Kollegiale Fallberatung

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Z serii: EHP-Praxis
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Die diagnostische Spirale

Zur Erlangung einer kontinuierlichen Vertiefung und Verfeinerung des Verstehens wird während der Fallberatung eine »diagnostische Spirale«8 (vgl. Abb. 2) wiederholt durchlaufen.


Die Teilschritte 1–2 bzw. 1.1–1.2 usw. werden in der diagnostischen Phase der Beratung wiederholt durchwandert. Das Durchwandern lässt sich mit dem Bild einer Spirale verdeutlichen.


Abb. 2: Die diagnostische Spirale

Die Entwicklung der Beratung auf das Beratungsziel »Sach- und Selbstklärung« hin ist nicht als geschlossenes Frage-Antwort-System zu verstehen, bei dem die Berater auf das in der Fallerzählung dargestellte Problem antworten, sondern folgt aufbauend dem Prinzip »Darstellung einer Sichtweise« in Form der Erzählung des Falles – »Hinzugabe neuer Perspektiven« durch die Rückmeldungen der Fallberater.

Damit nimmt der Grad des Verstehens zum Fall sowohl beim Fallgeber als auch bei den Beratern mit Fortschreiten der Fallberatung zu.

Die Konkretisierung von Handlungsschritten

Als Fazit der Diagnostik konkretisiert der Fallgeber seine Zielsetzung und Handlungsabsicht:

»So soll der Zustand aussehen, den ich erreichen will, der meinem Aufgabenfeld entspricht, der für unsere Abteilung/Firma angemessen ist…«

Die Berater prüfen anhand ihres Situationsverständnisses die »Realitätsadäquanz« des vom Fallgeber formulierten Lösungswegs.

Sie haben die Möglichkeit sich der Problem- und Lösungsauff assung des Fallgebers anzuschließen oder, wenn ihnen der Fall auf diesem Wege nicht lösbar erscheint, dies zu formulieren und zu begründen.

In beiden Fällen sollten die Berater entsprechend ihrer Situationsauff assung Ideen, Lösungsansätze sowie zielannähernde Handlungswege entwerfen!

Dem Fallgeber dienen die Sichtweisen der Berater zur Kontrolle. Er kann seine Problemauffassung, Ziel- und Handlungsabsichten auf Relevanz und Angemessenheit überprüfen.

Handlungspläne, die sich an einer »unrealistischen Problembeschreibung« orientieren, erzeugen mit hoher Wahrscheinlichkeit Folgeprobleme. Simplifi zierende undifferenzierte Darstellungen von problematischen Situationen führen entsprechend zu unangemessenen Lösungsansätzen. Statt eine Klärung herbeizuführen, werden gravierende Folgeprobleme erzeugt, die erheblich schwerwiegender sein können als das Ausgangsproblem, z.B. kann das Ignorieren und Nicht-Benennen sozialer Beziehungsprobleme im Arbeitsbereich langfristig dazu führen, dass die Situation aufgrund nicht angesprochener Missverständnisse und Überinterpretationen zu einem nur schwer lösbaren Konfl ikt eskaliert.

Dem Fallgeber ist es freigestellt, die Lösungsansätze aktuell in der Beratung gemeinsam mit den Beratern zu operationalisieren oder später für sich eine Entscheidungsdurchführung zu planen und Handlungsschritte zu konkretisieren.

Das Handwerkszeug

Das Handwerkzeug der Fallberater für ihre Rückmeldungen stellen ihre Gedanken, Gefühle, Ideen, Phantasien, Metaphern, Hypothesen dar.

Dies ist keine spezielle Technik, sondern die übliche Art, wie auch im Alltag durch Spekulationen, Vermutungen und Hypothesen Situationen und Ereignisse so veranschaulicht werden, dass ein eigenes Handeln ermöglicht wird. Im Alltagsgeschehen laufen diese Annahmen und Gedanken i.d.R. stillschweigend ab und nur die daraus resultierenden Handlungen werden für Außenstehende fühl- und sichtbar.

In der Fallberatung geht es dagegen darum, genau diese Vermutungen zu veröffentlichen. Es geht bei den Rückmeldungen nicht um ein »tiefenpsychologisches Deuten«. Die Berater beziehen sich auf das, was sie hören, sehen, fühlen und orientieren ihre Rückmeldungen an den geschilderten Aussagen. Der Bezug liegt in der augenblicklichen Interaktion.

