Kommunikationswissenschaft als Sozialwissenschaft

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1.2Themenfeld politische Kommunikation

Philip Baugut, Nayla Fawzi, Thomas Zerback

Unter politologischen Aspekten stellt das Forschungsfeld politische Kommunikation das zweite Teilgebiet dar, das hier erörtert werden soll. Nach Hinweisen auf den Begriff folgen Ausführungen über die Bedeutung politischer Kommunikation in Demokratien, über die Akteure politischer Kommunikation, über das Verhältnis von Politik und Medien, über Wirkungen politischer Kommunikation sowie über die Medialisierung der Politik.

1.2.1Zum Begriff politische Kommunikation

Trotz zahlreicher Bemühungen zu bestimmen, was politische Kommunikation ist, gibt es bislang keine einheitliche Festlegung des Begriffs (vgl. u. a. Jarren/Donges 2011; Reinemann/Zerback 2013; Schulz 2008a) und keinen klar umrissenen Forschungsgegenstand (vgl. Kleinsteuber 2005). Dies nicht zuletzt deshalb, weil sich Autoren unterschiedlicher fachlicher Herkunft (im Wesentlichen Politologen und Kommunikationswissenschaftler) mit diesem Teilgebiet befassen (vgl. Jarren/Donges 2011). Die amerikanische Kommunikationswissenschaftlerin Doris A. Graber (2005) hat jedoch einen Kern von Gemeinsamkeiten unter Definitionsversuchen ausfindig gemacht. Sie umschreibt politische Kommunikation wie folgt: »The field of political communication, […], encompasses the construction, sending, receiving, and processing of messages that potentially have a significant direct or indirect impact on politics« (Graber 2005, S. 479). Grundlage dieses Verständnisses von politischer Kommunikation ist demnach ein einfacher Kommunikationsprozess, als Weg von der Entstehung einer politischen Botschaft bis hin zu ihrer Rezeption, der seine politische Dimension erst erhält, wenn von der Botschaft zumindest eine Wirkung auf die Politik anzunehmen ist. Unter Politik wird im Allgemeinen die Vorbereitung, Durchsetzung und Implementation kollektiv bindender Entscheidungen über gesellschaftliche Ressourcen, Werte oder Macht verstanden (Kevenhörster 2008, S. 15). Aus dem angloamerikanischen Raum stammt eine weitere Differenzierung, die sowohl in der deutschsprachigen Politik- wie auch Kommunikationswissenschaft übernommen wurde: die Unterscheidung von Politics, Polity und Policy. Politics steht für eine prozessorientierte Perspektive auf die Politik (z. B. auf politische Verfahren, wie z. B. Gesetzgebungsverfahren). Polity betrifft den strukturellen und normativen Rahmen, in dem Politik stattfindet (z. B. in Form von Parteien, Interessengruppen und Rechtsnormen), und Policy bezieht sich schließlich auf die eigentlichen politischen Inhalte, wie z. B. gesellschaftliche Probleme und deren politische Lösung (Kevenhörster 2008, S. 27–31). Eine so verstandene politische Kommunikation findet folglich zwischen mehreren Akteursgruppen statt, darunter Politiker und Parteien ebenso wie Bürger, (organisierte) Interessengruppen und Massenmedien (vgl. Kap. 1.2.3).

