Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten

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3. Apostolischer Vikar für das Eichsfeld und Erfurt

In der traditionellen Zugehörigkeit von Erfurt und dem Eichsfeld zum alten Erzbistum Mainz trat eine erste Veränderung ein, als der letzte Mainzer Weihbischof für die Region, Johann Maximilian von Haunold, am 20. Januar 1807 verstarb.40 Der letzte regierende Kurfürst und Erzbischof von Mainz war der bekannte Karl Theodor von Dalberg, der ab dem Jahre 1803 als Fürstprimas von Napoleons Gnaden seinen Sitz nach Regensburg hatte verlegen müssen.41 Bis zu seinem Tod am 10. Februar 1817 standen damit die seit 1802 zur preußischen Provinz Sachen gehörenden Katholiken der Gebiete Eichsfeld und Erfurt unter einem noch aktiven, aber aus preußischer Sicht „ausländischen“ geistlichen Oberhaupt. Zwar war nach Dalbergs Tod in Regensburg der altersschwache Weihbischof Johann Nepomuk von Wolf zum Kapitularvikar gewählt worden und wurde am 7. Mai 1817 auch noch von Papst Pius VII. als Apostolischer Administrator des Bistums Regensburg und damit auch der thüringischen Gebiete bestätigt. Da Johann Nepomuk von Wolf (†1829) trotz seiner Altersgebrechlichkeit 1822 sogar als Bischof von Regensburg inthronisiert wurde,42 stellt sich die Frage, wer kam wann und warum für die schon 15 Jahre unter dem kirchlichen Regiment von Regensburg stehenden preußischen Gebiete Eichsfeld und Erfurt auf die Idee, einen preußischen Bischof bestellen zu lassen.

Schon im Jahre 1872 kam Otto Meyer in einem Satz vom Tod des Fürstprimas Dalberg am 10. Februar 1817 zur Ernennung Lünings am 15. Dezember 1818 zum Apostolischen Vikar jener mainzisch-regensburgischen Gebiete, ohne zu fragen, warum die Bestellung Lünings rund 20 Monate dauerte.43 Ein erstes Ereignis vom 5. Juni 1817 hatte weichenstellende und indirekte Auswirkung auf die kirchliche Verwaltung des Eichsfeldes und von Erfurt. Es war das Bayerische Konkordat von 1817, das das organisatorische Ende des mainzisch-regensburgisch-dalbergischen Kirchenregiments bedeutete und eine Neuorganisation der bayerischen Bistümer innerhalb der bayerischen Landesgrenzen herbeiführte.44 So wurden die vormals zur Mainzer, gegenwärtig zur Regensburger Diözese gehörenden Gebiete um Aschaffenburg mit der Diözese Würzburg vereinigt. Die vormals Mainzer dann Regensburger Gebiete, die nun in Preußen lagen, wie das Eichsfeld und Erfurt, wurden natürlich im bayerischen Konkordat nicht genannt, auch wenn sich seine umstrittene Realisierung bis 1821 verzögern sollte. Sodann erklärt sich die Verzögerung bei der Berufung Lünings innenpolitisch mit dem Aufbau der preußischen Verwaltung in den neuen Provinzen. Daraus ist zu ersehen, dass erst mit der Instruktion vom 29. Oktober 1817 ihnen auch die katholischen Kirchenangelegenheiten unterstellt wurden. Außenpolitisch hatten sich die angelaufenen preußischen Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl über eine konkordatäre Vereinbarung verzögert, so dass es auf preußischer Seite bis zum 5. Mai 1818 dauerte, bis die Hauptverhandlungspunkte zusammengestellt waren.45

