Jahrbuch der Baumpflege 2021

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4 Mythologie, Geschichte und Literatur

Aufgrund der ungewöhnlichen Eigenschaften – immergrüne, glänzende, stachlige Blätter mit roten Früchten – hat die Stechpalme in der Mythologie schon seit langer Zeit Bedeutung. Bereits die Kelten verehrten sie: Für die Druiden sollen die roten Früchte Lebensenergie symbolisiert haben. Den Römern galt sie als zukunftsdeutender Baum. Durch ihre immergrünen Blätter gilt sie als Symbol für Unvergänglichkeit und ist daher auch auf Friedhöfen so beliebt.

Der Zauberstab Harry Potters war aus einem Stechpalmenzweig; auch für Wanderstöcke waren und sind die Zweige beliebt, so z. B. bekannt von GOETHE und LISZT.

Die Bezeichnung „Hülse“ wie auch das englische „Holly“ gehen auf althochdeutsch hulis zurück, eine Bezeichnung für stechende Sträucher, und wurde schließlich auf weitere immergrüne, stechende Gehölze wie die Stechpalme übertragen. Noch heute lassen viele Flur- und Ortsnamen mit der Silbe „Hüls-“ auf das einstige Vorkommen der Stechpalme schließen, z. B. Hülsfeld, Hülsenhain und Hülsebusch. Auch in Familiennamen wie DROSTE-HÜLSHOFF und HÜLSMANN findet man sie wieder.

Der Bezug zur Palme im Namen rührt von dem Brauch, in katholischen Gegenden am Palmsonntag Ilex-Zweige als Palmzweige in die Kirche zu bringen, die dort geweiht werden und dann in Stube und Stall gegen Heimsuchung durch böse Gewalten (z. B. Gewitter) aufgehängt oder in den Dachgiebel gesteckt werden.

Verwendete Literatur

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BUTIN, H., 2019: Krankheiten der Wald- und Parkbäume. 3. Aufl., Ulmer Verlag, Stuttgart.

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ROTH, L.; DAUNDERER, M.; KORMANN, K., 1994: Giftpflanzen – Pflanzengifte. Ecomed Verlag, Landsberg.

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SCHRÖTTER, H., 1999: Zum Wuchsverhalten der Stechpalme (Ilex aquifolium L.) – ein Orientierungsversuch. Beitr. Forstwirtsch. u. Landsch.ökol. 33, 139–140.

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www.championtrees.de: Rekordbäume. Gehölzdatenbank der Deutschen Dendrolologischen Gesellschaft [Zugriff 1.1.2021].

Autor

Prof. Dr. Andreas Roloff leitet das Institut für Forstbotanik und Forstzoologie sowie den Forstbotanischen Garten der TU Dresden in Tharandt, ist Inhaber des Lehrstuhls für Forstbotanik und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Fragen der Baumbiologie, Gehölzverwendung und Baumpflege. Er ist Fachreferent für Parks, Gärten und städtisches Grün im Rat der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft und Leiter des Kuratoriums Nationalerbe-Bäume.

Kontakt: roloff@forst.tu-dresden.de



1 Boden, Wurzeln und Leitungsbau
Bäume, Böden und Leitungsbau – Herausforderungen für ein notwendiges Miteinander
Trees, soils and sewer lines – Challenges for a necessary cooperation
von Markus Streckenbach

Zusammenfassung

An Standorten von Stadtbäumen kommen unterschiedliche Gewerke mit oft sehr gegensätzlichen Ansprüchen zusammen. Dies führt zu einem spannungsgeladenen Nebeneinander, das gegenseitige Rücksichtnahme erfordert. Im Wurzelraum von Straßenbäumen ergibt sich eine besondere Situation da die Bedürfnisse von Bäumen dort, wo ein allgemeiner Platzmangel herrscht, besonders hart auf jene des Leitungsbaus treffen. Um den wachsenden Anforderungen an die Leistungen des städtischen Grüns und der zugleich bestehenden Ver- und Entsorgungssicherheit gerecht werden zu können, bedarf es einer Umkehr von der bisherigen Praxis. Ein Blick auf die Entwicklung des Konfliktes zeigt, dass hierfür vor allem bestehende Prioritäten zu überdenken sind, der Wurzelraum von Bäumen eine größere Beachtung finden muss und auch beim Thema „Baumwurzeln und Leitungen“ mehr Lösungen angeboten werden müssen, um ein konfliktfreies Miteinander zum größtmöglichen Nutzen aller zu ermöglichen.

