Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren

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Literatur

Primärliteratur

Harranth, Wolf (1972). Da ist eine wunderschöne Wiese. Wien, München: Jungbrunnen 1972.

Hofmann, Heinrich (1845). Der Struwwelpeter oder lustige und drollige Bilder für Kinder von 3-6 Jahren. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt, Rütten & Loening.

Leiter, Helmut (1987): Die Zeiger standen auf halb vier oder: Eberhard schreibt alles auf. Illustrationen von Hilde Leiter. Wien: Dachs.

Lobe, Mira & Weigel, Susi (1965). Die Omama im Apfelbaum. Wien, München: Jungbrunnen.

Lobe, Mira & Weigel, Susi (1970). Das Städtchen Drumherum. Wien, München: Jungbrunnen.

Lobe, Mira & Weigel, Susi (1971). Denkmal Blümlein. Wien, München: Jungbrunnen.

Lobe Mira & Weigel, Susi (1972). Das kleine Ich-bin-Ich. Wien, München: Jungbrunnen.

Lobe, Mira (1974): Die Räuberbraut. Wien, München: Jugend und Volk.

Meissel, Wilhelm (1973): Tante Tintengrün greift ein. Wien, München: Jugend und Volk.

Sekundärliteratur

Albert, Mathias, Hurrelmann, Klaus, Quenzel, Gudrun & Schneekloth, Ulrich (2019). Die 18. Schell Jugendstudie – Eine Generation meldet sich zu Wort. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 4, 484–490.

Ewers, Hans-Heino (2013). Kinder- und Jugendliteratur der Nachkriegszeit in Westdeutschland und Österreich, veröffentlicht am 15.02.2013, o. S. (http://www.kinderundjugendmedien.de/index.php/literatur/104-mediageschichte/literaturgeschichte/570, abgerufen am 15.02.2021)

Esterl, Ursula & Nicola Mitterer (Hrsg.) (2021). Wald. ide. Informationen zur deutschdidaktik 45 Jg., H. 2-2021.

Gelbert, Hans-Joachim (2015). Damals, als die Kinderliteratur neu gefunden wurde, ein Blick zurück. kjl & m 1, 8–12.

Großegger, Beate (2017). Die große Weigerung war gestern. Um den Generationenkonflikt ist es ruhig geworden, um die Jugend als Kraft der politischen Erneuerung ebenso. Expert-Flash. generationslab 4, o.S. (https://jugendkultur.at/wp-content/uploads/Expert-Flash_Jugend_und_politische_Erneuerung.pdf, abgerufen am 06.03.2021)

Hessel, Stéphane (2011). Empört Euch! Übersetzt von Michael Kogon. Berlin: Ullstein.

Informationsseite zum Klima-Kultur-Pavillon in Graz des Breath Earth Collective (2021) (https://www.kulturjahr2020.at/projekte/klima-kultur-pavillon/, abgerufen am 10.04.2021)

Huemer, Georg (2015). Mira Lobe. Doyenne der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur. Wien: Praesens. (Kinder- und Jugendliteraturforschung in Österreich 16)

Hurrelmann, Klaus, Albert, Mathias & Quenzel, Gudrun (2013). Youth protest in Germany? An analysis based on the results of the Shell Youth Studies. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 3, 341–345.

Koenen, Gerd (2001). Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution. Frankfurt/M.: S. Fischer.

Leingang, Oxane (2015). „Sie schmatzen und rülpsen, schlabbern und schlürfen“ – Tischszenen in den aktuellen deutschen Bilderbüchern. Germanica 57, 69–82.

Lexe, Heidi & Seibert, Ernst (Hrsg.) (2005). Mira Lobe … in aller Kindwelt. Wien: Praesens. (Kinder- und Jugendliteraturforschung in Österreich 7)

Milbradt, Björn (2020). Jugend, Politik und Engagement. Blinde Flecken und Herausforderungen am Beispiel Fridays for Future. kjl & m 4, 3–7.

Millner, Alexandram Oberreither, Bernhard & Straub, Wolfgang (Hrsg.) (2015). Empörung! Besichtigung einer Kulturtechnik. Beiträge aus Literatur- und Sprachwissenschaft. Wien: Facultas.

