Jahrbuch der Baumpflege 2021

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1 Einführung
1.1 Städte heute

Viele Städte und Metropolen unserer Welt wachsen rasant. Ob in Asien, in Lateinamerika oder in Europa, immer mehr Menschen leben in diesen Gebilden aus Beton, Stein und Asphalt. In Deutschland trifft das inzwischen für mehr als 70 % der Bevölkerung zu. Etwa 48 % der Menschen leben in Klein- und Mittelstädten (10.000 bis 200.000 Einwohner) und 24 % aller Deutschen leben in Städten mit mehr als 200.000 Einwohnern. Hier finden sie das, was ihnen „draußen“ nicht geboten wird: Vielfältige kulturelle Angebote, die Möglichkeit, sportliche Aktivitäten fast jeder Art auszuüben und Unterhaltung vielfältigster Couleur. Aber auch ihren Lebensunterhalt verdienen viele unserer Mitmenschen in Städten oder in deren direkter Nachbarschaft.


Abbildung 1: R. KREKELAAR

Die meisten von uns haben sich daran gewöhnt, dass öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung stehen, wir in das Auto steigen oder den City-Roller aus der Garage holen, um die zu überbrückenden Entfernungen bequem zu bewältigen. Sicher, es gibt auch Fußgänger und Fahrradfahrer, doch ein Blick in die Stadtzentren zeigt, insbesondere in der Zeit der morgendlichen und abendlichen Rushhour, ein ziemlich „buntes Treiben“ mit motorisierten Verkehrsmitteln aller Art. In ihren Motoren verbrennen Benzin- und Dieselkraftstoff und erzeugen Kohlendioxyd sowie ein ganzes Arsenal anderer gesundheits- und umweltbelastender Gase. Brems- und Kupplungsbeläge werden verbraucht, Reifen und allerlei sonstiges Material wird verschlissen, zerrieben und zerfällt schließlich zu Staub. Hinzu kommen die, auch bei Einhaltung aller Umweltauflagen nicht vermeidbaren Emissionen in Form von Stäuben und Gasen aus Gewerbe, Handwerk und Industrie.

Die nahezu unsichtbare Materie verteilt sich durch Luftbewegungen auf Straßen und Plätzen, bis hinein in unsere Wohnungen und an unsere Arbeitsplätze. Mit jedem Atemzug inhalieren wir feinste Staubpartikel. Zu denen, die aus Abrieb und Verbrennung entstanden sind, gesellen sich die natürlichen Stäube. Mal ist es Staub aus der Sahara und mal der vom Acker vor den Stadttoren, der sich wie ein Schleier über alles legt, und es sind Sporen und Pollen von Pilzen, Farnen und Blütenpflanzen um uns herum.

Dieses Gemenge kann Menschen belasten, krank machen oder indirekt sogar zu ihrem Tode führen. Stäube dienen oft als Vehikel für andere Stoffe, die sich an die Kerne anlagern und so in den menschlichen Organismus gelangen, als Beispiel hierfür gelten insbesondere die Schwermetalle. Die Zunahme von Allergien wird u. a. auf die zunehmende Luftverschmutzung zurückgeführt. Auch Bronchialerkrankungen, insbesondere bei Kindern und Menschen mit schwachen Abwehrreaktionen, bis hin zur Entstehung von Krebserkrankungen gehen nach Überzeugung von Medizinern auf das Konto des gefährlichen lungengängigen Feinstaubes. Das menschliche Leid in Folge derartiger Erkrankungen und der daraus resultierende volkswirtschaftliche Schaden sind immens.

„Vielen Städten drohen Klagen wegen schmutziger Luft“ titelt „Die Welt“ (13. 10. 04) in einem Bericht über eine von der Europäischen Union erlassene und im Jahre 2002 in nationales Recht umgesetzte Richtlinie zur Luftreinhaltung. Diese EU-Richtlinie lässt das Ausmaß des Problems erahnen. Da die Politik oft erst bei bereits eingetretenen Schäden reagiert, anstatt vorbeugend tätig zu werden, kann wohl von einer massiven Bedrohung der Gesundheit der Bevölkerung ausgegangen werden.

