Oberhausen

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Vermochten es SPD, nachfolgend auch die Grünen, im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts noch, Bürgerinitiativen, die Ausdruck anlass- und projektbezogenen, kleinräumigen Bürgerprotestes wurden, eine kommunale Stimme zu verleihen und in ihre jeweilige parteipolitische Meinungsbildung zu integrieren, so ging im Ergebnis diese Fähigkeit anhand folgender drei Beispiele in der Wahlperiode des Rates von 2009 bis 2014 allmählich verloren: Haus der Jugend am John-Lennon-Platz, Wohnbebauung auf dem Gelände der ehemaligen Gärtnerei Theile an der Straßburger Straße, Runder Tisch Osterfeld. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Es liegt nicht allein daran, dass Sozialdemokraten und Grüne in der Vergangenheit selbst vom ersten Aufkommen einzelner Bürgerbewegungen an zugleich an deren Spitze standen. Das belegen die Beispiele Südverlängerung der A 31 durch das Hexbachtal um 1980 sowie Betuwe-Linie um 2010 für die SPD, Sondermüllverbrennungsanlage Lirich um 1988 für die Grünen. Als von ebenfalls erheblicher Bedeutung erweist sich der Wandel kommunaler Öffentlichkeit im 21. Jahrhundert. Ein neuer Typus von Bürger und Bürgerin bringt sich in den öffentlichen Diskurs ein. Diese Bürger stehen den etablierten politischen Kräften weitaus skeptischer gegenüber als viele Bürgerinitiativen der Vergangenheit. Man sollte den geflügelten Vergleich mit der Initiative „Stuttgart 21“ nicht überstrapazieren, erst recht nicht den weder schmeichelhaften noch sehr zutreffenden Begriff vom „Wutbürger“. Richtig ist dessen ungeachtet, dass im 21. Jahrhundert Bürger das öffentlichkeitswirksame Engagement zur Ablehnung öffentlicher Projekte suchen, die in der Vergangenheit so kaum in Erscheinung traten:

Es handelt sich oft um Menschen mit hoher formaler Bildung, geringer institutioneller Bindung an politische Parteien, jedoch stärkerer Bindung an NGOs, Bürgergruppierungen oder ähnliches, um Menschen mit einem überdurchschnittlichen Lebensalter, nicht selten um den Eintritt in den beruflichen Ruhestand und nicht zuletzt mit einer hohen persönlichen Einsatzbereitschaft über lange Zeiträume für ein konkretes Projekt. – Die relative Ferne zu etablierten politischen Organisationen sowie das hohe Lebensalter unterscheiden diese „Beteiligungsbürger“ des 21. Jahrhunderts vom Idealtypus des Aktivisten der Bürgerinitiativen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Somit stellt es keineswegs vornehmlich ein Versäumnis der Oberhausener SPD und der Grünen dar, Bürgerbewegungen in 2012 und 2013 nicht in ihre Meinungsbildung integrieren zu können. Ganz im Gegenteil sind in Oberhausen wie zuvor bereits in anderen Ruhrgebietsstädten Bürger aufgetreten, die trotz vielfältiger Kommunikations- und Partizipationsangebote von Parteien und Stadtverwaltung sich für die eigenständige Organisation ihrer Interessen in neuen Institutionen entschieden haben. Das ist, bilanzierend formuliert, Ausfluss von neuen Strukturen und Bedingungen der Bürgerbeteiligung in der postmodernen Gesellschaft. – Es ist weder primär das Versäumnis bestehender politischer Akteure noch primär Ausdruck für eine defizitäre Rationalität der neuartigen Gruppierungen dergestalt, Distanz zum etablierten kommunalpolitischen System zu wählen.

Die Leistungsfähigkeit von Kommunalpolitik im Spiegel der Bürger-Erwartungen

Die Sozialdemokratie hat bei Kommunalwahlen in Oberhausen zwei Mal in Folge signifikant verloren. Von 2004 auf 2009 betrug der Rückgang 6 %, von 50 auf 44 %. 2014 dann sank der Stimmenanteil für die Oberhausener SPD um weitere 5 % auf 39 %. - Das bedeutet, dass vom jeweiligen Ausgangswert jeweils 11 bis 12 % verloren gingen. Der Vergleich mit anderen Ruhrgebietsstädten, insbesondere solchen der nördlichen Städtereihe des Ballungskerns - von Bottrop über Gelsenkirchen nach Herne - macht deutlich: Oberhausen liegt nicht im Trend! Lokalen Sozialdemokratien mit sozialstrukturell und politisch-kulturell über Jahrzehnte bis 2004 sehr vergleichbaren Ausgangsdaten ihrer Städte ist es in der sogenannten Emscherzone des Ruhrgebiets im beginnenden 21. Jahrhundert weitaus besser gelungen, ihre hohen Werte bei Kommunalwahlen zu behaupten. Also muss eine Erklärungssuche gestartet werden, die sich nicht mit einfachen, oberflächlichen, vielleicht allzu naheliegenden Antworten - alleine - zufrieden gibt.

