Lebendige Seelsorge 4/2014

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Hans-Joachim Sander

geb. 1959, Dr. theol., Univ.-Professor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg.

Susanne Sandherr

geb. 1960, Dr. theol., nach Stationen u.a. als Hochschulseelsorgerin in Karlsruhe Professorin für Katholische Theologie in der sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungsfachhochschule (KSFH), München; Redakteurin der Zeitschrift „Magnificat. Das Stundenbuch“.

Einheit in Vielfalt leben oder Warum sich Ungeduld lohnt

50 Jahre Ökumenismusdekret

Zuerst ist es notwendig, sich an einige Grunddaten zu erinnern, die das Verständnis des Ökumenismusdekretes „Unitatis redintegratio“ erleichtern. Dieses Dekret gehört zu den relativ wenigen Texten, die nicht bereits als eigenes Thema vor dem Konzil geplant worden waren. Ein sehr wichtiges Beispiel für eine ähnliche Situation ist die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“, die von Papst Johannes XXIII. von Anfang an begünstigt und gefordert worden ist. Karl Kardinal Lehmann

Im Dezember 1962 hatte das Konzil beschlossen, drei unterschiedliche Textentwürfe zu ökumenischen Fragen zusammenzufassen. Dabei ging es zum Teil um Exkurse, die in der Kirchenkonstitution eingeplant waren. Zu dem neuen Dekret sollten auch Ausführungen über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen und über die Religionsfreiheit gehören. Später wurden diese beiden Themen wieder abgetrennt und bekanntlich zu eigenen Beschlüssen weiter bearbeitet, nämlich die spätere Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“ und die Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis humanae“. Über viele Wege einer mühseligen Redaktionsarbeit entstand allmählich ein eigenständiger Ökumenetext, der bereits in der dritten Sitzungsperiode verabschiedet wurde. Die feierliche Schlussabstimmung ergab 2137 Ja- gegen 11 Nein-Stimmen. Dies ist ein beeindruckendes Zeugnis eines intensiven ökumenischen Lernprozesses. Dieser Lernprozess war auch durch die Anwesenheit einer wachsenden Zahl von Konzilsbeobachtern aus den Kirchen der Orthodoxie und der Reformation angestoßen und befruchtet worden. In der letzten Sitzungsperiode waren es mehr als 100. In zahlreichen Gesprächen hatten sie einen nachhaltigen Einfluss auf die Entscheidungen in den verschiedenen Kommissionen. Die Geschichte ihrer Wirkung ist noch nicht ausreichend untersucht worden. Gleichzeitig darf man aber auch nicht übersehen, dass der Ökumenische Rat der Kirchen auf seiner Sitzung in Neu Delhi am Ende des Jahres 1961 wichtige und grundlegende Texte zum Fundament der Ökumenischen Bewegung verabschiedet hatte (Verfassung des ÖRK, Art. 1). Diese „Basisformel“ des ÖRK wird am Beginn von „Unitatis redintegratio“ (UR) fast wörtlich aufgegriffen, wenn es dort heißt: „Diese Einheitsbewegung, die man als Ökumenische Bewegung bezeichnet, wird von Menschen getragen, die den dreieinigen Gott anrufen und Jesus als Herrn und Erlöser bekennen, und zwar nicht nur einzeln für sich, sondern auch in ihren Gemeinschaften, in denen sie die frohe Botschaft vernommen haben und die sie ihre Kirche und Gottes Kirche nennen“ (UR 1).

