Nicht nur Mütter waren schwanger

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Ich komme in den OP. Die Ärztin lächelt. Cooles T-Shirt. „I l<3ve trans.“

Ich lächle und bin weg.

Vier Wochen nach dem Ende meiner ersten Schwangerschaft zerbricht die Familienkonstellation. Katja und ich streiten uns über unsere Lebensvorstellungen und ziehen so einen schnellen Schlussstrich. Thomas ist enttäuscht, versteht uns nicht, nimmt Abstand, reist durch die Welt. Noch von der Erfahrung der ersten, kurzen Schwangerschaft platt und betäubt, versetzt mich das Ende der Familienkonstellation in große Wut. Ich komme mir um meine Lebensplanung betrogen vor.

Mit einer Beraterin rapple ich mich wieder auf. Begegne der erschreckenden Frage: War das jetzt mit 37 meine letzte Chance ein Kind zu bekommen, mit einem eigenen Kind zu leben? Ich habe das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben. Keine Zeit, eine neue Konstellation zu finden, Vertrauen aufzubauen, und nach drei Jahren erneut festzustellen, dass es doch nicht passt und dann die jetztaber-wirklich-allerletzte Chance verpasst zu haben. Zeitgleich versuche ich, mit dem Verlust und der Trauer über das zu frühe Ende der ersten Schwangerschaft fertig zu werden. Ich nenne es ganz bewusst erste Schwangerschaft, weil ich will, dass es noch weitere, mindestens eine weitere gibt, die neun Monate dauert. Die Ärztin ist verständnisvoll und optimistisch: „Versuchen Sie es ruhig wieder, sobald Sie sich dazu in der Lage fühlen. Jetzt wissen wir ja, dass es klappt, dass Sie schwanger werden können.“ In meinem Kopf versuche mich zu ermahnen: Ich habe unser erstes Kind nicht verloren. Erstens, war es noch kein Kind. Dafür war es noch zu klein. Und zweitens, habe ich es nicht „verloren“ – verlieren klingt, als hätte ich versagt, etwas falsch gemacht. Stattdessen will ich lieber sagen: Es hat nicht gehalten.

Die bedrohliche Vorstellung, alleinerziehender Vater zu sein, ist auf einmal die realistischste Option. Ich wäge Für und Wider ab, lege lange Listen meiner Ängste und Sorgen an und wie ich ihnen jeweils ganz pragmatisch begegnen kann. Spreche mit Freund_ innen. Ja, sie sind bereit, eine verbindliche Rolle im Leben meines Kindes zu spielen und mich zu unterstützen. Das gibt mir Ruhe und Sicherheit. Ich will es wagen. „Ok. Dann mach ich das jetzt!“ Und zwar allein. Ich will und kann mich auf niemand anderen verlassen, wenn es ums Kinderkriegen und -großziehen geht. Und ein Kind will ich durchaus noch! So erschreckend der Gedanke auch ist, alleinerziehend zu sein. Es gibt nach wie vor für mich keine Alternative zu der Vorstellung, in Zukunft mit Kindern, meinen Kindern, zu leben. Die Frau, mit der ich in der Zeit liiert bin, fragt, ob ich denn nicht gegen meine Natur handeln würde. So als Mann schwanger werden zu wollen.

Ein Kinderwunsch ist weder weiblich noch männlich, sondern menschlich.

Es kränkt mich, dass sie das fragt. Aber ihre Angst in eine Co-Mutterrolle gedrängt zu werden, ohne ein Mitspracherecht bei der ganzen Sache zu haben, finde ich durchaus nachvollziehbar. Die Liaison hält nicht lange.

Bevor der Sommer vorbei ist, habe ich mich entschieden, es wieder zu versuchen. Aus dem Freund_innenkreis sagte Peter sofort zu, Patentunte aka Samenspender zu werden. Nach einer neuen Runde ärztlicher Tests und neuem Vertrag sind wir soweit.

Ich bin diesmal merklich abgeklärter. Die Angst, wieder irgendwann auf einen toten Bildschirm starren zu müssen, schwingt immer mit. Ich habe mir Beratung speziell zum Familienthema gesucht, um Unterstützung an meiner Seite zu wissen. Ich habe eine Scheißangst, aber ich ziehe das jetzt durch.