Dieses Wissen wirkt entlastend – auch für die berufliche Beziehung aller Beteiligten außerhalb der Fallberatung – da nicht »die Richtigkeit« einer Hypothese zu einer neuen Blickrichtung führt, sondern die Vielfalt und Mehrdimensionalität der Rückmeldungen. Da die Auswahlkriterien nicht auf ›Richtig‹ oder ›Falsch‹ lauten, müssen die Berater ihre Äußerungen nicht »beweisen« – wohl aber aus der Fallsituation heraus nachvollziehbar erläutern. Es wird nicht nach »der Wahrheit« gesucht. Die Rückmeldungen stellen nur eine teilweise erklärende Sichtweise dar, die zu der berufsfeldgebundenen Erfahrung des Fallgebers hinzugegeben wird.

Für den Fallgeber bedeutet es, dass er unter keinerlei Rechtfertigungsdruck gerät, er sich mit seiner »Problem- und Wirklichkeitssicht« angenommen und nicht abgewertet fühlt, da alle Erklärungen nur gedankliche Schöpfungen sind, die niemals die Komplexität der Sachlage ganz erfassen. Sie sind als subjektive Konstruktionen von Wirklichkeit weder richtig noch falsch, sondern mögliche Sichtweisen, die selbst wieder über einen weiteren Perspektivwechsel geändert werden können. Sie sind als Arbeitshypothese notwendig, um über die Fallkonstellation kreativ nachdenken zu können. Sie regen den Fallgeber an, seinerseits das Problem unter anderen als den bisherigen Sichtweisen zu betrachten.

Die Umsetzbarkeit und Nachhaltigkeit einer Erkenntnis wird sich im Berufsalltag verifi zieren.9

Die diagnostische Matrix

Für die Formulierung von Rückmeldungen ist zur Orientierung für die Berater eine »diagnostische Matrix« hilfreich. Sie erleichtert es, die Fallerzählung auf unterschiedlichen Ebenen, aus vielfältigen Perspektiven zu betrachten. Die eigentliche Quelle für die Rückmeldungen liegt jedoch in der Haltung und Herangehensweise, die die Berater einnehmen – die eines aufmerksamen, neugierigen Zuhörers.

Zeitgleich achten die Berater

• auf das Bild von der Situation, das der Fallgeber von der Situation vor ihnen entfaltet,

• auf die Art und Weise, wie er das Bild im Laufe des Gesprächs aufbaut,

• auf die Eigenart, wie sie selbst auf die Fallschilderung reagieren.

Diese Art des Zuhörens bedarf eher einer Einstellung/Haltung als einer Technik. Sie verlangt die Offenheit, auch Aspekten gelassen zuzuhören, die nicht mit der eigenen Vorstellungswelt übereinstimmen.

Die Berater hören in empathischer Distanziertheit zu. Sie verlieren sich weder im Fall, noch schließen sie sich der Beurteilung des Fallgebers über die Problematik der Situation an. In einer quasi freischwebenden Aufmerksamkeit nehmen sie gleichzeitig die gegenwärtige Situation, die Fallerzählung und ihre inneren Bilder, Gefühle, Gedanken wahr.

Das Erkunden der eigenen »Innenräume«, die persönliche Reaktion auf die Erzählung, die Gefühle gegenüber dem Fallgeber und seinem Fall, die Fragen, Bemerkungen und Hypothesen, die durch den Kopf gehen, die Verwunderung, die jemand bei bestimmten Redewendungen oder Inhalten empfi ndet, sind Indikatoren, die für die Rückmeldungen genutzt werden können.

Innerlich gehen die Berater verschiedene diagnostische Ebenen durch, die ihr eigenes Verstehen anregen und die sie als Grundlage für die Formulierung ihrer Rückmeldung nutzen.

Nicht die folgenden Fragen der diagnostischen Matrix selbst werden thematisiert, sondern die Resonanzen, die sie im Berater erzeugen, wenn er sich innerlich die Fragen vergegenwärtigt und in Form von Hypothesen veröff entlicht.

Individuelle Ebene des Fallberaters

• Wie wirkt der Fall auf mich?

• Welche Assoziationen werden bei mir ausgelöst?

