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Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie

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4.1 Umstellung auf digitalen Fernunterricht und erste Erprobungsphase

Die erste Fragestellung betraf die Wahl eines oder mehrerer geeigneter digitaler Instrumente und Plattformen für den Fernunterricht. Dabei waren verschiedene Kriterien zu berücksichtigen. Wichtig waren eine gute Bild- und Tonqualität, um alle vier Fertigkeiten im Unterricht zu behandeln, sowie eine einfache Technik und niedrigschwellige Software, die möglichst intuitiv auch von digital unerfahrenen Nutzer:innen verwendet werden kann, die leicht verfügbar und mit verschiedenen Hardware-Konstellationen kompatibel ist. Die Teilnehmendenzahl durfte keinen starken Beschränkungen unterliegen, der Datenschutz musste genauso gewährleistet sein wie die kostenfreie Nutzung für die Lernenden. Die Wahl des primären Fernunterrichtkanals fiel schließlich auf einen verbreiteten und einfachen Messenger-Dienst, die Telegram-App. Diese App ließ sich von allen Beteiligten auf ihre Mobiltelefone – auch älteren Datums – herunterladen und ohne weitere Registrierungsschritte sofort benutzen. Der Versand von Bild- und Audioaufnahmen ist möglich. Obgleich es sich um eine einfache Anwendung handelt, stellte sich heraus, dass viele Teilnehmende bei der Einrichtung und ersten Nutzung viel Unterstützung benötigten. Dies wurde durch die Regionalkoordinator:innen bzw. die Lehrkräfte des Projekts geleistet. Sie gingen mit den Teilnehmenden die Installation und Anwendung Schritt für Schritt durch und erklärten die Details bei Bedarf auch in einer der drei im KASA-Projekt berücksichtigten Herkunftssprachen (Arabisch, Türkisch, Persisch). Auf organisatorischer Seite wurden von den Regionalkoordinator:innen zudem Listen mit den Telegram-relevanten Kontaktdaten aller Beteiligten erstellt und Informationen zur individuellen technischen Ausrüstung und digitalen Affinität der Beteiligten eruiert.

Im Ergebnis wurden die Kurse im Frühjahr 2020 in drei Telegramgruppen nach den drei Herkunftssprachen im KASA-Projekt aufgeteilt, die zunächst von den Regionalkoordinator:innen des Projekts in Zusammenarbeit mit ausgewählten Lokalkoordinator:innen betreut wurden. Denn wenngleich sich einige Lehrkräfte mit großem Engagement und viel Eigeninitiative für den Fernunterricht einsetzten und sich auch selbst mit verschiedenen digitalen Möglichkeiten beschäftigten und entsprechend aufrüsteten, waren nicht alle Lokalkoordinator:innen bereit dazu. Adhoc nicht von allen zu lösen waren z.B. die eigene technische Ausstattung zu Hause oder fehlende digitale Lehrkompetenzen. Nach Abschluss dieser Vorbereitungen wurde in der Einstiegsphase, als die Teilnehmenden für den Unterricht erstmals online gingen, vielfach nur mit Telegram gearbeitet, in einzelnen Kursen aber auch ein Unterricht mit Videokonferenztools wie Zoom erprobt.

In den Telegram-Gruppen stellte sich die Lehrkraft zuerst allen Gruppenteilnehmenden vor und erläuterte das Vorgehen des Fernunterrichts, bei Bedarf auch in der Herkunftssprache. In Gesprächen zwischen Regional- und Lokalkoordinator:innen und in regelmäßigen Online-Hospitationen wurde versucht, den Sprachstand und die literalen Kompetenzen der Lernenden in der Zweit- und in der Herkunftssprache zu berücksichtigen, so dass die Vorstellung bei Bedarf auch in der Herkunftssprache schriftlich oder mündlich in der Form einer Audio-Sprachnachricht erfolgte. Statt sich wie zuvor zweimal wöchentlich an einem gemeinsamen Lernort zusammenzufinden, bekamen die Lernenden nun zweimal wöchentlich um neun Uhr ein Arbeitsblatt (als Fotodatei oder PDF) mit Aufgaben zugeschickt (vgl. Abb. 3).


