Jahrbuch der Baumpflege 2019

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2.3 Einflussfaktoren auf Deichschäden

Deich- oder Dammschäden sind selten das Ergebnis einer einzelnen Schadensursache. Meistens führt erst die Überlagerung mehrerer ungünstiger Faktoren zu einem Schaden und damit zu einem möglichen Gesamtversagen des Bauwerks. Die Faktoren, die bei einem ungünstigen Aufeinandertreffen einen Schaden begünstigen können, sind in der Regel folgender Natur (Abbildung 5).

Meteorologie: Deichschäden entstehen meistens als Folge von Sturmfluten oder Hochwasserereignissen und der damit verbundenen Anhebung des Wasserstandes und der Dauer und Intensität der Wellen- bzw. Strömungsbelastung. Weiterhin führen starke Regenfälle zu einer zusätzlichen Durchweichung des Bodens. Bei sehr steilen Deichböschungen ist bereits ein starker Regenguss ausreichend, um die Binnenböschung ins Gleiten zu bringen. Eine lange Trockenzeit dagegen führt zu Spaltrissen im Deichboden, wodurch das Wasser leichter in den Deichboden eindringen kann. Auch eine lange Frostperiode greift die schützende Kleidecke an und macht diese rissig. Durch Risse in der Kleidecke wird die Infiltration begünstigt und Gleitfugen können wirksam werden (Schmierschicht!) (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002).

Deichgeometrie: Grundvoraussetzung für eine Beschädigung der Binnenböschung durch überlaufende Wellen ist eine nicht ausreichende Freibordhöhe und zu steile Böschungsneigungen, sodass das Wasser nicht schadlos abgeführt werden kann. Auch für die Außenböschung ist die Wahl der richtigen Neigung entscheidend für die Vermeidung von Ausschlägen. Generell wird die Verwendung flacher Böschungsneigungen (Seedeiche 1:n = 1:6, Flussdeiche 1:n = 1:3) empfohlen. Für die Neigung der Binnenböschung wird die Verwendung von 1:3 geneigten Böschungen empfohlen. Auch die Topographie des Deichvorlands (Schardeich, Vorlanddeich) hat indirekt über die Entwicklung des Seegangs einen Einfluss auf die Deichbelastung.

Deichboden: Für die Entwicklung eines Deichschadens ist die Beschaffenheit des Deichbodens verantwortlich. Trockenrisse infolge ungenügender Befestigung oder ein zu hoher Sandgehalt können zu einer starken Infiltration von Wasser führen. Auch nachträglich auf den Deich aufgebrachte Kleischichten rutschen bei extremer Belastung vom Deichkern ab, da in Spaltrisse eindringendes Wasser eine Schmierfläche zwischen Deichkern und neuer Kleischicht entstehen lässt.

Abbildung 5: Einflussfaktoren auf Deichschäden (Quelle: SCHÜTTRUMPF 2002)

Vegetation: Der Zustand der Grasdecke, insbesondere der Wurzelbeschaffenheit, beeinflusst das Widerstandsverhalten des Deiches maßgeblich und bildet häufig einen ersten Ansatzpunkt für einen Deichschaden. Wühltiere (Maulwürfe, Feldmäuse, Bisamratten, Kaninchen und Füchse) im Deich fressen an den Wurzeln und ermöglichen mit ihren Gängen ein Eindringen des Wassers und somit eine Durchweichung des Bodens. Ein weiterer Ansatzpunkt für Deichschäden sind Bäume im Deich, in deren Schatten weniger Gras wächst und die außerdem vom Wind gerüttelt werden, sodass der Boden gelockert wird. Vermodernde Wurzeln begünstigen ebenfalls die Infiltration von Wasser in den Deichkörper. Die Beweidung der Deiche durch Kühe, Schafe, Pferde oder Gänse führt zu Trittschäden an der Grassode und bei steilen Böschungen zu einer Umlagerung des Deichprofils. Auch die Pflanzenbeschaffenheit selber beeinflusst den Erosionswiderstand einer Böschungsoberfläche. Ein hoher Anteil an dikotylen Pflanzen (z. B. Distel, Wiesenkerbel, Pestwurz) schwächt infolge der großen Blätter die Wurzeldichte der Pflanzendecke.