Wie auch immer, die Verantwortlichen auch in unserem Lande sind aufgefordert, das lebenswichtige Gut „Luft“ ausreichend sauber zu bewahren oder es sauberer zu „machen“. Bis 2005 müssen die Kommunen die Anforderungen der EU-Richtlinie erfüllen. Ob das allen gelingen wird? „Erst einige Großstädte, wie München, Augsburg, Stuttgart, Düsseldorf und Duisburg haben die vom Gesetzgeber geforderten Luftreinhaltungspläne vorgelegt“ („Die Welt“ 13.10.2004).

Selbstverständlich ist es am wirkungsvollsten, die Entstehung von Immissionen, so auch z. B. die von Stäuben an ihrer Quelle, zu vermeiden oder zu minimieren, anstatt sie später mit großem Aufwand zu bekämpfen. Die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs, der Ausbau des ÖPNV und die konsequente Verwendung von Rußpartikelfiltern bei Dieselmotoren u. a. könnten für eine Entlastung des Stadtklimas sorgen. Aber bei allen Anstrengungen, die wir unternehmen: Durch das, was wir „Zivilisation“ nennen, erfolgt eine Verschmutzung unserer Luft in gigantischem Ausmaß. Smogglocken über unseren Städten sind bei bestimmen Wetterlagen nicht zu übersehen und diejenigen, die in diesem fragwürdigen Aerosol leben, spüren das Problem bei jedem Atemzug. Gewiss, Zustände wie in mancher außereuropäischen Metropole, wo die Menschen, wenn sie das Haus verlassen, Staubschutzmasken tragen, gibt es bei uns nicht. Wir sollten auch alles daran setzen, dass es hierzu nicht kommt. Ein wichtiger Faktor hierbei sind die Bäume in unseren Städten.

1.2 Die Wohlfahrtswirkungen von Bäumen

Die grünen Riesen begannen vor mehr als 300 Millionen Jahren sich zu entwickeln und gehören heute zu den ältesten Lebensformen auf unserem Planeten. Sie begleiteten die Entstehung der Menschheit und versorgten uns von Anbeginn mit dem Wichtigsten, was wir für unsere Existenz benötigten. Das ist bis heute so geblieben. Ihr Holz begleitet uns von der Wiege bis zum Sarg und ist Bestandteil unserer Häuser. Ihre Früchte tragen zu unserer Ernährung bei und ihr Laub ist für die Fruchtbarkeit unserer Böden von großer Bedeutung.

Wie oft übersehen „moderne Menschen“ dieses und ärgern sich über die Blätter, die im Herbst vor ihre Haustür fallen, und die sie beseitigen müssen. Lieber gehen sie nach einem Arbeitstag am Schreibtisch in ein Fitness-Studio, um sich zu bewegen. Wir sollten dankbar sein für die Schönheit der Bäume und uns erinnern, dass sie uns mit diesen Organen, die sie nun abwerfen, während der vorausgegangenen Monate gedient haben, indem Kohlendioxid aufgenommen und Sauerstoff produziert wurde, durch die Verdunstung von Wasser die Luftfeuchtigkeit erhöht und die Temperatur im Schatten der Bäume verringert wurde. Und, und, und …

In Umfragen zur Einschätzung der Qualität der umgebenden Stadtstruktur und zu den diesbezüglichen Veränderungswünschen äußern viele Menschen regelmäßig, dass ihnen das „Grün“ sehr wichtig ist und dass sie sich mehr davon wünschen. Mütter und Väter spüren, was lebenswichtig ist, für ihre Kinder und für sie selbst.

In einer bundesweiten Bürgerbefragung, die im Sommer 2004 in Zusammenarbeit zwischen der GALK (Gartenamtsleiter-Konferenz beim Deutschen Städtetag) und der KGST (Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung) durchgeführt wurde, haben sich für die Stadt Osnabrück, von deren Stadtgebiet immerhin ca. 31 % als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen und zu etwa 30 % im „Naturpark TERRA.vita Nördlicher Teutoburger Wald/Wiehengebirge“ gelegen ist, die meisten teilnehmenden Personen für eine noch stärkere Durchgrünung ihrer Stadt ausgesprochen.