Sicherlich trug der dynamische, nicht wenige mögen meinen sogar charismatische, Oberbürgermeister Burkhard Drescher mitsamt seinem Erfolgsprojekt Neue Mitte Oberhausen entscheidend dazu bei, dass sich die Oberhausener SPD bei den Kommunalwahlen 1999 mit 50 % satte 4 % von den übrigen SPD-Hochburgen des nördlichen Ruhrgebietes absetzte. Daraus sollte jedoch nicht gleich geschlossen werden, das Fehlen an vergleichbaren Führungspersönlichkeiten sei schon die Erklärung für den ausbleibenden Erfolg seit 2004. Oberbürgermeister Klaus Wehling gelang es sehr wohl, die Neue Mitte als neues wirtschaftliches Herz der Stadt zu festigen. Beispiele dafür sind die Projektentwicklung auf dem Marina-Gelände, die Ansiedlung der Stage-Entertainment Group als Eigentümer und Betreiber des Metronom-Theaters sowie die Ansiedlung der Europa-Zentrale von Bilfinger Berger Power Systems mit etwa 650 Beschäftigten. Wehling gelang zugleich, in Oberhausen das Klima der solidarischen Stadtgesellschaft zu pflegen und zu festigen. Somit stand er seit 2004 als Gesicht für die kommunale Entschlusskraft wie die bürgernahe Menschlichkeit der SPD. - Und dennoch kommt ein zweifaches „Aber“.

Bei der Kommunalwahl 2014 stand kein Oberbürgermeister zur Wahl. Dadurch ermangelte es der Kommunalpolitik als Ganzes an Mobilisierungskraft, denn Politik beinhaltet immer auch Personalisierung, das Überzeugen für gute Ideen durch glaubwürdige, integere, im besten Fall gar mitreißende Menschen. Und zweitens: Nach 2004 schwand der Schwung, den die Vision von der Neuen Mitte entfaltet hatte. Vor allem das Scheitern des Großprojektes O.VISION Zukunftspark– Marktplatz für Gesundheit für das Stahlwerksgelände an der Osterfelder Straße im Januar 2006 stürzte die Stadtgesellschaft in ein Tal der enttäuschten Hoffnungen. Die Verantwortung dafür trug die Landesregierung, keineswegs eine Oberhausener Stadtregierung, die dem Land und der EU die Förderung in 2005 noch durch die Halbierung der Projektkosten schmackhaft gemacht hatte. Dessen ungeachtet ging der Stadtgesellschaft mit O.VISION die Zuversicht verloren, dass der Strukturwandel mittels weiterer großer Kraftakte und Leuchttürme die aus dem Niedergang der Schwerindustrie hervorgegangenen Hemmschuhe für eine moderne, dynamische Stadtentwicklung vollständig abstreifen werde.

Damit berühren wir ein Thema, das landauf landab Hochkonjunktur in der Fachdiskussion um Stadtmarketing und Stadtentwicklung hat: Städte benötigen ein Leitbild, eine Vorstellung davon, wohin sich die Stadtgesellschaft gemeinschaftlich auf den Weg begeben möchte – und sollte. Ein solcher Weg sollte die Schwächen des Stadtprofils berücksichtigen und gleichfalls auf die Stärken aufsetzen. Ein solcher Weg sollte vor allem anderen die globalen Trends gesellschaftlich-ökonomischer Entwicklung nutzen, um Wohlstand und Lebensqualität für Jahrzehnte, für eine neue Generation sichern und heben zu können. - So weit die graue Theorie, wie sie an den Marketing-Lehrstühlen allseits gelehrt wird.