Installationen: Dränrohre, Wasserleitungen, Kabel, Weidezäune, Masten, Treppen, Häuser im Deich, Bänke und Überfahrten bilden Ansatzpunkte für eine Erosion der Deichoberfläche, da es hier zu örtlich erhöhten Strömungsgeschwindigkeiten des überlaufenden Wassers kommt und die Pflanzendecke im Bereich dieser Objekte häufig geschwächt ist.

Unterhaltung: Fahrspuren und Trampelpfade sind die Hauptursache von Schäden an der Deichkrone. Auch eine mangelhafte Pflege der Grasdecke wie z. B. eine nicht geräumte Treibseldecke, die Schädlingen (Wühltieren) Unterschlupf bietet und die Unkrautbildung begünstigt, schwächt die Deichoberfläche. Selbst am Deich spielende Kinder können mit ihren Bauten den Deich beschädigen und schaffen damit Ansatzpunkte für größere Deichschäden.

Treibgut: Treibgut hat für die Belastung der Außenböschung eine hohe Bedeutung. Gegenstände werden bei schwerem Sturm losgerissen und treiben unkontrolliert im Wasser. Hierbei kann es sich z. B. um Treibholz, Bäume, Container, Fischerboote, Sportboote etc. handeln. Diese Objekte schädigen die Grasnarbe bzw. die Kleidecke und begünstigen somit die Wirkung der Wellen bzw. des Wasserstandes (Infiltration von der Außenböschung) (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002).

3 Im Detail: Bäume auf Deichen und Dämmen
3.1 Deichschäden infolge hölzerner Vegetation auf Deichen und Dämmen

Immer wieder werden Bäume als negativer Einflussfaktor bei Hochwasser oder Sturmflut und damit als Mitauslöser für Deichschäden identifiziert (Abbildung 6). Dokumentationen, z. B. der Schäden an Deichen während der Sturmflut vom 16./17. Februar 1962, zeigen Bäume als Gefährdung der Binnenböschung, da durch windinduzierte Bewegungen von Bäumen Bodenauflockerungen verursacht werden können und im Falle eines Baumversagens Löcher in der Deichoberfläche entstehen können (MELF 1962). Auf der Außenböschung wirken Bäume als Angriffspunkt für Erosion bei starker Strömung oder Wellenangriff (TRAEGER 1962). Weiterhin wurden Verschlechterungen der Grasnarbe infolge des Schattenwurfs der Bäume festgestellt (TRAEGER 1962). Diese Erfahrungen und Lehren aus vergangenen Hochwasserereignissen und Sturmfluten haben zu der heutigen Praxis geführt, Bäume und Sträucher auf Deichen weitgehend zu vermeiden, da sie eine Gefährdung der Sicherheit des Schutzbauwerks Deich darstellen.

Auch in jüngeren Jahren wurde von Deichschäden infolge von Baumsturz berichtet. Während des Sturmtiefs „Ela“ im Jahr 2014 stellten Bäume eine Gefahr für den Hochwasserschutz dar, da sie einen Angriffspunkt für Wind und Wasser bildeten. Konnten die Wurzeln keinen ausreichenden Halt gegen die angreifenden Kräfte bieten, so wurden die Bäume umgerissen und ließen große Löcher in der Deichoberfläche zurück.

