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Selma Lagerlöf (1858–1940)

Es war ein langer, sandiger Strand mit Steinen und Wasserpfützen und einer großen Menge angeschwemmten Tangs. Wenn der Junge die Wahl gehabt hätte, würde er wohl nie daran gedacht haben, sich da niederzulassen; aber die Vögel hielten diesen Ort gewiß für ein wahres Paradies. Enten und Graugänse weideten auf der Wiese, am Ufer hüpften Strandläufer und andre Strandvögel umher. Die Seetaucher lagen im Wasser und fischten, aber am meisten Leben und Bewegung war doch auf den langen Tangbänken vor dem Ufer draußen. Da standen die Vögel nebeneinander und suchten Larven, von denen es eine grenzenlose Menge geben mußte, denn man hörte niemals, daß sich irgend eine Klage über Mangel an Futter erhoben hätte.

Die meisten von den Vögeln wollten weiterreisen und hatten sich nur zum Ausruhen hier niedergelassen. Sobald der Anführer einer Schar meinte, seine Reisegenossen hätten sich jetzt genug gestärkt und gelabt, sagte er: »Seid ihr jetzt fertig? Dann begeben wir uns wohl weiter?«

»Nein, warte noch, warte noch! Wir sind noch lange nicht satt!« riefen die Mitreisenden.

»Ihr meint wohl, ihr dürftet euch so vollfressen, daß ihr euch nicht mehr bewegen könnt?« erwiderte der Anführer. Dann schlug er mit den Flügeln und flog davon. Aber mehr als einmal mußte er wieder umkehren, weil die andern nicht zum Weiterfliegen zu bewegen waren.

Unterhalb der äußersten Tangbank lag eine Schar Schwäne. Sie hatten keine Lust, an Land zu gehen, sondern ruhten sich, auf dem Wasser liegend und sich leise hin und her wiegend, aus. Ab und zu tauchten sie mit dem Hals unter und holten sich Speise aus dem Meeresgrund. Wenn sie etwas besonders Gutes ergattert hatten, stießen sie einen lauten Schrei aus, der wie ein Trompetenstoß klang.

Als der Junge hörte, daß Schwäne dort unten lagen, lief er schnell auf die Tangbänke hinaus. Er hatte noch nie wilde Schwäne in der Nähe gesehen. Und er hatte Glück, denn er gelangte ganz nahe zu ihnen hin.

Der Junge war jedoch nicht der einzige, der die Schwäne gehört hatte; sowohl die Wildgänse als auch die Graugänse und die Enten und die Seetaucher schwammen zwischen die Tangbänke hinein, legten sich wie ein Ring um die Schar der Schwäne herum und schauten sie unverwandt an. Die Schwäne bliesen die Federn auf, breiteten die Flügel wie Segel aus und hoben die Hälse hoch in die Höhe. Bisweilen schwamm einer von ihnen zu einer Gans oder einem großen Seetaucher oder einer Tauchente hin und sagte ein paar Worte. Und dann war es, als ob der Angesprochene kaum den Schnabel zu einer Entgegnung zu öffnen wagte.

Doch da war auch ein kleiner Seetaucher, ein kleiner schwarzer Schlingel, dem war diese ganze Feierlichkeit unerträglich. Hurtig tauchte er unter und verschwand unter dem Wasser. Gleich darauf stieß einer der Schwäne einen lauten Schrei aus und schwamm so schnell davon, daß das Wasser hinter ihm schäumte. Dann hielt er an und versuchte, wieder majestätisch auszusehen. Aber gleich darauf schrie ein andrer wie der erste, und im nächsten Augenblick auch ein dritter.

Nun aber konnte es der kleine Seetaucher nicht länger unter dem Wasser aushalten, und er erschien wieder an der Oberfläche, klein und schwarz und boshaft. Die Schwäne stürzten auf ihn zu; aber als sie sahen, was für ein kleiner Wicht er war, machten sie rasch kehrt, als ob sie sich für zu gut hielten, mit ihm anzubinden. Der kleine Seetaucher tauchte jedoch von neuem unter und zwickte die Schwäne abermals in die Füße. Das tat ihnen sicher weh, und das schlimmste war, daß sie ihre Würde nicht aufrecht erhalten konnten. Da machten sie der Sache rasch ein Ende. Sie schlugen mit den Flügeln, daß es donnerte, jagten ein großes Stück gleichsam auf dem Wasser springend weiter, bekamen schließlich Luft unter die Schwingen und flogen davon.