Nosko, Christian & Plank, Ingrid (2020). Klimawandel und Klimaschutz als Themen in der Kinderliteratur – Aspekte aus Sicht der Deutsch- und Sachunterrichtsdidaktik. didacticum 1.

Radkau, Joachim (2011): Die Ära der Ökologie. München: C.H.Beck.

Reinhardt, Sibylle (2013). Von individuellen Wertedilemmata zu gesellschaftlichen Regeln. Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Verbindung von Werte- und politischer Bildung. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 3, 319–333.

Rink, Dieter & Arndt, Thomas (2011). Urbane Wälder. Ökologische Stadterneuerung durch Anlage urbaner Waldflächen auf innerstädtischen Flächen im Nutzungswandel. Ein Beitrag zur Stadtentwicklung in Leipzig. Leipzig: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. (UFZ-Bericht 3)

Rinnerthaler, Peter (2019). Widerspenstige Bilder. Bildästhetische Repräsentationen von Revolution in Bilderbuch, Comic und Graphic Novel. kjl & m 1, 64–72.

Seibert, Ernst (2015). Österreichische Kinder- und Jugendliteratur in den 1970er-Jahren – Autonomie gegenüber den Institutionen. kjl & m 1, 70–78.

Seibert, Ernst, Huemer, Georg & Noggler, Lisa (Hrsg.) (2014). Ich bin ich. Mira Lobe und Susi Weigel. Ausstellungskatalog. St. Pölten: Wien Museum, Residenz Verlag.

Steinlein, Rüdiger (2008). „eigentlich sind es nur Träume.“ Der Traum als Motiv und Narrativ in märchenhaft-phantastischer Kinderliteratur von E.T.A. Hoffmann bis Paul Maar. Zeitschrift für Germanistik 1, 72–86.

Wolf, Peter (1978): Der böse Peter Wolf. Wochenpresse, H. 3, 18. Jänner 1978, 3.

Abbildungen

Alle Abbildungen aus: Mira Lobe/Susi Weigel, Das Städtchen Drumherum © 1970 Verlag Jungbrunnen Wien. Abdruck der Ausschnitte mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

1 Preise der Stadt Wien 1970 in den Kategorien Illustration und Kinderbuch; ÖKJB-Preis für die Illustration sowie Ehrenliste für das Kinderbuch 1971.

2 Genannt auf der Ehrenliste des Preises der Stadt Wien 1987; ÖKJB-Preis 1988 in der Kategorie Kinderbuch.

Franz Vonwald & Margarethe Kainig-Huber
Historisches Lernen – Beiträge zur Förderung nachhaltiger Erinnerungskultur
Durch „Fenster der Erinnerung“ in die regionale Vergangenheit blicken


Abbildung 1: Schüler*innen der vierten Klassen der Mittelschule St. Veit/Gölsen (Johann Gastegger)


Abbildung 2: Fenster der Erinnerung der Mittelschule St. Veit/Gölsen (Johann Gastegger)

1. Einleitung

Im Mai 2020 berichtete der ORF über eine Studie der Pädagogischen Hochschule Wien im Auftrag der Arbeiterkammer, die 14 Fragen über den Nationalsozialismus umfasste und sich an 1185 Wiener Schüler*innen der neunten Schulstufe (AHS1, BMHS2 und PTS3) richtete. Im Zuge der Auswertung der Studie wurden eklatante Wissenslücken offensichtlich. In keiner Schultype konnten mehr als 48% der Befragten die einzige zugelassene Partei zur Zeit des Nationalsozialismus benennen. Auch vereinfachte Definitionen zum Begriff Antisemitismus stellten ein Problem für die Befragten dar. Was die Zahl der jüdischen Opfer im Nationalsozialismus betrifft, lag die richtige Einschätzung der Besucher*innen der AHS unter einem Drittel. Jede*r fünfte Jugendliche, der*die eine Berufsbildende Mittlere Schule oder eine Polytechnische Schule absolvierte, gab eine Opferzahl von unter einer Million an. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen an der AHS hatte im Jahr zuvor eine Gedenkstätte besucht, wohingegen nur rund ein Drittel der PTS-Schüler*innen von einem solchen Besuch berichten konnten.4

Bereits in der Primarstufe kann die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus berücksichtigt werden. Darüber hinaus ermöglicht historisches Lernen über die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten einen Wissens- und Bewusstseinszuwachs bei zehn- bis neunzehnjährigen Schüler*innen. Der vorliegende Artikel stellt eine Dissemination der Forschungsergebnisse eines Forschungsprojektes an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich dar.

