Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft

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23 BAG, Urteil v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11 – „Bielefelder Fall“ – ZMV 2013, 171–176.

24 Vgl. Eder, Umsetzung des BAG-Urteils zum Dritten Weg in den deutschen Diözesen, in: ZTR 30 (2016) 680–686.

25 Vgl. Eder, Die Beteiligung von Koalitionen im Dritten Weg, in: 29 (2015) 126–128.

26 Dabei ist zu beachten, dass die jeweilige diözesane KODA-Ordnung im Paragrafen über den Geltungsbereich festlegt, dass bei Mitgliedschaft im DCV die AVR Anwendung finden. Damit ist kirchengesetzlich eine Grundlage für das Dritte-Weg-System bei der Caritas gegeben.

27 Vgl. Eder, Rahmen-KODA-Ordnung 2014: Weitere Änderungen, in: ZMV 25 (2015) 7–8.

28 Rn 107.

29 Rn 117.

30 Rn 117.

31 Rn 117.

32 Rn 117.

33 Entsprechend stellen die Tarifverträge des Öffentlichen Dienstes sog. Referenztarifverträge für die arbeitsrechtlichen Kommissionen dar. TVöD-VkA, SuE und die Tarifverträge der Länder sind für die AK des DCV in vielen Tätigkeitsbereichen die Grundlage für kirchliche Regelungen, werden zum großen Teil auch 1:1 abgebildet.

34 Rn 117.

35 In der Ordnung der Bayerischen Regional-KODA besteht ebenfalls nach § 19 Abs. 1 die Möglichkeit, für den Vermittlungsausschuss eine/n Vorsitzende/n zu wählen. Sofern dies geschieht – dies ist derzeit der Fall – ist den Vorgaben des BAG für den neutralen Vorsitzenden Genüge geleistet. Wenn sich die Kommission auf keinen gemeinsamen Vorsitzenden einigt, bedarf es aber auch hier nach § 19 Abs. 3 zweier von ihrer Seite gewählten Vorsitzenden. Auch wenn hier nicht das Los entscheiden kann, welcher der beiden Vorsitzenden die entscheidende Stimme abgeben kann, genügt diese Regelung auch nicht der Vorgabe des BAG, da nach § 21 Abs. 2 Satz 6 der geschäftsführende Vorsitzende nur das Scheitern des Verfahrens feststellen kann.

Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft
Detlev Fey
I. Kirchensteuer und Subsidiarität - weltweit einzigartig

Das Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland ist verbunden mit dem System der Kirchensteuer und der Subsidiarität, sowie dem Gesundheitswesen weltweit einzigartig. Es ermöglicht den Kirchen sowie ihrer Caritas und Diakonie den Christinnen und Christen, aber auch allen anderen Bürgerinnen und Bürgern und damit der Gesamtgesellschaft ein einzigartig breites Spektrum an Einrichtungen und Angeboten zur Verfügung zu stellen. Insgesamt beschäftigen die Katholische und Evangelische Kirche mit ihrer Caritas und Diakonie rund 1,5 Mio. Menschen. Allein in der Caritas und Diakonie existieren über 56.000 Einrichtungen.1

Die Dimensionen sind weltweit einzigartig und verleihen dem kirchlichen Sektor unter ekklesiologischen, ökonomischen und sozialpolitischen Aspekten eine hohe Bedeutung und weiterhin resultiert aus diesen Dimensionen eine hohe Anforderung an die Gestaltung der kirchlichen Rechtsordnung. Es existieren zwei gegenläufige Tendenzen:

• Der Trendkanal der Kirchenmitgliederzahlen sinkt seit 30 Jahren linear degressiv.

• Demgegenüber steigen die Beschäftigtenzahlen insbesondere in der Caritas und der Diakonie Jahr für Jahr. Das Sinken der Mitgliederzahlen in den Kirchen wird (hoffentlich) ein Ende haben; niemand kann prognostizieren, wann und auf welchem Niveau dies liegen wird. Bereits von der Logik her muss auch das Steigen der Beschäftigtenzahlen in der Caritas und der Diakonie insgesamt endlich sein. Auch dies ist prognostizierbar.

