Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren

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3.2 Wie sind Nahrungsmittel verpackt?

Das Sachbilderbuch Alles über Plastik von Katie Daynes (Text) und Marie-Eve Tremblay (Illustration) ist 2020 in der deutschen Übersetzung von Suzy Dittmar im Usborne Verlag erschienen (vgl. Abb. 5 und 6).


Abbildungen 5 und 6: Alles über Plastik von Katie Daynes und Marie-Eve Tremblay (Usborne Verlag 2020): Cover und Seiten 6–7

Das Buch thematisiert Plastik als Wertstoff mit spezifischen Vor- und Nachteilen sowie Recycling und Alternativen zu Kunststoff in Form von Fragen. Neben der sprachlich aktivierenden Gestaltung ermöglichen die Fragen und Antworten auf 65 Klappen eine hohe Interaktivität zwischen Medium und Leser*in bzw. Betrachter*in. Jede Doppelseite verfügt über einen einheitlichen Hintergrund, auf dem jede Frage eine begleitende Illustration aufweist. Der Text übernimmt die Leitfunktion und steuert die Aufmerksamkeit beim Betrachten. Auf einigen Seiten setzen sich seitlich oder im unteren Bereich einige Fragen durch die optische Aufbereitung bzw. Illustrationen ab. Die Antworten weisen fast immer Hypotaxen auf, was entsprechende sprachlich-kognitive Fähigkeiten voraussetzt. Das Bilderbuch ist daher ab einem Alter von vier Jahren geeignet.

Im Bilderbuch werden Sachinformationen rund um Plastik zum Teil sehr detailliert dargeboten, weswegen auch die Erwachsenen mit dem Inhalt vertraut sein und spezifische Inhalte für die pädagogische Intention auswählen müssen. Rund um das Thema Verpackung von Nahrungsmitteln eignet sich vor allem die Doppelseite mit Warum-Fragen (vgl. Abb. 6). Auch auf der letzten Doppelseite des Buches bieten sich Bezüge zum Thema Nahrungsmittel an, da hier der Schutz der Umwelt in Form von konkret umzusetzenden Handlungsmöglichkeiten thematisiert wird. Zum Beispiel: „Koche selbst. Fertiggerichte sind meist in Plastik verpackt. Selbst gekochtes Essen ist oft leckerer und gesünder, und es fällt weniger Müll an“ (Daynes & Tremblay 2020, 12).

In Hinblick auf Verpackung von Getränken lohnt sich ein Blick in das Sachbilderbuch Es geht rund. Die Verwandlungskraft der Kreisläufe von Johannes Vogt und Felicitas Horstschäfer (vgl. Abb. 7). Das Pappbilderbuch mit seinem halbkreis- bzw. kreisförmigem Format im Durchmesser von 50 cm ist 2020 im Beltz & Gelberg Verlag erschienen und zeigt auf den Seiten 16 bis 17 den Recycling-Kreislauf einer Mehrweg-Flasche (vgl. Abb. 8).


Abbildungen 7 und 8: Es geht rund von Johannes Vogt und Felicitas Horstschäfer (Beltz & Gelberg Verlag 2020): Cover und Seiten 16–17

Auf jeder Doppelseite werden Prozesse in Form eines Kreislaufes dargestellt, wobei im Kreisinneren das Thema benannt wird (z.B. „Wie kommt der Saft in die Flasche?“). Die Bilder übernehmen die dominante Funktion der Informationsvermittlung, da die Zeichnungen die Prozessschritte detailliert zeigen und der beschreibende Text darüber nur der Ergänzung dient. Der Text besteht je aus ein bis zwei Sätzen, wobei Parataxen überwiegen. Fachbegriffe werden sparsam und gezielt verwendet, z.B. „Die Flasche wird desinfiziert“, „Der Sensor prüft …“ (Vogt & Horstschäfer 2020, 17). Die Besonderheit des ab vier Jahren geeigneten Bilderbuchs besteht darin, dass aufgrund des Drehens beim Betrachten des Sachbuchs der Kreislauf nicht nur visuell veranschaulicht, sondern konkret erfahren wird.