Abbildung 6: Deichschaden infolge von Bäumen an einem Deich in Vietnam: Erhöhte Erosionserscheinungen im Bereich der Bäume mit Wurzelfreilegungen nach Überströmung

3.2 Bäume auf Deichen – Ja oder Nein?

Hölzerne Vegetation auf Deichen oder Dämmen ist nach wie vor ein umstrittenes Thema. Im Allgemeinen haben sich dichte Grasnarben zum Schutz der Oberfläche von Deichen und Dämmen bei milden bis mittleren Belastungen bewährt (EAK 2002). Durch natürliche Entwicklung oder menschliche Einflüsse können jedoch gelegentlich auch hölzerne Vegetationen in Form von waldähnlichen Beständen, Baumreihen oder einzelnen Bäumen auf Deichen und Dämmen auftreten (HASELSTEINER 2010b). Während hölzerne Vegetation ökologische Funktionen, z. B. Bereitstellung von Lebensräumen und Wasser-, Luft- und Temperaturverbesserungen sowie kulturelle, der Erholung dienende und ästhetische Funktionen bietet (KISSE & ELLEBRACHT 2015; ZANETTI et al. 2016), werden die Effekte auf die Deichsicherheit kontrovers diskutiert.

Gräser bewirken eine vergleichsweise flache Verwurzelung des Bodens, während Bäume und Sträucher ein tiefer reichendes Wurzelwerk aufweisen (GRAY 1995). Somit unterscheidet sich auch die Wirkung auf das Schutzbauwerk Deich. Durch die tieferen und stärkeren Wurzeln von Bäumen wird eine erhöhte (globale) Standfestigkeit erzeugt, während Gräser und Kräuter durch eine dichte Bodendeckung den Widerstand gegen Oberflächenerosion erhöhen (GRAY 1995; PFLUG & STÄHR 1999; LAMMERANNER & HASELSTEINER 2010). Weiterhin werden Bäumen positive Effekte auf die Bodenfeuchte infolge von Interzeption, Wasseraufnahme und Transpiration (GRAY 1995; SEETHALER 1999; ZANETTI et al. 2016) und die Wirkung als Wellenbrecher oder Strömungsberuhiger und Schutz gegen Eisgang (SEETHALER 1999; HASELSTEINER 2010b; LAMMERANNER & HASELSTEINER 2010) zugesprochen. Vereinzelt wird ein reduzierter Unterhaltungsaufwand in Verbindung mit Bäumen auf Deichen oder Dämmen genannt (PFLUG & STÄHR 1999; LAMMERANNER & HASELSTEINER 2010).

Positiven Effekten des Wurzelwerks auf die Standfestigkeit des Bauwerks stehen ein erhöhtes Risiko von baumbedingten Deich- oder Dammschäden, z. B. bei einem Baumversagen, oder Schäden der Abdichtung entgegen. Zudem gelten Bäume als Angriffspunkt für Oberflächenerosion durch Strömungskonzentrationen und Turbulenzen. Innere Erosion kann infolge der Hohlraumbildung bei Wurzelsterben begünstigt werden (SEETHALER 1999; DWA-M 507–1; CIRIA 2013; ZANETTI et al. 2016). Weiterhin können zusätzliche Kräfte (z. B. Windkräfte) in die Böschung übertragen, die Entwicklung einer dichten, erosionsresistenten Grasdecke durch Beschattung erschwert und das Risiko, Wühltiere anzulocken, erhöht werden (DWA-M 507—1; CIRIA 2013). Bei Monitoring- und Unterhaltungsmaßnahmen sowie insbesondere bei Deichverteidigungsmaßnahmen im Hochwasserfall können Bäume als Störelemente zu Komplikationen führen (GRAY 1995; DWA-M 507–1; CIRIA 2013).