MITTEL DES HEILES

Nachdem die katholische Kirche über Jahrhunderte hinweg darauf beharrt hat, dass allein in ihr und durch sie die Menschen zum Heil gelangen können, hat das Konzil eine fundamentale Neuorientierung vorgenommen, wenn es in der Kirchenkonstitution (LG 8) heißt, dass auch außerhalb der Kirche und ihres institutionellen Gefüges „vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit“ zu finden sind. Ähnlich wird im Ökumenismusdekret eingeräumt, „dass einige, ja sogar viele und bedeutende Elemente oder Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut wird und ihr Leben gewinnt, auch außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche existieren können“ (UR 3). Als Exempel werden angeführt „das geschriebene Wort Gottes, das Leben der Gnade, Glaube, Hoffnung und Liebe und andere innere Gaben des hl. Geistes und sichtbare Elemente“ (UR 3). So sind auch die nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften „nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles“ und „Mittel des Heiles“. Dies schließt nicht aus, was in LG 8 deutlich gesagt wird: „Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht (‚subsistit in Ecclesia Catholica‘) in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird.“ Demnach steht die römisch-katholische Kirche in einer realen Kontinuität zur Kirche Jesu Christi. Sie ist mit ihr aber nicht exklusiv identisch, und zwar aus zwei Motiven: es gibt außerhalb der katholischen Kirche „ekklesiale Elemente“ (Glauben an Jesus Christus, Verehrung der heiligen Schriften, Feier der Sakramente), schließlich wird auch die katholische Kirche selbst durch vielfältige Mängel geschwächt (vgl. LG 8, LG 15; UR 15). Vor diesem Hintergrund haben die Konzilsväter die unvermittelte Identifikation der römisch-katholischen Kirche mit der Kirche Jesu Christi nicht mitvollziehen wollen. Sie ist Leib Christi (vgl. LG 7), aber sie ist es in einer geschichtlich vermittelten Gestalt. Darum gibt es auch mit allen Getauften eine vielfältige Verbundenheit. So gibt es Elemente des Kircheseins in den anderen kirchlichen Gemeinschaften, die nach Auffassung des Konzils zur katholischen Kirche tendieren und hinführen (vgl. LG 15). Für das Konzil sind die Elemente der Apostolischen Sukzession des Bischofsamtes und die Einheit mit dem Bischof von Rom sehr wesentlich. Jedenfalls wird so verständlich, warum manche die ekklesiologische Neuorientierung des Konzils in ihrer Bedeutung für die ökumenische Bewertung der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften als „kopernikanische Wende“ bezeichnen.

WO STEHEN WIR HEUTE?

Wir stehen an einem eigentümlichen Ort: wir haben in diesem neuen Zueinander viel erreicht, aber wir sorgen uns zugleich um den weiteren Weg, der uns wirklich nach vorne bringt. Es gibt ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten, das etwa mit dem Bild umschrieben werden kann, dass wie bei einer eingestürzten oder zerstörten Brücke noch viele verlässliche Pfeiler stehen geblieben sind und uns mehr Gemeinsames verbindet als Trennendes hindert. Dennoch gibt es bei allen Erfolgen noch bestehende Hindernisse. Sie werden manchmal angesichts der wiedergewonnenen Gemeinsamkeit noch belastender. Es handelt sich hauptsächlich um drei Brennpunkte, die nicht zufällig zwischen Theorie und Praxis, Theologie und Alltag des Lebens angesiedelt sind: das Fehlen vollwertiger gemeinsamer Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen, die uneingeschränkt anerkannt werden; die kirchliche Anerkennung und seelsorgliche Begleitung konfessionsverschiedener Ehen; das Warten auf eine gegenseitige Einladung und Anerkennung im Blick auf das Herrenmahl. Die Tragik der Kirchenspaltung erweist gerade im Persönlichsten, wie es Ehe und Familie darstellen, ihre stärkste Macht. Hier erleben viele Menschen die jahrhundertelange Entfremdung furchtbarer als im öffentlichen Verhältnis der Konfessionen selbst. Dies muss ein wichtiger Motor unseres ökumenischen Einsatzes bleiben. Dies hat auch bis heute nachhaltig mein eigenes ökumenisches Engagement bestimmt. Eine solche Situation ist schwierig. Der erste große Aufbruch scheint sich erschöpft zu haben. Die Hoffnung scheint nicht mehr weiterzutragen. Das Verhältnis der Kirchen zueinander erscheint trotz einiger Rückschläge in grundlegenden Fragen als entschärft. Ökumene ist auf allen Veranstaltungen und Ebenen hoffähig geworden. Wir spüren aber auch, dass dieses Klima nicht ungefährlich ist. Schwerwiegende Differenzen werden eher zurückgestellt. Sie stören und sind lästig. Man geht ihnen aus dem Weg. So redet man gerne auch vom „Ende der klassischen Ökumene“. Aber wann ist sie zu Ende?