2. Historisches Lernen und Erinnerungskulturen
2.1 Vom historischen Lernen zum historischen Denken

Geschichte erleben Menschen tagtäglich, sie begleitet sie förmlich auf „Schritt und Tritt“. Bei einem Stadtspaziergang kommen wir an alten Bauwerken wie Kirchen vorbei, Straßenoder Gassenschilder machen mit ihren Namen auf Persönlichkeiten oder Geschehnisse aufmerksam, vor einem Denkmal bleiben wir stehen, lesend und betrachtend halten wir inne. Alles hat seine Geschichte, auch die Umgebung, in der wir leben und arbeiten. Bewusst oder unbewusst ist jede Begegnung mit Geschichte auch eine Art des historischen Lernens.

 

„Historisches Lernen“ als Terminus eindeutig zu definieren, erweist sich als schwierig, da der Begriff vielschichtig und weitläufig erscheint. „Geschichte“, „Geschichtsbewusstsein“ und „Historisches Denken“ stehen in einem engen Zusammenhang. (Vgl. Toman 2015, 36) Schüler*innen verfügen über eine natürliche Fragehaltung (Woher kommt das? Wie ist das so geworden? War das schon immer so?) und entwickeln einen Forscherdrang, welche die Grundvoraussetzungen für historisches Lernen darstellen. Rita Rohrbach beschreibt „Historisches Lernen als Denkstil, als Nachdenken über vergangenes Handeln und Leiden“ (Rohrbach in Bergmann & Rohrbach 2005, 52). Nicht das Sammeln von Wissen steht im Vordergrund, sondern das Nachdenken und das Philosophieren der jungen Lerner*innen (vgl. Rohrbach in Bergmann/Rohrbach 2005, 52). Die Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stellen die zeitliche Grundlage des menschlichen Erlebens und Denkens dar. Zum besseren Verständnis werden eine Definition von Geschichte nach von Reeken und eine von Geschichtsbewusstsein nach Létourneau ergänzt:

Geschichte ist also ein Prozess der Rekonstruktion und Konstruktion von Vergangenheit aus der Perspektive der Gegenwart mit der Zielsetzung, in Gegenwart und Zukunft die eigene Fähigkeit zum Verständnis gesellschaftlicher und individueller Prozesse zu vertiefen und Handlungskompetenz zu gewinnen. (von Reeken 2012, 5)

Unter Geschichtsbewusstsein versteht man „die Kompetenz des menschlichen Individuums, seinen Platz in einer sich entwickelnden und fortschreitenden Umwelt relativ zu einem Vorher, einem Hier und einem Nachher zu definieren“ (Létourneau in Reeken von 2012, 8). Historisches Denken kann als kognitives Tun beschrieben werden, welches „im Kern die Rekonstruktion von Geschichte aus Vergangenheit zu einer Narration und deren kritische Dekonstruktion“ (Toman 2015, 37) bedeutet. Diese Aussage wird einerseits durch die Fähigkeit der Empathie und andererseits durch die Mehrperspektivität der Sichtweise der Geschichte ergänzt. Geschichte als eine Form des Forschens und Nachdenkens über das Leben und Handeln von Menschen in der Vergangenheit benötigt einerseits die Beschäftigung mit Wissen über Geschichte und andererseits das historische Werkzeug, um zu begründeten Antworten und somit zu einem reflektierten Geschichtsbewusstsein zu kommen.