• Mit wem fühle ich mich aus welchem Grund solidarisch?

Fachlich-technische Ebene

• Welche Aspekte des Falls sind fachlich-technischer Art, welche gehören zu anderen Ebenen?

• Woran mache ich das fest?

Personale Ebene des Fallgebers

• Wie erzählt der Fallgeber seinen Fall?

• Welche Ausdrücke/Metaphern/Bilder werden herangezogen?

• Welche Sichtweisen erkenne ich?

• Aus welcher inneren/äußeren Position, aus welcher Haltung heraus handelt der Fallgeber?

• Wie füllt der Fallgeber seine Rolle aus?

• Wer oder was hindert ihn eventuell zu handeln?

• Was mutet sich die falleinbringende Person zu?

• Welche Fähigkeiten und Kompetenzen werden sichtbar?

• Woran mache ich dies fest?

Interpersonelle Ebene

• Gibt es auffällige Geschlechter- und Alterskonstellationen, Kräfte- und Machtkonstellationen, erinnern die beschriebenen Verhältnisse an bestimmte Familienbilder?

• Sind offene oder heimliche »Spiele«10 zu erkennen, z.B. »Tust du mir nichts, tu ich dir auch nichts« – »Wenn ich mehr arbeite, kann ich dies auch bei dir voraussetzen« – »Alle sind gegen mich, dabei meine ich es nur gut«?

• Was vermeiden oder befürchten die in der Fallerzählung geschilderten Personen?

• Wer von ihnen hat welchen direkten oder heimlichen Nutzen, Profi t oder Verlust in dem Fall?

• Woran wird mir das deutlich?

Institutionelle Ebene

Welche systemischen Aspekte werden sichtbar:

• Gibt es eine Vorgeschichte zum aktuellen Fall?

• In welcher Verbindung steht der aktuelle Fall zur »Kultur« der Firma?

• Wie ist die Firma/Abteilung aufgebaut, organisiert?

 

• Wie ist Macht offiziell zugeordnet, z.B. entsprechend dem Organisationsdiagramm – wie wird sie »gelebt«, welche inoffi ziellen Informationsstrukturen werden genutzt, welche »grauen Eminenzen regieren«?

• Wo werden welche Ressourcen sichtbar?

Kontext Ebene

• Wie würden Außenstehende – andere Abteilungen, Firmen, der Hausmeister, ein »Marsmensch« – die Fallsituation, die bisherigen Handlungsschritte und Lösungsversuche beschreiben?

Das Zuhören und Rückmelden

Das Zuhören dient dem Ziel, Rückmeldungen formulieren zu können.

Es bedingt zum einen die Haltung und Herangehensweise eines Neugierigen einzunehmen, zum anderen sich zeitweise von der augenblicklichen Lage und den sie begleitenden Gefühlen zu distanzieren, um eine Metaposition zu übernehmen. Diese Wechsel, auf den Fall und den Erzähler zu achten sowie sich selbst »zuzuhören«, um Resonanzen wahrzunehmen, fordert die gesammelte Konzentration der Berater.

Die dazu entscheidende Beraterqualität ist die Fähigkeit des »Zu-Hören-Könnens«11. Hieraus wird die Resonanz gebildet, die zur Rückmeldung führt. Die Rückmeldungen werden als Ich-Aussagen12 formuliert, damit sie für den Fallgeber als subjektive Konstruktion der Berater verstehbar und nachvollziehbar sind und nicht zu dem Missverständnis eines Vorwurfs oder einer Kritik führen.

Berater-Rückmeldungen:

• »Über die vergangene Leitungssituation vermute ich, dass das Team mit selbstständiger Teamarbeit gar keine Erfahrungen hat.«

• »Ich merke, wie mich dieses Verhalten des Teams ärgert, denn da wird ja jede inhaltliche Arbeit mit blockiert«

• »Wenn ich mich mit einem Beteiligten identifiziere, ergibt sich daraus folgender Satz: ›Ich als Teammitglied finde schon seit langem, dass diese Sitzungen hier nichts bringen.‹«

• »Mir fällt die Metapher von einem Hamster im Hamsterrad ein. Du läufst und machst und ihr kommt trotzdem nicht vom Fleck.«

• »Ich habe die Phantasie, dass das Team eine Kommunikation von Angesicht zu Angesicht als nutzlos oder unangenehm empfi ndet.«

Der Bezug der Rückmeldungen liegt in der augenblicklichen Interaktion. Die Berater bleiben bei dem, was sie hören, sehen, fühlen. Daraus bilden sie die Resonanz, die zu ihrer Rückmeldung führt.