IRREALE HOFFNUNGEN?

Hier gab es gewiss auch manchmal eine falsche Höflichkeit. Wir sind in den letzten Jahren manchen unangenehmen Wahrheiten, die uns drängen, aus dem Weg gegangen. Wir haben das gemeinsam Erarbeitete nicht energisch umgesetzt. Man hat sich dann in dem, was erreicht worden ist, recht und schlecht eingerichtet. Aber der notwendige Schwung ist lahmer geworden. Es lässt sich nicht leugnen: je geringer die Differenzen geworden sind, umso schwieriger kann der Dialog werden. Es besteht die Gefahr, dass immer weitere Unterschiede beigebracht werden, welche vielleicht keinen entscheidenden Rang haben, aber eben als beinahe unüberwindbar angesehen werden. So erscheint plötzlich der Ablass viele trennende Aspekte aufzuweisen, dass man dies – manchmal ohne es zu wollen – gegen die Grundvereinbarung in der Rechtfertigungslehre vom 31. Oktober 1999 wendet, ohne im Übrigen die wichtigen neueren theologischen Interpretationen zum Ablass zur Kenntnis zu nehmen. Selbst wenn in diesem Bereich noch einiges aufgearbeitet werden muss, so dürfen wir doch nicht diese große Vereinbarung von vor fünfzehn Jahren dahinwelken lassen.

Diese objektiv heikle Situation kann leicht zu falschen Grundeinstellungen führen. Man verfällt in Resignation, weil der ökumenische Frühling vorüber sei. Vielleicht hat man da und dort auch zu sehr und zu unreflektiert auf irreale Hoffnungen gesetzt. Viele sehen nur noch einen Stillstand auf dem Weg zur Einheit; der offizielle Ökumenismus bestätige nur sich selbst; darum sei der Rückzug auf kleine, lebendige Basisgruppen der Ökumene die einzige Rettung; die etablierten Kirchen seien letztlich reformunfähig und unbußfertig; eine Stärkung dieses Ökumenismus sei – so heißt es – sogar unerwünscht, weil er nur die konservativen Kräfte in den Kirchen stütze. So wird der Aufruf zum eigenen, nur aus dem ökumenischen Gewissen geborenen Handeln verständlich, das in antizipatorischer Zivilcourage das tun soll, was ohnehin längst geboten, auch wenn es formell (noch) nicht erlaubt sei. Andere erblicken in dem angeblichen Stillstand erste Anzeichen einer innerkirchlichen Beruhigung. Sie sind ohnehin der Meinung, dass die Ökumenische Bewegung am Ende den Kirchen nur schade, denn sie begünstige einen Identitätsverfall der einzelnen Konfessionen, der in der Zeit der schleichenden oder offenen Erosion religiöser Kräfte ohnehin drohe, oder begünstige den Indifferentismus sowie die Bildung einer „Dritten Konfession“, nämlich die von Christen ohne Kirche.

 

DIE FLAMME DES ÖKUMENISCHEN FEUERS

Es gehört zur Nüchternheit und auch Glaubwürdigkeit der ökumenischen Arbeit, dass man sich des bleibenden Wegcharakters bewusst sein muss. Dabei werden Enttäuschungen und auch manchmal rückläufige Tendenzen unvermeidlich sein. Es gibt im Leben des Geistes und des Glaubens nie bloß breite Pracht- und Königsstraßen ohne verschlungene Pfade, Umwege und Holzwege, Abwege und vielleicht auch Irrwege. Dennoch wäre es fatal, wenn eine resignierende Grundstimmung sich gegen ihre letzte Absicht daran beteiligen würde, das immer noch brennende ökumenische Feuer löschen zu helfen. Auch unter Asche glimmt es noch. Wer die gewachsenen Differenzen in ihrer Tiefenwirkung zu gering schätzt und auf ihre ernsthafte Aufarbeitung meint verzichten zu können, wird nur Scheinerfolge erreichen können. Nach meiner Erfahrung sind jedoch nicht gedeckte Schecks in der Ökumene besonders gefährlich, weil nach ihrer Entlarvung, dass sie nämlich das Versprochene doch nicht tragen, die Enttäuschung entsprechend groß ist. Dies darf uns nicht überraschen, denn das Leid und der Schmerz der Ökumene verlangen nach einer gediegenen Überwindung, die sich wirklich bewährt. Ökumene braucht den langen Atem. Sonst kann es geschehen, dass Resignation und Revolte sehr dicht beieinander wohnen. Wehe, wenn wir dies durch sture Unbeweglichkeit oder blinden Übereifer begünstigen!