Als sie fort waren, fehlten sie den andern Vögeln sehr, und die, denen das Vorgehen des kleinen Seetauchers vorher Spaß gemacht hatte, schalten ihn jetzt wegen seiner Unverschämtheit aus.

Der Junge ging wieder dem Lande zu. Hier angekommen hielt er bei den Strandläufern an und schaute ihrem Spiel zu. Sie standen in einer langen Reihe am Strand und sahen wie winzige Kraniche aus; wie diese hatten sie auch kleine Körper, hohe Beine, lange Hälse und leichte, schwebende Bewegungen, aber sie waren nicht grau, sondern braun. Da standen sie in einer langen Reihe an dem von den Wellen bespülten Uferrand. Sobald eine Woge daherrauschte, sprang die ganze Reihe rückwärts, wenn die Welle aber wieder zurückwich, liefen sie ihr nach. Und so ging es stundenlang fort.

August Strindberg (1849–1912)

An einem Sommerabend ging der Lehrer mit Johannes durch den Klee und hörte ein Geräusch, es klang in etwa wie crex crex. – Was ist das? fragte der Lehrer. – Der Wachtelkönig, natürlich. – Hast du den Wachtelkönig schon gesehen? – Nee. – Kennst du jemanden, der ihn gesehen hat? – Nee. – Woher weißt du denn, daß er es ist? – Man sagt es! – Siehst du! Wenn ich nun aber einen Stein werfe, fliegt er dann auf? – Nein, er kann nicht fliegen bzw. nur sehr schlecht. – Im Herbst fliegt er aber nach Italien; wie macht er denn das? – Weiß ich nicht. – Was sagen die Zoologen? – Nichts. – Glauben die, er fliegt über den Öresund, geht durch Deutschland, marschiert über die Alpen oder durch den Sankt Gotthard Tunnel? – Sie sagen nichts. – Na, schön; Brehm rechnet auf jedem Morgen Acker oder Wiese mit ein paar Lerchen; wenn wir nun auf jedem Hektar mit ein paar Wachtelkönigen rechnen, hat unser Land im Frühling fünf Millionen Wachtelkönige, und nachdem sie im Sommer sieben bis zwölf Eier legen, gibt es im Herbst hierzulande fünfunddreißig Millionen Wachtelkönige. Würde man die nicht sehen, wenn sie über den Öresund fliegen oder marschieren? – Kann’s nicht erklären. – Ein schlechter Flieger kommt nicht über den Öresund; möglicherweise läuft er um den Bottnischen Meerbusen herum? – Nein, dann müßte er Flüsse durchqueren, und der Vogelzug wäre so sichtbar wie die Lemminge. Außerdem gibt es in England jeden Herbst siebzig Millionen Wachtelkönige, die können nicht herumrennen. – Dann geschieht doch ein Wunder? – Was ist ein Wunder? – Was man nicht erklären kann, und zu leugnen kein Recht hat. – Dann ist der Flug des Wachtelkönigs ein Wunder und muß nach unbekannten Naturgesetzen vor sich gehen, oder übernatürlich sein.

Brigitte Kronauer (1940–2019)

Nachtigallen (»Mund der Nacht«, »Wald-Ton«), Finken, Lerchen tirilierten und flöteten aus Waldinnerem und Moosgrund. »Wir kommen, wir kommen!« Die Sophie preßte beide Hände auf ihr Herz und schloß die Augen. An so viel Vorfreude kam keiner heran. Wie schwarz, wie weich, wie sie glänzte an der Oberfläche. Statt des Mahls im Wintergarten spendierte Zara mir diesmal Leo, statt der Schuhsammlung die Vögel! Und wirklich: Ähnlich den tollen Pumps und Sandaletten in Velours und Seide, mit Schuppen beklebt, funkengleich, stoben sie, als wir den beinahe leeren Raum betraten, davon, in das Grün ihrer Gebüsche und das Wurzelwerk hinter der gläsernen Außenwand. Nein, dort waren sie die ganze Zeit über, die Glasbarriere hielt sie ja auf. Sie sahen von draußen in den Raum, aus ihren Verstecken hervor, in diesen Salon, in dem wir uns zusammen mit einer Kollektion von Samtsesselchen in den Farben von Kapuzinerkressen, befanden. Zwischen uns und dem Garten also die Vögel in ihrem durchsichtigen Tunnel. Es mußte irgendwo aber Öffnungen geben, weil ihre Stimmen so quinkilierend um uns herum waren. Auch ein Zischen und Plustern, es dröhnte ja wie vergrößert durch einen Trick an mein Ohr, wohl nur, weil es so viele waren.