Summary

At the locations of city trees, different trades with often very contradicting requirements come together – which leads to a tense parallel existence that requires mutual consideration. A special situation arises in the root area of street trees, where there is generally a lack of space and the needs of trees strongly collide with those of pipeline construction.

A reversal of previous practice is strongly required in order to meet the growing demands on the benefits of urban greenery while also fulfilling the security for supply and disposal in cities. A look at the development of the conflict shows that above all, existing priorities have to be reconsidered. The same applies to the root area of trees, which so far has received mostly one-sided or no attention, and there is still a great need to develop and establish solutions that enable a conflict-free cooperation between tree roots and pipes to the benefit of all.

1 Einleitung

Konflikte im Zusammenhang mit Bäumen in unseren Städten bestehen, seitdem sie in einem Umfeld gepflanzt werden, das zugleich städtebaulichen Anforderungen genügen muss. Eine triviale Erkenntnis, die den Ursprung dieser Konflikte jedoch korrekt anspricht. Es sind die zum Teil krassen Gegensätze von Meinungen, Bedürfnissen und Interessen, die vor allem im Straßenraum einem konfliktfreien Miteinander von Bebauung und städtischem Grün entgegenstehen.

Besonders hitzig wird es regelmäßig bei der Diskussion über den unterirdischen Raumbedarf von Bäumen. Die Folgen dieser Kontroversen begleiten viele Baumpflanzungen von Beginn an und verschärfen sich dann oft mit zunehmendem Baumalter. Solchen tagtäglichen Erfahrungen aus der Praxis stehen bislang nur wenige Veröffentlichungen über die unerwünschten Auswirkungen dieser Konkurrenz gegenüber (z. B. KOPINGA 1992; HEIDGER & LIESECKE 1997; KOPINGA 1997; REICHWEIN 2009; STÜTZEL et al. 2009; STRECKENBACH et al. 2009; HILBERT 2014; s. S. 160, 153, 88 und 63).

Die überschaubare Anzahl von Artikeln zu diesem Thema kann so interpretiert werden, dass unerwünschte Entwicklungen lange Zeit als gegeben hingenommen wurden. Womöglich gab es einmal einen pragmatischen Umgang damit, wie auch mit den Folgen der bisherigen Praxis („so ist es nun einmal“). Straßenbäume haben in aller Regel jedoch einen eingeschränkten Wurzelraum. Allein deshalb sind Bau tätigkeiten in ihrer Nähe eine besondere Herausforderung – auch weil es hierdurch zu Wurzelverlusten und weiteren Einschränkungen kommen kann. Da es sich um ein grundsätzliches Problem handelt, und diese Konflikte großflächig bestehen, ist eine fachübergreifende Diskussion hierzu notwendig.

 

2 Ein historisch gewachsener Konflikt

Mit Blick auf die Stadtbegrünung hat es in den zurückliegenden Jahrzehnten bedeutsame Veränderungen gegeben. Hier sind vor allem der Klimawandel (vgl. MAIER & DEUTSCHLÄNDER 2010) und die gestiegene Anzahl von Eingriffen in den Wurzelraum von Bäumen hervorzuheben. Sie erschweren zunehmend sowohl die Etablierung als auch die Aufrechterhaltung eines vitalen, leistungsfähigen und verkehrssicheren Baumbestandes in unseren Städten (vgl. KEHR 2020).