Politikbezogene Wirkungen als kennzeichnendes Element politischer Kommunikation können alle drei genannten Dimensionen von Politik betreffen und in ihrer Art (kognitiv, affektiv, konativ) sowie auf der Ebene ihres Auftretens (Mikro-, Meso,- Makrowirkungen) sehr unterschiedlich ausfallen (vgl. Kap 1.2.5 und 1.2.6). Für alle Effekte politischer Kommunikation gilt ferner, dass sie nicht intendiert sein müssen, sondern auch unbeabsichtigt auftreten können. Und auch intendierte Wirkungen, die ausbleiben, fallen unter den politischen Kommunikationsbegriff. Außerdem sind Wirkungen denkbar, die erst indirekt, also z. B. vermittelt über interpersonale Quellen entstehen (Krause/Gehrau 2007). Zusätzlich existieren Effekte, die ohne konkrete Botschaft entstehen. Dazu gehören z. B. Reaktionen politischer Akteure auf vermutete zukünftige Berichterstattung. Sie spielt im Rahmen der Diskussion über die Medialisierung der Politik eine wichtige Rolle (vgl. Kap. 1.2.5). Ein solches Vorwegnehmen medialer Reaktionen kann nachweislich ebenfalls Auswirkungen auf das politische Handeln haben (vgl. Reinemann 2010). Folgt man obigen angestellten Überlegungen, so ist politische Kommunikation also nicht immer bereits in den frühen Phasen des Kommunikationsprozesses als solche erkennbar, sondern, wie manche Fälle zeigen, erst dann, wenn sich ihre Effekte auf die Politik eingestellt haben (Reinemann/Zerback 2013, S. 441).

1.2.2Relevanz politischer Kommunikation in Demokratien

Die zentrale Rolle der Kommunikation für Politik ist unstrittig (Jarren/Donges 2011, S. 21; Schulz 2008b, S. 13). Dies gilt sowohl für interpersonale wie auch – und das in immer größerem Maße – für die massenmedial vermittelte politische Kommunikation. In modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften ist insbesondere Letztere gleichermaßen Einflussfaktor und Bestandteil politischer Prozesse (politics), Strukturen (polity) und Inhalte (policy), sie durchdringt somit alle drei Dimensionen von Politik (Marcinkowski 1993, S. 13). Ihre Relevanz ergibt sich dabei aus der Tatsache, dass sie die Funktionsbedingungen von Politik prägt: Erstens trägt sie zur Formulierung bzw. Artikulation und Vermittlung politischer Probleme und Argumente und somit auch zur politischen Meinungsbildung bei, zumal die Bevölkerung nur in seltenen Fällen direkten Kontakt zu Politikern und Parteien hat und diese hauptsächlich medienvermittelt wahrnimmt. Sie ermöglicht zweitens die Aggregation verschiedener Meinungen und Interessen, indem die jeweiligen Akteure ihre Positionen kommunikativ bündeln. Schließlich drittens fördert sie die Legitimation politischer Entscheidungen, indem diese diskutiert, dargestellt, erklärt und gerechtfertigt werden können (Jarren/Donges 2011, S. 25–28). Das Wissen um die Bedingungen, Strukturen und Abläufe politischer Kommunikation ist somit auch für das Verständnis von Politik essentiell. Und da die Politik allgemeinverbindliche Entscheidungen trifft, die die Gesellschaft als Ganzes oder Teile davon betreffen, ergibt sich die besondere Bedeutung politischer Kommunikation (Reinemann/ Zerback 2013, S. 439).

Massenmedial vermittelte politische Kommunikation hat in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen – eine Entwicklung, die auch auf die Expansion des Mediensystems zurückzuführen ist. Neue, weit diversifizierte mediale Angebote (wie z. B. im Bereich der Onlinemedien), Technologien (wie z. B. Digitalisierung) und Nutzungsformen (wie z. B. mobile Nutzung oder Rückkoppelungsmöglichkeiten) erreichen den Großteil der Bevölkerung und sind damit auch für das politische System wichtiger geworden. Zum anderen schreiben politische Akteure den Massenmedien große Wirkung zu, und zwar sowohl auf die Bevölkerung (Cohen et al. 2008), als auch auf andere politische Akteure (z. B. Kepplinger 2009a). Beides führt dazu, dass sich die Politik der massenmedialen Logik anpasst und die Medienberichterstattung in sämtlichen Phasen des politischen Prozesses zu berücksichtigen versucht, und dies nicht nur auf Ebene der Darstellung von Politik, sondern auch bei ihrer Herstellung (Reinemann 2010; Sarcinelli 2009). Auch die Versuche, das Verhältnis zwischen Politik und Medien mittels politischer PR zu professionalisieren, sind Resultat dieser Bedingungen und Wirkungsvorstellungen (vgl. Kap. 1.2.6).