Die Realität sieht leider aller meistens anders aus: Die Leitbilder von Großstädten insbesondere der nördlichen Hemisphäre, von Vancouver über Barcelona, Warschau und Singapur bis nach Sydney - um einige leuchtende Beispiele auf gleich vier Kontinenten zu nennen - ähneln sich auffällig. Weniger despektierlich könnte man auf den Gedanken kommen, kommunale Leitbilder glichen weltweit austauschbaren Schablonen. Zur Rezeptur zählten all überall die Visionen von Zukunftsforschern über die gravierenden Veränderungen in den konsensual als Schlüssel-Lebensbereichen der Zukunftsfähigkeit erkannten Feldern Bildung, Informationstechnologien, Investitionen in Infrastruktur, Lebensqualität, Demografischer Wandel, Mobilität, Klima und Nachhaltigkeit. Wenn jedoch ein kommunales Leitbild vollständig austauschbar wird, unabhängig davon, ob es für Oberhausen, Baltimore oder Wladiwostok geschrieben wird, dann gelingt es seinen Protagonisten - sprich den kommunalen Eliten - zugleich nicht mehr, die Bürgerinnen und Bürger ihrer Stadt dafür einzunehmen, geschweige denn zu begeistern. Und wo stand Oberhausen 2014 in Bezug auf seine Vision von einer guten Zukunft für die Stadt und seine Menschen? - Da ja schließlich in guter, alter Tradition von einem halben Jahrhundert Gestaltungsmehrheit der Sozialdemokratie die Menschen Kommune und SPD in Oberhausen zwar diffus, im Ergebnis aber stets in eins setzten, hatte ein Defizit an Leitbild, an Zukunftsorientierung unweigerlich Auswirkungen auf die Fähigkeit, welche die Menschen der SPD zur Gestaltung der wichtigen Herausforderungen von Zukunft und Kommunalpolitik zubilligten.

Die Stadt Oberhausen stellte mit fünf weiteren kreisfreien Großstädten des zentralen Ruhrgebiets zwischen 2005 und 2010 einen Regionalen Flächennutzungsplan auf. Zu dessen Ergänzung um flächenrelevante Planungsdaten ohne flächenscharfe Planungsvorgaben wurde zeitgleich bis 2010 das STEK, das Stadtentwicklungskonzept erarbeitet. Es formuliert für acht Teilräume der Stadt Ziele in den Planungsbereichen Wirtschaft, Wohnen, Bildung und Soziales, Verkehr und Grün/Freizeit. Damit waren vielfältige Grundlagen gelegt für die so genannte sozialräumliche Planung. Es lag ein solides Handwerkszeug vor, das der Kommune ihre Arbeit insbesondere zur weiteren Gestaltung der Infrastruktur erleichterte. Was das STEK allerdings kaum leistete, war die Aufstellung gesamtstädtischer strategischer Entwicklungsziele mit möglichst markantem Alleinstellungscharakter in der Ballungsregion Rhein-Ruhr und die zur Erreichung jener Ziele geeigneten Maßnahmen. Somit stand - und steht - die Stadt auch 2016 weiterhin vor der Aufgabe, eine integrierte Stadtentwicklungsplanung unter Herausarbeitung strategischer Zielsetzungen mit Impuls gebenden Qualitäten für die Gesamtstadt zu leisten. - Es deutete vieles in den öffentlichen Diskussionen gerade um die Haushaltssanierung seit 2012 darauf hin, dass die Bürgerinnen und Bürger Bedarf an Leitlinien verspürten, um sich in einer zunehmend komplexeren Welt mit zugleich eklatantem Mangel an öffentlichen kommunalen Finanzen zurecht zu finden. Ist es möglich, den Weg Oberhausens in die Zukunft mit einem solchen Leitkonzept zu versehen, das der oben beschriebenen Versuchung von allgemeingültiger Unverbindlichkeit für die Städte von Vancouver bis Sydney widersteht?

 

Exkurs: Auf dem Weg zu einem Leitbild für Oberhausen – einige Herausforderungen

Für eine gründliche, strukturierte Bestandsaufnahme empfiehlt sich – auch - ein Blick in die Stadtgeschichte. Das Geschichtsbewusstsein hilft uns zugleich weiter, was es für eine überzeugende Gestaltung der Zukunft braucht: Drei Funktionen erfüllt das Geschichtsbewusstsein, wie es die moderne Geschichtsdidaktik herausgearbeitet hat. Identität sagt uns, wer wir sind und wo wir in Veränderungsprozessen stehen. Legitimation begründet uns, warum die Gegenwart durch Entscheidungen der Vergangenheit so geworden ist, wie sie ist, und dass jene Gegenwart so ganz nebenbei auch nicht die schlechteste aller Welten darstellt. Orientierung schließlich zeigt uns einen Weg - oder mehrere wohl durchdachte Wege in eine unter den gegebenen Möglichkeiten gute Zukunft. Dabei bauen die drei Funktionen aufeinander auf: Identität bildet die Voraussetzung für gelingende Legitimation. Legitimation wieder erlaubt erst gut begründete Entscheidungen über Orientierungspunkte, auf die eine von uns als gut und gewollt beurteilte Zukunft hinsteuern kann und soll. – Es sei der Versuch unternommen, eine neue „O. Vision“, eine neue Vision für Oberhausen, nämlich einige wesentliche Elemente einer von der Stadtgesellschaft weit mehrheitlich getragenen Zielvorstellung für die Stadt zu entwerfen.