Warten auf Schwangerschaft
Beratungen bei unerfülltem Kinderwunsch

Johanna Montanari

Die normative gesellschaftliche Vorstellung verbindet Weiblichkeit mit Gebärfähigkeit. Innerhalb dieser Vorstellung wird eine Person, die als Frau gelesen wird, einfach so, ohne viel Überlegen schwanger: Dadurch dass sie die entsprechenden biologischen Voraussetzungen erfüllt, in einer heterosexuellen Beziehung ist und unverhüteten Penetrationssex hat. „Kinderwunsch“ und „unerfüllter Kinderwunsch“ sind Fachbegriffe, die in Medizin und Psychologie verwendet werden. Was bedeuten diese Begriffe genau und was implizieren sie? Wie wird denen, die sich ein Kind wünschen, aber nicht „auf natürlichem Weg“ schwanger werden und deswegen unter enormem Druck stehen, geholfen und welche gesellschaftlichen Vorstellungen hängen damit zusammen? Ich habe Interviews mit zwei Beraterinnen, die sich vor allem an cis-Frauen wenden, geführt und dafür das Feministische Frauen

Gesundheitszentrum (FFGZ) und pro familia in Berlin besucht.1

Unerfüllter Kinderwunsch oder Wunsch nach einem Leben mit Kind?

Auf der Homepage familienplanung.de, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung betrieben wird, steht zum Beispiel direkt unter der Überschrift „Kinderwunsch“ ein Link zu dem Artikel „Warten auf die Schwangerschaft“. Dort liest sich: „Lässt die Schwangerschaft eine gewisse Zeit auf sich warten, ist das durchaus normal. Viele komplexe Abläufe sind nötig, damit eine Frau schwanger werden kann. Unter bestimmten Bedingungen ist es jedoch sinnvoll, bald ärztlichen Rat zu suchen.“

Der Begriff „Kinderwunsch“ wird unabhängig davon verwendet, wer ihn hat. Doch tatsächlich wird von der Norm des heterosexuellen Paares, also cis-Frau und cis-Mann mit den notwendigen biologischen Voraussetzungen, ausgegangen. Der Begriff „Kinderwunsch“ beschreibt eine nicht näher definierte „normale“ Zeit des Wartens, in welcher nicht in Frage steht, dass die Schwangerschaft kommt. „Unerfüllter Kinderwunsch“ steht für eine Zeit, in der das Warten an sich in Frage steht. Es steht in Frage, ob sich der Wunsch nach einem Kind überhaupt erfüllen kann. Die Konsequenz ist dann, sich an die Medizin zu wenden. Entgegen dieser normativen Vorstellung können auch Menschen, die nicht in heterosexuellen Liebesbeziehungen sind, nicht cis sind oder nicht die biologischen Voraussetzungen erfüllen, einen Kinderwunsch haben. Für sie ist Warten somit erst gar keine Option, damit sich ihr Wunsch erfüllt.

So genannte Kinderwunschkliniken bieten Behandlungen der Reproduktionsmedizin an, also vor allem künstliche Befruchtung (auch assistierte Reproduktion genannt) und das Eizellen-Einfrieren (Social Freezing oder Kryokonservierung genannt). Mit ihrer Namensgebung implizieren die Kinderwunschkliniken die Erfüllung des Wunsches nach einem eigenen Kind. Dahinter steht eine riesige Industrie, die wächst und wächst. Mit Reproduktionsmedizin lässt sich viel Geld verdienen. Und auch Arbeitgeber*innen kommt es möglicherweise zugute, wenn die Reproduktionsmedizin ermöglicht, dass Personen erst später in ihrem Arbeitsleben schwanger werden. 2014 gab es eine riesige öffentliche Debatte, nachdem die Firmen facebook und Apple bekannt gaben, die Kosten zu übernehmen, wenn Mitarbeiter*innen Eizellen einfrieren lassen wollen.

Auffällig ist, dass es bei dem Fachbegriff „Kinderwunsch“ um die biologische Schwangerschaft einer Person geht, die am Ende ihrer Schwangerschaft ein Kind gebärt, und mit diesem Begriff nicht zum Beispiel Adoption, Pflegekinder oder Zusammenleben mit Kindern verhandelt werden. Kinderwunsch als Begriff meint nicht den Wunsch nach einem Leben mit Kind. Stattdessen geht es um ein biologisches Kind, um die Weitergabe der Gene.