Dass mittlerweile größere Wirkungschancen für politische Kommunikation bestehen, wird auch innerhalb der Forschung vermutet, u. a. weil die Parteibindung der Bürger kontinuierlich abnimmt (party dealignment) (Dalton 1984; Schmitt-Beck/Schrott 1994) und diese in der Folge anfälliger für kurzfristige Einflüsse werden (z. B. Wahlkampagnen).

1.2.3Akteure politischer Kommunikation

Politische Kommunikation lässt sich sowohl aus einer Prozessperspektive als auch aus einer Akteursperspektive beschreiben. Im Folgenden sollen die wichtigsten Akteure politischer Kommunikation anhand ihrer Ziele und Funktionen im demokratischen Prozess dargestellt werden. Grundsätzlich kann man zwischen individuellen Akteuren (z. B. ein Politiker), kollektiven Akteuren (z. B. eine Bürgerinitiative) und korporativen Akteuren (z. B. ein Ministerium) unterscheiden. Korporative Akteure heben sich von kollektiven u. a. durch ihre hierarchische Organisationsstruktur ab (vgl. Mayntz/Scharpf 1995, S. 49–50).

Charakteristisch für Demokratien ist die Form bzw. der Prozess der politischen Willensbildung »von unten nach oben«. Daher kann man zunächst Bürger und politische Entscheidungsträger einander gegenüberstellen. Dazwischen lässt sich ein sog. ›intermediäres System‹ ausmachen, das der Vermittlung zwischen Politik und Zivilgesellschaft dient. Zu diesem System gehören erstens Interessengruppen wie Verbände, Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen (vgl. Jarren/Donges 2011, S. 130). Diese greifen Probleme und (Partikular-)Interessen der Bürger auf, um sie schließlich gegenüber politischen Entscheidungsträgern zu artikulieren. Zweitens gehören zum intermediären System die politischen Parteien. Diese weisen insofern eine größere Nähe zum politischen Entscheidungszentrum auf, als sie die Übernahme politischer Verantwortung anstreben, indem sie sich zur Wahl stellen. Drittens sind auch Massenmedien Intermediäre, indem sie Akteuren aus Politik und Zivilgesellschaft ein Forum bieten. Die von Medien hergestellte Öffentlichkeit erfüllt nach Friedhelm Neidhardt (1994, S. 8–9) idealerweise neben der Transparenzfunktion (Offenheit für gesellschaftliche Gruppen, Themen und Meinungen) eine Validierungsfunktion (argumentative Auslese der besten Argumente) sowie in der Folge eine Orientierungsfunktion (akzeptierte ›öffentliche Meinungen‹). Zu beachten ist in diesem Kontext, dass Medienunternehmen (oft) selbst politische Ziele verfolgen. Insofern können sie auch als »politische Akteure« bezeichnet werden (vgl. Pfetsch/Adam 2008).

 

Zum politischen Entscheidungszentrum gehören Parlament (Fraktionen bzw. Mandatsträger) und die politische Administration (Regierung, Ministerien, Verwaltungsbehörden etc.). Infolge von Wahlen sind Parlament und Regierung zur Ausübung von Politik legitimiert. Zugleich wird von ihnen erwartet, dass sie ihre Politik öffentlich darstellen, indem sie diese transparent machen und politische Entscheidungen begründen, wozu sie sich auch der Medien bedienen (Sarcinelli/Tenscher 2008). Zur Stabilisierung und Professionalisierung ihrer Beziehungen zur Öffentlichkeit greifen politische Akteure auf interne und externe Politikvermittlungsexperten (z. B. Dienstleister wie PR-Agenturen) zurück (vgl. Tenscher/Esser 2008; Tenscher 2003; Röttger/ Zielmann 2012). Diese PR-Akteure bilden damit »Grenzstellen und Brücken zwischen politischen Organisationen einerseits und deren internen und externen Umwelten andererseits« (Tenscher/Esser 2008, S. 460), zu denen – auch im Zeitalter des Internets – insbesondere die klassischen Massenmedien gehören.

