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Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie

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4 Diskussion und Fazit

Die Analysen zeigen, wie Lehrer*innen für neu zugewanderte Schüler*innen mit den pandemiebedingten Änderungen der Rahmenbedingungen, mit Vorgaben, Herausforderungen und gestalterischen Spielräumen umgehen, mit welchen Auswirkungen auf institutionell-organisatorischer Ebene sie konfrontiert werden, wie sie ihre Praktiken anpassen und was aus ihrer Sicht besondere erwerbs- sowie lehr-lernbezogene Bedarfe von neu zugewanderten Schüler*innen unter diesen Bedingungen sind. Die Darstellungen der Lehrkräfte und die Legitimierungen ihrer Praktiken machen (Sprach-)Ideologien sichtbar, die über die pandemiebedingten Besonderheiten der Lage hinausgehen und grundsätzlich im Zusammenhang mit dem Thema Bildung für neu zugewanderte Schüler*innen aufschlussreich sind. Wenn selbst Lehrkräfte von Vorbereitungsklassen einem monolingualen Habitus verhaftet bleiben, kann dies für eine gezwungenermaßen mehrsprachige VKL nur problematisch sein; wenn in einer Schule gilt, dass VKL nicht wichtig sind, dann werden die Schüler*innen dieser Klassen auch nicht die notwendigen Ressourcen erhalten; wenn aber eine Lehrkraft der Ansicht ist, dass ihre Schüler*innen selbständig oder gut zu motivieren sind, dann wird sich dies auch positiv auf die Lernprozesse auswirken können. Die von der Gemeinde oder den Schulen zur Verfügung gestellten Ressourcen sind nicht ausreichend. Daher sind die Lehrkräfte gezwungen, auf eigene Ressourcen zurückzugreifen, die sie sehr unterschiedlich einsetzen, je auch in Abhängigkeit der Perspektive auf ihre Schüler*innen. In dieser schwierigen Situation, zwischen Zutrauen in sich und ihre Schüler*innen und Überforderung, versuchen sie, wie in allen Interviews sichtbar wird, ihr Bestes zu geben.

Über die akute Krisensituation hinausgehend wird so erkennbar, welchen Einfluss Lehrkräfte bewusst oder unbewusst auf die Ausgestaltung von Language Education Policies haben, was bereits auf tieferliegende, grundsätzliche, teilweise versteckte Widersprüche, Konflikte und Spannungen zwischen impliziter und expliziter Language Education Policy verweist. An dieser Stelle bestätigt sich, dass pandemiebedingte Herausforderungen als Spiegel oder Brennglas für grundsätzliche Bedingungen von Sprachunterricht dienen: Die Beschulung neu zugewanderter Schüler*innen in Vorbereitungsklassen scheint stark abhängig vom individuellen Engagement der Lehrkräfte zu sein, die mit der Situation allein gelassen werden. Damit zeigt sich, dass die auch laut Kultusministerium zentrale Aufgabe der Sprachförderung durch ein auf die individuelle Lebens- und Lernwirklichkeit der Schüler*innen abgestimmtes Konzept (Ministerium KJSa 2017: 3) von Bildungspolitik und Bildungsträgern nicht ausreichend unterstützt wird. Die Schüler*innen in den Vorbereitungsklassen und die Lehrkräfte dort sind nicht Teil höherer Prioritätsgruppen, obwohl die gesellschaftliche und bildungspolitische Verantwortung an dieser Stelle besonders hoch ist.

Literatur

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„Aber so, wie es jetzt ist, habe ich das Gefühl, mich zurückzuentwickeln“

Homeschooling während des Lockdowns aus Sicht von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften aus Vorbereitungsklassen

Cosima Lemke-Ghafir/Kristina Nazarenus/Christin Schellhardt/Dorotheé Steinbock, unter Mitarbeit von Aylin Braunewell

Einhergehend mit den durch die COVID-19-Pandemie bedingten Einschränkungen in den Schulen verlagerte sich der Unterricht von Präsenz- auf Distanzformate. Dies hatte auch zur Folge, dass ohnehin schon bildungsbenachteiligte Schülerinnen und Schüler einen zusätzlich erschwerten Zugang zu Bildung bekamen. Besonders betroffen waren Kinder und Jugendliche aus Vorbereitungsklassen, da sie auf die Schule als teils einzigen Ort sprachlicher und fachlicher Qualifizierung und sozialer Teilhabe stark angewiesen sind. Im vorliegenden Beitrag wird ein Einblick in die Unterrichtssituation zweier Vorbereitungsklassen während der ersten Schulschließung im März 2020 gegeben. Dazu wurden problembasierte Leitfadeninterviews mit Schülerinnen und Schülern einer Vorbereitungsklasse sowie einer Vorbereitungsklasse mit Alphabetisierung aus Berlin und ihren Lehrkräften hinsichtlich ihrer Erfahrungen durchgeführt. Die Interviewten beschreiben eine Situation, die sich für beide Klassen, insbesondere aber für die Alpha-Klassen, als besorgniserregend herauskristallisiert hat.