Abb. 3: Beispielaufgabe aus einem digital verschickten Aufgabenblatt1

Das Lernen erfolgte individuell und asynchron. Die Aufgaben waren bis 16 Uhr zu beantworten und an die Lehrkraft zurückzuschicken (vgl. Abb. 4). Sie wurden mit den Namen der Teilnehmenden und Datum für die Kursdokumentation gespeichert. Um 17 Uhr schickte die Lehrkraft ein allgemeines Lösungsblatt an die gesamte Gruppe und gab den einzelnen Teilnehmenden im privaten Chat individuelles Feedback.


Abb. 4: Beispiele für Lernerrückmeldungen per Telegram (Sprachnachricht und Fotos der handschriftlichen Produkte)

Die Aufgabenblätter für die Teilnehmenden mussten in den Telegramgruppen meist binnendifferenziert erstellt und individuell zugewiesen werden. Bereits am ersten Tag gab es sehr positive Rückmeldungen, obwohl es manchen Lernenden zunächst schwer fiel, die technischen Hürden zu überwinden und zu Hause zu lernen. Die intensive Betreuung und die Einbeziehung der Herkunftssprachen in die Unterrichtskommunikation, z.B. beim Formulieren der digitalen Arbeitsanweisungen, ermöglichten es vielen Teilnehmenden, am Unterricht über Telegram aktiv teilzunehmen. Zudem wurden die Lernenden darin bekräftigt, Fragen bezüglich der Aufgaben bei Bedarf auch in ihren Muttersprachen zu stellen. Vorteilhaft war für die Lernenden die Tatsache, dass sie selbst wie bisher mit der Hand auf Papier schreiben konnten und dann erst ihr Produkt digital versendeten, indem sie es fotografierten und an die Lehrperson schickten. Viele Teilnehmende nutzten im Rahmen des KASA-Fernunterrichts auch die Online-Lernangebote der Deutschen Welle (vgl. Abb. 5). Sie wurden als Zusatzmaterial angewendet und mit einem entsprechenden Link an die Lernenden verschickt. Hier waren die technischen Ausstattungen und Bedingungen allerdings manchmal unzureichend, beispielsweise gab es je nach Wohnlage keine ausreichende Internetgeschwindigkeit oder es fehlte ein Drucker zu Hause. Teilnehmende mit sehr geringen literalen und digitalen Kompetenzen benötigten am Anfang sehr viel Geduld, bis sie die Vorgehensweise zum Bearbeiten von Online-Aufgaben verstanden hatten. Selbst äußerst benutzerfreundliche Aufgaben- und Übungsformate können für Lernende ohne Schulerfahrungen schwer durchschaubar sein. Zwar gab es Lernende, die schnell neue Lerngewohnheiten entwickelten (z.B. das elektronische Ausfüllen eines Arbeitsblattes, Antworten ankreuzen und Antworten ergänzen), viele brauchten aber eine tägliche Betreuung und wiederkehrende Erläuterungen zur Vorgehensweise.


Abb. 5: Beispiele zur Ergebnisübermittlung aus digitalen Lernangeboten der Deutschen Welle inkl. individueller Rückmeldungen durch die KASA-Regionalkoordination, März 2020

Bei allen Umstellungsschwierigkeiten waren die Teilnehmenden froh, ihren Lernprozess, den sie in den freiwillig besuchten KASA-Kursen beschritten hatten, nicht völlig unterbrechen zu müssen. Sie befürchteten, bei einer vollständigen Kursunterbrechung vieles zu vergessen. Auch die Partizipation an den Lerngruppen im Fernunterricht wurde angesichts der bedrohlichen Krise von ihnen als wichtig betrachtet, selbst dann, wenn sich die Gruppenzusammensetzung und die Lehrkraft in einigen Kursen im Fernunterricht geändert hatte. Der Unterricht vor Ort mit vertrauten, persönlichen Kontakten und direktem sozialen Austausch kann sicher durch nichts ersetzt werden. Aber zumindest ein wenig Austausch und gemeinsames Lernen war so weiterhin möglich.