Nachdem eigentlich seit Mitte des Jahres 1817 die Transferierung Lünings ins Bistum Münster anstand, ist aus dem September 1818 ein drittes Ereignis zu benennen, was wohl auf die Berufung Lünings zum Apostolischen Vikar Auswirkungen hatte. In einer vierzigseitigen Dankschrift nahmen die beiden westfälischen Bischöfe Fürstbischof Lüning und Fürstbischof Franz Egon von Fürstenberg von Hildesheim und Paderborn Stellung zu dem „nun schon 15 Jahre schwankenden Zustande der katholischen Kirchenangelegenheiten“. In neun Punkten beklagten die beiden einzigen in Norddeutschland bzw. westlich der Weser residierenden Bischöfe die pastoralen Notstände sowie die Gefährdung der Glaubenslehre und Religionsfreiheit. In Berlin bei der preußischen Regierung blieb diese Denkschrift der beiden westfälischen Bischöfe ohne offizielle Antwort und Kardinalstaatssekretär Consalvi in Rom hatte auch nichts von einer Missstimmung der preußischen Regierung darüber in Erfahrung bringen können.46

3.1 Zur preußischen Berufung des Apostolischen Vikars

Zur Berufung Lünings für das Eichsfeld und Erfurt wissen wir aus einem späteren Bericht des in Münster privat residierenden ehemaligen Vizesuperiors der Holländischen Missionen, der in die vertrauliche Funktion eines Internuntius eingetreten war, Luigi Ciamberlani (†1828 in Münster), dass der preußische Antrag dazu am 24. November 1818 bei der römischen Kurie gestellt worden war.47 Da wir nun ebenfalls aus dem vorliegenden Original gesichert wissen, dass die päpstlichen Ernennungsbullen am 15. Dezember 1818 ausgestellt wurden, haben wir es bei der Ernennung Lünings zum Apostolischen Vikar des Eichsfeldes und Erfurts mit einem wirklich schnellen Vorgang der päpstlichen Kurie innerhalb von drei Wochen zu tun.

Dazu beginnt die Überlieferung des Paderborner Erzbistumsarchivs mit einem Privatbrief des Agenten der deutschen Bistümer an der Kurie, Carlo de Augustini (†1847), vom 12. Dezember 1818. Darin berichtet er an Lüning, dass sich seine Transferierung nach Münster verzögern würde, er aber umgehend „per i distritti di Erfurt e di Eichsfeld Prussiano“ ernannt würde.48 Nachdem das Datum der preußischen Beantragung des Apostolischen Vikariates für Lüning beim Papst ermittelt werden konnte, wird dieser Wege auch in dem Schreiben des Sächsischen Oberpräsidenten Friedrich von Bülow (1816-1821) vom 6. März 1819 an das Geistliche Gericht in Erfurt nachgezeichnet.49 Wahrscheinlich auf Veranlassung des neuen Ministeriums der geistlichen, medizinal und Unterrichts-Angelegenheiten unter Minister Karl Freiherr zu Altenstein (†1840) hatte die königlich-preußische Gesandtschaft im Jahre 1818 beim päpstlichen Stuhl beantragt, dass die katholischen Gemeinden aus dem Bistum Regensburg getrennt und der Aufsicht des Fürstbischofs von Corvey als „Vicarius apostolicus“ unterstellt werden sollten.50

3.2 Zur Vorstellung und Einführung als Apostolischer Vikar

Nachdem dies zunächst im März 1819 über die preußische Regierung in Erfurt zur Bekanntmachung gebracht worden war, meldete sich Anfang April 1819 von Corvey aus Fürstbischof Lüning erstmals als Apostolischer Vikar der königlich-preußischen Fürstentümer Eichsfeld und Erfurt. Dabei wurde er in seiner Arbeit unterstützt von seinem Sekretär Vinzenz Bracht (†1851).51 Am 2. Mai bedankte sich Ferdinand von Lüning ganz demütig in einem lateinischen Schreiben an Papst Pius VII. für das übertragene Amt und gelobte seine Aufgabe nach besten Kräften auszuführen.52