Zu Besuch bei zwei Beratungsstellen

Vor einem großbürgerlichen Altbau in Berlin-Schöneberg hängt das Schild des FFGZ schief am Zaun. Das FFGZ existiert seit 1974 und befindet sich seit Anfang der 80er Jahre an dem jetzigen Ort. Das FFGZ wendet sich explizit an „Frauen“, wobei insbesondere cis-Frauen angesprochen werden. Das FFGZ arbeitet mit dem Grundsatz der Parteilichkeit (immer auf der Seite der Frauen) und hinterfragt gesellschaftliche Zwänge, Machtstrukturen und Normierungen. Die Frauen sind hier selbst Expertinnen für ihren Körper.

Monika Fränznick arbeitet als Coach und berät Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch, dabei insbesondere cis-Frauen in heterosexuellen Partnerschaften und alleinstehende cis-Frauen. Lesbische Frauen werden von einer Kollegin beraten. Dieses Angebot werde jedoch nicht mehr so häufig in Anspruch genommen, so Fränznick, da es inzwischen eine Vielzahl weiterer Beratungsstellen gebe. Fränznick informiert und berät. Dabei geht es um biologische Themen, zum Beispiel: Wie funktioniert Fruchtbarkeit genau, oder: Was macht die Reproduktionsmedizin. Vor allem jedoch geht es um eine Wiederaneignung des Körpers. Wenn eine Frau mit unerfülltem Kinderwunsch zu Fränznick in die Beratung kommt, überlegen sie gemeinsam Strategien, um den Druck rauszunehmen, der häufig enorm ist. Das Ziel der Beratung sei, dass die Frauen wieder in eine aktive Rolle kommen und informierte Entscheidungen treffen. Die Reproduktionsmedizin wendet sich zumeist an Paare, was für alleinstehende Frauen sehr schwer ist, erzählt Fränznick. Am FFGZ geht es um die Frauen, ob in Beziehung oder nicht. Themen wie Spannungen in der Beziehung können hier thematisiert werden. „Es kann alles da sein, was bei den Frauen da ist.“ Fränznick rät keiner Frau davon ab, die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin, also zum Beispiel künstliche Befruchtung, in Anspruch zu nehmen, doch sie sieht die Reproduktionsmedizin auch kritisch. Fränznick erzählt von gezielter Misinformation. Zum Beispiel, wenn von einer 15-30% Erfolgsrate geredet wird und tatsächlich nur eine 10-15% „baby-take-home-Rate“ besteht, die Prozente sich auf erfolgreich befruchtete Eizellen beziehen und nicht darauf, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass es zur Geburt eines Kindes kommt. Fränznick legt dar, dass Frauen sich häufig der Medizin „ausgeliefert“ fühlten. „Es geht darum, dass die Frauen entscheiden können und nicht in so eine Dynamik, einen Sog reinkommen.“

 

Fränznick spricht von einer „Gesellschaft der Machbarkeit“, die sie als problematisch ansieht. Diese Vorstellung stehe im Widerspruch dazu, dass Schwangerschaft etwas Schicksalhaftes habe. Fränznick warnt auch vor einem Fokus auf psychische Blockaden. In diesem Zusammenhang werde auch von Eltern berichtet, die adoptieren und anschließend wird die Frau auf natürliche Weise schwanger. Obwohl sich Druck tatsächlich niederschlage und sich auf Hormone auswirke, sei die eigentliche Herausforderung zu akzeptieren, dass nicht alles machbar sei. Selbst wenn die Frau irgendwelche Blockaden bei sich lösen könne, hieße das nicht, dass sie auf jeden Fall schwanger wird. „Vielleicht klappt es, vielleicht klappt es nicht. Es ist etwas Schicksalhaftes.“

Ein weiterer Aspekt von Fränznicks Beratungen ist, das Ziel des unerfüllten Kinderwunsches zu hinterfragen. Der Kinderwunsch enthalte immer ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Zum Beispiel könne dies ein Familienleben sein, bei dem man abends zusammen sitzt. Fränznick stellt in ihren Beratungen die Frage: „Welche Bedürfnisse kann ich auch ohne Kind stillen?“ Als anderes Beispiel nennt sie eine Frau, die sich gern zurückziehen möchte, anstatt immer etwas erleben zu müssen. Ein Kind erscheint ihr als eine Möglichkeit, dies legitimerweise zu tun. Wenn Frauen nicht schwanger werden, werde dies häufig als persönliches Versagen erfahren. Fränznick verurteilt niemanden. Sie entwickelt konkrete Vorstellungen mit den Frauen. „Es geht um meinen Körper und um mein Glücklichsein und nicht um dieses Kind, unbedingt.“ Frau Fränznick betont in ihren Beratungen, dass die Möglichkeit besteht, dass es nicht zu einem Kind kommt. Es sei wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, sagt sie, und empfiehlt mir Bücher dazu.