»Rote Tangare«, sagte der Ingenieur, griff meinen Arm und zog mich vor ein rot-schwarzes Feuergeschöpfchen mit weißem Fleck rechts und links vom Schnabel. »Ich habe ihn im Südosten von Brasilien in freier Natur gesehen. Da flatterte er plötzlich. Das ist, mit Verlaub, noch aufregender als hier, zwischen, na, was wird es sein, Ginster, Birke, Hagebutte usw.« Das Tierchen ruckte mit dem Kopf, die Iris umrundete so rot wie das Gefieder seine große Pupille. Es sah mich mit dem einen Auge an, dann mit dem anderen, öffnete den Schnabel zu einer blanken Silbe, blieb jedoch lautlos. »Dort, die gelben, die Webervögel, die gibts in Tansania in Massen, machten immer viel Lärm.« Der Ingenieur verströmte warm brummend in gemäßigter Eitelkeit sein Wissen. Zara aber, vom Braun und Gold ihres Satinkleides umschlossen, lehnte an der Volierenwand und wurde auf einmal selbst ein schlanker Webervogel mit schimmernden Rundungen. Beim ersten Besuch war sie, für ein paar Stunden, in der Mauser, dachte ich, aber offengestanden dachte ich nicht viel, sah auch das meiste nicht richtig an. Ich hörte zwar: »Ach, der rote Kardinal, ein Edel-, ein Karfunkelstein, ein Juwel, ah, ah, ein wunderbarer Sänger, die virginische Nachtigall!« Das war Frau Korf. »Ehemalige Tierpflegerin. Auch in diesem Punkt assistiert sie Zara«, sagte Leo leise hinter mir, und ohne das kostbare Exemplar mit dem wütend zu Berge stehenden Schopf zu beachten und ohne zu erkennen, ob er in dem Stimmengewirr jubilierend oder lamentierend einen piependen Beitrag leistete, herrjeh, lehnte ich um zwei Zentimeter höchstens heimlich den Kopf nach hinten und horchte der mir zugesenkten Stimme nach, dieser verhaltenen, zögernden, ihre Kraft nicht verausgabenden, die jetzt schwieg. Der Mund aber blieb atmend in meiner Nähe, ich schloß die Augen, schwirr, für mich, für mich, mehr war nicht erlaubt: zwei weitere Frauen im Raum!

»Im Dschungel, in den Urwäldern Südamerikas«, strömte und rollte der Ingenieur gegen die zuckenden, wispernden Laute an. »Ah, der Indigofink!« Sophie ging vor der Glaswand in die Knie und reckte sich dann wieder bis zum Äußersten, weil sie um jeden Preis die sein wollte, die mit den Vögeln zu sprechen verstand, stieß unentwegt Töne aus und ließ dabei ihre Zunge sehen. »Animalische Schauer«, bemerkte Leo mit leisem Lachen an meinem Nacken, ein sehr kleines Stolpern in seiner Stimme, ein Hüpfer, ein Schnauben, kaum hörbarer Seufzer, kein vorgeschriebenes Wort. Vielleicht wurde es so nur von ihm hervorgebracht, auf der gesamten restlichen Welt nie wieder, es kam mir vor, als sähe ich bei diesem kurzen Geräusch aus seiner Kehle zwischen zwei bekannten, von allen benutzten Wörtern einen Schnitt in seiner bleichen Haut, als eine Art Vertrauensbeweis einen messerschmalen blutigen Riß.