Zugleich erhitzen sich die Gemüter unverändert an der Frage, ob das Pflanzen von Bäumen im Straßenraum tatsächlich eine Notwendigkeit darstellt. Seit Jahrzehnten wird auch kontrovers über die Sanierung von Schäden diskutiert, sobald diese nicht mehr tolerierbar sind. Einen Hauptstreitpunkt bildet dabei immer wieder der Umgang mit Bestandsbäumen (Abbildung 1). Ein ausgewogener Dialog zur Verhinderung solcher Schäden von Beginn an findet zumeist jedoch gar nicht erst statt.

Abbildung 1: Derartige Standortsituationen führen geradewegs zu berechtigter Kritik an deren Planung, die in aller Regel jedoch Baumverantwortliche trifft.

Abbildung 2: Unverständnis, Gedankenlosigkeit und Leichtsinn führen bei Bautätigkeiten regelmäßig noch immer zu heftigsten Beschädigungen und dem anschließenden Niedergang von Bäumen.

Es erscheint zudem, als flammen diese Konflikte regelmäßig neu auf. Mit jeder nachrückenden Generation von im Straßenraum Verantwortlichen sehen sich diese einer Problematik ausgesetzt, die von ihren Vorgängern bereits intensiv diskutiert wurde und eigentlich mit Zustimmung aller behoben schien. Aufseiten der „Berufsgrünen“ ist dann beispielsweise nicht nachvollziehbar, woher das Selbstverständnis der für die Ver- und Entsorgung der Städte Verantwortlichen rührt, mit ihren Belangen sehr deutlich den Vortritt vor Bäumen und allem, was im Straßenraum mit Baumpflanzungen zu tun hat, einzufordern und ihre Ansprüche konsequent durchzusetzen.

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterlag in Deutschland die Anpflanzung und Unterhaltung von Bäumen im Straßenraum ersten Regeln (z. B. VDG 1901). Trotz der steigenden Anzahl an Straßenbäumen verlor der Bereich der städtischen Grünplanung dennoch relativ früh an Einfluss. Die Zuständigkeit für Baumpflanzungen wurde bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend von den ehemals dafür zuständigen Landschaftsarchitekten an die Abteilungen der Wasserversorgung, des Kanalisationswesens und des Straßen- oder Tiefbaus übertragen.

Dies war der Beginn einer Entwicklung mit merk lichen Folgen für Bäume im Straßenraum, denn konsequenterweise stand damit auch der Schutz der technischen Anlagen zur Ver- und Entsorgung der Städte vor den Belangen des Stadtgrüns. So ist beispielsweise bekannt, dass bereits um 1900 eine Reihe von Straßenbäumen durch die Berliner Park- und Gartendeputation mit der Begründung abgelehnt wurde, eventuelle Beschädigungen der Kanalisation zu vermeiden (HENNEBO 1978). Somit ist im Laufe der Zeit fast beiläufig etwas entstanden, das bis heute weitestgehend Bestand hat.

WIEPKING (1963) verweist besonders deutlich auf die desaströse Entwicklung. Er berichtet davon, dass „[…] in den letzten Jahrzehnten ein unwürdiger Zustand eingetreten ist. Unverstand, Gedankenlosigkeit und Leichtsinn, bisweilen gar Flegelhaftigkeit und selbst die Bosheit dem hilflosen Baum gegenüber scheinen zu wachsen, je mehr die Handarbeit mit dem Gerät durch die gewaltigen Schub- und Hubkräfte im Erdbau ersetzt wird.“ (Abbildung 2)

Abbildung 3: Baumschutz und Leitungsbau schließen sich keinesfalls automatisch gegenseitig aus, wenn planvoll und kontrolliert vor gegangen wird wie in diesem Beispiel.