Die Menschen wollen eine grüne Umgebung, wollen große, alte Bäume in ihrer Nähe, weil sie deren wohltuende Wirkung für ihr seelisches und körperliches Befinden spüren. Die Schaffung von Grünanlagen sowie die Pflanzung und Pflege von Bäumen sind Maßnahmen der Daseinsvorsorge par excellence. Alle für die Umwelt Verantwortlichen, Politiker und administrativ Tätige, sollten diese Tatsache bedenken und in ihr tägliches Handeln übertragen, auch im Interesse der Wirtschaftskraft ihrer Städte. Als „weicher Standortfaktor“ hat die Durchgrünung einer Stadt einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Bereitschaft zur Ansiedlung neuer Unternehmungen.

Es sei gestattet, in diesem Kontext den großen Naturwissenschaftler ALEXANDER VON HUMBOLDT zu zitieren, der eine Betrachtung über Menschen und Bäume mit den Worten beginnt: „Habt Ehrfurcht vor dem Baum, er ist ein einziges großes Wunder und Euren Vorfahren war er heilig …“. Und der Maler und Architekt FRIEDENS REICH HUNDERTWASSER hat seinen Mitmenschen in’s Stammbuch geschrieben: „Nur wenn du den Baum liebst wie dich selbst, wirst du überleben.“

In einem Klassiker der Baumpflegeliteratur, dem Buch „Baum und Mensch“ von A. BERNATZKY (1973), werden neben vielen anderen interessanten Informationen über die Einflüsse der Bäume auf die Menschheit Angaben über deren Wohlfahrtswirkung publiziert. Unglaublich, welche Mengen von Schadstoffen, seien sie gasförmig oder als Staubpartikel vorliegend, von Bäumen und den Gehölzen in Grünanlagen aus der Luft „herausgefiltert“ werden! Messungen in Frankfurt/M. ergaben, dass Gebiete mit Grünflächen und mit Bäumen bestandene Straßen z. T. nur mit einem Sechstel der Stäube belastet waren, die Stadtbereiche ohne Grünflächen oder baumfreie Straßen aufwiesen.

Da die Messungen viele Jahre zurückliegen, können die Angaben nicht unmittelbar auf die heutigen Verhältnisse übertragen werden. Natürlich haben die vielfältigen Auflagen zum Umweltschutz, die inzwischen realisiert wurden, zur Verringerung von Immissionen beigetragen. Andererseits wissen wir aber auch, dass dort, wo in den Nachkriegsjahren nur wenige Autos fuhren, heute im weiten Umkreis kein freier Parkplatz mehr zu finden ist.... Inzwischen wissen wir, dass die Luftschadstoffe sogar zu einem Problem für die Gesundheit der Bäume werden können.

1.3 Die Wurzeln der Bäume

Die Lebensvorgänge der Bäume wurden in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend erforscht. So haben wir viel gelernt, z. B. über die Steuerung des Triebwachstums, die Einlagerung und Mobilisierung von Reservestoffen im Holz oder die aktive Reaktion der Bäume auf Verletzungen und wiederkehrende mechanische Belastungen.

 

Zu dem erworbenen Wissen „rund um den Baum“ gehören auch Kenntnisse über die Grundlagen des Wurzelwachstums. Diese unterirdischen Organe entziehen sich in der Regel unseren Blicken und so verwundert es nicht, dass sie hin und wieder regelrecht in Vergessenheit geraten. Doch von ihrem Zustand, ihrer Gesundheit und Funktionsfähigkeit hängt die Existenz des ganzen Baumes ab. Bäume benötigen nicht nur gesunde Wurzeln, auch das Volumen dieser unterirdischen Versorgungsorgane muss in einem ausgewogenen Verhältnis zum Volumen der in den Kronen vorhandenen oberirdischen Versorgungsorgane, den Blättern (oder Nadeln) stehen. Nur dann sind Bäume im „Gleichgewicht“, und können ihre vielfältigen Wohlfahrtswirkungen uneingeschränkt erbringen.