Vom FFGZ ist es nicht weit zu pro familia. Das Berliner Beratungszentrum des Bundesverbands sitzt auch in Berlin-Schöneberg. Der Neubau liegt gut versteckt. Pro familia berät alle, unabhängig von Alter, Geschlecht und religiöser, kultureller, politischer oder sexueller Orientierung. Der Verein führt auch Untersuchungen durch, insbesondere bei denjenigen, die nicht in der normalen Regelversorgung Platz finden.

Die Frauenärztin Jutta Pliefke hat 25 Jahre Erfahrung. Sie erzählt, wie sich die Einstellung zu unerfülltem Kinderwunsch extrem gewandelt hat, und spricht von einem konservativen Rückschwung. Das Modell der Kleinfamilie sei wieder für eine große Mehrheit erstrebenswert. Es gäbe weniger alternative Familien- und Lebensentwürfe, in denen zum Beispiel Kinderlosigkeit als etwas Attraktives gilt. In den 70er-Jahren hätte es diesbezüglich ein größeres Selbstbewusstsein gegeben. Kinderlose Frauen fänden sich heute schnell in einer Rechtfertigungsposition wieder.

Pliefke berät unter anderem zu unerfülltem Kinderwunsch, cis-Frauen und heterosexuelle Paare, zum Teil auch lesbische Paare. Letztere leitet sie häufig an das Regenbogenfamilienzentrum des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg weiter, die auch eine gute rechtliche Beratung anbieten, oder hilft ihnen mit Adressen von Samenbanken. Laut Pliefke wird heutzutage der Kinderwunsch häufig sehr starr geplant. Bei unerfülltem Kinderwunsch von cis-Frauen in Hetero-Beziehungen schlägt sie je nach Alter und Länge des Wartens medizinische Diagnostik vor. Als erstes schlage sie vor, dass die Männer ein Spermiogramm machen. In 40% der Fälle läge es an dem Sperma des Mannes, dass die Frauen nicht schwanger werden. Diese Information sei für viele überraschend. Den Frauen schlage sie vor, ihren Zyklus zu beobachten. Pliefke kritisiert den Anspruch, immer später schwanger werden zu können, der der Reproduktionsmedizin in die Hände spielt. Häufig kämen aber auch sehr junge Frauen zu ihr in die Beratung, die unter großem Druck stehen, sehr zeitnah nach der Hochzeit schwanger zu werden und sich dann schnell Sorgen machen, wenn dies nicht passiert.

Viele cis-Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch würden jeden Monat hoffen, dass sie schwanger sind. Pliefke möchte sie durch ihre Beratung „da rausholen“, aus der Fixierung auf das eigene Kind. Sie fragt: Um was geht es da eigentlich? Welche attraktive, andere Lebensplanung könnte es noch geben? Muss das Kind biologisch von mir sein? Pliefke will in diesen Situationen den Druck rausnehmen. Allgemein fragt sie auch nach der Motivation: Für was ist das Schwangerwerden wichtig und gibt es auch andere Lebensentwürfe? Sie betont: Es gibt kein „Recht auf eine Schwangerschaft“. Wichtig sei, den „schicksalhaften Aspekt“ in der Schwangerschaft anzuerkennen. Dieser werde jedoch schnell überlagert von der Idee: „Das muss doch irgendwie machbar sein.“


Das Schicksalhafte und die Gesellschaft der Machbarkeit

Fränznick und Pliefke haben eine sehr differenzierte Sicht auf Reproduktionsmedizin. Diese erweitere zwar tatsächlich Möglichkeiten – für Paare, deren Fruchtbarkeit biologisch eingeschränkt ist, für ältere Frauen, für lesbische Paare – schaffe aber auch, wie Fränznick es ausdrückt, „ihre eigenen Zwecke“. Es ist auffällig, dass beide Beraterinnen, in fast identischen Begrifflichkeiten, betonen, dass Schwangerschaft „etwas Schicksalhaftes“ habe und sich nicht in letzter Instanz kontrollieren lasse, ob eine Schwangerschaft klappt. Beide grenzen dies von der Vorstellung ab, dass es mit den vorhandenen reproduktionsmedizinischen Methoden in jedem Fall und auch bis ins hohe Alter hinein immer möglich ist, schwanger zu werden. Fränznick sprach von einer „Gesellschaft der Machbarkeit“. Das Schicksalhafte und damit Schwangerschaft sei etwas, das im Widerspruch zur verbreiteten Vorstellung, dass alles machbar sei, stehe. Ähnliche Vorstellungen einer Gesellschaft der Machbarkeit fand ich bei dem Medizinethiker Giovanni Maio. In seinem Buch „Medizin ohne Maß. Vom Diktat des Machbaren zu einer Ethik der Besonnenheit“ (2015), erläutert Maio, wie die Perspektive des spezifischen Menschen immer weniger zähle. Stattdessen gehe es um medizinische Möglichkeiten, in denen vordefiniert ist, was gut und was schlecht ist.