Baumverantwortlichen werden diese Worte wie aktuelle Aussagen erscheinen und sie sind mehr als ernüchternd. Die mittlerweile stark gehobenen Ansprüche an die Leistungen des städtischen Grüns machen einen achtsamen Umgang mit Bäumen dringend notwendig und dennoch werden solche Bemühungen von mehreren Seiten noch immer regelmäßig zunichte gemacht. Auch der gedankenlose Umgang mit dem Schutzgut Boden, der immerhin die Grundlage einer jeden Baumpflanzung bildet, wird von demselben Autor schonungslos aufgezeigt.

Besonders erschreckend daran ist, dass diese Berichte 60 Jahre alt sind und eine jahrzehntelang andauernde negative Entwicklung abbilden, die sich seitdem in weiten Teilen nicht verbessert hat. Einzig beim fachgerechten Umgang mit Bäumen bei Baumaßnahmen ist es in der jüngeren Vergangenheit lokal zu einer Umkehr von der gewohnten Praxis gekommen (Abbildung 3), sodass in einigen Großstädten mittlerweile beispielsweise Handschachtungen unter Wurzelerhalt oder der Einsatz eines Saugbaggers bei Eingriffen in den Wurzelraum zu einem Standard geworden sind (STRECKENBACH & DREß 2019; AMTAGE 2021; s. S. 301 und 225).

Über die Ausprägung von Wurzelsystemen gibt es ebenfalls unterschiedliche Auffassungen. Die Diskussion fußt dabei im Wesentlichen auf Ergebnissen, die aus Studien im Forst stammen (KÖSTLER et al. 1968). Sie trugen wesentlich dazu bei, dass Baumgattungen in der Praxis oft noch immer einzig nach Tiefwurzlern und Flachwurzlern unterteilt werden, ohne Rücksicht auf den Einfluss der Bodenbedingungen am Standort zu nehmen.

Auf städtischen Standorten ist die Entwicklung des Wurzelsystems jedoch besonders durch die Standortbedingungen geprägt (vgl. STRECKENBACH & STÜTZEL 2010, s. S. 159) und Erfahrungen zeigen, dass Bäume an urbanen (gestörten) Standorten tendenziell eher flach wurzeln. Derartigen Fehleinschätzungen sind in der Vergangenheit zahllose Bäume bei Bautätigkeiten zum Opfer gefallen – und tun dies noch heute (Abbildung 4).

Abbildung 4: Falsche Annahmen zum Wurzelsystem haben bei dieser Eiche maßgeblich zu ihrem unweigerlichen Niedergang in Folge der Umgestaltung des Standortes geführt.

3 Der Wurzelraum von Stadtbäumen

Der Wurzelraum von Stadtbäumen stellt ein Spannungsfeld aus gegensätzlichen Ansprüchen unterschiedlicher Gewerke an den Straßenraum dar. Herausforderungen ergeben sich aber nicht nur aus den Folgen der Konkurrenz zwischen Bäumen und Leitungen um denselben, meist nur begrenzt zur Verfügung stehenden Raum. Massive Beeinträchtigungen ergeben sich hinzukommend auch durch die oft extremen Standortbedingungen in der Stadt (vgl. ROLOFF et al. 2013).

Versiegelte und verdichtete Böden, die mit jenen von Naturstandorten kaum noch etwas gemein haben, bilden dort die Lebensgrundlage von Bäumen. Das ihnen zum Zeitpunkt der Pflanzung mitgegebene Volumen an „Erde“ beträgt häufig nicht mehr als 4 m3 (BENFELD 2007). Die seitens der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (FLL) empfohlenen 12 m3 an geeignetem und dauerhaft gut durchwurzelbarem Bodenvolumen werden vielerorts noch immer nicht annähernd realisiert (Abbildung 5). Man muss in diesem Zusammenhang betonen, dass ein solcher Raum lediglich ein Mindestmaß für die Anfangsentwicklung in den ersten Standjahren ist (FLL 2010).

Abbildung 5: An einem ausgehebelten Wurzelteller eines bei einem Orkan geworfenen Silber-Ahorns zeichnet sich die Größe der ihm ursprünglich zugestandenen Pflanzgrube ab.