Oberhausens Identität beruhte einmal, wie der Slogan der Stadtwerbung in den 1950er und 1960er Jahren „Wiege der Ruhrindustrie“ verriet, auf dem montanindustriellen Fundament der Wirtschaft, das zugleich die Grundlage für die Entstehung der Stadt, für ihr rasantes Wachstum von 1862 bis zum Bevölkerungshöhepunkt 1961 und für die Herausbildung urbaner, großstädtischer Lebensqualität mit vielfältigen Dienstleistungen bildete. Als dieses vermeintlich sehr feste Fundament - bis zu 10 % der westdeutschen Eisen- und Stahlerzeugung - zerbröckelte, rang die Stadt um eine neue Zukunft, stürzte während der 1980er Jahre in eine Sinnkrise, erlebte aber bald darauf in den 1990er Jahren mit dem Centro inmitten des vielschichtigen Stadtentwicklungsprojektes Neue Mitte eine Kehrtwende, einen Aufschwung, vor allem eine Vitaminspritze an bislang ungeahntem Selbstbewusstsein. Eine neue Identität als die Tourismus-Hauptstadt des Ruhrgebiets, alle anderen Nachbarkommunen im neuen Städtetourismus des Erlebnis-Shoppings und der Freizeit-Event-Reisen überflügelnd, schien geglückt. Erst von diesem im Vergleich zur Vorzeit so angenehm komfortablen psychologischen Sockel aus wird begreiflich, in welche Identitätskrise der Abbruch der Neue Mitte-Dynamik mit dem Scheitern des O.Vision Zukunftsparks die Stadtgesellschaft stieß. - Die bis vor gar nicht allzu langer Zeit – bis 2005 - noch mühelos geglückte Legitimation von Strukturwandel in Oberhausen geriet ins Wanken.

Die Legitimation des Strukturwandels in Oberhausen im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts war eine Aufgabe der kommunalen Führung, und diese war seiner Zeit gleichbedeutend mit den herausgestellten Persönlichkeiten der Oberhausener Sozialdemokratie. Oberbürgermeister Friedhelm van den Mond und NRW-Finanzminister Heinz Schleußer verkörperten die Partei an der Spitze. Offene und direkte Sprache, Solidarität - ja mehr als das, Mitfühlen mit den um ihre Zukunft bangenden Stahlarbeitern, Bergleuten oder Metallfacharbeitern bei GHH und Babcock - zeichnete sie ebenso aus wie die zielstrebige, zupackende Art bei der Suche nach neuen Chancen, nach Perspektiven und Hoffnungen. Van den Mond, Schleußer und viele andere entstammten der Oberhausener Arbeiterschaft, waren für die übergroße Bevölkerungsmehrheit „Männer von uns“, deren Aufstieg auf Verdiensten beruhte. Bei dieser Sozialdemokratie fühlten Mann und Frau sich gut aufgehoben. Gut aufgehoben fühlte man sich auch bei Burkhard Drescher, dem „Macher“ des Strukturwandels der 1990er Jahre. Doch Drescher war für viele Oberhausenerinnen und Oberhausener nicht mehr einer von ihnen, sondern der Manager von außen, der sich doppelt beweisen musste, bis man ihm vertraute. Das gelang dank beeindruckender Erfolge, die weit über das Centro hinaus reichten und dadurch ein Gesamtbild von der Neuen Mitte als Gravitationszentrum in einer neuen Stadt zeichneten. Die neue Stadt des erfolgreichen Wandels versprach wiederum Sicherheit:

Arena und Metronom-Theater, Gasometer-Erhalt und Schlossumbau, Rathaus ohne Ämter und Public-Private-Partnership in neuen kommunalen Gesellschaften. Allerdings bedurfte die Legitimation jenes neuen Stils der Kommunalpolitik vor allem eines: der Erfolge! Als diese nach 2000, vor allem ab 2006 dünner wurden, hatten es die Stadt Oberhausen und die SPD in ihr schwer, das traditionelle Wohlfühl- und Umsorgungs-Klima von Kommunalpolitik aus der Stahlzeit zu erhalten. - Da kam der neue Oberbürgermeister Klaus Wehling ganz recht: Er war als Jahrzehnte bewährter Kommunalpolitiker für viele wieder ein bürgernaher „Einer von uns“. Zugleich repräsentierte er als Lehrer die neue gesellschaftliche Mitte. Klaus Wehling gelang weitgehend die Integration einer Stadtgesellschaft, die unter der Oberfläche in Selbstzweifeln steckte. Mit seinem scharfen sozialen und familienpolitischen Profil gelang Wehling die eine Hälfte der Legitimation von Kommunalpolitik, die andere Seite harrt indes bisher noch eines neuen großen Wurfes: Es ging und geht weiterhin um eine neue große Vision von Wirtschaft und Stadtentwicklung, was das Oberhausen von morgen ausmachen, unverwechselbar machen, was den künftigen Generationen eine solide Lebensgrundlage verschaffen soll. Das Zukunftsbild Oberhausens war und ist nicht nur eine Frage für morgen, es ist ebenso schon heute die Frage der Orientierung für die Stadtgesellschaft überhaupt!

Orientierung über den richtigen, zumindest den mit gutem Gewissen gangbaren Weg erlangt Oberhausen, indem es nach den Grundlagen für einen ganz eigenen Weg sucht. Das heißt zuvörderst: Stärken und Schwächen schonungslos auf den Tisch zu legen, dann aber Risiken zu erkennen und vor allem die Chancen zu ergreifen! Das beinhaltet gerade auch, das Gute und Kreative in einer meist widersprüchlichen Ausgangslage zu erkennen und mit effektiven Mitteln an der Realisierung zu arbeiten. Viele Menschen in Oberhausen betrachteten diese Aufgabe bis zu den Wahlen von 2014 und 2015 als ungelöst. Sie wird eine Herausforderung für das Selbstverständnis wie für die Gestaltung der Realität in der Wahlperiode bis 2020 bleiben.

Bedeutsame und aus der Stadtgeschichte plausibel herzuleitende, wenn auch kaum alle wichtigen, Handlungsansätze könnten folgende sein:

Oberhausens herausstechende Schwächen bestehen in einer Sozial- und Bildungsstruktur, die überdurchschnittlich zahlreich Menschen aus den so genannten bildungsfernen Gruppen aufweist. Hinzu treten, und davon keineswegs unabhängig, eine im überörtlichen Vergleich zu hohe Arbeitslosigkeit, eine zu hohe Quote von Sozialtransfer-Empfängern und eine negative Pendlerbilanz.

Oberhausens Stärken dagegen sind auch nicht zu verachten: Die Wirtschaft weist keine Abhängigkeit von einzelnen Zweigen auf, zählt zudem gleich mehrere so genannte Leitmärkte zu ihren festen Stützen. In fünf von neun Leitmärkten der Ruhrgebietswirtschaft sind 70 % der sozialversicherten Beschäftigten tätig: In Handel und Freizeit, in Industrie und unternehmensnahen Dienstleistungen, in Bauen und Wohnen sowie in der Gesundheit. Sodann gibt es in Oberhausen nicht einen Stadtteil, der in Bezug auf die sozialen Problemlagen dramatisch abgerutscht wäre. Das ist auch Ausdruck, positive Kehrseite von lebenswerten Stadtteilen in einer Stadtbezirksstruktur, deren Dreigliedrigkeit Überschaubarkeit fördert.

Wohnqualität als Folge lebenswerter Stadtteile offenbart, wie viel von der Sichtweise, von der Bewertung abhängt. Gehen wir zurück zur Pendlerbilanz. Über 7.000 Menschen von 59.000 sozialversicherten Beschäftigten verlassen jeden Tag mehr die Stadt als in sie zur Arbeit hinein gelangen. Was schnell als Merkmal eklatanter Wirtschaftsschwäche gebrandmarkt wird, entpuppt sich aber bei einer Betrachtung aus anderem Blickwinkel als Ausdruck hoher Wohn- und Lebensqualität: Über 7.000 Menschen beurteilen ihr Leben in Oberhausen als so gut, dass sie für ihren Job nicht umzuziehen bereit sind. - Daraus muss sich doch etwas machen lassen!