DIALOG IST AUF KONSENS AUS

Der Dialog unterscheidet sich von Unterhaltung und Gespräch durch eine spezifische Zielsetzung. Er ist von Hause aus auf das Erreichen eines Konsenses ausgerichtet. Das Ziel ist eine theologische Übereinstimmung um der kirchlichen Einheit willen. Die Übereinstimmung muss freilich nicht alle Verschiedenheiten aufheben, sondern will nur jene überwinden, die eine grundlegende kirchliche Gemeinschaft verhindern. Unter diesen Voraussetzungen bezieht sich der evangelisch-katholische Dialog vor allem auf die folgenden drei Gebiete: Eucharistie, Kirchesein, Amt. Es lässt sich nicht übersehen, dass diese und andere Fragen, vor allem auch der Marien- und Heiligenverehrung, durch die am 31. Oktober 1999 unterzeichnete Vereinbarung zwischen dem Lutherischen Weltbund und dem sogenannten „Einheitsrat“ in Rom für die Katholische Kirche zur Rechtfertigung eine ganz neue Dimension erhalten haben.

Es kommt darauf an, dass hier im Zentrum der inneren und äußeren Genese der Reformation ein Einvernehmen gefunden worden ist, und dass trotz verbleibender Unterschiede im Einzelnen in Grundwahrheiten des Rechtfertigungsverständnisses keine kirchentrennenden Hindernisse gegeben sind. Dies ist ein Mark- und Meilenstein in der ökumenischen Gesprächsserie. Man muss auch nüchtern betrachten, dass es in der Bearbeitung ökumenischer Probleme manchmal auch eine Ungleichzeitigkeit gibt. Manche Themen nehmen für Jahre viel Zeit in Anspruch, wie dies z.B. beim Projekt „Lehrverurteilungen“ zwischen 1980 und 1986 der Fall war. Größere Untersuchungen, die in der Zeit vorher unternommen worden sind, liegen unter diesen Umständen eher etwas brach und werden nicht mehr mit größerer Aufmerksamkeit verfolgt. Dies muss kein Zeichen der Missachtung oder des Desinteresses sein, sondern es ist ein Zeichen dafür, dass die Umsetzung gewisser Ergebnisse auf allen Ebenen ihre Kapazitätsgrenzen hat. Als ein weiteres wichtiges Beispiel dafür nenne ich die Gemeinsame Untersuchung lutherischer und katholischer Theologen zum Augsburgischen Bekenntnis aus dem Jahr 1980, die viel zu wenig Beachtung gefunden hat. Auch darf man die wichtigen Aussagen zur Person Martin Luthers im Zusammenhang des 500. Geburtstages im Jahr 1983 nicht vergessen.

URSACHEN DES STIMMUNGSWANDELS

Wir vergessen auch immer wieder schnell, was wir in der Zwischenzeit erreicht haben. Dies gilt z.B. für die Feier der Tauferneuerung und die Unterzeichnung der wechselseitigen Anerkennung der Taufe im Jahr 2007 im Dom zu Magdeburg, wo der älteste Taufstein nördlich der Alpen steht. Auch hier wird es darauf ankommen, dass wir diese Gemeinsamkeit stärker zur Vertiefung des Christseins nützen und missionarisch zur Gewinnung neuer Christen einsetzen. Hier ist leider doch noch wenig geschehen. Manchmal ersticken wir auch in der Ökumene an einer Vielzahl von Initiativen, die brach liegen bleiben. Ich denke dabei auch an die einmal für kurze Zeit aufgegriffene, aber schon lange wieder vernachlässigte Frage nach den ökumenischen Zielvorstellungen.