Die Berater orientieren ihre Rückmeldungen an den geschilderten Aussagen des Falles.

Sie formulieren sie so, dass sie für den Falleinbringer verstehbar und nachvollziehbar sind. Bezieht sich die Rückmeldung auf ein vom Falleinbringer benutztes Sprachbild, auf ein bestimmtes Wort oder einen bestimmten Inhalt, belegen die Fallberater dies in ihrer Aussage, z.B. »Ich hänge an deiner Formulierung … , dazu habe ich folgende Phantasie …«.

Die Berater kündigen Bilder und Metaphern an: »Während deiner Erzählung tat sich mir nicht nur das Bild von einer Katze auf, sondern ich sah mindestens vier Katzen, die alle um den heißen Brei herumschlichen.«

Die Annahmen, Vermutungen, Bilder und Metaphern helfen dem Falleinbringer, ihm schon bekannte Sachverhalte und Ereignisse neu zu sehen, zu erklären und zu verstehen. Die Zweckdienlichkeit der Rückmeldungen verifiziert der Fallgeber.

2. Hinweise zu häufig gestellten Fragen
Herkunft und Zukunft des Verfahrens

Die Ursprünge organisierter kollegialer Aussprachen zu berufsfeldbezogenen Problemen zeigen verschiedenste Verzweigungen13, z.B.:

• Konsultationen, als fachliches Ratersuchen und Beraten zwischen Ranggleichen unterschiedlichster Berufe;

• Selbstqualifikationen innerhalb von Berufsverbänden;

• kollegiale Fallsupervisionen in der »Mittwochsgesellschaft« von Sigmund Freud;

• Balintgruppenarbeit (Gruppenberatung für Ärzte auf psychoanalytischer Grundlage von Michael Balint);14

• kollegiale Supervisionen in der Therapieausbildung unterschiedlicher Schulen;15

• Fallarbeit in Studiengängen, wie z.B. der Medizin, Rechts- und Wirtschaftswissenschaft, der Psychologie, um die Studieninhalte mit Situationen aus der Berufswelt zu verknüpfen;

• unterschiedlichste Selbsthilfegruppen im Sozial- und Bildungsbereich, in der Kirchen-, Gemeinde-, Stadtteil-, Suchtarbeit etc.

Ein organisierter Austausch in Form von Peer-Group-Supervisionen in der Sozialarbeit ist in der amerikanischen Literatur seit den 50er-Jahren aufgezeichnet.16 Im deutschsprachigen Raum wurden ab den 70er-Jahren vermehrt Konzeptionen kollegialer Fallbesprechungen über die Sozialarbeit hinaus auch für pädagogische Arbeitsfelder veröff entlicht.17 Neben der Sozialarbeit bildet besonders die Schule ein Einsatzfeld für Fallberatungen.18

Wurden zu Beginn die Beratungsschwerpunkte im Bereich berufl icher Beziehungsreflexion und dyadischer Kommunikation gesetzt, ist heute eine stärkere Einbeziehung institutioneller Team- und Organisationsstrukturen zu verzeichnen.

Einhergehend mit der Veränderung von Wirtschaftsbedingungen in den 90er-Jahren, durch die Weiterentwicklung von Kommunikationstechnologien, durch die Globalisierung und als Folge sich wandelnder Qualifi kations- und Arbeitsplatzstrukturen, wurden in den Konzeptionen von Supervisionen und Fallberatungen – die sich zugleich selbst weiter professionalisierten – je nach Anwendungsbezug auch organisationssoziologische, systemische, konstruktivistische sowie betriebswirtschaftliche Denkansätze integriert.19

Entsprechend wandeln sich die Leitziele der Beratungsmodelle. Anfangs wurde kollegiale Beratung in Form einer Kasuistik betrieben, bei der es anhand mustergültiger Fälle um das Lernen des Richtigen ging. Heute stellt die Kollegiale Fallberatung ein eigenes Lernarrangement dar, einen Lernort, der durch kontinuierliches Erfahrungslernen langfristig zur Steigerung der Kommunikations-, Kooperations-, Selbst-, Sozial-, Methoden- und Fachkompetenz und damit nachhaltig zur Personal- und Organisationsentwicklung beitragen kann.20