In einzelnen KASA-Kursen wurde während der Erprobungsphase auch versucht, im Fernunterricht auf das bekannte gemeinsame, synchrone Lernen von Angesicht zu Angesicht nicht ganz zu verzichten. Ein KASA-Frauensprachkurs für Lernende mit arabischer Herkunfts- bzw. Erstsprache, der im Präsenzunterricht an einer Berliner Moschee verortet ist, erprobte nun erstmalig den Unterricht mit einem Videokonferenztool (Zoom). Nach einer zeitaufwändigen technischen Einarbeitung und Beratung der Lernenden durch die engagierte Lokalkoordinatorin funktionierte der von ihr durchgeführte Online-Unterricht schließlich sehr gut. Lehrkraft und Lernende nutzten neben dem Lehrwerk und ihren Heften auch kleine Tafeln, die sie bereits im Präsenzunterricht eingesetzt hatten und die sie sich nun auch vor der Kamera und dem Bildschirm gegenseitig präsentieren konnten. So ließen sich technische Komplikationen mit einem digitalen Online-Whiteboard vermeiden und das manuelle Schreiben, das für das Schreibenlernen so wichtig ist (vgl. Speck-Hamdam et al. 2016), gut in den digitalen Unterricht integrieren. Abbildung 6 zeigt ein Tafelbild der Lehrkraft, wie es während des digitalen synchronen Unterrichts mit den Lernenden geteilt wurde. Thema ist das Graphem <s> der deutschen Sprache und seine Graphem-Phonem-Korrespondenzen. Mithilfe der arabischen Schriftzeichen zeigt die Lehrkraft den Lernenden an, wann (Position in der Silbe, Doppelkonsonantenschreibung) der neue Buchstabe wie gesprochen wird: das arabische Schriftzeichen س steht für den Laut /s/ und ز für /z/.


Abb. 6: Sprachkontrastives Unterrichtsbeispiel der Tafel einer Lehrkraft, geteilt per Videokonferenz (KASA-Kurs, Berlin)

Zusammenfassend ließ sich feststellen, dass auch Lernende der Zweitsprache Deutsch mit erstmaliger Alphabetisierung die auf sie zugeschnittenen Aufgabenformate im KASA-Projekt bearbeiten konnten. Gewisse technisch-digitale Schwierigkeiten (z.B. einen Link zu einem Video aufzurufen oder eine Audiodatei anzuhören und eine schriftliche Aufgabe dazu zu lösen) traten bei manchen Teilnehmenden auf, konnten aber durch die Betreuung durch die Lehrenden und die Hilfeleistung von Familienmitgliedern behoben werden. Wiederholte Erprobungsversuche per ‚Trial and Error‘ scheinen vielen Lernenden schließlich positive Erfolgserlebnisse beschert zu haben.

 

4.2 Ausweitung des digitalen Fernunterrichts für KASA-Kurse

Die Erfahrungen aus der Erprobungsphase des Fernunterrichts während des ersten Lockdowns haben gezeigt, dass die Umstellung gelingen kann, auch wenn einige Lehrkräfte und Lernende dafür mehr Zeit und Unterstützung brauchen als andere. Unübersehbar zeigte sich auch die Bedeutung des Kontakts und des Austauschs zwischen den Lokalkoordinator:innen und den Lernenden, auch untereinander. Viele Lernende äußerten den Wunsch nach einem (synchronen) Digitalunterricht in der vertrauten Runde anstelle des Versands von Mitteilungen und Aufgaben in einer großen, (über)regionalen Telegram-Runde. Daher wurde es von Projektseite sehr begrüßt, dass die Mittelgeber einem Online-Unterricht während der Pandemie durch die regulären Lehrkräfte der KASA-Alphabetisierungskurse, die Lokalkoordinator:innen, zustimmten. Diejenigen Lokalkoordinator:innen, die keinen Online-Unterricht durchführen konnten oder wollten, konnten bei Beginn der ersten Lockerungen unter Beachtung der regionalen Hygienevorschriften auch mit dem Präsenzunterricht weitermachen.