 

1 Einleitung

Der Umgang mit den durch die COVID-19-Pandemie bedingten Schulschließungen und deren Auswirkungen wurden nicht nur medial, sondern auch wissenschaftlich vielfach besprochen (vgl. Huber et al. 2020; Fickermann/Edelstein 2020; Wildemann/Hosenfeld 2020). Dabei wurde besonders deutlich, welch wichtigen Stellenwert Schule generell für alle Kinder und Jugendlichen,1 insbesondere für bildungsbenachteiligte,2 für verschiedene Bereiche wie soziale Kontakte, Bildungslaufbahn und Sprache hat. Hierunter zählen auch neu zugewanderte Kinder und Jugendliche ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen, die vor der besonderen Herausforderung stehen, in relativ kurzer Zeit (ein bis zwei Jahre) ausreichende Sprachkenntnisse im Deutschen zu erwerben, um am Unterricht der Regelklasse teilnehmen zu können und so ihre weitere Bildungslaufbahn erfolgreich zu gestalten. Hierbei stellt die Schule für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler teils die einzige Möglichkeit dar, die dazu notwendigen sprachlichen Kompetenzen im Deutschen zu erwerben. Sie ist gleichzeitig auch ein Ort des Ankommens (vgl. Fasse 2016: 25f.) sowie sozialer Begegnung (vgl. Schubarth 2020: 33). Mit der Schließung der Schulen im März 2020 und dem Beginn des Distanzunterrichts brachen die mit diesem spezifischen Ort verbundenen Aspekte weg und zeigten hierbei wie ein Brennglas Bedarfe auf, die ohnehin schon bestanden. Die wenigen vorhandenen wissenschaftlichen Artikel, die speziell einen Blick auf die Gruppe neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler im Kontext der COVID-19-Pandemie werfen, sind meist theoriegeleitet oder aus Perspektive der Lehrpersonen (vgl. u.a. Gogolin 2020; Karakayalı/Heller 2020, Rude 2020). Bisher fehlen allerdings Studien, die vor allem dem Blick der neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler und ihren Erlebnissen und selbstgeäußerten Bedarfen einen Raum bieten. Welche Unterrichtserfahrungen haben die Schülerinnen und Schüler gemacht? Welche Formate haben gut funktioniert, insbesondere im Hinblick auf sprachliche Lernfortschritte und soziale Begleitumstände wie Wohnen oder gesellschaftliche Partizipation? Der vorliegende Beitrag will eben diese Schülergruppe und ihre spezifischen Bedarfe in dieser besonderen Zeit der Beschulung sichtbar machen, indem sie selbst zu Wort kommen. Dazu wurden Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte einer Berliner Willkommensklasse (Wiko-Klasse) als auch einer Alphabetisierungsklasse (Alpha-Klasse)3 auf Basis problemzentrierter, leitfadengestützter Interviews zu den Veränderungen des Unterrichts während der COVID-19-Pandemie befragt. Es zeigt sich in besonderem Maße, welch großen Stellenwert eine fortlaufende und angepasste Beschulung für diese Gruppe angesichts der in kürzester Zeit zu bewältigenden Aufgabe der sprachlichen und sozialen Integration in das Bildungssystem und der neuen Lebensumwelt hat. Nach einem kurzen Forschungsüberblick zu Bedingungen und Herausforderungen während der COVID-19-Pandemie für die Gruppe neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler mit einem Fokus auf die Rahmensituation in Berlin soll das Vorgehen bei der Erhebung der Interviewdaten sowie bei deren Analyse dargestellt werden. Nach Darlegung der Ergebnisse aus den Interviewdaten schließt sich ein Fazit an.