 

Im Braun mit goldenen Glanzlichtern saß Zara auf dunkelrotem Samt. Sie hatte uns alle im Blick, besonders die auf- und niederwogende Sophie, die schnäbelte und schnalzte, jedes einzelne der grün-gelben, gold-violetten, grün aufflatternden Vögelchen anrief und beschwor, mit Kosenamen pries und sich zwischendurch die eigenen Brüste drückte in hohem Entzücken. Tief hinunter war ihre Haut ohne Absätze gebräunt. Wie ein Federtierchen hielt Zara jetzt einen ihrer Pumps in der Hand, streichelte darüber, bevor sie ihn zurück an den wippenden Fuß steckte. Wollte sie mit diesem Intermezzo das Geturtel der fanatischen Gehilfin äffen? Zara: »Die Vögel haben häßliche Füße, die Schuhe können nicht fliegen.« Der Ingenieur machte unterdessen Vorschläge zur Steigerung der Urwaldillusion, eine Sache auch der raffinierten Beleuchtung! Den Vögeln würde es behagen und zugute kommen. Er schleppte einen Sessel für Sophie heran, der Wichtige, in zimtfarbenem Überzug. Verblüfft nahm sie in ihrer Schwärze darauf Platz. Nun war sie zusammen mit dem Möbelstück ein einziger Riesentukan oder weiß der Teufel was. Damit hatte ich für eine Weile der Gesellschaft und Gemeinschaft der schwätzenden, pfeifenden Vögel – Töne wie gefärbt, wie gelbe, grüne Inselgruppen im Zimmer stehend und zerberstend, wir alle wurden kaleidoskopartig durcheinandergewirbelt, standen, Muster bildend, still und trennten uns als bunte Partikel – genug Aufmerksamkeit gewidmet. Ich sah noch, daß der Abenteurer sich beim Erklären recht tief über Sophies Ausschnitt beugte und die den Oberkörper aufbäumend zurückwarf in empörter oder begeisterter Erwiderung. Die Zeichen: nicht eindeutig, aber großartig.

»Ich will Ihnen«, murmelte Leo hinter mir, niemand konnte mir vorwerfen, ich würde den Blick nicht von ihm wenden, ich bewegte mich nicht, blickte geradeaus in die Volieren mit den zuckenden Federleibchen, den Farbtupfern und Gesangsmeistern, »ich will Ihnen, auch wenn ich diese Tierhalterei eigentlich verabscheue, warum bleibt sie nicht bei ihren Schuhen und Büchern« – ich gab vor, animiert in die Käfige zu schauen – »Ich will Ihnen« fing Leo wieder an, machte eine Pause, ich stellte mir vor, diese Stimme eine Nacht lang neben mir zu hören, durchtupft von zierlichem Vogellärm, im Dunkeln, und ich wollte zufrieden sein, neben dieser Stimme ausgestreckt zu liegen, mit ein wenig Licht auf dem Bett, nur schwach, nichts weiter, »zwei wunderbare Imitatoren zeigen, jedenfalls lernen sie schnell, wenn sie bei Laune sind.«

Er führte mich zu einem Vogel, grün glänzend, als läge Abendsonne auf seinen Federn, und dort, wo sein Gesicht gegen den Körper abgegrenzt war, lief ein goldener Schein herum, stand dort wie zwischen dem grünen Gartenabend und schwarzer Nacht, denn Gesicht, Augen, Schnabel prangten in Sophienschwarz. Nur unterhalb des Schnabels rahmten ihn zwei Indigoflecken, am Flügelansatz blitzte Türkis, als trüge er unter den Flügeln ein noch imposanteres Kleid. Den langen spitzen Schnabel preßte er zusammen. »Himalaja. Ein Goldstirnblattvogel.« Zwei kleine braune Kollegen einer anderen Sorte flitzten vorbei. »Singt sehr schön.« – »Ziküth, ziküth«, flüsterte ich ihm vor, »idudidu«. Der Vogel drehte so abrupt den Kopf von mir weg, daß ich mich vor Leo schämte wegen meiner Ungeschicklichkeit. »Der andere Nachsprecher ist der Hirtenstar, Trauermainastar.« Dunkelbraunrosig saß er auf einem Ast und hielt ebenfalls das gelbe Schnäbelchen eisern geschlossen. Alle Vögel lärmten, nur diese beiden blieben feindselig stumm.

Sei Shōnagon (um 966–1025)

Der Kakadu ist zwar ein Vogel aus dem fernen Ausland, aber sehr interessant. Er soll nämlich nachsprechen können, was wir Menschen sagen.

Nachtigall, Ralle, Schnepfe, Lachmöwe, Zeisig, Schnäpper.