3.3 Welches Essen ist gesund – für mich und die Umwelt?

Wir schützen unsere Umwelt aus der Reihe „Wieso, Weshalb, Warum?“ für 4- bis 7-Jährige im Ravensburger-Verlag thematisiert auf den Seiten 4 bis 5, wie wir beim Essen auf die Umwelt achten können (von Kessel & Wandrey 2018). Die Kombination aus Bild und Text inkl. Klappen erklärt, welche Ernährungsgewohnheiten nicht nur gesund für den Menschen, sondern auch umweltfreundlich sind: Verzehr von regionalen, saisonalen Obst- und Gemüsesorten sowie Reduktion von Fleisch- und Wurstwaren. Während die gezeichneten Bilder konkrete Anknüpfungspunkte zur Lebenswelt der Kinder herstellen (heimisches Obst und Gemüse, Tierhaltung), geht der Text zusätzlich auf die globale Dimension von Ernährungsgewohnheiten (Rodung von Wäldern, Kühlfracht) ein.

Auch das Sachbilderbuch Das weiß ich schon über unser Essen (siehe Abschnitt 3.1) thematisiert gesunde Ernährung für junge Kinder, z.B. in Form eines Schmeckspiels im Kindergarten, bei dem die Ernährungspyramide erfahrbar wird: „Besonders wichtig sind genug Wasser, Tee oder Saftschorlen“ (Schmitz & Weidenbach 2020, 3). Auch der achtsame Umgang mit Lebensmitteln wird thematisiert: „Wenn nicht alles aufgegessen wird, kommen die Reste in den Kühlschrank.“ (Schmitz & Weidenbach 2020, 6) bzw. „Die Bananen sind schon ein bisschen braun, aber man kann sie trotzdem noch essen“ (Schmitz & Weidenbach 2020, 2).

4. Fazit

Dieser Artikel thematisiert, wie Bilderbücher als kulturelle Repräsentationen nachhaltiges Verhalten für Kinder in der frühen Kindheit vermitteln. Da Bilderbücher sowohl literarische Erfahrungen ermöglichen, aber neben sprachlich-kommunikativen Kompetenzen insbesondere auch zur Wissensaneignung beitragen sowie das Verstehen von Abläufen und Zusammenhängen ermöglichen, eignen sie sich in besonderer Weise, um zur Bildung für Nachhaltigkeit beizutragen.

Die Analyse von Werken mit Bezug zur nachhaltigen Beschaffung von und zum nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln zeigt, dass Bilderbücher auf vielfältige Weise ein Thema mit Bezug zur Nachhaltigkeit erörtern und bearbeiten können. Mithilfe der ausgewählten Werke ist es möglich, dass sich Kinder mit ihrer ökologischen und sozialen Mitwelt auseinandersetzen – auf einfache Art und Weise in Form isolierter Realitätsausschnitte bereits im Alter von zwei bis drei Jahren, ab vier bis fünf Jahren mit etwas höherer Komplexität, sodass auch Zusammenhänge zwischen zwei realen Phänomenen entdeckt und hergestellt sowie Auswirkungen des Handelns erkannt werden können.

Allgemeine Qualitätsmerkmale für Bilderbücher (Hollstein & Sonnenmoser 2017; Thiele 2011) haben auch Gültigkeit, wenn sie zur Bildung für Nachhaltigkeit beitragen wollen. Als besonders wichtig schätzt die Autorin neben der wissenschaftlichen Korrektheit den Bezug zur Lebenswelt des Kindes und Anknüpfungspunkte an das eigene Erleben ein (Können Fischstäbchen schwimmen?; Das weiß ich schon über unser Essen). Darüber hinaus sollen Akteur*innen Identifikationsmöglichkeiten für das Kind bieten (Können Fischstäbchen schwimmen?; Das weiß ich schon über unser Essen). Ein hoher Aufforderungscharakter entsteht außerdem durch die Qualität der Bilder, die entweder zum Fantasieren oder zum genauen Betrachten anregen können. Detailtreue (Das weiß ich schon über unser Essen) und aktivierende Zusätze wie Klappen (Wir schützen unsere Umwelt; Alles über Plastik) oder außergewöhnliche Formate (Es geht rund) motivieren in besonderer Weise zur Auseinandersetzung mit dem Buch. Wissen und Kenntnisse zu einem Thema zeigen sich in Verständnis und Verwendung eines spezifischen Fachwortschatzes, der sich auch in komplexeren syntaktischen Strukturen niederschlägt (Hypotaxe, Passiv). Außerdem dürfen Bilderbücher zu nachhaltigkeitsrelevanten Themen für die Elementarstufe trotz didaktischer Reduktion nicht per se auf Problem- oder Konflikthaftes verzichten (Alles über Plastik; Wir schützen unsere Umwelt).