Als erste offizielle Reaktion liegt dazu das Antwortschreiben des Gymnasialdirektors und Kommissariatsassessors von Heiligenstadt Johann Georg Lingemann (†1830) vom 13. März 1819 vor. Er nannte darin die Ernennung Lünings „für jeden Katholiken des Eichsfeldes so wichtig und erfreulich. Was die Freude der 67.000 Katholiken vollkommen machen könnte, wäre die sichere Nachricht, dass Euere Hochfürstlichen Gnaden die Würde und Bürde aus Liebe zu Ihnen wirklich übernommen“ hätten.53 Als weiteres Beispiel aus der dynamischen Einführungsphase sei der lateinische Hirtenbrief des Vicarius Generalis Apostolicus Lüning an den Klerus vom 4. April 1819 angeführt. In 15 biblisch fundierten Punkten legt Fürstbischof Lüning darin ein überzeugendes katholisches Priesterbild vor, das die Priester als Seelsorger für die Gemeinden empfiehlt.54 Als letztes Beispiel dieser Anfangsphase sei das offizielle Dankschreiben Fürstbischof Lünings an den preußischen Kultusminister Altenstein angeführt. Darin bekennt Lüning sich nicht nur zu den Grenzen seines Alters (von 64 Jahren), sondern auch zur Vorläufigkeit seiner Amtsführung bis zur Umsetzung der anstehenden kirchlichen Neuorganisation in Preußen. Fürstbischof Lüning beendet sein Dankschreiben mit der Ankündigung einer Besuchsreise in seinem neuem Sprengel, um sich ein Bild von den dort anstehenden Herausforderungen zu machen.55

3.3 Aus der Amtsführung des Apostolischen Vikars 1819-1821

Damit kommen wir zum Kernpunkt der Amtsführung des Apostolischen Vikars Fürstbischof Lüning im Eichsfeld und in Erfurt, was eigentlich eine weitere und spezielle Studie umfassen müsste, so dass in diesem Rahmen mit der freundlichen Unterstützung von Archivdirektor Dr. Michael Matscha nur erste wichtige Mosaiksteine daraus zusammengestellt werden können.

So war es ein besonderes Ereignis, dass Fürstbischof Lüning auf seiner Visitationsreise ab Juni 1819 in fünf Gemeinden nach langen Jahren ohne Bischof wieder das Sakrament der Firmung spenden konnte. Fürstbischof Lüning und sein theologischer Berater, Pfarrer Bernhard Rensing aus Dülmen, waren sich von Anfang an der Notwendigkeit einer Firmreise bewusst gewesen.56 Denn nach dem Tod von Weihbischof Haunold Anfang des Jahres 1807 hatten nur im Eichsfeld im Jahre 1809 der Hildesheimer Weihbischof Karl Friedrich von Wendt (†1825) und in Erfurt 1812 der Aschaffenburger Weihbischof Josef Hieronymus Karl Freiherr von Kolborn (†1816) Firmungen gespendet.57 So war es für alle Ortsgemeinden ein besonderes Ereignis, als Fürstbischof Lüning im Juni 1819 sowohl in Erfurt als auch in Heiligenstadt, Großbartloff, Dingelstädt, Worbis und Nordhausen wieder katholische Kinder und Jugendliche firmte.

 

Die kirchenpolitische Brisanz dieser Visitationsreise von Fürstbischof Ferdinand von Lüning hatte aus „einheimischer Perspektive“ Conrad Zehrt (†1893) bereits 1892 in seiner Eichsfeldischen Kirchengeschichte moniert, zumal die preußische Regierung bestimmt hatte, dass er als Apostolischer Vikar im königlichen Schloss residieren müsse und nur in Nordhausen im Pfarrhaus wohnen dürfe. Nach der späteren „katholischen Sicht“ des Kommissarius Zehrt „erschien das Auftreten des Oberhirten den katholischen Einwohnern nicht sehr erbaulich. Das Wohnen bei einem Protestanten, die Feier [der Firmung] ohne weiteren Gottesdienst und besonders die Art und Weise der Spendung des bischöflichen Segens an die Niederknieenden während des Ganges des Bischofs zum Besuch bei einem Freimaurer war sehr auffällig.“58 Diese kritische Sicht gipfelt im dem Vermerk des Necrologium Paderbornense, dass „er von liberalen Zeitströmungen beeinflußt war, wenn er dem Staat wiederholt zu sehr entgegen kam, so war daran sicher sein Gesundheitszustand mitbeteiligt, der ihn ängstlich machte und später fast zu vollständiger geistiger Zerrüttung führte“.59