Um die Chancen von Wohnqualität und Pendlerbilanz so richtig, umfassend zu erfassen, sollten wir auf den Strauß von Ursachen sehen, der jener „Arbeitsflucht“ der Oberhausenerinnen und Oberhausener zu Grunde liegt.

Als die Stahlkrise Oberhausen um 1970 erfasste, kippte zugleich die zuvor positive Pendlerbilanz ins Negative. Rund 20.000 Arbeitsplätze gingen von 1962 bis 1980 verloren. Also kamen weit weniger Menschen von außerhalb und die Oberhausener mussten sich vermehrt in Nachbarstädten nach Arbeit umsehen. Während nahezu jede deutsche Großstadt einen Pendlerüberschuss aufweist, zeigt Oberhausen einen Abfluss-Saldo, der in der Spitze um 1990 über 11.000 Menschen betrug, 2013 immer noch 7.000 ausmacht. Darin das Symptom des vollständigen wirtschaftlichen Niedergangs zu erblicken, geht jedoch in die Irre. Denn ein Saldo hängt stets vom Umfeld ab. Und welche Stadt von Oberhausens Größe findet in ihrer Nachbarschaft so viele so große Städte mit zum Teil ausdifferenzierten Dienstleistungsbranchen? In Deutschland ist das wohl keine einzige! - Somit erklärt die Attraktivität der Arbeitsmärkte von Düsseldorf, Essen, Duisburg, Bochum und Dortmund die Bilanz. Vergleichen wir also die Wohnungsmärkte dieser Nachbarstädte mit dem Oberhausener und setzen dies in Beziehung zum Arbeitsplatzangebot, so ist festzustellen: Die Wohnqualität in Oberhausen ist gemessen am Preisniveau für Mieten und Kaufen von Wohnraum hoch, höher als in den Nachbarstädten mindestens im Süden des Ruhrgebiets und in der Region Düsseldorf. Das liegt nicht zuletzt an der dreipoligen Struktur der Stadtbezirke, die Ortsmitten als Kristallisationspunkte für Dienstleistungen wie für komfortables Wohnen in jedem Lebensalter aufweisen.

Mit dieser Bestandsaufnahme liegt eine bedeutsame Erkenntnis vor, aus der sich für das Zukunftsprofil der Stadt Kapital schlagen lässt. Denn auch die Beschäftigung im Leitmarkt Immobilien und Wohnen - mehr Dienstleistungen als Gewerbe umfassend - ist in Oberhausen überaus stark ausgeprägt. Folglich verfügt die Stadtwirtschaft sowohl über das Angebot auf Unternehmensseite als auch über die Lagegunst des Produktes, um Wohnen in Oberhausen zu einem Zukunftsmarkt zu entwickeln, der einen Beitrag zum Wohlstand für das Oberhausen von morgen zu leisten vermag. - Sicher trifft dies in der Öffentlichkeit auch auf Vorbehalte: Bestehen diese Möglichkeiten angesichts einer schrumpfenden Bevölkerung tatsächlich? Bedarf die Umwelt nicht eines solchen Schutzes, dass weiteres Bauen eingedämmt werden sollte?

Beide Bedenken lassen sich durch zielgruppengerechte Produkte und einen Schwerpunkt von Investitionstätigkeit in den Bestand und in die geschlossenen Siedlungsbereiche entkräften. Zudem eröffnet uns eine weite Herangehensweise neue Perspektiven: Informationstechnologien, Mobilitätserfordernisse, wachsende Anforderungen an Ressourceneffizienz und die Vorbeugung im Klimawandel wirken vielfältig mit Immobilien zur Erfüllung und Gestaltung des Grundbedürfnisses Wohnen, aber selbstverständlich wirken sie auch mit Immobilien als Ort für Arbeit zusammen. Smart City, oder Zukunft Stadt, hat sich als Begriff für die integrierte, intelligente Verknüpfung dieser wirtschaftlichen Handlungsfelder herausgebildet. – Es liegt sehr nahe, Oberhausen als eine Zukunft Stadt eigener Art, nämlich unter Nutzung der sehr spezifischen Stärken und Chancen zu entfalten.