II. Multireligiöse und säkulare Zukunft

Durch die starke Zuwanderung hat die Multireligiösität der deutschen Gesellschaft stark zugenommen. Daneben steigt die Zahl der Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören oder ihre Religion nicht leben und ausüben. Im April 2019 haben die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland die Studien „Kirche im Umbruch – Projektion 2060“ von Bernd Raffelhüschen veröffentlicht. Nach den plausiblen Prognosen werden die Mitgliederzahlen beider Großkirchen bis 2060 um etwa die Hälfte zurückgehen, von derzeit insgesamt 44,8 auf 22,7 Mio.2 Zurzeit gibt es keine Indizien dafür, dass diese Trends im positiven Sinne für die Kirchen veränderbar sind.

Treten die Prognosen ein, werden den Zahlen der Christinnen und Christen immer höhere Zahlen von anders- oder nichtgläubigen Menschen gegenüberstehen.

Dieser Gesamtkontext ist die Grundlage für die folgenden Betrachtungen.

III. Kirchliche Identität der Einrichtungen

Bereits ekklesiologisch und denklogisch macht es nur Sinn, dass die Kirchen Einrichtungen betreiben, die eine kirchliche Identität haben müssen. Auch wenn in den meisten Fällen die Einrichtungen allen Menschen offenstehen, muss eine kirchliche Schule kirchlich imprägniert sein. Eine kirchliche Kindertagesstätte muss den Kindern christlichen Glauben und Werte vermitteln. Die kirchliche Ehe- und Familienberatung muss aus christlicher Perspektive erfolgen. Trivial formuliert: Wo Kirche drauf steht, muss auch Kirche drin sein. Dies waren noch vor 25 Jahren Selbstverständlichkeiten, was sich deutlich geändert hat. So werden Caritas und Diakonie z. B. als „Wohlfahrtskonzerne“ diskreditiert; die religiöse Dimension wird den Einrichtungen abgesprochen bzw. nicht anerkannt.

Kirchliche Identität und Prägung sind hohe Güter, die sorgfältig gepflegt werden wollen. Ihnen muss umso mehr Zuwendung zukommen, je weniger selbstverständlich kirchliche Einrichtungen als kirchlich erkennbar und anerkannt sind.

In den Rechtsordnungen der Kirchen dient diesen Zielen zunächst das Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft. Danach tragen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Rücksicht auf ihre funktionale Tätigkeit oder berufliche Stellung ihre eigene Religionszugehörigkeit zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags bei.3 Bereits denklogisch bedingt eine christliche Dienstgemeinschaft die Mitarbeit christlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Je geringer deren Anteil an der Gesamtbelegschaft ist, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine christliche Dienstgemeinschaft nicht herstellen lässt. Ein hoher Prozentsatz an Christinnen und Christen in der Mitarbeiterschaft ist kein Garant für die kirchliche Bewegung der Einrichtung, stellt aber einen wesentlichen Beitrag dazu dar.

Vor allem aber ist die Sorge für die kirchliche Identität und Prägung Leitungsund Managementaufgabe. Dies ist in der Richtlinie des Rates der EKD über die kirchlichen Anforderungen der beruflichen Mitarbeit explizit zum Ausdruck gebracht. In § 2 heißt es dort unter der Überschrift „Grundlagen des kirchlichen Dienstes“.

„(…) die kirchlichen und diakonischen Anstellungsträger haben die Aufgabe, ihre Dienststellen und Einrichtungen gemäß ihrer evangelischen Identität zu gestalten. Sie tragen Verantwortung für die evangelische Prägung in den Arbeitsvollzügen, den geistlichen Angeboten und der Organisation ihrer Dienststelle oder Einrichtung. Es ist Aufgabe der kirchlichen und diakonischen Anstellungsträger, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den christlichen Grundsätzen ihrer Arbeit vertraut zu machen.“

Allein durch diese Vorgaben des kirchlichen Verordnungsgebers lassen sich die Zielsetzungen nicht erreichen; vielmehr muss das kirchliche Proprium in den Einrichtungen gelebt werden.