Ich komme noch einmal auf die erwähnte Trübung des Verhältnisses zwischen der Evangelischen Kirche unseres Landes und der Katholischen Kirche zu sprechen. Es kann hier gewiss nicht darum gehen, dass wir uns gegenseitig „Sündenregister“ vorlegen, wenn sie überhaupt solche wären. Es ist freilich notwendig, sich die Frage zu stellen, was hinter einem gewissen Wandel der Grundstimmung stehen könnte, der sich für mich ungefähr bald nach der Jahrtausendwende bemerkbar gemacht hat (vgl. für beide Seiten einerseits die Bevorzugung der „Lutherübersetzung“ in ökumenischen Gottesdiensten sowie anderseits das Erscheinen von „Dominus Iesus“). Diese Grundstimmung ist nach dem Erscheinen der genannten Erklärung der Glaubenskongregation zum Verständnis der Lehre über die Kirche vom 29. Juni 2007 – veröffentlicht am 10. Juli 2007 – (vor allem zum „subsistit“ in LG 8) auf einen Tiefpunkt gefallen. Einige weitere Irritationen entstanden durch die Veröffentlichungen des Heiligen Stuhls zum erweiterten Gebrauch der vorkonziliaren Liturgie und zur Neufassung des Karfreitagsgebetes für die Juden innerhalb dieser Gemeinschaften. Hier hat es zweifellos neben Missverständnissen und Ungeschicklichkeiten katholischerseits auch manche Fehlinterpretation gegeben. Umso gründlicher muss den Ursachen eines gewissen Stimmungswandels nachgegangen werden.

WIDER EINE ÖKUMENE OHNE THEOLOGISCHEN TIEFGANG

In der Ökumene ist die ökumenische Methode wichtig. Darüber muss immer wieder auch generell und im konkreten Arbeitsvorgang reflektiert und diskutiert werden. So dürfen wir m.E. die Suche nach einem „differenzierten Konsens“ nicht preisgeben. Es gab und gibt gewiss Beispiele, wie diese Suche vielleicht nicht immer streng genug verfolgt worden ist. Aber die jahrelange Polemik einiger Leute gegen die sogenannte „Konsensökumene“ hat ja nicht zu besseren Instrumenten und Verfahren geführt. Dies gilt auch und gerade für das schon seit einiger Zeit propagierte „Differenz-Modell“. Wir haben mit der Suche nach einem „differenzierten Konsens“ vieles Gemeinsame wiederentdeckt. Auch die Feststellung von Teilkonsensen und von Konvergenzen ist und bleibt m.E. auf dem Weg zu einer verantwortlichen Erkenntnis bisher unersetzbar. Dies gilt gerade auch angesichts des Umgangs mit den Lehrverurteilungen. Offensichtlich ist das, was „Differenz-Modell“ genannt wird, noch nicht ausreichend geklärt, vor allem auch im Kontext der jahrelangen Diskussion um eine so genannte „Grunddifferenz“ zwischen den Kirchen, ein Gedanke, den schon sehr früh Gerhard Ebeling vertreten hatte und der dem Straßburger Institut des Lutherischen Weltbundes einiges zu denken gab.

Wir sind heute nicht selten in Gefahr, eine Ökumene ohne theologischen Tiefgang zu betreiben. Dann belässt man es auch leicht bei den üblichen Forderungen an den ökumenischen Partner. Man hat dann selbstverständlich auch das Gefühl, es herrsche ein Stillstand, obgleich dies gar nicht so ist. Man fordert immer stärker eine wechselseitige Anerkennung, die eine sofortige Beendigung aller Trennungen verlangt. Es ist eine gewisse spirituelle Weigerung: „Du musst mich so annehmen, wie ich bin.“ Das ist gewiss wichtig für die Ausgangssituation, wo nur Gleiche mit Gleichen, die sich auch zunächst so anerkennen, miteinander in einen Dialog kommen können. Aber dann ist auch klar, dass man auf diesem Weg und in diesem Prozess durch den Anderen und mit ihm lernen kann und muss. Mit dem Theologieverlust und dem Schwächerwerden der ökumenischen Impulse gibt es auch eine abnehmende Veränderungsbereitschaft. Wer nicht einzeln, in seiner Gemeinschaft und im größeren Miteinander im Glauben wachsen will, soll die Finger von der Ökumene lassen. Im Übrigen gibt es gewiss auch einen kairós der ökumenischen Arbeit. Es ist nicht sicher, dass einmalige Situationen zum Dialog und zur Aussöhnung, die uns in dieser Zeit geschenkt werden, jederzeit wieder herbeigerufen werden können. Wir leben immer noch in einem solchen günstigen Augenblick. „Kauft die Zeit aus“, gilt auch hier.