2.2 „Speicher des Gedächtnisses“ – Erinnerungskulturen

Der Begriff „Erinnerungskultur“ dient laut dem deutschen Historiker Hans Günter Hockerts (2002) „als lockerer Sammelbegriff für die Gesamtheit des nicht spezifisch wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte in der Öffentlichkeit“ (Hockerts 2002, 41). Die Professorin für Anglophone Literaturen und Kulturen Astrid Erll (2008) deutet „Erinnerungskulturen“ als „historisch und kulturell variable Ausprägungen von kollektivem Gedächtnis“ (Erll 2008, 176). Die Schnittmenge beider Definitionen ist die Beschäftigung mit der Geschichte und dass es sich bei Erinnerungskultur nicht um eine unveränderliche Konstante handelt.

Erinnerung und Gedächtnis sind zwei fundamentale Kategorien des menschlichen Denkens. Der französische Soziologe Maurice Halbwachs hat in den 1920er-Jahren den Begriff des kollektiven Gedächtnisses geprägt, welches als „Teil der Identität einer sozialen Gruppe“ (Halbwachs in Reiter 2006, 321) verstanden werden kann. Jan und Aleida Assmann entwickelten daraus die Begriffe „kulturelles und kommunikatives Gedächtnis“. „Unter kulturellem Gedächtnis wird demnach die institutionell geformte und gestützte Erinnerung verstanden, wie sie uns etwa in Denkmälern, Erinnerungsorten, Gedenkritualen und ‚Textbausteinen‘ entgegentritt.“ (Kainig-Huber & Vonwald 2018, 363) Kommunikatives Gedächtnis bezeichnet nach Assmann eine von Zeitzeug*innen individuell erlebte und erzählte Erinnerung.

„Erinnerung ist immer eine Rekonstruktion der Vergangenheit mit Versatzstücken aus der Gegenwart“ (Reiter 2006, 17), formuliert die österreichische Historikerin Margit Reiter. Erinnerungen aus der erlebten Zeit können mit späteren sowie gegenwärtigen Erfahrungen und Einflüssen aus der Medienwelt überlagert werden. Der deutsche Zeithistoriker Martin Sabrow nennt in diesem Zusammenhang Zeitzeug*innen als „Wanderer zwischen den Welten“ (Sabrow in Meissner 2014, 9). Neben individuellen Lebenserinnerungen als Ausdruck persönlicher Erinnerungskultur gibt es im öffentlichen Raum verstärkt ab den 1990er-Jahren sicht- und erlebbare Ausprägungen des kollektiven Gedächtnisses. Diese lassen sich in zwei Hauptkategorien mit verschiedenen Ausformungen gliedern. Zum einen stellen mediale Formen der Erinnerungskultur (Literatur, Filme, Aufzeichnungen von Gesprächen mit Zeitzeug*innen, virtuelle Archive etc.) Möglichkeiten dar, Erinnerungen zu bewahren und ins Gedächtnis zu rufen. Zum anderen fördern Erinnerungszeichen im öffentlichen Raum (Gedenkstätte, Grab, Denkmal, Gedenkkreuz, Gedenktafel, Benennung einer Verkehrsfläche, Kunst-Gedenkinstallation, Mahnmal, Gebäude, Museum, Memorial, Stolperstein) das Nachdenken über die Vergangenheit und die Entwicklung einer Gedächtnislandschaft. Darüber hinaus bieten Gedenktage Gelegenheit, durch Teilnahme an Veranstaltungen den Speicher des historischen Gedächtnisses zu erweitern. In zahlreichen Gesprächen mit Menschen, welche die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten persönlich erlebten, haben die Verfasser dieses Artikels nicht nur Einblicke in die Erfahrungen der Frauen und Männer gewinnen können, sondern darüber hinaus Erkenntnisse, wie Menschen mit ihrer Vergangenheit umgehen. (Vsgl. Vonwald & Fritthum 2015 und Kainig-Huber & Doria 2015)

2.3 Gelebte und erlebte Erinnerungskultur – Gedenken begehen

Nachhaltig wird Erinnerungskultur, wenn die Begegnung mit ihr nicht als flüchtige Erfahrung wahrgenommen wird, sondern im historischen Bewusstsein Spuren hinterlässt. Zwei durch Geschichtslehrkräfte initiierte Möglichkeiten, um das historische Gedächtnis zu erweitern, stehen im Fokus dieses Abschnittes.