Aus der Edition von Arno Wand kennen wir erstmals den ausführlichen Visitationsbericht, den Fürstbischof Lüning von Corvey am 26. Juli 1819 über seine „Apostolische Reise“ an die Berliner Regierung schickte. Dabei hatte er „von den notwendigen Bedürfnissen der seiner geistlichen Obsorge anvertrauten Seelen erfahren und erste Besserungsmaßnahmen eingeleitet“. Dazu hatte der Apostolische Vikar die „Verfehlungen der Geistlichkeit ernst und offen gerügt“, speziell „das Commissariat in Heiligenstadt und namentlich den Herrn Commissar Würschmitt nachdrücklich und ernst seiner Pflichten erinnert“.60 Weiterhin habe er „sämtliche Herren Dekane zur strengsten Pflicht gemacht, stets ein wachsames Auge auf die in ihren Dekanaten befindlichen Geistlichen zu haben“. Schließlich habe Fürstbischof Lüning „jedem Pfarrer insbesondere die dieserhalb notwendige Belehrung und Ermahnung gegeben“ sowie „die Tätigen und Berufstreuen in ihrem Amt ermuntert, die Müßigen und Trägen ermahnt und gewarnt“. Für seinen Klerus forderte er einen Lebenswandel geprägt von Einsicht, Berufstreue und Anständigkeit, der den Priestern Achtung verschaffen würde sowie um dem „Staate gute Untertanen und der Kirche gute Christen zu erziehen“.

In nun konkret auf die kirchlichen Einrichtungen und Klöster in Erfurt und dem Eichsfeld angewandten Einzelanalysen benannte Fürstbischof Lüning als tieferen Grund für die Missstände „die Spuren der Fremdherrschaft“ und bemängelte als Hauptübel die „Verwahrlosung aller Bildungsanstalten während der französischen Okkupation“. Die „intellektuelle Bildung musste gänzlich verstummen vor dem unaufhörlichen Kriegsgeräusch und vor der steten Rüstung zum Kampf.“ Betroffen gewesen waren davon Klerus und Volk. Ergänzend zu diesem Visitationsbericht von Fürstbischof Lüning reichte auch noch das Geistliche Gericht in Erfurt am 30. November 1820 einen Zustandsbericht über die „8 katholischen Pfarreien der Stadt Erfurt“ beim Berliner Kultusministerium ein.61

Nach Münster zurückgekehrt, erließ der Apostolische Vikar zunächst eine Dienstinstruktion für den bischöflichen Kommissarius und die Kommissariats-Assessoren in Heiligenstadt. Weiterhin bemühte sich Fürstbischof Lüning von dort aus um die Qualifizierung und Weiterbildung der Priester im Eichsfeld und in Erfurt. Zunächst erließ er dazu eine Dienstinstruktion für die Pfarrer, dann bot er den Kaplänen die lang überfällige Möglichkeit, eine Pfarrbefähigungsprüfung abzulegen, um sich damit auf eine freigewordene Pfarrstelle bewerben zu können. Weiterhin ernannte er beispielsweise den Pfarrer in Gerbershausen, Christoph Kirchner (†1835), im Jahre 1819 zum Seminarexaminator und 1820 zum Pfarrer in Kirchworbis; ebenso den Pfarrer Johann Heinrich Digmann (†1843) aus Kreuzebra und Dechanten von Küllstedt zum Synodalexaminator.62