Unterschiede zwischen Kollegialer Fallberatung und Supervision

Die Kollegiale Fallbesprechung, so wie sie heute verstanden, praktiziert und publiziert wird, zeichnet sich im Wesentlichen durch eine weitgehende Inhaltsanalogie zur Supervision aus.21

Entsprechend lauten weitere Benennungen der Kollegialen Fallbesprechung: »Supervision ohne Supervisor«, »semi-professionelle Selbst-Beratung«, »Intervision« oder »Peer-Supervision« (»peer« wird hier entsprechend dem Begriff »kollegial« mit »gleichrangig« übersetzt)22 .

Unter Supervision wird ein professionelles23 Beratungsverfahren verstanden, in dem mit Hilfe eines Supervisors – der die Leitung der Sitzungen inne hat, die Verantwortung für die Methodenauswahl übernimmt, die Vorgehensschritte bestimmt – zu einer systematischen Refl exion berufl ichen Handelns angeleitet wird. Es wird kein fachliches Wissen zu spezifischen Arbeitsbereichen vermittelt, sondern Probleme, die sich aus Interaktionen und Dynamiken im Arbeitsfeld ergeben, werden refl ektiert, z.B.:

• unterschiedliche Zielvorstellungen, Rollen- und Aufgabenauff assungen,

• Meinungen, Wertvorstellungen, Sichtweisen, Haltungen,

• Unterschiede in den Arbeitsweisen, differente Arten mit Problemen und mit anderen Personen umzugehen,

• Besonderheiten insbesondere in der beruflichen Interaktion, Kommunikation und Beziehungsgestaltung, die durch die persönliche Lebens- und Berufsgeschichte, durch die Positionierung in der Firma, durch die Zugehörigkeiten zu verschiedenen Abteilungen begründet sind.

Weiterhin kann nach spezifischen – hier nur schwerpunktmäßig genannten – Teilaufgaben der Supervision differenziert werden, z.B. der:

• Leitungsberatung, Beratung einer Leitung oder Leitungsgruppe;

• Projektberatung, Beratung eines Projektteams, oftmals an eine Krisenbegleitung gebunden;

• Teamberatung, Beratung einer Arbeitsgruppe i.d.R. ohne den Vorgesetzten;

• Organisationsberatung, Beratung einer gesamten Institution, eines Arbeitssystems.

In der Kollegialen Fallbesprechung wird die Beratungsaktivität auf die Bearbeitung von Problemfällen zentriert, die über die aktuellen Arbeitserfahrungen der Teilnehmer in die Beratungsgruppe eingebracht werden. Das Verfahren nutzt den Synergieeffekt der berufsfelderfahrenen Gruppe, um die individuelle Wahrnehmung einer Problematik durch die Sichtweisen von Berufskollegen so zu erweitern, dass der Fallgeber zu einer von ihm bestimmten »Sach- und Selbstklärung« gelangt, die als Ziel in Folgeschritten zu situations-, institutions- sowie personenangemessenen Entscheidungen und Handlungen führen soll.

Um eine Selbstleitung der Beratung durch die Teilnehmer zu ermöglichen und entsprechend alle Beteiligten an der Verantwortung bei der Durchführung teilhaben zu lassen, verfügt die Kollegiale Fallberatung über eine im Vorhinein veröffentlichte Schrittigkeit und Struktur. Diese Ablaufstruktur ist dann für alle folgenden Sitzungen verbindlich.

Die Dynamik unter den Teilnehmern, bspw. auftretende Konfl ikte, können mittels einer Selbstleitung nur schwerlich bearbeitet werden. Sie bedürfen eines unbeteiligten externen Supervisors.

Das Feld der Kollegialen Fallberatung zeigt verschiedene Konzeptansätze mit je nach Einsatzfeld spezifizierten Zielsetzungen sowie unterschiedlich eingesetzten Gesprächstechniken. Alle kollegialen Beratungsverfahren sind jedoch untereinander strukturähnlich.