Um den 15. April, dem Gedenktag des Massakers im Schliefaugraben5 (1945), findet jährlich ein Gedenkmarsch vom Ortszentrum Randegg bis zum Ort der Ermordung von rund 100 ungarischen Jüdinnen und Juden statt. Die Opfer werden symbolisch in Form von kleinen und großen schwarzen Figuren, die menschliche Silhouetten darstellen, mitgetragen. Am Gedenkmarsch beteiligt sich neben Schüler*innen sowie Lehrkräften der Mittelschule Randegg auch die interessierte Bevölkerung. Gemeinsam wird der letzte Weg der Opfer abgegangen und es werden am Ort der Erschießung die Namen der ermordeten Menschen verlesen, während die mitgebrachten Figuren abgestellt werden. Jede teilnehmende Person legt einen Stein in einen am Boden vorbereiteten Davidstern. Dieser befindet sich unmittelbar vor einem 1980 zur Erinnerung an die Opfer errichteten Gedenkstein. Das Rahmenprogramm der Feier stellen Beiträge der Mittelschule dar. Jedes Jahr wird auch eine aktuelle Menschenrechtsthematik im Gedenken berücksichtigt. Zum Abschluss wird das jüdische Totengebet Kaddisch gesprochen. Durch diesen jährlich stattfindenden Marsch wird ein Platz nachhaltiger Gedenkkultur im Leben der Gemeinde Randegg sichtbar. Die Erinnerung an die menschenverachtende Verbrecherherrschaft der Nationalsozialisten und das Mitwirken regionaler NS-Anhänger werden durch kollektives Gedenken in Erinnerung behalten. (Vgl. Kammerstätter & Diesenberger 2019, 418f.)

Eine andere Möglichkeit, um nachhaltige Erinnerungskultur zu fördern, stellt Werner Sulzgrubers Projekt „TOWN_Knowledge and Remembrance“ über die Stadt- und Zeitgeschichte von Wiener Neustadt dar.6 Dieses virtuelle Angebot beinhaltet neben Lernmaterialien für Schüler*innen ein digitales Archiv mit Bildern und Medien wie beispielsweise Filme zur Zeitgeschichte sowie Interviewauszüge aus Gesprächen mit Zeitzeug*innen. Der „Wissens- und Erinnerungsspeicher TOWN“ wird kontinuierlich durch Beiträge der Wiener Neustädter Bevölkerung aktualisiert und erweitert. Darüber hinaus können diverse Wege der Erinnerung durch Stadtspaziergänge sowohl virtuell als auch in Wiener Neustadt vor Ort beschritten werden. Für jeden Rundgang wird eine Karte mit markierten Erinnerungsorten und spezifischen Informationen angeboten. Beispielsweise beginnt der „Kleine Stadtspaziergang 1938–1945“ beim Alten Rathaus am Hauptplatz und führt unter anderem zu den ehemaligen Standorten Kriegsschule, Gestapo-Zentrale, Kreisgericht und Gefangenenhaus. Der Blick auf eine Gedenktafel in der Grazer Straße 90 ermöglicht das Bewahren der Erinnerung an den Luftangriff vom 14. März 1945, der 100 Todesopfer zur Folge hatte. Während der Tour wird darüber hinaus Gedenken an Schicksale jüdischer Menschen in Form von Stolpersteinen angeregt und auf Eisenbahner, die aufgrund ihrer Widerstandshandlungen ermordet wurden, hingewiesen.

3. Historisches Wissen – Schreckensherrschaft in Niederösterreich

Das von Margarethe Kainig-Huber und Franz Vonwald verfasste Buch Schreckensherrschaft in Niederösterreich 1938–1945. Alltag in der nationalsozialistischen Zeit, erschienen zum Abschluss der ersten Projektphase im Oktober 2018, legt erstmals eine aktuelle Zusammenschau des Wissens über das nationalsozialistische Terrorregime für Niederösterreich vor. Das 400 Seiten umfassende Werk bietet in fünf Kapiteln eine Fülle von Informationen, Dokumenten, Hunderte von Bildern sowie berührende Schicksale, um Erinnerung für die Zukunft wachzuhalten.