Abbildung 2: Z. ERDELJAC und F. DÄUBLE

So unterschiedlich das äußere Erscheinungsbild der verschiedenen Baumarten auch sein mag, so unterschiedlich ihr natürliches Wurzelwachstum auch sei, so sehr ihre Ansprüche an den Standort auch differieren, eines ist allen Baumarten gemeinsam: ihre Wurzeln wachsen bevorzugt dort, wo sie ein gutes Angebot an Sauerstoff (und Feuchtigkeit) vorfinden. Denn Wurzeln müssen atmen und benötigen daher dasselbe Medium, das auch uns am Leben erhält. So lange der Sauerstoffgehalt im Gasgemisch des Bodens bei 15 % oder darüber liegt, können sich die Wurzeln artgemäß entwickeln. Sinkt der Partialdruck des Sauerstoffs im Gasgemisch des Bodens, geht das Wurzelwachstum zurück. Bei 11 % und darunter, kommt es zum Erliegen, die Wurzeln sterben ab und nachfolgend auch der „oberirdische Baum“.

Selbstverständlich sind auch die chemischen und biologischen Eigenschaften eines Bodens für das Wurzelwachstum von großer Bedeutung. Doch die bodenphysikalischen Gegebenheiten überlagern diese, sowie die genetische Ausstattung der Bäume, bei der Ausprägung der Wurzeln viel stärker, als früher angenommen. In zahlreichen Untersuchungen wurden diese Sachverhalte nachgewiesen und fanden Einzug in die gärtnerische Praxis. Die Entwicklung von Pflanzsubstraten in europäischen Ländern und in den USA sowie die Anwendung neuer vegetations- und bautechnischer Verfahren sind Beispiele für die Umsetzung dieser Erkenntnisse.

Bei der Erforschung des Wurzelwachstums ist auch deutlich geworden, dass es möglich ist, die Wurzeln zu „lenken“ (HEIDGER 2002). Indem man ihnen ein gut durchlüftetes, an Grobporen reiches Medium anbietet, das sie unmittelbar erkennen und bevorzugt durchwurzeln, kann man sie aus anderen Bereichen, in die sie nicht hineinwurzeln sollen, „heraushalten“, wenn man die Eigenschaften des Substrates dort „wurzelunfreundlich“ gestaltet. Diese Erkenntnis wird bei innerstädtischen Baumpflanzungen auch im Zusammenhang mit Leitungsschutzmaßnahmen an Bedeutung gewinnen.

Wenn auf natürlichen Standorten keine optimalen Voraussetzungen für die Ausbreitung der Wurzeln herrschen, reagieren Bäume mit „intelligenten Tricks“, um damit ihr unaufhörliches Wurzelwachstum, dessen Ende ihren Tod bedeuten würde, sicherzustellen. Können sie nicht in die Tiefe wachsen, bilden sie flachere Wurzelteller aus, die dafür aber viel weiter über die Kronentraufe hinausreichen, als üblich. Oder sie wurzeln in tiefen Felsspalten, um das hinein gespülte mineralische und organische Feinmaterial für sich zu erschließen. Sie suchen mit ihren Wurzeln Halt an Felsbrocken, die sie umwachsen und in ihr „Wurzelfundament“ integrieren. Wenn es sein muss, durchqueren sie auch Hohlräume, auf ihrer ständigen Suche nach Wasser und Nährstoffen. So können sie sich mit dem Lebensnotwendigen versorgen und den Kräften von Wind und Wetter widerstehen.

Auch auf innerstädtischen Standorten versuchen Bäume das, was sie im Laufe der Evolution „gelernt“ haben, umzusetzen und für ihr Überleben zu nutzen. Dann kann es allerdings zu Konflikten kommen, denn sie können nicht unterscheiden zwischen einer Felsspalte und einem Kanalrohr, zwischen einem Felsbrocken und einer Gasleitung…

2 Bäume und Leitungen
2.1 Technische Infrastruktur

Die Menschen unserer Zeit benötigen nicht nur Parks und viele Bäume in ihrer direkten Nachbarschaft. Sie erwarten auch ein warmes, helles Zuhause und dass Radio und Fernseher funktionieren. Ebenso soll die Toilette spülen und die Dusche warmes Wasser spenden, kurzum, die Ver- und Entsorgung soll sicher gestellt sein.