 

Während gängige Empfehlungen und Regelwerke für Planung, Bau und Unterhaltung von Dämmen und Deichen das Vorhandensein von Bäumen grundsätzlich untersagen (DIN 19712/1997; USACE 2014), können Ausnahmen möglich sein, sofern die Bauwerkssicherheit und Funktionalität nicht eingeschränkt sind oder erhöhte Risiken akzeptabel sind (HASELSTEINER 2010a). Verstärkungs- oder Ausgleichsmaßnahmen, z. B. in Form von Deichüberdimensionierungen oder Baumsicherungen, können dabei Optionen zur Gewährleistung der Deichsicherheit darstellen und den Erhalt von Bäumen auf Deichen ermöglichen. Ausführliche Beschreibungen und Darstellungen von statisch wirksamen Dichtungen zur Gewährleistung der weiteren Hochwasserschutzfunktion im Falle von Windwurf oder Deichschäden und Möglichkeiten zur Sicherung von Einzelbäumen auf Deichen sowie erforderlicher Unterhaltungsmaßnahmen können beispielsweise HASELSTEINER & STROBL (2006) entnommen werden. Hierbei ist zu beachten, dass die Sicherung und Ertüchtigung von Deichen mit Bäumen i. d. R. mit einem erheblichen finanziellen Mehraufwand verbunden ist (HASELSTEINER & STROBL 2006). Für weitere Praxisbeispiele wird zudem auf DUJESIEFKEN & HAGEN (2019) und HASELSTEINER (2019) verwiesen.

Aktuell befindet sich das Regelwerk zu landschaftsökologischen Aspekten für Deiche an Fließgewässern in der Bearbeitung, in dem auch eine Thematisierung von Bäumen auf Flussdeichen zu erwarten ist (DWA-M 507–2).

Literatur

CIRIA, 2013: The International Levee Handbook. London: CIRIA (CIRIA, C731).

DIN 19712/1997, 1997: Flussdeiche.

DUJESIEFKEN, K.; HAGEN, F. C., 2019: Erhalt von Altbäumen auf Dämmen – Konflikte – Lösungen – Umsetzung am Beispiel der Stör-Wasserstraße. In: DUJESIEFKEN, D. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2019. Haymarket Media, Braunschweig,52–66.

DVWK, 1986: Merkblätter zur Wasserwirtschaft. Flußdeiche. Nr. 210. Verlag Paul Parey.

DWA-M 507–1, 2011–12: Deiche an Fließgewässern Teil 1: Planung, Bau und Betrieb.

DWA-M 507–2, in Bearbeitung: Deiche an Fließgewässern Teil 2: Landschaftsökologische Aspekte bei Flussdeichen.

EAK, 2002: Empfehlungen für Küstenschutzwerke. Korrigierte Ausgabe 2002. In: Kuratorium für Forschung im Küsteningenieurwesen (KFKI) (Hrsg.): Die Küste, Bd. 65. Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau (BAW).

GRAY, D. H., 1995: Influence of Vegetation on the Stability of Slopes. In: BARKER, D. H. (Hrsg.): Vegetation and Slopes. Stabilisation, Protection, and Ecology. Proceedings of the International Conference held at the University Museum, Oxford, 29–30 September 1994. London, New York, NY: T. Telford; American Society of Civil Engineers [distributor], 2–25.

HASELSTEINER, R., 2010a: Woody Vegetation on Small Embankments. In: Proceedings of the 8th ICOLD European Club Symposium: dam safety – sustainability in a changing environment. Innsbruck, Austria, 22.-23.09.2010.

HASELSTEINER, R., 2019: Bäume an und auf Hochwasserschutzanlagen – Praxisbeispiele und Hinweise. In: DUJESIEFKEN, D. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2019. Haymarket Media, Braunschweig, 41–52.

HASELSTEINER, R.; STROBL, T., 2006: Deichertüchtigung unter besonderer Berücksichtigung von Gehölzen. In: HERMANN, J.; JENSEN, J. (Hrsg.): Sicherung von Dämmen, Deichen und Staunanlagen: Handbuch für Theorie und Praxis, Bd. 2. Siegen: Siegen – universi, 325–353.