1.2.4Zum Verhältnis von Politik und Medien

Zum Verhältnis von Politik und Medien existieren zahlreiche theoretische Ansätze (Überblick z. B. bei Baugut/Grundler 2009, S. 103–143). Diese lassen sich erstens danach unterscheiden, ob sie eher eine Makro- oder eine Mikroperspektive einnehmen, also eher system- oder akteurstheoretisch angelegt sind. Zweitens lassen sich Ansätze, die nach der Übermacht einer der beiden Seiten (Medien oder Politik) fragen, von jenen abgrenzen, welche die wechselseitige Abhängigkeit von Politik und Medien betonen. Drittens können deskriptive Ansätze von normativen unterschieden werden. Die theoretischen und empirischen Arbeiten lassen sich drei verschiedenen Paradigmen zuordnen: dem Gewaltenteilungs- bzw. dem damit verwandten Autonomieparadigma, dem Instrumentalisierungsparadigma sowie dem Symbioseparadigma (vgl. Sarcinelli 2011, S. 125). Dazu im Einzelnen:

Das Gewaltenteilungsparadigma betrachtet das Verhältnis von Politik und Medien aus einer Makroperspektive. Es betont, dass die Medien von der Politik unabhängig sein sollen, um ihrer öffentlichen Aufgabe als Kritiker und Kontrolleure von Legislative, Exekutive und Judikative nachkommen zu können (vgl. Sarcinelli 1991, S. 473). In diesem Zusammenhang ist immer wieder von den Medien als einer »Vierten Gewalt« die Rede – eine Metapher, die höchst fragwürdig ist, da Medien diese Aufgabe verfassungsrechtlich nicht zugewiesen ist und selbst der Beobachtung bedürften. Während das Gewaltenteilungsparadigma die Autonomie des Mediensystems gegenüber dem politischen System postuliert, wird diese im Autonomieparadigma aus einem systemtheoretischen Blickwinkel lediglich nüchtern beschrieben. Nach Niklas Luhmann (1984) sind Politik und Massenmedien selbstreferenzielle, geschlossene und damit autonome Funktionssysteme. Politik dient der Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen, Medien ermöglichen Funktionssystemen die Selbst- und Fremdbeobachtung (vgl. Marcinkowski 1993, S. 148). Die in einer funktional differenzierten Gesellschaft notwendigen Austauschbeziehungen zwischen beiden Systemen werden nicht als Beeinträchtigung ihrer Eigenständigkeit gesehen, da Systeme entsprechend ihrer Eigenlogik selbst darüber entscheiden, ob bzw. wie sie auf Umweltreize reagieren. Begriffe wie »Steuerung« oder »Determination« sind dem Autonomieparadigma daher fremd, mit diesem lässt sich das Verhältnis von Politik und Medien nicht unter Machtgesichtspunkten beschreiben.