All diese Segnungen unserer modernen Zivilisation werden bei uns überwiegend unterirdisch an Wohnungen und Arbeitsplätze heran- und herausgeführt, über die so genannten Ver- und Entsorgungseinrichtungen. Sie befinden sich bevorzugt in Straßen oder sonstigen öffentlichen Flächen, genau dort, wo auch die Straßenbäume mit ihren Wurzeln zu Hause sind.

In ihrer Addition ergeben die Ver- und Entsorgungseinrichtungen oft ein Vielfaches der gesamten Straßenlänge einer Kommune. Da der unterirdische Raum kostbar (weil begrenzt) ist und sich nicht jede Leitung mit jeder beliebigen Nachbarin verträgt, wurden für die Platzierung der verschiedenen Kabel und Rohrleitungen Regelwerke entwickelt. Diese sollen für eine prinzipielle Ordnung in der „Unterwelt“ sorgen.

So ist beispielsweise geregelt, dass zwischen einer Gasleitung und einem Hochspannungskabel ein bestimmter Sicherheitsabstand einzuhalten ist oder eben dieses Hochspannungskabel nicht in einen Kabelkanal eingezogen werden darf, weil es den direkten Kontakt mit Erdreich zur Kühlung benötigt. Der unterirdische Straßenraum ist sowohl horizontal aufgeteilt, als auch bezüglich der Tiefe, in der die Anlagen zu installieren sind.

Da der Bereich unter den Fahrbahnen aus verschiedenen Gründen möglichst nicht für das Verlegen von Versorgungseinrichtung genutzt werden soll, drängen sich die Rohre, Kabel und Leitungen unter den Gehwegen, Radwegen und Parkstreifen. Genau hier sind aber auch die Bereiche, die am ehesten für die Pflanzung von Straßenbäumen in Frage kommen.

2.2 Der Konflikt

Natürlich wäre es wünschenswert, so „problematische Nachbarn“, wie technische Einrichtungen und Bäume, vor allem deren Wurzeln, möglichst weit voneinander entfernt zu wissen. Doch unsere Städte sind eng, die Grundstückspreise hoch und kaum ein Stadtplaner hat es in den letzten Jahren oder Jahrzehnten gewagt, Baumstreifen in ausreichender Breite und frei von Ver- und Entsorgungseinrichtungen vorzuschlagen. So kam es zu den bekannten Problemen, auf die die betroffenen Dienststellen – respektive die beteiligten Personen – sehr unterschiedlich reagierten.

Da waren „auf der einen Seite“ die „Techniker“, die die Priorität eindeutig bei der „Versorgungssicherheit“, der Unversehrtheit ihrer Einrichtungen sahen und auf unkalkulierbare Haftungsfragen z. B. bei undicht gewordenen Gasleitungen verwiesen. Die mit Argusaugen bei jeder Aufgrabung auf Baumwurzeln achteten und sie als Beweisstücke sicherstellten, auch wenn diese nur um „ein dünnes Kabel“ herum gewachsen waren. Sie wurden wie Trophäen präsentiert, wenn mit den „Baumleuten“ wieder einmal über die Pflanzung von Straßenbäumen gesprochen werden musste.

Auf der anderen Seite“ standen die „Baumleute“, die Bilder von abgerissenen Baumwurzeln und verletzten Bäumen aus ihren Taschen zogen und dadurch entstehende Fäulen und Beeinträchtigungen der Verkehrssicherheit ins Feld führten. Sie forderten Platz für ihre Baumpflanzungen und behaupteten, damit „dem Auftrag von Rat und Verwaltung“ zu folgen. Hin und wieder maßten sie sich an, darauf hinzuweisen, dass sie nur von ihrem Recht Gebrauch machen wollten, denn die Straße sei schließlich Eigentum der Kommune.