Durch das gemeinsame Lesen und Betrachten von Bilderbüchern durch Erwachsene und Kind bieten sich Möglichkeitsräume für explizite Wertebildung. Problem- und Themenstellungen können im Dialog erklärt und erörtert werden (Breit 2020). Von zentraler Bedeutung ist eine non-normative Haltung des Erwachsenen, welche die Pluralität von Meinungen ermöglicht und Kinder auf ihrem Weg zu einer kritisch-emanzipativen Persönlichkeit unterstützt. Derartige Bildungsprozesse können durch gemeinsames Fabulieren und Philosophieren auf entwicklungsangemessene Weise unterstützt werden, z.B. durch Fragen wie, „Was wäre, wenn wir nur Nahrungsmittel verwenden würden, die in unserer Umgebung angebaut werden?“

Bildung für Nachhaltigkeit realisiert sich außerdem in Vorbildern – durch konkretes Handeln und Vorleben (Breit 2020). Daher kann das Bilderbuch zwar einen Beitrag zur Bildung für Nachhaltigkeit leisten – als Impulsgeber, als Wissensträger etc. –, aber es bedarf auch konkreter Erfahrungen, mit welchen die kulturellen Repräsentationen verknüpft werden können. Für die Elementarstufe bieten sich rund um das Thema Lebensmittel vielfältige Aktivitäten an, um die Inhalte zur nachhaltigen Lebensgestaltung mit der eigenen Lebenswelt zu verknüpfen:

• Besuch bzw. Einkauf auf dem Wochenmarkt

• Exkursion in den Supermarkt

• Exkursion zu einem naheliegenden Bauernhof; Mithilfe bei der Obst- oder Gemüseernte; Einkauf im Hofladen

• Anlegen eines Hochbeets im Garten, in welchem Gemüse angebaut, gepflegt und geerntet sowie gemeinsam verarbeitet wird

• Setzen von Obstbäumen und Sträuchern im Garten, um Prozesse rund um Wachstum, Pflege und Ernte mitzuerleben und anschließend das Obst essen, einkochen etc.

 

• Projekte, die an die Lebenswelt der Kinder anschließen und alle Bildungspartner*innen einbinden, z.B. Jausenverpackungen minimieren

• Projekte, die gesunde Ernährung inkludieren (unter Einbindung der Kinder: Zubereiten von gesunder Jause oder warmen Mahlzeiten; Verwertung von Lebensmittelresten; Pressen von Obstsäften etc.).

Der Einsatz von im Text analysierten Bilderbüchern im pädagogischen Alltag sowie die hier skizzierten Aktivitäten in Form von Projekten können einen Grundstein für eine nachhaltige Lebensführung legen: Kinder erleben, dass die Wahl der Lebensmittel und veränderte Essgewohnheiten zur Nachhaltigkeit beitragen können. Sie erleben, dass ihr Handeln Konsequenzen hat und sie sozial-ökologische Phänomene alleine oder gemeinschaftlich beeinflussen können.

Literatur

Abraham, Ulf, & Knopf, Julia (2019). Genres des Bilderbuchs. In Julia Knopf & Ulf Abraham (Hrsg.), BilderBücher. Band 1 – Theorie (S. 3–13). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Breit, Simone (2020). Verantwortung lernen in der frühen Kindheit. In Carmen Sippl, Erwin Rauscher & Martin Scheuch (Hrsg.), Das Anthropozän lernen und lehren (S. 215–227). Innsbruck: Studienverlag.

Daynes, Katie & Tremblay, Marie-Eve (2020). Alles über Plastik. Über 55 schlaue Fragen zum Thema Kunststoff und Recycling. London: Usborne.