Auf den Zukunftsmarkt Immobilien und Wohnen, vielleicht gar auf die größer definierte Zukunft Stadt / City Oberhausen, wäre womöglich nicht jeder als Erstes gekommen. Offenkundigere Zukunftsmärkte für Oberhausen liegen tatsächlich mit den wirtschaftlichen Schwergewichten in der Neuen Mitte Oberhausen auf der Hand: Handel und Freizeitwirtschaft sind schon ein starkes Standbein und sollen es bleiben. Dazu bedarf es der Ergänzung der Neuen Mitte Oberhausen durch die stetige Reattraktivierung der Angebote dort, durch die Ergänzung um weitere Hotelerie, Gastronomie, Freizeit - ja und auch Handelsangebote. In diesem Sinne werden zukünftige Ansiedlungen auf dem Stahlwerksgelände an der Osterfelder Straße, die dem Handel entstammen, zwar vermutlich mehrheitlich keinen Preis für Städtebau erreichen, aber wirtschaftsstrukturell zweifellos funktional sein.

 

Der Blick auf die Wirtschaftsstatistik verrät ferner, dass die Industrie mit den unternehmensnahen Dienstleistungen ein Herzstück der Oberhausener Wirtschaft ausmacht. Dynamik finden wir selbstverständlich vor allem bei den Dienstleistern vor, weil diese Branchen insgesamt wachsen. Für diesen Wirtschaftszweig wirkt sich Oberhausens Lagegunst in der Ballungsregion Rhein-Ruhr, an der Schnittstelle von Ruhrgebiet und Rheinschiene ebenso vorteilhaft aus wie für die Wohnungswirtschaft. Denn von Oberhausen aus lassen sich elf Millionen Menschen zwischen Bonn und Dortmund bequem erreichen.

Ebenso groß an Beschäftigungswirkung, dabei jedoch noch dynamischer ist die Gesundheitswirtschaft. Auch ohne Universitätsklinikum, Hochschule oder relevante Unternehmen der Medizintechnik erreicht Oberhausen einen Indexwert von 95 Punkten des Ruhrgebietsdurchschnitts. Nichts beweist besser, wie entscheidend die gute Breitenversorgung mit Dienstleistungen der Gesundheitswirtschaft für einen prosperierenden Gesundheitssektor ist, darüber dann zugleich für eine gute Lebensqualität insbesondere der Seniorinnen und Senioren in der Stadt Oberhausen spricht. Gesundheit und Wohnen bieten somit bestens zu integrierende Handlungsansätze für Oberhausens Arbeitsplätze, Wirtschaftskraft und Wohlstand von morgen. Für die Zielgruppen der Familien und mehr noch der Seniorinnen und Senioren wird die Attraktivität Oberhausens aus der Kombination solcher Merkmale von Lebensqualität gestaltet.

Doch manche mögen sich fragen: Wo bleibt denn da die Wertschöpfung? Diese entspringt im Zeitalter der Wissensgesellschaft nicht mehr vorrangig der Produktion von Gütern, sondern ist oft Folge der Veränderung von Lebensformen, die wiederum wertschöpfende Innovationen hervorbringt. – Und Oberhausens unternehmensnahe Dienstleistungen ebenso wie seine bereits skizzierten, breit angelegten Potenziale als Zukunft Stadt bieten eine Fülle von Anknüpfungspunkten für Zukunftschancen.

Und auch das produzierende Gewerbe wird in der Oberhausener Stadtentwicklungspolitik nicht gering geschätzt. Es hat in Oberhausen feste Anker ebenso wie starke Wachstumsmotoren. Seine Bedeutung steht im größeren Kontext einer Volkswirtschaft, die mit 27 % der Beschäftigung in der Produktion fast einen doppelt so hohen Wert aufweist wie etwa die Mutter aller Industrienationen, Großbritannien mit gerade einmal noch gut 14 %. Produktion bedeutet überdurchschnittliche Wertschöpfung je Beschäftigtem, überdurchschnittliche Betriebsgrößen, internationale Vernetzung, einen überdurchschnittlichen Anteil an Vollzeitarbeitsplätzen und eine hohe Bedeutung als Auftraggeber für Zulieferer aus Gewerbe und vor allem aus den unternehmensnahen Dienstleistungen als einem Wachstumstreiber des tertiären Sektors. Unternehmen der Produktion werden in Oberhausen traditionell intensiv betreut und unterstützt in ihrer Entwicklung, Jedoch kann es niemals gelingen, Fortzüge restlos zu vermeiden in einer Wettbewerbslandschaft von Städten, in denen außerhalb des Ballungskerns Ruhrgebiet Grundstückspreise oft auf die Hälfte sinken oder vor Ort nicht immer geeignete Flächen zur Verfügung stehen, und stehen können. – In solchen Einzelfällen empfiehlt sich etwas Gelassenheit, denn in jeder Marktwirtschaft entscheidet immer der Saldo über den Erfolg. Das gilt genauso wie für den Exportstar deutsche Wirtschaft auch für die Bilanz der Ansiedlungen und der Fortzüge. Vor allem aber bedeutet eine Abwanderung ins regionale Umfeld keineswegs den Verlust bislang etablierter Wertschöpfungsketten mit anderen Unternehmen vor Ort oder in der Region.