IV. Interne Gefährdungsfaktoren der kirchlichen Identität
1. Selbstsäkularisierung

Innerhalb des Deutschen Protestantismus gab und gibt es gelegentlich immer wieder Tendenzen zur Selbstsäkularisierung bzw. Teilprofanisierung diakonischer Einrichtungen. So wurden z. B. ab Mitte der 90er Jahre diakonische Einrichtungen auf die „unternehmerischen“ und ökonomischen Kennzahlen reduziert und ökonomische Begrifflichkeiten wie „Wettbewerbssituation“ oder „Marktanteile“ überstrapaziert. In extremeren Fällen kommt die kirchliche Herkunft und Identität gar nicht zum Tragen, wenn z. B. sich ein Berufsbildungswerk lediglich auf seine professionelle Funktion konzentriert und die Tatsache, dass es sich um eine diakonische Einrichtung, handelt gar nicht zur Geltung gebracht wird. Oder es wird mit zunehmenden Fachkräftemangel im Sozial- und Gesundheitswesen bis auf wesentliche Managementfunktionen darauf verzichtet, möglichst viele Christinnen und Christen für die berufliche Mitarbeit zu gewinnen. In extremeren Fällen wird dieser Verzicht bewusst vorgenommen und idiologisch unterlegt, man habe „die Einrichtung vom Kirchenzwang befreit“.

In der säkularen, multireligiöser werdenden Gesellschaft sind dies gefährliche interne Tendenzen. Innen gelebt und nach außen getragen werden muss vielmehrdie Einstellung „unterwegs im Auftrag des Herrn“, wie es auf dem Cadillac der Blues Brothers heißt.

2. Heterogenität – „Einfalt in der Vielheit“

Institutionen sind umso weniger wahrnehmbar, je mehr sie sich mit ihren Gliederungen nach außen heterogen oder gar widersprüchlich präsentieren. Die Verfassungsstruktur des deutschen Protestantismus ist stark föderativ geprägt. Föderative Strukturen bergen das Risiko dieser Heterogenität in sich, wenn nicht ausreichend Einsicht und Kraft für gemeinsames Handeln generiert werden kann. Gelingt dies, kann in den föderativen Strukturen eine „Einheit in der Vielfalt“ erreicht werden. Misslingt dies, führt dies zu einem Austausch der Endsilben und somit zu einer „Einfalt in der Vielheit“. Die Landschaft der katholischen Kirche wirkt auf den ersten Blick homogener; bei genauerer Betrachtung existieren hier aber auch in vielen Details heterogene Situationen. Für den kirchlichen Dienst in der säkularer werden Gesellschaft birgt dies ein Risiko in sich, wenn es zu grundsätzlichen Fragen einen vielstimmigen Kanon gibt oder widersprüchliche Aussagen getroffen werden. Dies gilt auch für die Frage, in welchem Grad Christinnen und Christen in der beruflichen Mitarbeit für eine ausreichende kirchliche Prägung und Identität erforderlich sind.

 

V. Externe Gefährdungsfaktoren – Politik, Weltanschauung und Gewerkschaften
1. Politik

Eine Gefährdung für die Kirchen liegt darin, nicht als wesentliche gesellschaftliche Akteure mit religiösem Hintergrund und transzendenter Dimension begriffen zu werden, sondern auf eine soziale, altruistische Funktion reduziert zu werden. Kritischer ist es, wenn die Kirchen von größten Teilen der Politik öffentlich kritisiert werden, wie dies in den Jahren 2014 – 2017 mit hoher medialer Begleitung der Fall war. Kritisch ist auch, wenn massive Kritik an den Kirchen aus der universitären Theologie kommt, in dem vorgeschlagen wird, die Kirchen sollten ihre arbeits- bzw. verfassungsrechtliche Sonderrolle selbst freiwillig aufgeben.4 Kritischer wird dies, wenn diese externe Kritik (was von außen kaum wahrzunehmen ist) noch durch Voten im kircheninternen Diskurs unterstützt wird.

In der säkularer werdenden Gesellschaft ist es für die Kirchen weiterhin kritisch, wenn Weltanschauungsgemeinschaften oder Gewerkschaften die Kirchen zu wenig als Bündnispartner für einen gemeinsamen Kampf für (soziale) Gerechtigkeit und Frieden sehen, sondern kirchliche Strukturen als „überkommen und vorkonstitutionell“5 bezeichnen.

Hier wird zu wenig in den Fokus genommen, welche unglaublich vielfältigen Hilfsangebote, Beratungs- und Dienstleistungen die Kirchen zu Gunsten aller auch in den kommenden Jahrzehnten anbieten werden.