Deutsche UNESCO-Kommission (2017). Education 2030 Framework for Action. Deutsche Kurzfassung. Bonn.

Forum Frühkindliche Bildung (Hrsg.) (2020). Referenzrahmen für die frühkindliche Bildung. Berlin: Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, BMBF.

Grundmann, Diana (2017). Bildung für nachhaltige Entwicklung in Schulen verankern. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16913-8

Hollstein, Gudrun & Sonnenmoser, Marion (2017). Werkstatt Bilderbuch: Allgemeine Grundlagen, Vorschläge und Materialien für den Unterricht in der Grundschule (5. Auflage). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Kessel, von Carola & Wandrey, Guido (2018). Wir schützen unsere Umwelt. Ravensburg: Ravensburger.

Kurwinkel, Tobias (2017). Bilderbuchanalyse: Narrativik – Ästhetik – Didaktik. Tübingen: A. Francke.

Niebert, Kai (2016). Nachhaltigkeit lernen im Anthropozän. In Martin K. W. Schweer (Hrsg.), Bildung für nachhaltige Entwicklung in pädagogischen Handlungsfeldern (S. 77–94). Frankfurt: Lang.

Rahn, Sabine & Jakobs, Günther (2020). Können Fischstäbchen schwimmen? Woher unser Essen kommt. Stuttgart: Gabriel.

Rippl, Gabriele (2019). Kulturwissenschaft. In Ursula Kluwick & Evi Zemanek (Hrsg.), Nachhaltigkeit interdisziplinär. Konzepte, Diskurse, Praktiken (S. 312–329). Wien: Böhlau.

Schmitz, Hanna & Weidenbach, Bille (2020). Staune, lerne und entdecke. Das weiß ich schon über unser Essen. Bindlach: Loewe.

Schönauer-Schneider, Wilma (2012). Sprachförderung durch dialogisches Bilderbuchlesen. In Herbert Günther & Walter R. Bindel (Hrsg.), Deutsche Sprache in Kindergarten und Vorschule (S. 238–266). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Sippl, Carmen (2020a). Was der Fluss erzählt. Wasser literarisch lernen mit dem Bilderbuch. In Carmen Sippl, Erwin Rauscher & Martin Scheuch (Hrsg.), Das Anthropozän lernen und lehren (S. 537–551). Innsbruck: Studienverlag.

Sippl, Carmen (2020b). Das Bilderbuch als Lernmedium im Anthropozän. Eine literaturdidaktische Perspektive. In Norbert Kraker, Angela Forstner-Ebhart & Herbert Schwetz (Hrsg.), Impulse für Forschung und Masterarbeiten. Pädagogischen Handlungsfeldern in Primar- und Berufsbildung theoriegeleitet begegnen (S. 89–98). Wien: facultas.

Staiger, Michael (2019). Erzählen mit Bild-Schrifttext-Kombinationen. In Julia Knopf & Ulf Abraham (Hrsg.), BilderBücher. Band 1–Theorie (2. Auflage, S. 14–25). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Steitz-Kallenbach, Jörg (2004). Bildersachbücher und Sachgeschichten. Wissensvermittlung durch Bild und Text. In Jens Thiele & Jörg Steitz-Kallenbach (Hrsg.), Handbuch Kinderliteratur: Grundwissen für Ausbildung und Praxis (2. Auflage, S. 114–156). Freiburg: Herder.

Thiele, Jens (2011). Das Bilderbuch. In Günter Lange (Hrsg.), Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. Ein Handbuch (S. 217–230). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

UNESCO (Hrsg.). (2014). UNESCO-Roadmap zur Umsetzung des Weltaktionsprogramms „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Bonn: Dt. UNESCO-Kommission.

Vogt, Johannes, & Horstschäfer, Felicitas (2020). Es geht rund. Die Verwandlungskraft der Kreisläufe. Weinheim: Beltz & Gelberg.