4.2.1 Formate und Richtlinien des ausgeweiteten KASA-Fernunterrichts

Seit Oktober 2020 können aufgrund der Pandemie alle Lokalkoordinator:innen ihren Unterricht mit ihren Teilnehmenden ihrer ursprünglichen Präsenzkurse vorübergehend als Fernunterricht durchführen. Dafür wurden im Projekt nun genauere Richtlinien erstellt. Wie der Präsenzunterricht findet auch der Online-Unterricht in den üblichen Lerngruppen zweimal wöchentlich mit je drei Unterrichtseinheiten statt. Als grundlegendes Kommunikationsmittel dient der Messengerdienst Telegram. Hier können, wie schon in der Erprobungsphase geschehen, Aufgaben und Nachrichten in der Gruppe und/oder individuell ausgetauscht werden. Mindestens zweimal im Monat trifft sich die Lehrkraft mit den Lernenden nach Möglichkeit auch per Video. Die Auswahl der dafür empfohlenen Software fiel auf das Konferenztool Jitsi, das mit Jitsi Meet auch eine einfach bedienbare App für das Smartphone zur Verfügung stellt. Der Unterricht per Video-App findet zu den üblichen Unterrichtszeiten im Umfang von drei Unterrichtseinheiten pro Sitzung statt.

Der Unterricht im ausgeweiteten KASA-Fernunterricht verläuft nach der folgenden Routine, die sich in der ersten Phase des Fernunterrichts bewährt hatte: Zu Unterrichtsanfang wird die Lerngruppe mit einer Nachricht begrüßt und die Aufgabenstellungen für den Tag werden genau erklärt, dann erfolgt der Versand der Aufgaben an die Teilnehmenden. Die Arbeitsergebnisse der Teilnehmenden werden von ihnen abfotografiert und bis zum festgelegten Zeitpunkt der Gruppe oder der Lehrkraft als Privatnachricht geschickt. Es erfolgt eine Rückmeldung bzw. Korrektur zu den eingeschickten Aufgaben. Damit auch phonologische Bewusstheit, Hörverstehen und Aussprache (durch Nachsprechen) im Messenger-gestützten Fernunterricht nicht zu kurz kommen, erhalten die Lernenden pro Unterrichtstermin den Zugang zu mindestens einer entsprechenden Multimediadatei in Form eines KASA-QR-Codes zugeschickt (vgl. Abb. 7). Die Lehrkräfte sind angehalten, jeden Teilnehmenden persönlich anzusprechen und regelmäßig mit ihnen Kontakt zu halten. Das bedeutet auch, dass sie während der Unterrichtszeit telefonisch für Rückfragen erreichbar sind.


Abb. 7: Aufgabenbeispiel mit zweisprachigen Instruktionen und QR-Code zu den Mediendateien für einen Kurs mit arabischsprachigen Teilnehmenden

Die Regionalkoordinator:innen begleiten und beraten die Lehrkräfte der KASA-Kurse. Sie sind Mitglieder der Telegram-Gruppen und hospitieren online in den Konferenztreffen der von ihnen betreuten Kurse. Auswertungsgespräche und Beratung finden nun online im Anschluss an den Unterricht statt. Darüber hinaus wird einmal im Monat eine verbindliche Videokonferenz von den Regionalkoordinator:innen mit ihren Lokalkoordinator:innen abgehalten, bei der Fragen zum Unterricht geklärt werden. Die Lehrkräfte nehmen zudem an Online-Schulungen des Projekts und Inputveranstaltungen durch die wissenschaftliche Begleitung teil. Für die meisten Lehrkräfte war der Online-Unterricht etwas vollkommen Neues. Im ersten Lockdown und mit der anschließenden Ausweitung des KASA-Fernunterrichts wurden viele erstmalig dazu gezwungen, sich mit den Herausforderungen und Möglichkeiten des Online-Unterrichts auseinanderzusetzen. Dadurch haben sie viel gelernt.