2. „Richter-Theologie“

Ein weiteres aktuelles Risiko für den kirchlichen Dienst besteht darin, dass durch höchstrichterliche Urteile die Kirchen in ihren Gestaltungsmöglichkeiten beschnitten werden. Dies kann an jeweils zwei Entscheidungen des EuGH und des BAG illustriert werden. Im ersten Fall – der „Rechtssache Egenberger“ haben der EuGH und das BAG das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen aus Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 37 Abs. 3 WRV in verfassungswidriger Weise und gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht eingeschränkt.6 Bei der beruflichen Mitarbeit in Kirche, Caritas und Diakonie kann die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche, abgesehen von beruflichen Funktionen in Seelsorge und Verkündigung, nur noch dann gefordert werden, wenn „ansonsten das kirchliche Ethos gefährdet wäre“. Dies soll bereits dann nicht der Fall sein, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Organisationen eingebunden und grundsätzlich weisungsgebunden sind. Ob die Anforderung „Kirchenzugehörigkeit“ inhaltlich gerechtfertigt ist, könne von den staatlichen Gerichten voll inhaltlich überprüft werden. Hiermit ist die Tür zu einer Richter-Theologie aufgestoßen. Mit welchen Maßstäben will das Gericht eines religiös-neutralen Staates prüfen, ob die Festlegung der Kirche, dass bestimme kirchliche Aufgaben von „christlich imprägnierten“ Menschen durchgeführt werden inhaltlich gerechtfertigt ist. Wie will beispielsweise ein Gericht überprüfen, dass Aufgaben in der Ehe- und Familienberatung durch christliche Sozialpädagoginnen ausgeübt werden sollen. Hierdurch wird die Grenze der Säkularität überschritten und die religiöse Dimension verkannt.

Die gleiche Feststellung ist für die Entscheidung des EuGH und des BAG im „Chefarzt-Urteil“ der Caritas zu treffen.7 In diesen Entscheidungen haben die Gerichte die Funktion von Chefärztinnen und Chefärzten an konfessionellen Krankenhäusern auf das rein medizinische reduziert. Hiermit würde eine Zwangssäkularisation der Einrichtungen der Caritas und der Diakonie bewirkt, die nicht akzeptiert werden kann.

VI. Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft

Sozial- und Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland sind auch in der säkularer und multireligiöser werdenden Gesellschaft auf die kirchlichen Angebote im Sozial- und Gesundheitswesen sowie im Bildungsbereich angewiesen. Die kirchliche Prägung und Identität der Einrichtungen muss deutlich sichtbar sein; das kirchliche Proprium muss herausgestellt werden. Die Schärfung des kirchlichen Profils ist dabei Aufgabe der Kirchen- und Einrichtungsleitungen.

Das Absinken der Kirchen mitgliederzahlen sowie der Fachkräftemangel in vielen Berufsfeldern führt dazu, dass in immer höheren Umfang Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt werden, die keiner christlichen Kirche angehören. Dazu kommt, dass viele Einrichtungen multikulturelle und multireligiöse Kompetenzen benötigen, wenn Menschen anderen Glaubens zu betreuen sind.

Die zunehmende Beschäftigung von Nichtchristinnen und Nichtchristen ist dann kein Problem, wenn dies nicht zu einer Beeinträchtigung der kirchlichen Prägung und Identität führt. Dafür ist den anders- oder nichtgläubigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diese Identität und Prägung zu vermitteln; ihnen ist nahe zu bringen, warum diese nicht beeinträchtigt werden darf. Diese Vermittlung muss gewinnend erfolgen und daher penetranz- und repressionsfrei sein.

Weiter ist es von Bedeutung auch den christlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erläutern, dass die Einrichtung unter dem kirchlichen Auftrag steht und daher der Wort- oder Tatverkündigung dient.

Dass es gut gelingen kann, das kirchliche Profil zu erhalten, wenn weniger Christinnen und Christen in kirchlichen Einrichtungen tätig sind, zeigt die Situation in anderen Ländern. Die zunehmende Säkularität in Deutschland ist für die Kirchen eine Gestaltungsaufgabe und birgt die Chance der Profilschärfung.

1 Aggregierte Daten aus den Statistiken Caritas, Diakonie 2016 sowie Deutsche Bischofskonferenz und EKD 2018.

2 S. www.ekd.de/projektion2060, zuletzt abgerufen am 15.08.2019.

3 Artikel 1 Grundordnung des kirchlichen Dienstes der Deutschen Bischofskonferenz; Präambel zum Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland.

4 So Kress, H. Zeitzeichen 4/2009 S. 12.

5 So die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, www.streikrecht-ist-grundrecht.de, zuletzt abgerufen am 15.08.2019.