Wenn der Baum angewachsen ist, wurzelt er innerhalb weniger Jahre aus der Pflanzgrube in den benachbarten anstehenden Boden – wenn die Möglichkeit dazu besteht. Für die weitere Entwicklung des Baumes ist der Zustand dieser Areale daher von herausragender Bedeutung. In den an die Pflanzgrube angrenzenden Bereichen sind die Böden jedoch meist zusammengetragen und stellen Konglomerate mit zum Teil höchst unterschiedlichen Eigenschaften dar (vgl. STRECKENBACH 2012, s. S. 112). Sie sind ihrer Struktur nach oft feinkörnig und deswegen anfällig für Verdichtungen. Zugleich müssen sie hohen Druckbelastungen standhalten, wie sie beispielsweise der Straßenbau fordert.

Es ergibt sich bereits aus einfachen physikalischen, geologischen und biologischen Überlegungen heraus, dass sich dies auf das Wachstum von Bäumen negativ auswirken kann. Generell entwickeln sich Wurzeln in frischen, locker gelagerten und damit ausreichend gut durchlüfteten Böden (aktive Bodenfauna!) besonders gut. Stadtböden können solche Eigenschaften und Strukturen zwar grundsätzlich aufweisen. Sie verlieren diese in aller Regel jedoch, sobald sie maschinell bearbeitet und anschließend versiegelt werden.

In der Praxis der Baumansprache findet der Wurzelraum bisher kaum die notwendige Beachtung und eine systematische Auseinandersetzung mit dem Thema Boden findet größtenteils noch immer vor allem unter Bodenfachleuten statt. Entsprechend ist mehr als ausreichend Literatur zu Böden, deren Eigenschaften und Bewertung vorhanden (z. B. Ad-hoc-AG Boden 2005; BLUME et al. 2011; HEMKER & KUTZA 2020). Erkenntnisse sind somit grundsätzlich für jedermann zugänglich, dennoch mangelt es weiterhin an der Einbeziehung des Themas in die baumfachliche Praxis.

Einen auch für bodenkundliche Laien zugänglichen Ansatz bieten BENK et al. (2020), in dem sie die Ansprache des Wurzelraumes anhand von zumeist bereits visuell erfassbaren Merkmalen der Oberfläche darstellen (Abbildung 6). Auf diese Weise lassen sich beispielsweise schon im Rahmen der Kontrolle von Bäumen zur Verkehrssicherheit Hinweise auf womöglich vorhandene Bodendefizite erkennen, denen anschließend im Zuge der Behebung von Vitalitätseinbußen gezielt nachgegangen werden kann (vgl. WELTECKE et al. 2018, s. S. 282).

4 Baumwurzeln und Leitungen

Der Themenkomplex „Interaktionen zwischen Bäumen und Leitungen“ wurde zuletzt durch Fachkollegen in Schweden und in anschließender Kooperation mit Instituten und Hochschulen in Deutschland intensiv aufgearbeitet (z. B. ROLF & STÅL 1994; STÅL 1998; STRECKENBACH 2009; ÖSTBERG et al. 2012). Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus den Forschungsarbeiten war die Aufklärung der Frage, warum und wie Wurzeln in Leitungen einwachsen. Lange Zeit wurde angenommen, dass diese nur durch undichte Rohrverbindungen einwachsen, weil (Ab-)Wasser aus ihnen austritt und sie Wurzeln keinen ausreichenden Widerstand mehr entgegenbringen.

Diese bis dahin ungeprüfte Hypothese wurde zu dem Zeitpunkt bereits deshalb äußerst kritisch gesehen, weil moderne Rohrverbindungen dicht (und damit nach DIN 4060 wurzelfest) sind und dennoch nachweislich Wurzeln in diese einwachsen. Allerdings nicht zugleich in jede erdverlegte Rohrverbindung, ob intakt oder nicht, was einen zwingenden Zusammenhang zwischen einer Undichtigkeit und dem Einwachsen von Wurzeln ausschließt.