4.2.2 Dokumentation und Qualitätssicherung des ausgeweiteten Fernunterrichts

Die Erfassung der Teilnehmenden erfolgt durch Teilnahmelisten, die von den Kursleitenden geführt werden. Das Unterrichtsgeschehen wird durch Monatsberichte zu den Kursinhalten und -themen und eine im Projekt erstellte Checkliste zur Qualität des Fernunterrichts dokumentiert. Die Lokalkoordinator:innen dokumentieren darin u.a. auch die Rückmeldungen der Lernenden zu den neuen Unterrichtsformaten. Darüber hinaus können die Lehrkräfte nun in der kollegialen Fallberatung SuRe auch konkret Stellung zum Online-Unterricht nehmen. Die Reflexionen und die erhaltenen Handlungsempfehlungen tragen zur Kompetenzentwicklung von ganz verschiedenen Facetten des Fernunterrichts (von der technischen Ausstattung über die Kommunikation bis hin zur Motivation im digitalen Unterricht) entschieden bei.

4.2.3 Resonanz und Schwierigkeiten auf Seiten der KASA-Kursteilnehmenden

Bei aller positiven Resonanz auf das digitale Fernunterrichtsangebot der KASA-Kurse (vgl. Seyfried 2020 auf Basis einer KASA-internen Telefonbefragung von Teilnehmenden) sehnen sich die Lernenden wieder danach, im Präsenzunterricht zu lernen. Eine befragte Kursteilnehmerin drückt das in ihrer Erstsprache folgendermaßen aus:

Immer wenn wir in der Moschee waren und dort Deutsch im Kurs gelernt haben, war es besser. Im Online-Unterricht geben wir unser Bestens und die Lehrerin gibt auch ihr Bestens. Die Lehrerin wartet, bis alle Teilnehmenden die Lösungen per Telegram schicken und dann korrigiert sie die Aufgaben. Einige kennen sich mit Telegram nicht gut aus. Sie schicken dann die Lösungen per WhatsApp. Die Lehrerin muss hin und her. Es gibt mehr Druck auf die Lehrerin. Der Aufwand wird verdoppelt. Das Online-Lernen ist nicht schlecht, aber es ist nicht so gut wie der Unterricht in der Moschee, wo man vor Ort ist und die Lehrerin da ist. Die Wissensvermittlung braucht online mehr Zeit. (Teilnehmerin, 64 Jahre, KASA-Kurs in Berlin, Übersetzung ins Deutsche)

Zu den größten Hürden für den KASA-Online-Unterricht gehörten bei vielen Teilnehmenden die Stabilität ihrer Internetverbindung und das sehr begrenzte, ihnen zur Verfügung stehende Datenvolumen. Die schlechte Hardware- und Infrastrukturausstattung führte zu Bedienungsschwierigkeiten und zu häufigen Störungen etwa durch Hintergrundgeräusche und -gespräche während des Online-Unterrichts. Zudem sind besonders bei Familien die Räumlichkeiten zum Lernen am Laptop, Tablet oder Handy stark beschränkt. Einige lernten im Bad oder in der Küche wegen ihrer Kinder, die selbst ebenfalls am Online-Unterricht ihrer Schulen teilnahmen. Manche Kursteilnehmenden hatten sich entschieden, ihren KASA-Kurs zugunsten des Online-Unterrichts ihrer Schulkinder abzubrechen, obwohl sie gerne weitergelernt hätten. Manche Kursteilnehmenden wünschten sich die Ausweitung des wöchentlichen Umfangs des Fernunterrichts, da die Lerninhalte online insgesamt nur langsam vermittelt wurden. Sie wollten noch mehr lernen, als es im Fernunterricht möglich war.