2.3 Ansätze zur Konfliktlösung

In Osnabrück gibt es seit Anfang der 1970iger Jahre regelmäßige Gespräche zwischen den Vertretern der Stadtwerke, des früheren Tiefbauamtes (Fachdienst Straßenbau) und des ehemaligen Grünflächenamtes (Fachdienst Grünflächen). Zunächst bezogen sich diese vorrangig auf die Festlegung neuer Baumstandorte in bestehenden Straßen.

Sehr schnell stellte sich heraus, dass dieses Gremium, bei Bedarf nahmen auch Vertreter anderer Verwaltungsdienststellen teil, sachorientiert arbeitete und bei gemeinsamen Ortsbegehungen das Ziel der vermehrten Durchgrünung der Osnabrücker Straßen eigentlich immer erreicht wurde. Wenn in Ausnahmefällen, trotz intensiver Vorplanung seitens des Grünflächenamtes, keine Baumstandorte zu finden waren, gab es für das „Nein“ nachvollziehbare Gründe. Ich hatte den Eindruck, dass alle Beteiligten nach einer solchen „Vor – Ort – Runde“ mit einem guten Gefühl in ihre Büros zurückkehrten.

Aber nicht nur die Neupflanzung von Bäumen in bestehenden Straßen, auch die Begrünung der Straßen neuer Baugebiete wurde und wird abgestimmt. Hierbei hat sich die später gegründete KOST, die Koordinierungsstelle beim Fachdienst Straßenbau, sehr bewährt.

Natürlich war und ist die Pflanzung von Bäumen nur eine Facette der interdisziplinären Zusammenarbeit. Aus unserer Sicht ist die Einbeziehung unserer Fachleute bei der Planung und Realisierung neuer Leitungs- und Kabeltrassen sowie bei den ständig stattfindenden Erneuerungs- und Reparaturarbeiten an Ver- und Entsorgungseinrichtungen, im Nahbereich von Bäumen und öffentlichen Grünflächen genau so wichtig.

Sofern nicht in der KOST thematisiert, wird der Fachdienst Grünflächen, wie andere Fachdienststellen auch, in einem Umlaufverfahren über die Planungen der Leitungsverwaltungen informiert. Hier werden die Belange des Baumschutzes eingebracht und in der Regel seitens der Leitungsverwaltungen in deren Leistungsverzeichnisse übernommen.

Ob sich die ausführenden Firmen auch an diese Vorgaben halten, ist ein anderes Thema. Grundlage unserer Forderungen oder Hinweise sind die Regelungen der gültigen Baumschutznormen, insbesondere die der DIN 18920 und der RAS-LP 4. Womit wir bei den Regelwerken und Normen wären …

2.4 Atmosphärische Störungen

Als 1989 die „Technischen Mitteilungen Baumpflanzungen im Bereich unterirdischer Versorgungsanlagen“ von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen herausgebracht und vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches übernommen wurden, veränderte sich das Klima zwischen den „Technikern“ und den „Baumleuten“ merklich. Auch wenn dieses Regelwerk auf den ersten Blick einen Interessenausgleich zwischen den „Parteien“ zu suchen scheint, kann es das Ziel seiner überwiegend aus dem technischen Sektor stammenden „Väter“, der technischen Infrastruktur gegenüber den Bäumen eine Vorrangstellung einzuräumen, nicht leugnen. Deutlich werden die Wertigkeiten der Aufgaben, unterschieden in die

 „gesetzlich geforderte Ver- und Entsorgungssicherheit“ und in den

 „öffentlichen Auftrag zur Begrünung“.