2 Schule und neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler in der Pandemie
2.1 Forschungsüberblick

Mit dem zeitweiligen Aussetzen des Präsenzunterrichts an deutschen Schulen bedingt durch die Verordnungen des Bundes und der Länder zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie seit dem 17. März 2020 wurden wesentliche Funktionen der Schule als Ort physischen Aufeinandertreffens ausgesetzt. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2020: 13) zählt hierzu u.a. die Strukturierung des Lernalltages, das durch den Austausch mit Schulkameraden und Lehrkräften unterstützte fachliche und soziale Lernen sowie qualifizierte Rückmeldungen zu Aufgaben und Übungen. In Vorbereitungsklassen haben diese Funktionen eine besondere und erweiterte Bedeutung:

Neu zugewanderte und geflüchtete Jugendliche brauchen Raum, in dem sie nicht nur besondere Sprachförderung erhalten, sondern in dem sie mit ihren Biographien ankommen und Fremdheitserfahrungen bearbeiten und abbauen können. Bevor sie in den Regelklassen lernen können, müssen sie die neue Umgebung kennen und sich in ihr sicher fühlen. (Fasse 2016: 25f.)

Die Institution Schule und allen voran die Lehrkräfte standen also im Frühjahr 2020 vor der Herausforderung, die dargestellten Funktionen von Schule in ein Beschulungsmodell zu übertragen, das auf physische Distanz ausgerichtet war und das schulische Lernen in das zu Hause der Schülerinnen und Schüler verlagerte. Je nach digitaler Ausstattung und Vorerfahrung der Schule und der Lehrkräfte und Aufstellung der Klasse wurde der Unterricht im schulisch angeleiteten Lernen zu Hause (saLzH)1 sehr unterschiedlich umgesetzt. Lehrkräfte von Vorbereitungsklassen in Berlin gaben z.B. an, telefonisch, postalisch oder persönlich Aufgaben verteilt und den Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern aufrecht erhalten zu haben, da nicht alle Kinder der Klassen über einen Zugang zu digitalen Endgeräten verfügten (vgl. Karakayalı/Heller 2020: 8). Die Problematik des fehlenden Zugangs zu einer für das Lernen adäquaten technischen Ausstattung und räumlichen Situation wird im Folgenden aufgezeigt.

2.1.1 Technische Ausstattung und räumliche Situation der Schülerinnen und Schüler

Die Befragung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zur Wohnsituation geflüchteter Menschen1 ergab, dass weniger als die Hälfte der Kinder einen PC bzw. ein Tablet zu Hause und weniger als ein Fünftel der befragten Kinder einen Computer ausschließlich zur eigenen Verfügung hat. Unabhängig vom genutzten Endgerät haben etwa 95 % der Kinder, die in Privatwohnungen leben, einen Internetzugang, in Sammelunterkünften sind es allerdings nur 56 % (vgl. Rude 2020: 49). „Einzelbefragungen von Lehrern zeigen, dass die geflüchteten Kinder teilweise schwer oder nicht erreichbar waren und über keine stabile Verbindung zum Internet verfügen“ (Rude 2020: 52).2

Die räumliche Wohnsituation vieler Schülerinnen und Schüler aus Vorbereitungsklassen bietet ebenfalls oft keine geeignete Umgebung zum ungestörten und konzentrierten Lernen. Laut der jährlich stattfindenden Befragung von Geflüchteten des BAMF haben nur 25 % der in Gemeinschaftsunterkünften und 37 % der in Privatwohnungen lebenden Kinder und Jugendlichen ein eigenes Zimmer (im Vergleich zu 88 % der Kinder ohne Migrationshintergrund) und knapp zwei Drittel der geflüchteten Kinder verfügen zwar über einen eigenen Schreibtisch, jedoch nur knapp über ein Drittel in Sammelunterkünften (vgl. de Paiva Lareiro 2019: 5). Diese lernunförderlichen Wohnumstände führen zu viel Ablenkung und scheinen auch häufig im Zusammenhang mit Schwierigkeiten beim Deutschlernen zu stehen (vgl. Jasch 2017: 6). Insgesamt erschweren die Umstände der Wohnsituation und die Verfügbarkeit digitaler Lernausstattung diesen Schülerinnen und Schülern den Zugang zu saLzH und damit verbunden zu Bildung (vgl. Rude 2020: 52).