Dagegen fragt das Instrumentalisierungsparadigma ebenso makro- wie mikroanalytisch nach »Übermacht« im Verhältnis von Politik und Medien (vgl. Sarcinelli 2011, S. 123). Die »Übermacht« der Politik gegenüber den Medien kann auf zwei Wegen zustande kommen: Einerseits kann über Medienpolitik in die Autonomie des Mediensystems eingegriffen werden, andererseits kann die Politik über intensive und professionelle Öffentlichkeitsarbeit die Medienberichterstattung beeinflussen. Medienpolitische Eingriffe thematisiert die sog. Instrumentalisierungsthese (vgl. Schatz 1982; Langenbucher/Lipp 1982). Diese geht davon aus, dass das politische System von Seiten der Bürger einem Legitimationsdruck ausgesetzt ist und sich vom »Zugriff auf die Massenmedien […] eine verbesserte Kontrolle über den Problemzufluß und -bestand und gleichzeitig kostengünstigere Legitimationsverfahren« (Schatz 1982, S. 18) verspricht. Dies wird z. B. immer wieder bei wichtigen parteipolitisch motivierten Personalentscheidungen im öffentlichrechtlichen Rundfunk deutlich.

Während medienpolitische Einflussversuche rechtlich und auch politisch problematisch sein können, vermag die Politik mittels professioneller Öffentlichkeitsarbeit Medienberichterstattung auf legitimem Weg zu steuern. Intensiv diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die sog. Determinationsthese (vgl. Kap. 1.2.3), der zufolge PR, wie von Baerns (1985) in einer viel beachteten Studie festgestellt, Themen und Timing der Berichterstattung unter Kontrolle habe (vgl. u. a. auch Löffelholz 2004; Riesmeyer 2007). Wie erfolgreich Politik-PR ist, hängt jedoch von verschiedenen Randbedingungen ab, z. B. von der redaktionellen Linie einer Zeitung (z. B. Kepplinger/Maurer 2004).

Die Versuche der Politik, Medienberichterstattung zu beeinflussen, weisen gleichzeitig auf die Macht der Medien hin. Der sog. Dependenzansatz sieht die Abhängigkeit der Politik von den Medien durch deren Expansion sowie durch abnehmende Parteibindungen in der Bevölkerung bedingt. Vertreter, die von einer »Übermacht« der Medien ausgehen (z. B. Kepplinger 1998; Meyer 2001), unterscheiden sich darin, wie weit dieser mediale Einfluss auf die Herstellung und Darstellung von Politik reicht. Thomas Meyer (2001, S. 6) spricht gar von einer »Kolonisierung der Politik durch die Medien«, indem »die dem Mediensystem eigentümlichen Regeln auf das politische System übergreifen und dessen eigentümliche Regeln dominieren oder gar außer Kraft setzen«. Die Abhängigkeit der Medien mündet z. B. in symbolische Politik (vgl. Plasser 1985, S. 15) sowie »Personalisierungs- und Popularisierungstendenzen moderner Politikvermittlung« (Tenscher 2003, S. 63). Dies wird überwiegend kritisch gesehen, wie bereits die Titel der Publikationen anzeigen (z. B. Kepplinger 1998)

Über das Machtverhältnis zwischen Politik und Medien geben empirische Untersuchungen Aufschluss, in denen Politiker (oder ihre ›Sprecher‹) einerseits und Journalisten andererseits nach der Wahrnehmung von wechselseitigen Einflüssen gefragt werden (z. B. Pfetsch/Mayerhöffer 2011; Kepplinger 2009b; Marx 2009; Baugut/Grundler 2009; Pontzen 2006). In quantitativen Studien sind sich Bundestagsabgeordnete und Hauptstadtjournalisten relativ einig, dass der Einfluss der Medien auf die Politik größer ist als umgekehrt (Kepplinger 2009b, S. 310). Allerdings zeigen qualitative Befunde, dass der Status der Akteure deren Interaktionen und Einflussmöglichkeiten maßgeblich prägt (z. B. Baugut/Grundler 2009, S. 220).