3.1 Machtübernahme der Nationalsozialisten

Im ersten Kapitel der Publikation findet zunächst eine Beschäftigung mit der politischen Situation in Österreich vor der nationalsozialistischen Machtergreifung statt. Die Aktionen illegaler Nationalsozialisten werden dabei aus Sicht von Zeitzeug*innen ebenso beleuchtet wie der österreichische Weg in den Faschismus. Danach werden die Ereignisse zwischen dem Einmarsch von Truppen der deutschen Wehrmacht am 12. März 1938 und der inszenierten Volksabstimmung am 10. April 1938 dokumentiert. Die geografischen und politischen Veränderungen nach dem „Anschluss“ stellen einen weiteren Schwerpunkt dieses Kapitels dar. Einblicke in den Alltag im Dorf Ramsau bei Hainfeld zeigen den Wandel des Lebens im ländlichen Raum während der NS-Zeit auf. Anhand der Gauhauptstadt Krems werden sowohl Wohnbauprojekte der NS-Zeit, die Enteignung kirchlicher Güter und der Ausbau der Industrie exemplarisch dokumentiert. Weitere ortsspezifische Forschungsschwerpunkte sind das Kriegsgefangenenlager Gneixendorf, die Verbrechen im Zusammenhang mit dem „Zuchthaus“ Krems/Stein sowie der Widerstand und das jüdische Leben in Krems. Mit den Veränderungen im niederösterreichischen Schulwesen beschäftigen sich die letzten beiden Abschnitte dieses Kapitels. Reichhaltiges Quellenmaterial veranschaulicht die radikalen Umbrüche und die Erinnerungen ehemaliger Schüler*innen verdeutlichen, wie prägend die Umgestaltungen im Bereich Schule wahrgenommen wurden. Die Standorte der nationalpolitischen Erziehungsanstalten in Traiskirchen, Hubertendorf und Türnitz sind als Orte, an denen politische Elite herangezogen werden sollte, detailliert in Erinnerung gerufen worden. (Vgl. Kainig-Huber & Vonwald 2018, 9–63)

3.2 Die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten

Das zweite Kapitel widmet sich verschiedenen Opfergruppen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Den Beginn stellen Personen dar, die aufgrund ihrer Meinungen und Handlungen von den Nationalsozialisten als „Volksfeinde“ eingestuft wurden. Zudem wird offengelegt, was dazu führte, dass man Menschen als „asozial“ bezeichnete und wo in „Niederdonau“ es Arbeitserziehungslager mit unmenschlichen Bedingungen gab. Die rücksichtslose Verfolgung der Roma und Sinti verdeutlicht die Ohnmacht, die Ausbeutung und die Ermordung beinahe aller Angehörigen dieser Volksgruppen in Niederösterreich. Auch die Gewalt gegenüber Homosexuellen, zu der die Quellenlage dürftig ist, erfuhr Berücksichtigung. Die Beschäftigung mit Schicksalen von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren gewährt Einblicke in die Beweggründe, Risiken und Bestrafungen von Menschen, die nicht bereit waren, für Adolf Hitler zu kämpfen. Jehovas Zeugen, welche die einzige Religionsgemeinschaft waren, die sich aus Glaubensgründen geschlossen dem NS-Regime widersetzte, standen ebenfalls im Fokus der Forschung. Neben der theoretischen Darstellung des Verfolgungsapparats und der Justiz wurden mithilfe der Biografieforschung Einzelschicksale rekonstruiert. Die Untersuchung der Auswirkungen der Machtübernahme der Nationalsozialisten auf die katholische und die evangelische Kirche lässt sowohl Anpassung als auch Widerstand auf Seiten der Geistlichen erkennen. Das Kapitel schloss mit einem Längsschnitt, der sich Wiener Neustadt zwischen 1938 und 1945 widmete. Neben der jüdischen Gemeinde von Wiener Neustadt stellte die Rüstungsindustrie der Stadt einen Schwerpunkt der Forschung dar. Unterschiedliche Projekte zur Erinnerungsarbeit werden in Wiener Neustadt, der am schwersten durch Luftangriffe zerstörten Stadt Österreichs, sichtbar. (Vgl. Kainig-Huber & Vonwald 2018, 64–125)