Es konnte gezeigt werden, dass die Eigenschaften von Leitungsgräben und Rohrbettungen den Wuchs von Wurzeln in Richtung der Leitungen begünstigen können und dass der von den Dichtungen der Steckverbindungen ausgehende Anpressdruck von den haarfeinen und weichen jungen Wurzeln ohne Probleme überwunden werden kann. Ein Großteil der Forschungs- ergebnisse floss daraufhin in die Überarbeitung des „Merkblattes über Baumstandorte und unterirdische Ver- und Entsorgungsanlagen“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen ein (FGSV 1989).

 

Abbildung 6: Die Bodenoberfläche gibt zumeist sehr direkt Auskunft über im Wurzelraum vorhandene Störungen.

Ein wesentlicher Gedanke dieses Regelwerks war von Beginn an, die unterschiedlichen im Straßenraum tätigen Gewerke zu einer stärkeren Zusammenarbeit zu ermutigen. So enthält das ursprüngliche Merkblatt unter anderem den Vorschlag zur Einrichtung von Koordinierungsstellen. Über diese sollten alle Parteien bereits bei der Planung von Baumpflanzungen die Möglichkeit bekommen, ihre jeweiligen Belange darzulegen. Das Merkblatt fand jedoch kaum Beachtung, obwohl es zum ersten Mal Konflikte und die daran Beteiligten explizit ansprach und zugleich einvernehmliche Lösungsansätze aufzeigte.

Das aktualisierte Merkblatt erschien 2013 als Gemeinschaftsausgabe der FGSV, der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW). Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass sich darin nun drei der wichtigsten Verbände für die im unterirdischen Straßenraum tätigen Gewerke gemeinsam für die Belange von Straßenbäumen einsetzen (Abbildung 7).

Abbildung 7: Ein Bild, das es bei konsequenter Anwendung der durch den Straßen-, Tief- und Leitungsbau vorgegebenen Normen und Regelwerke nicht mehr geben sollte.

Wichtig ist auch zu erwähnen, dass der Abstand einer Leitung über 2,5 m vom Baum diese nicht vor potenziellen Beschädigungen durch Wurzeln schützt. Dieses Maß galt seit jeher vor allem als Mindestabstand, der aus Gründen des Baumschutzes eingehalten werden sollte. Daher ist ein solcher Abstand auch nicht mehr als Leitungsschutzmaßnahme aufgeführt. In einem 2016 erschienenen Beiblatt wurde jedoch erneut ein Mindestabstand als Leitungsschutzmaßnahme für Bäume definiert, die sich in der Nähe zu Gasleitungen befinden (DVGW 2016). Dies ist äußerst bedauerlich und, zumindest aus baumfachlicher Sicht, nicht nachvollziehbar.

Hingegen vollständig nachvollziehbar ist, dass Interaktionen zwischen Baumwurzeln und Gasleitungen äußerst unerwünscht sind. Die Herausgeber des Beiblattes führen aber beispielsweise an, dass in der Praxis gar keine nennenswerten Schäden durch entwurzelte Bäume an Gasleitungen bekannt sind. Daher steht dieses Beispiel anschaulich für die oben angesprochene Dynamik, nach der einmal im Konsens miteinander festgelegte Absprachen regelmäßig einseitig zurückgenommen und dann wiederholt mühevoll gemeinsam bearbeitet werden müssen.

Ungeachtet dessen besteht zu diesem Themenkomplex ein noch immer beachtlicher Forschungsbedarf, da die bislang vorliegenden Untersuchungen vor allem Fragen nach der Praxis zur effektiven Verhinderung solcher Interaktionen nicht beantworten. Dies ist insbesondere in Altbaumbeständen eine immer wiederkehrende Problematik, für die es keine allgemeingültige Lösung geben kann, für die aber in ihrer Praxistauglichkeit und Effektivität noch näher zu untersuchende Lösungsansätze bestehen (vgl. ALVEM & BENNERSCHEIDT 2009; STRECKENBACH 2013; FLL 2019).