Auch wenn wissenschaftliche Untersuchungen bezüglich des Instrumentalisierungsparadigmas teils brisante Erkenntnisse an den Tag bringen, so folgt die jüngere Forschung primär dem differenzierteren Symbiose-Paradigma (z. B. Lesmeister 2008; Tenscher 2003; Jarren/Röttger 1999). Dieses betrachtet aus einer Mikroperspektive die Interdependenz von Politik- und Medienakteuren. Beide Seiten sind am Tausch von Information gegen Publizität interessiert und daher voneinander abhängig: Politiker ›brauchen‹ Journalisten insbesondere zur öffentlichen Verbreitung ihrer Botschaften in den Medien, Journalisten ›brauchen‹ Politiker, um im Medienwettbewerb an möglichst exklusive politische Informationen zu gelangen. So entsteht ein von milieuspezifischen Rollen und Interaktionsregeln geprägtes Handlungssystem, das die Aufrechterhaltung der politischen Kommunikation gewährleistet (Blumler/Gurevitch 1995, S. 41). Dieses Handlungssystem lässt sich empirisch über Befragungen der politischen und medialen Akteure erschließen. In den letzten Jahren erfolgte dies häufig auf Basis des »Konzepts der politischen Kommunikationskultur« (Pfetsch 2014; Pfetsch/Mayerhöffer 2011; Burgert 2010; Pfetsch 2003). Dahinter steht die Annahme, dass die Handlungsorientierungen (Ziele, Normen, Werte etc.) und Beziehungen von Politik- und Medienakteuren mit bestimmten Strukturen des Medien- und politischen Systems korrespondieren (vgl. Pfetsch/Maurer 2008). Daher lassen sich politische Kommunikationskulturen auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene beschreiben und miteinander vergleichen. Dies kann anhand verschiedener Merkmalsdimensionen erfolgen, zu denen z. B. die normativ sensible Frage von Nähe und Distanz zwischen Politikern und Journalisten gehört. Indikatoren für Nähe können neben gemeinsamen politischen Überzeugungen und engen Kooperationen beim Tausch von Information gegen Publizität auch Freundschaften zwischen beiden Seiten sein. So stimmen in der deutschen Hauptstadt 44 Prozent der Parlamentskorrespondenten der Aussage zu, es gebe »mehr Freundschaften zwischen Politikern und Journalisten, als die Öffentlichkeit ahnt« (Kepplinger/Maurer 2008, S. 177). Zwischen einzelnen Ländern bestehen aber teilweise erhebliche Unterschiede. Ein Beispiel: Während in Großbritannien über 60 Prozent der Politikjournalisten mit mindestens einem Politiker befreundet sind, gibt dies in Dänemark nur etwa jeder Zehnte an (Dalen/Aelst 2012, S. 519). Vergleichende politische Kommunikationsforschung ist herausgefordert, derartige Unterschiede über jene Rahmenbedingungen zu erklären, unter denen Politiker und Journalisten arbeiten (vgl. Schulz 2008a). Politische Kommunikationskulturen lassen sich auch dadurch charakterisieren, welche Bedeutung die informelle Kommunikation zwischen Politikern und Journalisten hat (vgl. Lesmeister 2008; Baugut/Grundler 2009; Hoffmann 2003). So gibt es im politischen Berlin eine Reihe mehr oder weniger stark institutionalisierter Hintergrundgespräche, in denen sich Politiker und Journalisten vertraulich austauschen. Diese Kontaktform dient nicht nur der Vermittlung komplexer politischer Zusammenhänge, zugleich geht es auch um Beziehungspflege und das Spiel mit Informationen, von denen sich Politiker und Journalisten einen Vorteil im politischen bzw. medialen Wettbewerb erhoffen. Da zahlreiche Hauptstadtjournalisten unter starkem Wettbewerbs- und Aktualitätsdruck stehen, kommt es immer wieder zu Indiskretionen, die Konflikte mit Politikern hervorrufen. Dies führt dazu, dass Politiker mit brisanten Hintergrundinformationen äußerst vorsichtig umgehen, indem sie deren Weitergabe auf Vieraugengespräche mit Vertrauensjournalisten einflussreicher Medien beschränken. Dies begünstigt eine »journalistische Zweiklassengesellschaft« (Baugut/Grundler 2009, S. 342).