Zwar wird für Baumpflanzungen anerkannt, dass die Abstände von Bäumen zu Ver- und Entsorgungseinrichtungen nicht immer entsprechend den hierfür gültigen Regelwerken eingehalten werden können. Aber gleichzeitig werden so viele Risiken aufgeführt, die von Bäumen für die Ver- und Entsorgungseinrichtungen ausgehen sollen, dass mancher Kollege der Versorgungsunternehmen hierdurch nachhaltig verunsichert wurde. Wer gibt schon seine Zustimmung zur Pflanzung von Bäumen in der Stadt, wenn das Regelwerk z. B. die „Erhöhung der Blitzgefahr für unterirdische Versorgungsanlagen durch die Ableitefunktion der Bäume“ problematisiert?

Allerdings: Wenn es im Untergrund mal wirklich ganz eng wird, ist es durchaus möglich, dass eine Leitung direkt unter einem alten Baum „durchgeschossen“ werden soll. Das Schutzrohr wird’s schon richten und grundsätzliche Bedenken werden „weggewogen“. Wollen die „Baumleute“ hin und wieder einen Baum direkt auf eine Leitung pflanzen, gilt dies immer noch als Sakrileg. Obwohl es durchaus Argumente für eine solche Platzierung gibt und auch hier ein Schutzrohr dem Baum nicht schaden würde …

 

Technische Fragestellungen im Zusammenhang von Bäumen und Leitungen können nur mit bautechnischen oder vegetationstechnischen Mitteln gelöst werden, der Verzicht auf Bäume ist grundsätzlich keine Alternative.

In diesem Kontext sollen auch Ausführungen des Bundes verwaltungsgerichtes bezüglich der Bedeutung von DIN-Normen nicht verschwiegen werden. In seinem Urteil führt das Gericht u. a. aus:

„Zwar kann den DIN-Normen einerseits Sachverstand und Verantwortlichkeit für das allgemeine Wohl nicht abgesprochen werden. Andererseits darf aber nicht verkannt werden, dass es sich dabei zumindest auch um Vereinbarungen interessierter Kreise handelt, die einen bestimmten Einfluss auf das Marktgeschehen bezwecken. Den Anforderungen, die etwa an die Neutralität und Unvoreingenommenheit gerichtlicher Sachverständiger zu stellen sind, genügen sie deswegen nicht.“ (BRELOER 2004).

Die ungewöhnlich ausführlich erscheinende, aber in Wirklichkeit doch nur stichpunktartige Abhandlung der vorstehenden Kapitel verdeutlicht, dass

die Versorgung der Bevölkerung mit Energie und Wasser sowie die Entsorgung von Abwässern durch den Betrieb entsprechender Einrichtungen

sowie

die Versorgung der Bevölkerung mit Frischluft und die Entsorgung von Luftschadstoffen durch die Pflanzung und Erhaltung von Bäumen und Grünanlagen

gleichwertige Rechtsgüter sind.

Da Baumwurzeln wahrscheinlich den Bereich von Ver- und Entsorgungseinrichtungen meiden würden, wenn für deren Ummantelung ein sehr dichtes, grobporenarmes Material verwendet würde, sollten die Voraussetzungen für entsprechende Erprobungen geschaffen werden. Wahrscheinlich ist es gar nicht so schwierig, Wurzeln so zu dirigieren, wie es die Gegebenheiten in unseren Straßen nahe legen (HEIDGER 2002). Vielleicht liegt ein weiterer Lösungsansatz auch in der optimierten Verdichtung des die Leitungen ummantelnden Bodengemisches.

Beispiele aus Aufgrabungen belegen, dass weniger als einen Meter von den Stämmen alter Platanen entfernt, unter einer Fahrbahn aus Großsteinpflaster, nicht eine nennenswerte Wurzel gefunden wurde. In anderen Fällen waren sie, 15 m oder weiter vom Stamm entfernt, noch armdick.

Zur Minimierung der Probleme können die „Baumleute“ dadurch beitragen, dass sie in der Nähe von Ver- und Entsorgungseinrichtung auf die Verwendung von Baumarten, die bekanntermaßen über eine hohe Wurzelenergie verfügen, verzichten. Für Pappeln, Weiden und Platanen können trotz des im vorstehenden Absatz erstgenannten Beispiels bestimmt andere Standorte gefunden werden, als ausgerechnet neben einer sensiblen Versorgungseinrichtung.