Abbildungen

Abbildungen 1 und 2:

Können Fischstäbchen schwimmen? Woher unser Essen kommt von Sabine Rahn und Günter Jakobs (Stuttgart: Gabriel Verlag, 2020): Download von Cover und Leseprobe von https://www.thiene-mann-esslinger.de/produkt/koennen-fischstaebchen-schwimmen-isbn-978-3-522-30569-3

Abbildungen 3 und 4:

Staune, lerne und entdecke – Das weiß ich schon über unser Essen von Hanna Schmitz und Bille Weidenbach (Bindlach: Loewe Verlag, 2020): Download von Cover und Leseprobe von https://www.buecher.de/shop/bilderbuecher/staune-lerne-und-entdecke-das-weiss-ich-schon-ueber-unser-essen/schmitz-hanna/products_products/detail/prod_id/59417585/

Abbildungen 5 und 6:

Alles über Plastik von Katie Daynes und Marie-Eve Tremblay (London: Useborne Verlag, 2020): Download von Cover und Leseprobe von https://www.usborne.de/usborne-verlag-buecher/katalog/produkt/5/15522/alles-ueber-plastik/#&gid=1&pid=1

Abbildung 7 und 8:

Es geht rund von Johannes Vogt und Felicitas Horstschäfer (Weinheim: Beltz & Gelberg Verlag, 2020): Download von Cover und Leseprobe von https://www.beltz.de/kinder_jugendbuch/produkte/produkt_produktdetails/42794-es_geht_rund.html

Alle Abbildungen gedruckt mit freundlicher Genehmigung der Verlage.

1 Für Bilderbücher zum Thema „Lebensraum Fluss“ siehe Sippl (2020a); im Rahmen der LV „Sprachliche Bildung und Literacy“ haben im WS 2020/21 Studierende der Elementarbildung Bilderbuchanalysen zu den Themen „Unsere Erde“, „Lebensraum Wiese“, „Lebensraum Wald“, „Plastikmüll“, „Müll“ u.a. erstellt

Felix Heizmann
„Wenn ich ein Miljoner wäre …“
Nachhaltigkeitsbildung in der Grundschule durch kreatives Schreiben zu einem Bilderbuch
1. Einleitung

Im wissenschaftlichen Diskurs der letzten Jahre hat der Terminus ‚Anthropozän‘ eine erstaunliche Konjunktur erlebt. Als ursprünglich geologischer Fachbegriff umreißt er ein neues Erdzeitalter, das maßgeblich von den massiven und folgenreichen Eingriffen des Menschen in die Umwelt geprägt ist (vgl. z.B. Gebhardt 2016, 29), während er als kulturelles Konzept die schonungslose Selbstreflexion des Menschen über ebendiese Entwicklung akzentuiert (vgl. u.a. Horn 2017; Sippl & Scheuch 2019; kritisch dazu vgl. Manemann 2014). Dies macht eine Auseinandersetzung mit tiefgreifenden ökologischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Fragen erforderlich, deren Bearbeitung insbesondere in einem interdisziplinären Austausch und im steten Dialog der Wissenschaften mit der Gesellschaft gelingen kann. Weil derart planetare Veränderungen als Folge menschlichen Handelns in Vergangenheit und Gegenwart zu begreifen sind, ist die Beschäftigung mit ihnen auch als eine wesentliche Dimension von Erziehung zu konturieren mit dem Anspruch,

die Menschen so zu bilden, dass sie stärker auf die destruktiven Auswirkungen ihres individuellen und kollektiven Handelns achten und versuchen, deren negative Auswirkungen zu reduzieren. Um die destruktiven Energien und Wirkungen zu verringern, ist ein radikales, Gewalt reduzierendes Umdenken erforderlich. Das gilt für den Umgang mit der Natur und den Menschen in gleicher Weise. Im Bewusstsein einer den Menschen in vielerlei Hinsicht überfordernden Aufgabe gilt es, seine Beziehungen zur Natur und zu sich selbst zu verändern. (Wulf 2020, 202)

Als ein geeigneter Ort für Lernprozesse dieser Art ist bereits die Grundschule anzusehen, in der Individuen unterschiedlichster sozialer, kultureller und ethnischer Herkunft neben fachspezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten auch grundlegende Werte, Verhaltensweisen und Handlungskompetenzen einüben, die ihnen ein besseres Verständnis globaler Entwicklungen ermöglichen und sie zu nachhaltigem Denken und Handeln befähigen (vgl. u.a. Wanning 2019; Rippl 2019).

