten und nach Erfüllung einiger Forderungen an die Arbeit zurückkehrten;

■ die Arbeitgeber jedoch allzu zögerlich Zugeständnisse machten, die geeignet gewesen wären, die Position der gemäßigten Arbeiterführer in den Betrieben und überbetrieblich in den großen Gewerkschaften zu stärken;

■ die Arbeitgeber überdies durch eine unnötig dramatisierende Rhetorik und durch die Stationierung von Militär in einigen Betrieben Öl ins Feuer gossen; und Gewerkschaftsführer, in der Regel Sozialdemokraten, resultierte.

■ die nach der Jahreswende bei den Arbeitern verstärkt einsetzende Radikalisierung nicht unwesentlich aus der tiefen Enttäuschung über das Verhalten der eigenen politischen Vertreter

Der Schulstreit um die „Hoffmann-Erlasse“

Die bitteren Arbeitskämpfe in der Industrie, vor allem auf den Zechen, wurden von Anfang an überlagert von einem teilweise bizarren Streit über die Bekenntnisschulen. Schon sehr früh, ab Mitte November 1918, gab der neue preußische Kultusminister Hoffmann (USPD) einige Erlasse heraus, die auf eine deutlichere Trennung von Staat und Kirche im Schulwesen abzielten. Es ging um die Befreiung vom Religionsunterricht, das Schulgebet, den Besuch von Schulgottesdiensten und um die Verpflichtung der Lehrer, statt der Priester, zur Erteilung von Religionsunterricht.64 Beide Seiten, die Agnostiker auf der Linken ebenso wie die kirchentreuen Kreise im Bürgertum und in der katholischen Arbeiterschaft, nahmen den Streit bitter ernst. Auch in Oberhausen war die Erregung über die ▶ „Hoffmann-Erlasse“ nicht geringer als über die Parolen und Aktionen der Hamborner Revolutionäre.

Der Kampf gegen Hoffmanns Schulreform begann in Oberhausen am 2. Dezember 1918: Die rechtslastige und evangelisch orientierte „Oberhausener Zeitung“ platzierte einen bissigen Kommentar auf ihre Titelseite. Danach rissen die Protestversammlungen bürgerlicher Parteien und Verbände gegen die „Entchristlichung der Volkserziehung“65 bis zum Jahresende nicht mehr ab. Die Erregung trieb teilweise eigenartige Blüten. Der Chefredakteur des Generalanzeigers Ernst Kasch hatte in einem langen Kommentar über das Modernitätsdefizit der damaligen Schule u. a. geschrieben: „Was in aller Welt kann es den jungen Leuten bei ihrem späteren Fortkommen nützen, wenn sie den Katechismus von vorn und von hinten auswendig hersagen oder ellenlange Gesangbuchlieder im Gedächtnis herumschleppen? nichts, rein gar nichts.“66 Dagegen legten die katholischen Pfarrer der Stadt Oberhausen in einer gemeinsamen öffentlichen Erklärung „energischen Protest“ ein.67

Geistliche traten auch regelmäßig bei den politischen Versammlungen auf, z. B. beim Zentrum im Haus Union kurz vor Weihnachten. Die dort beschlossene Resolution kennzeichnet die Stimmung am besten:

„1500 Angehörige der Zentrumspartei, Männer und Frauen in der Union in Oberhausen versammelt, rufen den jetzigen Machthabern im Reiche und in Preußen zu: Nieder mit dem Bolschewismus! Kein Zaudern, kein Schwanken mehr! […] Schleunigst her mit der Nationalversammlung! Friede und Brot wollen wir haben! Eine wahre Volksregierung wollen wir haben, keine Klassenherrschaft, keine Parteidiktatur. Hinweg mit der Demagogen-Wirtschaft eines Adolf Hoffmann! Wir verbitten uns ganz entschieden seine brutalen Eingriffe in unser Heiligstes! […] Wir fordern nachhaltig die christliche und zwar die konfessionelle Volksschule. Wir lehnen ab jeden gewaltsamen Eingriff in das Verhältnis von Kirche und Staat.“68


Abb. 5: Der Glaubenskrieg um die Konfessionschule, GA vom 20. November 1918

Der Proteststurm ist nicht zu trennen von dem beginnenden Wahlkampf für die Nationalversammlung am 19. Januar 1919. Wohl auch deshalb gab die preußische SPD-Regierung Ende Dezember dem Druck nach und hob die strittigen Erlasse auf. Kultusminister Hoffmann trat zurück.

Die Polarisierung im Schulstreit hat sicher wesentlich dazu beigetragen, die Zusammenarbeit zwischen sozialistischen und bürgerlichen Kräften im – sehr gemäßigt ausgerichteten – Oberhausener ▶ Arbeiter- und Soldatenrat zu erschweren. Auch die bürgerlichen Mitglieder gerieten zunehmend unter Druck – und zwar von rechts! Die „Oberhausener Zeitung“ unter ihrem Schriftleiter Staymann machte sich zum Sprachrohr der Kritiker. Hatte noch Anfang Dezember Oberbürgermeister Havenstein, ein aus rechts-bürgerlicher Sicht gewiss unverdächtiger Zeuge, die gute Zusammenarbeit gepriesen, so wurden zwei Wochen später die bürgerlichen Mitglieder des Rates als „Arsolnullen“ diffamiert.

„Deshalb ist es unbedingt nötig, dass diese Männer, wollen sie weiterhin als bürgerliche Mitglieder der Oberhausener Bevölkerung angesehen werden, diese baldigst darüber aufklären, wie sie dazu kamen und was sie bewog, in den sozialistischen Arsolrat einzutreten. […] Entweder man ist bürgerlich und betätigt sich in bürgerlichen Versammlungen oder man ist sozialistisch und geht in die Versammlungen dieser Partei. Die Zeit ist nicht mehr dazu angetan, in Halbheiten aufzugehen. Entweder man ist gut national oder man ist international.“69

Diese Polemik gehörte natürlich auch schon zum Wahlkampf für die anstehende Wahl zur Nationalversammlung. Die Rechtskreise versprachen sich Stimmengewinne durch die Polarisierung. Dies wurde zehn Tage später ganz unverblümt ausgesprochen, als einer der Angesprochenen, der Geschäftsführer des Roten Kreuzes und Leiter des Verpflegungsdienstes am Oberhausener Bahnhof, ausführlich und sehr sachlich zu den Vorwürfen Stellung nahm. Er führte viele Gründe an, warum „die Tätigkeit der Herren“ im ▶ Arbeiter- und Soldatenrat „zweifellos bisher segensreich für die Bürgerschaft gewesen [sei], jedenfalls haben die Herren erreicht, dass bisher Ruhe und Ordnung in Oberhausen herrschen konnte.“70 Diese Zeilen wurden wohl geschrieben, bevor es am Schacht Königsberg Tote gab. Ob sie aber in der aufgeheizten Atmosphäre in den bürgerlichen Kreisen, an die sie sich richteten, noch irgendetwas bewirkten, mag bezweifelt werden.

Es ist wichtig festzuhalten, dass das Scheitern des Oberhausener Arbeiter- und Soldatenrats auch von rechts betrieben wurde. Der Vorstoß nationaler und konservativer Kräfte erwies sich aber wenige Tage später als überflüssig. Linksradikale Gruppen ergriffen die Initiative und nutzten die Empörung über das Blutbad auf Schacht Königsberg, um den breit angelegten Rat in Oberhausen zu sprengen.