HASELSTEINER, R., 2010b: Der Bewuchs an und auf Hochwasserschutzdeichen an Fließgewässern aus technischer und naturschutzfachlicher Sicht. In: Wasserbauliche Mitteilungen, Bd. 40. Dresdner Wasserbaukolloquium. Dresden, 373–382.

KISSE, A.; ELLEBRACHT, M., 2015: Bäume auf Deichen – Hochwasserschutz kontra ökologische Landschaftsplanung? In: HERRMANN, R. A.; JENSEN, J. (Hrsg.): Sicherung von Dämmen, Deichen und Stauanlagen. Siegener Symposium zur „Sicherung von Dämmen und Deichen“. Siegen, 189–201.

KOLB, A., 1962: Morphologie der Deich- und Flurbeschädigungen zwischen Moorburg und Cranz. Gemeinschaftsarbeit des Inst. Für Geographie und Wirtschaftsgeographie der Universität Hamburg. Selbstverlag. Hamburger Geographische Studien. H. 16.

LAMMERANNER, W.; HASELSTEINER, R., 2010: Ingenieurbiologische Bauweisen an Hochwasserschutzdeichen. In: Wasserbauliche Mitteilungen, Bd. 40. Dresdner Wasserbaukolloquium. Dresden.

MELF, 1962: Die Sturmflut vom 16./17.2.1962 im niedersächsischen Küstengebiet. Die Küste. H. 1, 17–54.

PFLUG, W.; STÄHR, E., 1999: Wald auf und an Flussdeichen. In: PFLUG, W.; HACKER, E. (Hrsg.): Ingenieurbiologie – Flußdeiche und Flußdämme, Bewuchs und Standsicherheit. Aachen: Gesellschaft für Ingenieurbiologie (Jahrbuch der Gesellschaft für Ingenieurbiologie, 4), 297–321.

SCHÖNFELD, G.; TORNOW, H., 1976: Angst hinterm Deich. Sturmfluten 1962–1976. Zeitungsverlag Krause KG. Stade/Buxtehude.

SCHÜTTRUMPF, H., 2002: Wellenüberlaufströmung bei Seedeichen – Experimentelle und theoretische Untersuchungen. Mitteilungen des Leichtweiss-Instituts für Wasserbau. H. 149.

SCHÜTTRUMPF, H.; OUMERACI, H., 2002: Deichschäden. Mitteilungen des Leichtweiss-Instituts für Wasserbau. H. 149.

SEETHALER, L., 1999: Wurzelausbreitung von Gehölzen auf Flußdeichen. In: PFLUG, W.; HACKER, E. (Hrsg.): Ingenieurbiologie – Flußdeiche und Flußdämme, Bewuchs und Standsicherheit. Aachen: Gesellschaft für Ingenieurbiologie (Jahrbuch der Gesellschaft für Ingenieurbiologie, 4), 215–232.

TRAEGER, G., 1962: Die Sturmflut vom 16./17.2.1962 im Lande Bremen. Die Küste. H. 1. 93–112.

USACE, 2014: Guidelines for Landscape Planting and Vegetation Management at Levees, Floodwalls, Embankment Dams, and Appurtenant Structures. Technical Letter No. ETL 1120–2-583. US Army Corps of Engineers.

ZANETTI, C.; MACIA, J.; LIENCY, N.; VENNETIER, M.; MÉRIAUX, P.; PROVANSAL, M.; LANG, M.; KLIJN, F.; SAMUELS, P., 2016: Roles of the Riparian Vegetation. The Antagonism between Flooding Risk and the Protection of Environments. In: E3S Web Conference 7 (6), S. 13015. DOI: 10.1051/e3sconf/20160713015.

Autoren

Prof. Holger Schüttrumpf leitet das Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der RWTH Aachen und arbeitet seit mehr als 25 Jahren auf dem Gebiet der Deichsicherheit von Fluss- und Seedeichen.