ANDERE THEMATISCHE SCHWERPUNKTE

Auch wenn man diese momentanen Probleme aufrichtig beim Namen nennen muss, so darf dies keine ökumenische Missstimmung hervorrufen oder, wenn sie schon da ist, legitimieren. Wir können diese Probleme Schritt für Schritt abzubauen versuchen und ehrlich, auch wenn es länger dauert, einer Lösung entgegenführen. Es gibt keine Alternative vor allem zu dem Gebot des Herrn, dass wir mit allen Kräften Trennungen, wo es notwendig und möglich ist, überwinden und die zerbrochene Einheit wieder suchen und finden.

Am Horizont steht ein Thema, das uns nun immer intensiver beschäftigen wird, nämlich die 500. Wiederkehr des Ausbruchs der Reformation 1517/2017. Vielleicht werden wir Katholiken zum ersten Mal in der – von der Ökumene her gesehen – gewiss nicht so einfachen Abfolge dieser Reformationsjubiläen dabei eine wichtige Rolle mitübernehmen, auch wenn wir nicht Veranstalter sind. Dann könnte auch ein solches Jubiläum ökumenisch sehr viel weiterführen. Wir sind bereits in vielen Gesprächen, an denen wir uns beteiligen. Ein in mehreren Jahren erarbeiteter Text über Reform und Reformation des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen wird in deutscher und englischer Sprache im Herbst 2014 erscheinen. Eine wichtige Grundfrage wird sein, wie wir die Reformation überhaupt und im Besonderen auch die Person Luthers und der anderen Reformatoren einschätzen. Wir kennen natürlich eine gerade in der Moderne immer wieder mit Vorrang behandelte Perspektive, dass nämlich gerade der Ausbruch der Reformation als die Morgenröte einer neuen Zeit und als Geburt moderner Freiheit verstanden wird. Wenn über die Reformation gesprochen wird, ist dies bis heute weitgehend ein Hauptthema. Ich will diese Perspektive selbstverständlich weder leugnen noch geringschätzen. Aber es kann eine Hilfe sein, wenn in neuerer Zeit andere thematische Schwerpunkte die bisherige Sicht grundlegend ergänzen. Dabei geht es auch darum, dass Luther sehr viel stärker im Gesamtkontext der spätmittelalterlichen Geschichte und Kirche gesehen wird. Dies gilt z.B. besonders für die Mystik, aber auch für das Verhältnis zum monastischen Erbe, ja zur spätmittelalterlichen Theologie überhaupt. Bei diesem Thema geht es jedoch grundlegend um das Verhältnis Luthers und der reformatorischen Kirchen zur umfassenden einen Kirche durch die Jahrhunderte. Dies ist insgesamt eine erstaunlich wenig behandelte Frage. Es genügt nicht nur der Blick, der in der Reformation die Initialzündung zur Moderne sieht, in ihr auch nicht nur eine elementare und ursprüngliche Wiederentdeckung des Paulinismus erblickt, sondern es geht um diese Einfügung in die ganze Kirche mit ihrer vollen Tiefe und Breite. Im Übrigen können eine stärkere Beschäftigung mit der Gemeinsamkeit in der Auffassung der Grundlegung des christlichen Lebens in Glaube und Taufe und ein stärkeres Bemühen um den Gottesdienst, einschließlich des Sonntags und der Sonntagsheiligung (mit Gottesdienstbesuch!), wichtige Elemente und Konsequenzen dieses Weges in die Zukunft sein.

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