Je nach Provenienz der jeweiligen Wissenschaften und Arbeitsfelder, der jeweiligen supervisorischen Ausbildungsinstitute, aus deren Bezug heraus diese kollegiale Beratung weiterentwickelt und modifiziert wurde, tragen sie vermischte Kennzeichen der Sozialarbeit und -pädagogik, der Psychologie sowie der Sozialwissenschaften.

Sie verfügen über einen durch Regeln strukturierten sowie in Phasen gegliederten Beratungsablauf, der im Kern folgende Schritte umfasst:

• Schilderung einer Problemsituation (Fallschilderung);

• je nach bevorzugtem Verfahren – ein durch Fragen oder Hypothesen geleitetes, systematisches Untersuchen des Falls hinsichtlich problemauslösender Faktoren;

• Entwicklung von Handlungsalternativen für die geschilderte Situation;

• Reflexion/Evaluation der Beratungssituation.

Das Funktionsprinzip einer Kollegialen Fallberatung

Zum Funktionsprinzip professioneller Beratung gehört es, die Wahrnehmung des Beratungsnehmers mit der Wahrnehmung des zuhörenden Beraters in Kontakt zu bringen. Aus dieser Differenz, aus diesem Abgleich entstehen neue, veränderte Sichtweisen eines Problems.

Diesem Vorgehen liegt die Theorie zugrunde, dass Handlungen durch interne, subjektiv konstruierte Vorstellungen von der Welt und der eigenen Person gelenkt werden. Jeder interpretiert ein Geschehen unwillkürlich aufgrund seiner internen Vorstellungen und Werthaltungen. Dabei werden nur Ausschnitte aus der Vielzahl von Informationen erfasst und aus diesen wird dann das individuelle »Bild« eines Ereignisses, eines Gesprächsablaufs, eines Gesprächspartners »konstruiert«.

Die individuelle Wahrnehmung als das Erleben äußerer Wirklichkeit ist keine konstante Größe, sondern ein Prozess, der von der momentanen Motivation, Emotion und der individuellen Lerngeschichte des Wahrnehmenden beeinflusst wird. Die Entscheidung, was wahrgenommen wird, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und hängt von Kriterien ab, die dem Wahrnehmenden selbst oftmals weitgehend unbewusst bleiben.

Wenn wir hören, sehen oder fühlen, erhalten wir keine objektiven Aussagen, sondern nur durch unsere Art der Wahrnehmung konstruierte. Zwischen der äußeren Wirklichkeit und dem Ergebnis der Wahrnehmung besteht keine Beziehung im Sinne einer Entsprechung, sondern die Wahrnehmung folgt dem Prinzip der Subjektivität24. Der Einzelne konstruiert seine Umwelt durch die von ihm getroffenen Unterscheidungen und meint oftmals, die Wirklichkeit, die Realität, sei genauso beschaffen, wie es seinem Wahrnehmungsempfi nden entspricht.

Gleichzeitig geht unsere Wahrnehmung immer mit Bedeutungszuweisungen einher. Wir nehmen selektiv wahr.

Beispiel: Umweltschützer nehmen eher Umweltschäden wahr, Insektologen fällt diese Spezies sofort auf. Einem Chef, der darauf »geeicht« ist, Leistungsschwächen auszumachen, wird bei seinen Mitarbeitern umgehend Defizite feststellen können, während ein Kollege, der versucht in anderen die immer auch vorhandenen Fähigkeiten zu sehen, eher Kompetenzen wahrnimmt.

 

Unsere Zuweisungen sind nicht »objektiv«, sie sind an die Person und den Kontext des Zuweisenden gebunden und enthalten Be-Wertungen.

In der Kollegialen Fallberatung kann die Selbstwahrnehmung des Einzelnen durch die Konfrontation mit der Fremdwahrnehmung der anderen reflektiert werden. Das rekursive aufeinander Beziehen verschiedener Beobachtungen und Wahrnehmungen schafft die Einsicht, dass die eigenen mentalen Modelle und gewohnheitsmäßigen Sicht- und Handlungsweisen auch »blinde Flecken«25 aufweisen können und dass ein Problem auch deshalb ein Problem ist, weil es als solches betrachtet wird.

Die kollegiale Beratungsarbeit führt, indem »Rationalitätslücken«26 erkannt werden, zu einer Steigerung der »professionellen Rationalität«27.

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