Babette Scheres erarbeitet im Rahmen des BMBF-Eco-Dike-Projekts (BMBF 03F0757 A) Möglichkeiten zur ökologischen Aufwertung von Seedeichen unter Berücksichtigung der Deichsicherheit.


Univ.-Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf

Mies-van-der-Rohe-Straße 17

52074 Aachen

Tel. (0241) 80 25262

schuettrumpf@iww.rwth-aachen.de


Babette Scheres, M.Sc. RWTH

Mies-van-der-Rohe-Straße 17

52074 Aachen

Tel.: (0241) 80 25923

scheres@iww.rwth-aachen.de

Bäume an und auf Hochwasserschutzanlagen – Hinweise und Beispiele aus der Praxis
Trees on and near of Flood Protection Structures – Remarks and Case Studies

von Ronald Haselsteiner

Zusammenfassung

Hochwasserschutzanlagen sind technische Bauwerke, welche das Rückgrat von Hochwasserschutzkonzepten und -maßnahmen der Länder bilden. Weiter sind sie auch Bestandteil von Natur und Landschaft sowie Objekte von unterschiedlichen, zum Teil konkurrierenden Interessen, welche nicht immer mit den Zielen des technischen Hochwasserschutzes übereinzubringen sind. Hier sind interdisziplinäre Kompromisslösungen erforderlich, um für alle Beteiligten und Betroffenen den größtmöglichen Nutzen zu erreichen, wobei das Primat des Hochwasserschutzes von allen Parteien akzeptiert werden muss. Der Beitrag zeigt zum einen die technischen Anforderungen und planerischen Aspekte beim Thema Bäume an und auf Hochwasserschutzanlagen und zum anderen praktische Beispiele, Lösungen und eine konzeptionelle Herangehensweise auf.

Summary

Flood protection structures are technical assets, which form the backbone of flood protection concept and measures of the federal states. Further, they are part of nature and landscape and object to different, partly competing interests, which cannot always correspond to the aims of technical flood protection works. Therefore, interdisciplinary compromise solutions are required in order to achieve the best benefit for all involved parties. In this context all parties have to accept the primacy of flood protection. The presented contribution shows the technical requirements and planning aspects concerning the topic trees on and at flood protection structures on the one hand, and case studies, solutions and a conceptional approach on the other hand.

1 Einleitung

Die Hochwasserereignisse der letzten Jahrzehnte haben auf eine schmerzhafte Weise dargelegt, wie verletzlich ein so hoch entwickeltes Land wie Deutschland sein kann. Zwischen den schadensträchtigen Hochwassern Anfang des 20. Jahrhunderts und in den 1940er und 1950er Jahren lagen Jahrzehnte, in denen wirklich einprägende Hochwasserereignisse ausblieben.

Dies änderten Hochwasser in den 1980er und 1990er Jahren an der Donau und am Rhein und u. a. in den Jahren 2002 und 2013 an Elbe, Donau und deren Zuflüssen. Die an den Gewässern ermittelten Hochwasserjährlichkeiten der letztgenannten Ereignisse übertrafen lokal 100 Jahre, wie in es Passau im Jahr 2013 der Fall war, als man im Nachgang eine Jährlichkeit von 500 Jahren ermittelt hat. Die aktuelle Entwicklung des Weltklimas zeugt von einem Wandel, welcher die zukünftige Hochwassergefahr noch auf eine nicht vorhersagbare Weise intensivieren wird.

Besonders bei Deichbrüchen und schadensträchtigen Überflutungen, wo im näheren Umfeld des Versagens der Hochwasserschutzanlagen Bäume stehen und standen, keimt die Diskussion über die Zulässigkeit von Bäumen an und auf Hochwasserschutzanlagen nach jedem Hochwasser erneut auf. Die folgenden Ausführungen sollen dazu beitragen, diese Diskussionen auf ein profundes, fachliches Fundament zu setzen.