Abb. 40: Neue Mitte Oberhausen, Bau des Centros 1995

Das Zukunftsbild einer Stadt muss selbstverständlich aus wirtschaftlichen Bausteinen bestehen. Aber das ist doch noch längst nicht alles! Die Menschen wollen und sollen sich wohl fühlen in ihrer Heimatstadt. Dazu bedarf es wiederum der Identität. Diese steuern Stadtteile bei, aber ebenso Grün und Freizeitangebote. Und nicht zuletzt sind es die herausragenden Identifikationsangebote, die Menschen mit ihrer Stadt verbinden. Oberhausen hat keinen Kölner Dom, aber eben einen Gasometer. Und dieser ist das Symbol für einen ganzen komplexen Stadtraum, der Oberhausen Einzigartigkeit, das so viel beschworene Alleinstellungsmerkmal verleiht: die Neue Mitte Oberhausen. Der Gasometer selbst ist es, der uns bewusst macht: Es sind zu einem erheblichen Anteil auch öffentliche Einrichtungen, die den bunten Mix von Attraktivitäten im Raum vom Haus Ripshorst über die Marina mit Aquapark bis zum Schloss Oberhausen, zum Kaisergarten und den Sportstätten auf der Emscherinsel am Stadion Niederrhein ausmachen. Erst diese bunte Vielfalt öffentlicher, vergleichsweise preiswerter Attraktionen verschafft den privatwirtschaftlichen, kommerziellen Angeboten im Centro, in Arena, Metronom Theater und Legoland das Umfeld, das die Freizeit-Destination von europäischem Rang begründet. Private Investitionen und kommunale Verantwortung für die Lebensqualität gemeinsam sind es, die Oberhausenerinnen und Oberhausener stolz auf ihre Neue Mitte, auf ihre Stadt machen. Eben deshalb sind Neue Mitte Oberhausen und Freizeitwirtschaft das Kernstück der Zukunftsvision Oberhausens, als ein Ort von Identität, von Lebensqualität und von Wertschöpfung in einem. - Dies wiederum hat längst nicht jede Stadt auf so engem Raum ihren Menschen zu bieten.

Ein letztes Merkmal von Alleinstellungsqualitäten weist die Neue Mitte auf, das vielfältig mit älteren Traditionslinien der Stadt verknüpft ist. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entstand in der Alt-Oberhausener City die Parkstadt. Sie war und ist ein Impuls für Lebensqualität. Die Parkstadt des 21. Jahrhunderts mit kräftiger Ausstrahlung in alle Stadtteile wird die Neue Mitte Oberhausen sein.

Hier kehrt sich die Planungsphilosophie großzügig um: Nicht mehr Parks durchgrünen eine dicht besiedelte Innenstadt. Stattdessen ist der Städtebau der Neuen Mitte - Stadion, Schloss, Gasometer, TZU, Behrensbau und die gesamte Essener Straße, Arena, Centro, Metronom, Aquapark, Haus Ripshorst - in eine Kulturlandschaft der Freiflächen eingebettet. So wie das Grün und die Wege Attraktionen verbinden und selbst solche darstellen, kann das Zukunftsbild von einem nachhaltigen Oberhausen in der Zukunft auch darin bestehen, dass die nun seit etwa 1995 vierpolige Stadt inklusive der Neuen Mitte mit ihren zahlreichen Wohnquartieren durch ein einzigartiges Netz von Freiflächen und Wegen vernetzt und attraktiviert ist.

Ein ganzheitliches, integrales Zukunftsbild einer Großstadt braucht natürlich noch weiterer Eckpfeiler. Die eben dargelegten Eckpfeiler einer ganzheitlichen Stadtentwicklungsperspektive aus den Bereichen Wirtschaft, Identität, Wohnen und Planung sind sicher wichtig, aber keineswegs erschöpfend und vollständig. Auf diesen mehr exemplarischen Auftakt sollten weitere Konkretisierungen von berufeneren Experten/innen vorgenommen werden als der Autor einer ist.