Wenn ein Fasan auf Partnersuche geht, genügt es angeblich, ihm einen Spiegel vorzuhalten. Eine solche Einfalt ist wirklich rührend! Mir tun die Fasanen schon leid, wenn Männchen und Weibchen einmal durch ein Tal voneinander getrennt sind.

Der Kranich ist von imposanter Gestalt, und sein Ruf soll bis zu den Wolken empordringen. Höchst eindrucksvoll!

Sperlinge mit rotem Kopf, Kernbeißermännchen, Zaunkönig.

Reiher sind kein schöner Anblick. Schon ihre Augen blicken so unheimlich drein, das macht sie mir unsympathisch. Aber schön ist das Gedicht von den streitenden Reihern im Walde Yurugi, die nicht partnerlos schlafen wollen.

Bei den Wasservögeln finde ich die Mandarinenten besonders ergreifend. Sie sollen einander im Schlafnest den Reif vom Gefieder streifen.

Regenpfeifer sind ausgesprochen niedlich.

Über den Buschsänger werden wunderschöne Gedichte verfasst. Sein Gesang ist ebenso nobel und hübsch wie sein Gefieder. Es ist jammerschade, dass man ihn im Kaiserpalast niemals singen hört. Als mir das einmal jemand sagte, dachte ich, das sei doch gar nicht möglich, aber während der ganzen zehn Jahre, in denen ich dort Dienst tat, habe ich seinen Ruf tatsächlich nicht ein einziges Mal vernommen, obwohl ich immer gut darauf achtgegeben habe. Wirklich! Dabei wäre der Rotpflaumenbaum nahe dem Bambus doch ein geeigneter Ort, zu dem der Buschsänger ohne Weiteres kommen könnte. Verlässt man den Palastbezirk, kann man ihn selbst in den kümmerlichsten Pflaumenbäumen bei ganz schäbigen Hütten bis zum Überdruss singen hören. Dass er nachts nicht singt, lässt auf Langschläferei schließen, ist aber leider nicht zu ändern.

Den Sommer hindurch und bis in den Spätherbst singt er mit heiserer Stimme; dann bezeichnen ihn die Leute aus dem niederen Volk mit anderen Namen, »Wurmfresser« zum Beispiel. Ich finde das bedauerlich und seltsam. Wenn es sich um gewöhnliche Vögel wie Spatzen handeln würde, hätte ich nicht viel dagegen einzuwenden. Aber weil der Buschsänger nur im Frühling schön singt, rühmt man ihn in Liedern und Gedichten mit poetischen Worten wie in dem Vers »Wenn das Jahr sich wendet«. Würde er ausschließlich zur Frühlingszeit singen, wie würde man ihn dann erst lieben! Würde man denn einen Menschen, der nach Verlust seiner Stellung in den Augen der Öffentlichkeit beginnt, an Ansehen einzubüßen, gleich derartig schmähen? Es gibt gewiss keinen Menschen auf der Welt, der sich nach Habichten oder Krähen umdrehen oder ihrem Geschrei lauschen möchte. Deshalb wünschte ich mir, der Buschsänger würde immerzu wunderbar singen, denn mit solch einer Geringschätzung kann ich mich einfach nicht abfinden.

Als ich den Wagen vor den Palästen Urin-In und Chisoktu-In halten ließ, um mir die Rückkehr der Schreinprinzessin anzusehen, schlug gerade eine Nachtigall an, die den Sommer wohl nicht erwarten konnte. Gleich darauf antwortete der Buschsänger, ihren Ruf geschickt imitierend. Es war wirklich faszinierend, beide Vögel in ihren hohen Bäumen gleichzeitig singen zu hören.

Wie schön die Nachtigall klingt, brauche ich nicht eigens zu betonen. Wenn sie schlägt, hört es sich immer so an, als sei sie sich ihrer Kunstfertigkeit durchaus bewusst. Sie hält sich bevorzugt zwischen Deutzien- und Mandarinenblüten auf, und es ist geradezu ärgerlich, wie gut es ihr dabei gelingt, sich zu verstecken. Wenn ich in den kurzen Nächten der Regenzeit wach bleibe und lausche, um ihr Lied als Allererste zu vernehmen, und sie dann, tief in der Nacht, tatsächlich ruft, rührt ihr melodischer, liebreizender Gesang mit unfassbarer Gewalt zutiefst an mein Herz. Überflüssig, eigens zu erwähnen, dass ihr Ruf im 6. Monat wieder verstummt.