Der unerfüllte Kinderwunsch wird in einer Gesellschaft der Machbarkeit mit der Bereitschaft in Verbindung gebracht, die (reproduktions-)medizinischen Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Die Reproduktionsmedizin selbst ist an dem Druck, unter dem Personen stehen, schwanger zu werden, beteiligt. Was die präzisen Vorstellungen und Wünsche der einzelnen Menschen sind, spielt dabei kaum eine Rolle.

In den Beratungen geht es darum, das Schicksalhafte einer Schwangerschaft anzuerkennen, um so den Druck rauszunehmen. Die Beratungsgespräche verschieben den Fokus von der unbedingten Schwangerschaft hin zum eigenen Glück, erweitern den Blick auf ein erfülltes Leben, von dem ein Kind ein Teil sein kann.

Wir brauchen doch nur Sperma und Geld
Von Selbstfürsorge und Solidarität bei queerem Kinderwunsch

Diana Thielen

Der Gang zur Kinderwunschklinik war bei mir und meiner Freundin mit einer lang durchdachten Entscheidung verbunden. Obwohl ich Hormontabletten und Spritzen und das Rechnen der Tage bis zum Eisprung teilweise anstrengend finde, ist es mir im Grunde egal, wie ich nun schwanger werde. Ob durch einen Katheter Samen direkt in den Uterus geleitet werden oder ob der Weg über den Eileiter „abgekürzt“ wird und das schon befruchtete Ei in den Uterus gesetzt wird, ist mir vollkommen schnuppe. Mir ist es suspekt, dass in Deutschland oft abwertend über assistierte Reproduktion, also die verschiedenen medizinischen Angebote, Schwangerschaften herbeizuführen und zu unterstützen, gesprochen wird.2 Und es befremdet mich, dass für viele Menschen die Möglichkeit, dass Männer* schwanger werden können, anscheinend nicht zu verkraften ist.

Mir ist dieser ganze heteronormative Quatsch des „natürlichen“ Schwangerwerdens total egal, geht der doch an so vielen Lebensrealitäten vorbei. Viel wichtiger ist mir, dass alle Personen, die das wollen und brauchen, bei ihren Wünschen, (nicht) schwanger zu werden, unterstützt werden. Und das geht am besten ohne Geschlechtszuschreibungen oder Marginalisierungen von lesbischen/queeren Familienideen in einer Gesellschaft.

Oder?

Wir brauchen doch nur Sperma und Geld

Der Satz, „Wir brauchen doch nur Sperma und Geld“, begleitet mich in meinem, in unserem Prozess des Schwangerwerdens. Ich bin jetzt Mitte 30 und lebe in einer lesbischen/queeren3 Beziehung. Meine 20er Jahre habe ich größtenteils in hetero-Beziehungen verbracht. Kinder waren für mich kein Thema oder wenn, dann nur mit dem ausdrücklichen Wunsch, keine zu bekommen. Ich wollte niemals Mutter werden. Der Gedanke ans Kinderkriegen war für mich verbunden mit stereotypen Geschlechterrollen. Ich sah keinen Ausweg aus diesem Dilemma, zumindest nicht in meinen gelebten hetero-Beziehungen.