6 EuGH, Urteil v. 17.4.2018, NZA 2018, 569; BAG, Urteil v. 25.10.2018, NZA 2019, 455.

7 EuGH, Urteil v. 11.9.2018, NWB VAAAG 94063; BAG, Urteil v. 25.2.2019, NZA-RR 2009, 622.

Einrichtungsübergreifende Mitbestimmung in der katholischen Kirche
Einführung in das neue Recht der (erweiterten) Gesamtmitarbeitervertretungen (§ 24 MAVO)
Martin Fuhrmann

„Papst Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika Centesimus annus die Mitarbeiter eines Wirtschaftsunternehmens als ‚das kostbarste Vermögen des Unternehmens‘ und den entscheidenden Produktionsfaktor bezeichnet. Wenn das schon für Wirtschaftsunternehmen gilt, die Güter und Dienstleistungen produzieren, um wie viel mehr für Unternehmen der Kirche, die immer ein Stück Auftrag der Kirche zu verwirklichen haben, was nur durch Personal und personale Beziehungen möglich ist. […] Für alle Dienste und Einrichtungen in Pastoral, Bildung und Caritas müssen die Menschen, für die wir da sind, im Mittelpunkt stehen. Genauso wichtig ist allerdings, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diese Dienste leisten, im Mittelpunkt der Sorge und Verantwortung der verantwortlichen Träger und Leitungen stehen müssen. Die MAVO wird meines Erachtens dem Anspruch des päpstlichen Wortes gerecht, auch wenn sie in Zukunft ständig weiter entwickelt werden muss. Aber entscheidend ist nicht das Recht, sondern die Wirklichkeit, der Alltag in unseren Diensten und Einrichtungen, und da gibt es zweifellos neben viel Licht auch manchen Schatten. Für mich waren die Informations- und Beteiligungsrechtrechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie sie die MAVO formuliert, nicht das Maximum oder Optimum, was man als Dienstgeber gewährt, sondern die Grundlage, auf die man sich in strittigen Situationen verständigen kann. Aber so lange es keinen Streit gibt, so lange man nicht völlig überzogene Forderungen abwehren muss, sollte man weitergehender als die Ordnung es vorsieht informieren und beteiligen.“1

Mit diesen Worten hat Norbert Feldhoff 2011 in einem Vortrag anlässlich eines Studientags der DiAG MAV in Bad Honnef sein Grundverständnis zum kirchlichen Betriebsverfassungsrecht umrissen. In dieser Rede rekurrierte er – mit durchaus kirchenkritischem Hintersinn – zunächst auf die schwierige Genese der Mitarbeitervertretungsordnung in der Katholischen Kirche und verwies beispielhaft für den steinigen Weg der Kirche in eine christliche Partizipationskultur auf die sehr kontroversen Diskussionen um die Einführung des Informationsrechtes in wirtschaftlichen Angelegenheiten (§ 27a) im Verwaltungsrat des Verbandes der Diözesen Deutschlands im Jahr 2003. Konnte damals die Einführung eines Beteiligungsrechts in wirtschaftlichen Angelegenheiten nach lebhafter Kontroverse nur gegen erhebliche Widerstände mit einer „sehr knappen Mehrheit“ durchgesetzt werden, stieß die vorläufig letzte große Reform des Mitarbeitervertretungsrechts am 19. Juni 2017, die eine Stärkung der Beteiligungsrechte der Mitarbeitenden in wirtschaftlichen Angelegenheiten zum Ziel hatte, auf verhältnismäßig wenig Widerstand in den Gremien des Verbandes. Die Idee der partnerschaftlichen Partizipation hat sich im Laufe der Zeit offenbar bewährt, sie hat Freunde gefunden, sie ist ein Signum unserer Zeit geworden und da Christen immer auch Kinder ihrer Zeit und ihrer Welt sind, bleibt es nicht aus, wie Feldhoff zutreffend bemerkt, dass die vorherrschenden Strömungen der Zeit das kirchlich Leben beeinflussen und prägen – in positiver wie in negativer Hinsicht.

Das Herzstück der letzten MAVO-Reform war die Überarbeitung des Rechts der Gesamtmitarbeitervertretungen (§ 24). Nachfolgend werden die wesentlichen Motive des kirchlichen Gesetzgebers analysiert, die wichtigsten Elemente der Neuregelung beleuchtet sowie einige ausgewählte Streitfragen aus der Praxis erörtert.