In diesem Spannungsfeld positioniert sich der vorliegende literaturdidaktische Ansatz, der der empirischen Unterrichtsforschung in der Primarstufe zuzurechnen ist. Er versteht Literatur als ein Medium, das in rezeptiver und produktiver Hinsicht in vielfacher und komplexer Weise zur Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit einlädt, denn sie

stellt die Welt nicht nur dar, wie sie ist, sondern auch wie sie sein könnte, sein müsste oder nicht sein darf. Und sie hat nicht nur das durch unmittelbare Erfahrung Zugängliche zum Gegenstand, sondern weit mehr die nur über Kommunikation vermittelbare Innenwelt des Menschen. (Rank & Bräuer 2008; vgl. auch Härle 2008)

Dieses Verständnis von Literatur lag auch einer Unterrichtseinheit im Fach Deutsch zum kreativen Schreiben in einer sozial wie sprachlich heterogenen zweiten Grundschulklasse mit 24 Schüler*innen zugrunde, in der das Bilderbuch Wenn ich eine Katze wäre … als Impulsgeber diente. Wie sich anhand der entstandenen Texte und Bilder rekonstruieren lässt, beschäftigen sich die Kinder dabei trotz fehlender inhaltlicher Vorgaben seitens der Lehrperson auffällig häufig mit globalen Krisensituationen, für deren Bewältigung sie auch kreative Lösungen mit ästhetischen Ausdrucksformen entwerfen. Ausgehend von ihren Erzählungen geht der Forschungsansatz der Frage nach, welche Themen die Zweitklässler*innen selbstständig adressieren und was sich in ihren Gedankenexperimenten über ihre impliziten handlungsleitenden Orientierungen, ihre Weltansichten, Wünsche, Hoffnungen und Ängste dokumentiert.

2. Aufbau des Forschungsansatzes

Die explorative Studie fußt auf der Verschränkung mehrerer Elemente, zu denen eine ästhetisch anspruchsvolle Literaturauswahl, eine motivierende wie herausfordernde Schreibaufgabe mit ‚natürlicher Differenzierung‘ und eine der Komplexität des kindlichen Denkens angemessene Forschungsmethodik gehören.

2.1 Das Bilderbuch

Das literarästhetische Bilderbuch Wenn ich eine Katze wäre … von Edoardo Bardella Rapino und Matteo Gubellini nutzt das leitmotivisch wiederkehrende Muster des Konditionalsatzes „Wenn ich ein*e … wäre, würde ich …“ und lädt seine Rezipient*innen dazu ein, die Vielfalt der Welt aus der Perspektive ihrer Bewohner zu erkunden. So stellt das Buch in zwölf kurzen, sich jeweils über eine Doppelseite erstreckenden Episoden „phantastische Hypothese[n]“ (Rodari 2008, 38) auf, etwa wie es wäre, als Möwe das Meer zu überfliegen und die Fischschwärme zu beobachten, als Schnecke die Welt zu bereisen und trotzdem immer schon ein Zuhause zu haben oder als Ameise die Wände hochzuklettern, alles und jeden aus beliebigen Blickwinkeln zu betrachten und sich dabei nichts entgehen zu lassen.

Trotz der dargelegten Sichtweisen wäre es jedoch verfehlt, das Bilderbuch auf ein bloßes Spiel im Modus des Als-ob zu reduzieren. Mit Rodari lässt sich hingegen konstatieren, dass es sich dabei keineswegs um „Nonsens“ handelt, sondern „ganz offensichtlich um den Gebrauch der Phantasie mit dem Ziel, eine aktive Beziehung zur Realität herzustellen“ (2008, 36). Ergänzt werden die kurzen Geschichten durch leicht düstere, formreduzierte und mit zurückhaltenden Pastellkreiden gemalte Bilder, bei denen vor allem die anthropomorphen Züge der Tiere und ihre markant gestalteten Augen auffallen. Die Blicke der Figuren wirken wie selbstreferentielle Anspielungen auf die Intention des Bilderbuchs, indem sie die Leser*innen dazu auffordern, die Welt buchstäblich ‚mit anderen Augen zu sehen‘.