Vielleicht lag es daran, dass ich 30 wurde. Oder eben daran, dass Geschlechter– und Elternrollen in lesbischen Beziehungen anders gelebt werden müssen und können: Seitdem ich lesbisch lebe, ist der Gedanke des „Elternwerdens“ nicht mehr so beklemmend, sondern bietet mir die Möglichkeit, mich mit meinen Vorstellungen, Wünschen, Ängsten und Sehnsüchten auseinanderzusetzen. Mit meiner Partnerin habe ich ein Gegenüber, das mir Platz gibt, mit ihr gemeinsam unterschiedliche Lebensentwürfe in Betracht zu ziehen. Der Prozess hin zur Entscheidung, schwanger zu werden und auf welche Weise, war sehr intensiv und zog sich über drei Jahre. Eine heterologe Insemination, also eine anonyme Samenspende, sollte es sein. Dabei bedingen sich der Wunsch nach einer anonymen Samenspende, sowie derjenige, dass meine Partnerin nach der Geburt das Kind adoptiert, gegenseitig. Doch so einfach lässt sich dieser Entschluss, insbesondere in Deutschland, nicht umsetzen. Als lesbisches/queeres Paar steht keine Entscheidung für sich. Unsere Wünsche werden beständig von unserer Umgebung willentlich und unbewusst hinterfragt. Sobald ich anfange über unsere Situation, über meine Gefühle zu sprechen, beginnt zuerst einmal die Aufklärungsarbeit. Kaum jemand scheint die rechtliche Lage zu kennen und sich individuell mit lesbischen/ queeren Lebensrealitäten auseinandergesetzt zu haben. So freuen sich unsere Herkunftsfamilien mit uns über die sogenannte „Homo-Ehe“ und sind gleichermaßen enttäuscht, wenn uns so gar nicht nach Jubeln zumute ist. Wo liegt das Problem? Eben darin, dass sich nichts Entscheidendes für uns verändert.

Aufklärungsarbeit #1: Wie schon erwähnt, müssen lesbische, „verheiratete“ Paare immer noch das Kind, welches innerhalb der Beziehung gezeugt und geboren wurde, adoptieren und es gibt keine Gleichstellung in der Finanzierung der assistierten Reproduktion. „Wir brauchen doch nur Sperma und Geld!“ Das „nur“ in diesem Satz ist unsere Hoffnung und gleichzeitig auch unser wunder Punkt. Als ich zugesagt habe, diesen Text zu schreiben, hatte ich gehofft, dass wir entweder schon schwanger sind, oder zumindest auf das erwünschte, positive Ergebnis hoffen können. Stattdessen musste ich mich entscheiden, ob ich dem Wunsch, schwanger zu werden, Lebewohl sage oder mir überlege, wie ich die, für unsere Verhältnisse absurd klingende Summe von 10.000 Euro, zusammenbekomme.

Das „nur“ war die Hoffnung, dass ich mit wenigen Versuchen durch eine Insemination schwanger werde, und dass ich ansonsten keine weitere medizinische Hilfeleistung benötige. Selbst dieser noch recht unkomplizierte Weg hat uns bereits in eine finanziell schwierige Situation gebracht. Nach mehreren erfolglosen Versuchen sind wir jetzt pleite. „Wir brauchen doch „nur“ Sperma und Geld“ fühlt sich immer mehr nach einer sarkastischen Wunschvorstellung an, und immer wieder frage ich mich, warum um Sperma so viel Aufhebens gemacht wird.

Aufklärungsarbeit #2: Die Berliner Kinderwunschzentren arbeiten ausschließlich mit Berliner Samenbanken zusammen. Die Anmeldung, ohne auch nur eine Spermaprobe „gesehen“ zu haben, kostet im Durchschnitt 2000€.

Nun habe ich seit einigen Tagen die Diagnose „undurchlässige Eileiter“. Das „nur“ ist komplett hinfällig geworden, denn so scheint In-Vitro-Fertilisation der einzige Weg, um schwanger zu werden, und ich spüre mehr denn je, dass mein Kinderwunsch als lesbisch/queer lebende Frau gesellschaftlich nicht gleichwertig behandelt wird, denn:

 

Aufklärungsarbeit #3: Bei undurchlässigen Eileitern wird im „Normalfall“ eine In-Vitro-Fertilisation (IVF) mit sehr guten Erfolgsaussichten empfohlen. Der „Normalfall“ setzt voraus, dass die hetero-Paare verheiratet sind und ein festgesetztes Alter nicht überschreiten. Dann werden die Kosten zu großen Teilen, abhängig von der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse, übernommen. Es ist zwar nicht mehr verboten, als lesbisches Paar oder auch als alleinstehende Frau Reproduktionstechnologie in Anspruch zu nehmen, aber es wird eben auch nicht bezahlt, Ehe für alle hin oder her. Und so regulieren die sozialen und finanziellen Ressourcen die Familiengründung.4


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