Von 1819 an stand Fürstbischof Lüning in relativ intensivem brieflichen Kontakt mit dem Direktor des Geistlichen Gerichts in Erfurt und Kommissar, Dr. Gottfried Franz Würschmitt (†1863). Während Dr. Würschmitt anschließend mit der neuen Paderborner Diözesanverwaltung in heftige Auseinandersetzungen geriet, scheint die kurze Zusammenarbeit mit dem Apostolischen Vikar Lüning respektvoll und in hoher Übereinstimmung verlaufen zu sein.63 So schaltete sich noch im Jahre 1819 Lüning als Apostolischer Vikar in die zwischen der königlichen Regierung Erfurt und dem Geistlichen Gericht hinziehenden Verhandlungen über die Vereinigung der Armenfonds der beiden großen christlichen Konfessionen ein, des evangelischen und des katholischen, was in heutiger Terminologie eine Zusammenarbeit von Diakonie und Caritas bedeuten würde.64 Aus den Akten des Paderborner Bistumsarchivs ergibt sich ein weiterer Grenzfall aus der Amtsführung und der territorialen Kompetenz des Geistlichen Gerichts Erfurt. Am 6. Dezember 1819 fragte die Großherzoglich Sachsen-Weimarsche Immediat-Kommission über das katholische Kirchenwesen wegen der Wiederbesetzung der Station Blankenhain nach, die von 1631 bis 1920 politisch zu Sachsen-Weimar gehörte. Dazu antworteten Fürstbischof Lüning mit seinem Sekretär Vinzenz Bracht am 5. Januar 1820, dass er als Apostolischer Vikar nur für die preußischen Anteile die volle Jurisdiktion habe.65

Als letztes Beispiel für Lünings Amtstätigkeit sei ein eigenes Rubrikenbuch genannt. Im Jahre 1821 erschien in Aschaffenburg ein unter Lünings Namen für den Distrikt Erfurt herausgegebenes eigenes Direktorium für die Feiern der Heiligen Messen.66 Wie weit es unter den Pfarrern verbreitet werden konnte, ist noch aus ortskirchengeschichtlicher Perspektive weiter zu erforschen.

3.4 Zum Ende und zur Überführung des Apostolischen Vikariates

Im Sommer 1821 stand Ferdinand von Lüning mit 66 Jahren auf dem Höhe- und Wendepunkt seiner Amtsvollmachten als (pensionierter) Fürstbischof von Corvey, als päpstlich ernannter Bischof von Münster (Einführung: 7. Juli 1821) sowie als Apostolischer Vikar für das Eichsfeld und Erfurt. Doch durch die Zirkumskriptionsbulle für das katholische Kirchenwesen im Königreich Preußen „De salute animarum“ (16. Juli 1821) waren die neuen Grenzen auf die Eingliederung von Erfurt und vom Eichsfeld ins Bistum Paderborn gesetzt worden, während Lüning sein „Mini-Bistum“ Corvey, das ebenfalls an Paderborn fallen sollte, bis zu seinem Lebensende verwalten wollte und durfte.67

Im neu umschriebenen neuen Bistum Münster glaubte Bischof Lüning nach seiner Einführung am 5.-7. Juli 1821 als „von außerhalb“ ernannter neuer Bischof wegen der Parteiungen im Domkapitel zunächst keinen Generalvikar bestellen zu können „und stürzte sich selbst mit Feuereifer in die Arbeit“.68 Der gesamtpreußische bzw. überregionale Exekutor der Zirkumskriptionsbulle war der Ermländische Fürstbischof Josef von Hohenzollern.69 Dieser fragte am 17. September 1821 Lüning speziell an, „ob er auch die sächsischen Territorien bis zur Übernahme“ des Paderborner Fürstbischofs Franz Egon von Fürstenberg „weiter verwalten wollte“. In einem gewundenen und weitschweifigen Antwortschreiben vom 19. Oktober 1821 erklärte Fürstbischof Lüning dem Exekutor, dass er „Weimar, Erfurt und das Eichsfeld gerne abgebe“.70 Vielleicht war das bei Ferdinand von Lüning schon so etwas wie eine Vorahnung, dass er selbst nicht mehr eine offizielle Übergabe des Apostolischen Vikariates würde durchführen können.