2 Fachliche, rechtliche und planerische Grundlagen

Bei der konkreten Planung und Umsetzung von Hochwasserschutzprojekten werden Bäume an und auf Hochwasserschutz (HWS)-Anlagen nicht selten kontrovers diskutiert. Der ökologische Wert von Habitatbäumen und die schützende Wirkung von Bäumen/ Gehölzen, z. B. gegen Eisversatz, sind unbestritten, jedoch gehen vom Wurzelwerk, welches z. B. in den Deichkörper oder in dessen Dichtung hineinreicht, Gefahren aus, welche in der technischen Planung nicht selten dazu führen, dass eine Rodung und Entfernung der Bäume und des Wurzelwerks mit anschließendem Ersatzneubau des Deiches vorgeschlagen werden.

Hochwasserschutzanlagen an Fließgewässern sind technische Bauwerke, die das Hinterland vor einem festgelegten Bemessungshochwasser schützen. Um sicherzustellen, dass die Hochwasserschutzanlagen diese Aufgabe sicher und dauerhaft erfüllen können, gibt es Normen und Regelwerke (DIN 19712; DWA-M 507–1; DWA 2005, etc.). Internationale Regelwerke sind zwar in Deutschland rechtlich nicht bindend, beinhalten jedoch wertvolle Erfahrungen und hilfreiche Hinweise (CIRIA 2013; USACE 2014). Eine ähnliche thematische Ausrichtung haben weitere Normen und Regelwerke, welche Stauanlagen oder Stauhaltungsdämme behandeln, wie z. B. BAW MSD (2011), die Normenreihe DIN 19700 (2004) für Stauanlagen und z. B. DWA-M 522 (2015).

Bei HWS-Anlagen werden erdbauliche Deiche und Dämme und wand- bzw. mauerartige Bauwerke unterschieden, welche aus natürlichen oder künstlichen Baustoffen sowie aus Beton, Stahl, Kunststoff oder aus einer Kombination aus den genannten Baumaterialien bestehen. Hochwasserbeeinflusste Erdbauwerke werden i. d. R. als Deich bezeichnet, wobei in Baden-Württemberg auch von einem Damm bzw. Hochwasserdamm gesprochen werden kann. Der Unterschied zu den Talsperren, Hochwasserrückhaltebecken sowie Stauhaltungsdämmen ist in DIN 19700 beschrieben. Grundsätzlich sind Deiche erdbauliche Hochwasserschutzanlagen entlang von Fließgewässern, die einen temporären Einstau erfahren, eine lange Ausdehnung aufweisen und i. d. R. von geringer Höhe sind (vgl. DWA-M 507/1). In den Bergsenkungsgebieten am Niederrhein können die Deiche jedoch auch Höhen von mehr als 15 m annehmen. Die Anlagen nach DIN 19700 sind Stauanlagen, die im Haupt- oder Nebenschluss einen Aufstau bzw. eine Rückhaltung erzeugen. Hiervon sind u. a. auch die Stauanlagen an Bundeswasserstraßen, wie z. B. die Kanaldämme, zu unterscheiden, für die die Bundesanstalt für Wasserbau aufgrund der spezifischen Randbedingungen und Belastungen ein eigenes Regelwerk erstellt hat, zu dem u. a. MSD BAW (2011) zählt.

 

In DIN 19712 (2013) wird zwar der Grundsatz der Gehölzfreiheit auf Deichen formuliert, jedoch auch der Ausnahmefall eingeführt und hierfür Anforderungen formuliert. „Gehölze (Bäume, Sträucher und Hecken) auf Deichen beeinträchtigen die Standsicherheit sowie die Unterhaltung und sind deshalb unzulässig. Bäume müssen einen Mindestabstand von 10 m (Pappeln 30 m) vom Deichfuß aufweisen (DVWK 226). … Werden Gehölze auf Deichen im Sinne einer Fremdnutzung im Ausnahmefall gefordert, ist dies allenfalls unter folgenden Maßgaben zulässig“.