2.1.2 Kompetenzen im Distanzunterricht

Neben den technischen und räumlichen Gegebenheiten waren und sind aber auch weitere Fähigkeiten, wie schriftsprachliche Kompetenzen, seitens der Schülerinnen und Schüler und/oder Lernunterstützung zu Hause relevant für den Erfolg oder Misserfolg von Unterrichtskonzepten in Distanz. Als eine große Herausforderung ist hierbei die Verständnissicherung der Aufgabenstellung und Unterstützung bei der Aufgabenbearbeitung zu sehen. Dies stellten Karakaylı/Heller (2020) durch eine Befragung von Lehrkräften fest, bei der die Lehrkräfte vor allem bei Kindern mit geringen Deutschkenntnissen wenig Möglichkeiten der elterlichen Unterstützung und Schwierigkeiten bei der Bearbeitung schriftlicher Materialien ohne zusätzliche mündliche Erklärung konstatierten (vgl. Krakayalı/Heller 2020: 8). Der Bedarf eines direkten Kontaktes zwischen Lehrkraft und Schülerinnen und Schülern erscheint daher zentral für das Lernen. Die Studie von Boeckmann et al. (2020) zu digitalem Distanzunterricht für Deutsch als Zweitsprache legt dar, dass sich ein synchroner Onlineunterricht besonders für Lernende ohne ausreichende Lese- und Schreibfähigkeiten eignet. Der videogestützte Unterricht war die einzige Möglichkeit, mit den Schülerinnen und Schülern der Primarstufe, die noch nicht über ausreichend Lese- und Schreibkompetenzen zum Folgen asynchroner Online-Formate verfügten, in Kontakt zu treten (vgl. Boeckmann et al. 2020: 12). Dies zeigt, welche besondere Bedeutung schriftsprachliche Fähigkeiten, aber auch Medienkompetenz für das Lernen in Distanz haben, sofern der Unterricht digital (synchron und asynchron) erfolgt.

2.1.3 Soziales Miteinander und sprachliche Lernfortschritte

Abgesehen von dem Kontakt zur Lehrkraft als sprachliches Vorbild und Lernunterstützung hat der Kontakt zu Gleichaltrigen aus Deutschland für Kinder und Jugendliche ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen einen besonderen Stellenwert. Eine Befragung des BAMF ergab, dass 2017 ca. „75 % der befragten Kinder und Jugendlichen […] ihre Freizeit mindestens einmal pro Woche mit Deutschen [verbrachten]“ (de Paiva Lareiro 2019: 8). Neben einem Einblick in Werte der Peer-Group und einem damit verbundenen Eintauchen in die Kultur bedeutet dieser soziale Austausch für die Schülerinnen und Schüler eine gute Möglichkeit, Deutsch zu nutzen. Mit dem Wegfall des Präsenzunterrichts in den Schulen und den gleichzeitigen Ausgangsbeschränkungen während des Lockdowns fielen die sozialen Kontakte in der Schule und bei der gemeinsamen Freizeitgestaltung weg (vgl. Rude 2020: 54). Für den Kontext Schule konnten Boeckmann et al. (2020) zeigen, dass generell synchroner Onlineunterricht im Vergleich zu asynchronen Formaten teilweise das Fehlen sozialer Kontakte ausgleichen kann, aber auch, dass in diesem Format weniger Austausch zwischen den Schülerinnen und Schülern als im Präsenzunterricht stattfindet (vgl. Boeckmann et al. 2020: 11f.). Auch für die Nutzung des Deutschen zeigte sich ein geringerer Austausch zwischen den Lernenden, obwohl durch didaktische Methoden reproduzierende sowie eigenproduktive Sprechanlässe geschaffen wurden. Seitens der Lehrenden war ein hoher zielsprachlicher Input zu verzeichnen (vgl. Boeckmann et al. 2020: 39).

Für den Spracherwerb und das sprachliche Lernen nimmt das soziale Miteinander und ein damit verbundenes kommunikatives Handeln einen wichtigen Stellenwert ein. So stellen Scheible/Rother (2017) bei ihrer Untersuchung des Unterrichtssettings Integrationskurs fest, dass neben Freude am Unterricht und einem ausgeprägten Interesse an deutscher Kultur und Sprache die frequente Nutzung des Deutschen kursintern als auch kursextern einen starken positiven Einfluss auf den sprachlichen Lernerfolg hat (vgl. Scheible/Rother 2017: 5):

Der Erwerb der Landessprache stellt so gesehen nicht die Voraussetzung, sondern vielmehr das Ergebnis der erfolgreichen Teilhabe von MigrantInnen an Bildungsprozessen und am Arbeitsmarkt dar. (Plutzar 2010: 126)

Für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler kann somit Partizipation in der Institution Schule, also an Bildungsprozessen, einen hohen motivationalen Aspekt im Spracherwerbsverlauf und sprachlichen Lernprozess ausmachen, da dies einen gesicherten Raum zur Nutzung der deutschen Sprache darstellt.