So berichtete am 1. Dezember 1821 aus Münster der „Internuntius“ Luigi Ciamberlani schon nach Rom von der „Altersschwäche und Geistabwesenheit“ des Münsterer Bischofs Lüning. Denn dieser hatte bereits am 29. Oktober, also zehn Tage nach dem Verzichtsangebot auf das Apostolische Vikariat, dem Ermländischen Fürstbischof Josef von Hohenzollern, dem westfälischen Oberpräsidenten Ludwig Freiherr von Vincke, dem Münsterer Domkapitel und der Geistlichkeit im Bistum Münster angezeigt, dass er zur Herstellung seiner sehr geschwächten Gesundheit und zur Erleichterung der Diözesangeschäfte den Offizial Dr. Jodocus Hermann Zurmühlen (†1830) einstweilen und bis auf Widerruf zu seinem Provikar ernannt habe.71 Damit konnten zwar die laufenden Geschäfte der Münsterer Diözesanverwaltung abgewickelt werden, aber anstehende große Aufgaben der Reorganisation gemäß der Zirkumskriptionsbulle stagnierten durch die Erkrankung des Fürstbischofs Lüning. Die dann fortdauernde Erkrankung veranlasste den preußischen Justizminister Friedrich Leopold von Kircheisen (1810-1825) sogar, die Einleitung eines „Blödsinnigkeitsprozesses“ gegen Bischof Lüning zu beantragen, wozu sich die westfälischen Justiz- und Verwaltungsbehörden jedoch nicht durchringen konnten oder wollten.72

Mit der ersten Ausführung der Bestimmungen der Zirkumskriptionsbulle wurde der Münsterer Provikar und Generaladministrator Lünings, Dr. Zurmühlen, beauftragt, der u.a. auch das neue Domkapitel im Bistum Paderborn im Jahre 1823 einführen sollte. Knapp drei Monate nach der verzögerten Einführung Bischof Lünings in Münster war seine Amtsunfähigkeit eingetreten, was faktisch bereits ein Ruhen seines Apostolische Vikariates im Eichsfeld und in Erfurt bedeutete. So wurde nach mehr als einem weiteren halben Jahr der „bedauernswerte Zustand der Geistesschwäche des Bischofs Lüning“ ab Sommer 1822 wieder Thema in den diplomatischen Verhandlungen zwischen der preußischen Gesandtschaft in Rom und der päpstlichen Kurie, zumal auch der Provikar Dr. Zurmühlen bereits 74 Jahre alt war. Die preußische Seite wollte erreichen, dass der Ermländische Exekutor Josef von Hohenzoller inländische Verweser bestellen könne und keine neuen Apostolischen Vikare mehr zulasse. Am 10. und 14. Januar 1823 stimmte die Kurie zu, dass für den erkrankten Bischof Lüning der Provikar Dr. Zurmühlen für das Bistum Münster weiterhin bevollmächtigt sein sollte. Im Bistum Corvey sollte der Generalvikar Carl Alexander Freiherr von Schade die Vertretung Fürstbischof Lünings ebenfalls fortführen können.73

Für die vormals Mainzischen Gebiete in Thüringen bestellten ebenfalls zwischen Preußen und der Kurie übereinstimmend die kurialen Dokumente im Hinblick auf die anstehende Vereinigung mit dem neuen Bistum Paderborn den Generalvikar und Offizial des Paderborner Fürstbischofs von Fürstenberg, Richard Konrad Dammers († 1844), zum neuen Verwalter. Als Ende der Amtstätigkeit des Apostolischen Vikars für das Eichsfeld und Erfurt, Fürstbischof Ferdinand von Lüning, ist in der Literatur der 13. April 1823 bekannt, an dem er die Jurisdiktion über das Obereichsfeld mit Heiligenstadt dem Apostolischen Vikar Dammers in Paderborn übertrug.74 Genauer wissen wir schon aus dem Dekret der Konsistorial-Kongregation vom 11. Januar 1823 von der Ernennung Richard Dammers zum neuen Apostolischen Vikar. Da in Rom der erbarmungswürdige körperliche und geistige Zustand des Bischofs von Corvey und Münster bekannt war, sollten die für das Bistum Paderborn neu zugewiesenen Gebiete des kurkölnischen Sauerlandes und die Gebiete von Erfurt und dem Eichsfeld dem Paderborner Apostolischen Vikar Richard Dammers unterstellt werden.75 Zur weiteren Entwicklung vermerkt die Paderborner Bistumsgeschichte bisher nur: „die Überleitung des Apostolischen Vikariats Erfurt und Heiligenstadt begann 1823 und kam 1826 zum Abschluß“.76