Maßnahmen, welche Bestandsbäume schädigen, widersprechen grundsätzlich dem Gebot des Baumschutzes, welches in kommunalen oder städtischen Satzungen niedergeschrieben ist (vgl. DIN 18920). Bis dato wird jedoch der Schutz von Leben und Gütern vor Hochwasser als wichtiger eingeschätzt bzw. beurteilt, sodass i. d. R. die HWS-Anlage vor dem Baum bzw. dessen Auswirkungen geschützt wird, um den Hochwasserschutz sicherzustellen, und nicht anders herum.

Dass in DIN 19712 neben den Deichen auch HWS-Anlagen und mobile Systeme behandelt werden, zeigt die Intention, eine einzige Norm für alle Formen von HWS-Anlagen bereitzustellen. Eine explizite Regelung zu Bäumen für HWS-Wände und mobile Systeme ist in der Norm aber nicht zu finden. Jedoch findet sich der Hinweis zur analogen Betrachtung wie bei Deichen. In DIN 19712 ist diesbezüglich unter Abschnitt 15.3 „Unterhaltung von Hochwasserschutzwänden und mobilen Hochwasserschutzsystemen“ Folgendes zu finden:

„Analog zu Deichen sind auch diese Hochwasserschutzanlagen zu pflegen und eventuell eingetretene Beschädigungen unverzüglich zu beheben, um die Funktionssicherheit der Anlagen jederzeit sicherzustellen.“

Ob gewollt oder nur geduldet, an zahlreichen HWS-Anlagen in Deutschland sind Bäume vorhanden, über deren Zulässigkeit und Auswirkungen auf die Standsicherheit bzw. Tragsicherheit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit besonders im Rahmen von erforderlichen Ertüchtigungsmaßnahmen, jedoch auch bei der Erstellung der sogenannten Statusberichte oder Anlagenbücher für HWS-Anlagen nach DIN 19712 zum Teil kontrovers diskutiert wird.

Abbildung 1: Beispiele von großen Bäumen an HWS-Anlagen am Rhein und am Neckar

In Abbildung 1 sind ausgewählte Beispiele dargestellt, welche durchweg sehr große Bäume an und auf HWS-Anlagen zeigen. Bei diesen Beispielen treffen die Ansichten und Meinungen von für die Sicherheit zuständigen Ingenieuren mit Aspekten des Umwelt- und Naturschutzes sowie des Städte- und Landschaftsbildes und der Naherholung aufeinander. In der Praxis stellen Kompromisslösungen zugunsten des Erhalts von Gehölzen einen Ausnahmefall dar, da damit i. d. R. auch erhebliche Mehrkosten verbunden sind. Der Ausnahmefall wird jedoch auch in den Regelwerken sowie in vorliegender Arbeit näher beleuchtet (HASELSTEINER & STROBL 2006; HASELSTEINER 2007a, etc.).

Bei Deichen und Dämmen können Bäume direkt auf dem Bauwerk vorkommen und wachsen, wobei das Bauwerk selbst das Tragwerk darstellt. Bei Mauern ist dies etwas anders. Hier müssen Bäume nahe an der Wand nicht unbedingt in das Tragwerk hineinreichen, es sei denn, der Baum befindet sich im Bereich einer Vorschüttung oder einer Hinterfüllung, welche zum Tragwerk gezählt wird. Bei erdbaulichen Bauwerken verankert sich der Baum mit den Wurzeln im Tragwerk und ändert somit das Tragverhalten. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass in den Regelwerken i. A. gefordert wird, dass ein statischer Mindestquerschnitt frei von Gehölzwurzeln bleiben muss, so dass es im Einzelfall möglich ist, durch die Ausbildung von z. B. Überprofilen, wie diese folgend noch beschrieben werden, auch Bäume auf Erddeichen zuzulassen.