5 Schlussbemerkungen

Digitale Instrumente werden seit langem in oder begleitend zu einem Sprachkurs eingesetzt und lassen sich im Bedarfsfall auch kurstragend erweitern. Digitaler Fernunterricht stellt in Pandemiezeiten eine unersetzliche Alternative zum ansonsten drohenden Kursabbruch dar. Dies bestätigen auch die meisten Teilnehmenden von KASA-Kursen mit Alphabetisierung vehement (vgl. Seyfried 2020). Dabei ist es von großer Bedeutung, die gegebenen digitalen und multimedialen Kompetenzen der Teilnehmenden zu berücksichtigen und mit angemessener Begleitung zu erweitern. Dies erfordert eine entsprechende digitale Infrastruktur und mehrsprachige Ressourcen. Zugewanderte Menschen, die digitale Medien im Alltag bereits nutzen oder im Zuge des Fernunterrichts nutzen lernen, können ihr Lernen zunehmend selbst in die Hand nehmen, etwa indem sie selbstständig ihren Wortschatz mithilfe von Übersetzungs-Apps erweitern oder sich mittels YouTube-Videos zu Deutschfragen informieren. Das Lernen mit digitalen Elementen fördert daher auch entscheidend die Lernerautonomie, ein zentraler Aspekt für lebenslanges Lernen.

Die Erfahrungen im Projekt KASA haben gezeigt, dass sich Kurse auch mit Teilnehmenden ohne (viel) literale Kompetenzen als digitaler Fernunterricht durchführen lassen. Der Erfolg ist sehr stark von der Motivation und den Anstrengungen aller Akteure abhängig, sowohl von den Kursteilnehmenden, für die der unmittelbare soziale Kontakt zu den Mitlernenden und der Lehrperson entfällt, von den Lehrkräften, die unter Umständen zum ersten Mal ihre analoge Komfortzone beim Unterrichten verlassen, als auch von den Partnerorganisationen und Trägern, die die räumliche und technische Infrastruktur stellen bzw. den regulatorischen Rahmen (mit)bestimmen. Lernende müssen technisch ausgestattet werden, Lehrkräfte kontinuierlich für den sich schnell entwickelnden Markt für Digitalunterricht fortgebildet werden und Institutionen und Lernorte flexibel und schnell reagieren dürfen. Deutlich wurden aber auch die Grenzen für digitalen Fernunterricht unter den gegebenen Bedingungen. Auch Kursangebote, die wie im KASA-Projekt spezifische Kursformate erproben und flexibler als Integrationskursanbieter auf die Bedarfe von Lernenden und Lehrkräften eingehen können, sehen sich allgemeinen Schwierigkeiten wie der unzureichenden digitalen Infrastruktur und den räumlichen Einschränkungen vieler Teilnehmender hilflos gegenüber.

Sehr viele Lehrkräfte und Lernende stellten fest, dass Online-Unterricht zeitaufwändiger als Präsenzunterricht ist und die Progression langsamer verläuft. Die Kommunikation benötigt viel mehr Zeit, da der Bedarf für Rückversicherungen und Wiederholungen angesichts fehlender non-verbaler Hilfsmittel und technischer Einschränkungen groß ist. Dementsprechend sollte für diejenigen Teilnehmenden, die große Schwierigkeiten mit dem digitalen Lernformat hatten, bei Bedarf das Stundenkontingent aufgestockt werden.

So nützlich digitale Werkzeuge als Ergänzung zum Präsenzunterricht im Unterricht in allen literalen und sprachlichen Niveaustufen sind, können sie ihn dennoch nicht ersetzen. In den ersten Stunden eines Alphabetisierungskurses ist es besonders schwierig online zu unterrichten, da die Lehrperson kaum sehen kann, wie die Kursteilnehmenden schreiben. Die Schreibrichtung und die Stifthaltung spielen als Grundlage für das Schreiben eine wichtige Rolle. Aber mit steigenden literalen Grundfähigkeiten, beispielsweise Graphemerkennung, Strategien zur Leserichtung und Silbenerkennung, werden hybride Lehr-Lern-Formate für gering literalisierte Menschen eine realistische Alternative – in Zeiten mit oder ohne Pandemie.