Alles, was zur Nachtzeit ertönt und ruft, liebe ich sehr. Mit einer einzigen Ausnahme: plärrende Säuglinge.

Bruno Schulz (1892–1942)

Es begann mit dem Ausbrüten von Vogeleiern.

Mit großem Aufwand an Mühe und Geld ließ sich mein Vater aus Hamburg, aus Holland, aus afrikanischen zoologischen Stationen befruchtete Vogeleier kommen, die er riesigen belgischen Hühnern zum Ausbrüten unterlegte. Es war dies auch für mich eine höchst spannende Prozedur – dieses Ausschlüpfen der kleinen Vögel, wahrer Scheusale an Gestalt und Gefieder. Man konnte in diesen Monstren mit den riesigen, phantastischen Schnäbeln, die sie sofort nach ihrer Geburt weit aufrissen, um in den Tiefen ihrer Schlünde gefräßig zu zischen, in diesen Echsen mit den schwächlichen, nackten Körpern von Buckligen keine zukünftigen Pfauen, Fasanen, Häher und Kondore erkennen. In Körben und in Watte untergebracht, reckte diese Drachenbrut auf dünnen Hälsen die blinden, mit dünnem Flaum bedeckten Köpfe und quakte lautlos aus stummen Kehlen. Mein Vater ging in einer grünen Schürze an den Regalen entlang wie ein Gärtner an seinen Kakteenbeeten und erlöste diese blinden, von Leben pulsierenden Bälge, diese unbeholfenen und unersättlichen Bäuche, welche die Außenwelt nur in der Form von Futter aufnahmen, diese Auswüchse des Lebens, die sich im Finstern tappend ans Licht drängten, aus ihrem Elend. Ein paar Wochen später, als diese blinden Knospen des Lebens ins Licht geborsten waren, füllten sich die Zimmer mit der bunten Geschwätzigkeit und dem flirrenden Zwitschern ihrer neuen Bewohner. Sie besetzten die Vorhangstangen der Fenster, die Gesimse der Schränke und nisteten im Dickicht der zinnernen Zweige und Arabesken der vielarmigen Hängelampen.

Während mein Vater große ornithologische Kompendien studierte und in bunten Tafeln blätterte, schienen die gefiederten Phantasmen aus ihnen zu entfliehen und das Zimmer mit buntem Geflatter, mit Purpurlappen, mit Scherben aus Saphir, Grünspan und Silber zu erfüllen. Während des Fütterns bildeten sie auf dem Fußboden ein buntes wogendes Beet, einen lebenden Teppich, der – wenn jemand unbedacht eintrat – zerfiel, in bewegliche Blumen zerstob, die in der Luft flatterten, um sich schließlich in den oberen Regionen des Zimmers niederzulassen. Im Gedächtnis blieb mir besonders ein Kondor, ein riesiger Vogel mit nacktem Hals, zerfurchtem Gesicht und üppigen Auswüchsen. Es war ein magerer Asket, ein buddhistischer Lama, voll unerschütterlicher Würde in seinem ganzen Verhalten, das sich nach dem eisernen Zeremoniell seines großen Geschlechts richtete. Wenn er meinem Vater gegenübersaß, reglos in der monumentalen Haltung uralter ägyptischer Gottheiten, das Auge mit einem weißen Häutchen überzogen, das er seitlich über die Pupillen schob, um sich ganz in die Kontemplation seiner vornehmen Einsamkeit zu versenken, schien er mit seinem steinernen Profil ein älterer Bruder meines Vaters zu sein. Die gleiche Materie des Körpers, der Sehnen und der gerunzelten harten Haut, das gleiche trockene und knochige Gesicht, die gleichen hornartigen, tiefen Augenhöhlen. Sogar die Hände, stark in den Gelenken, die langen mageren Hände des Vaters mit den runden Fingernägeln, hatten ihr Analogon in den Krallen des Kondors. Ich konnte mich, wenn er so schlief, nicht dem Eindruck entziehen, eine Mumie vor mir zu haben – die ausgetrocknete und deshalb kleiner gewordene Mumie meines Vaters. Ich glaube, daß auch der Aufmerksamkeit meiner Mutter diese sonderbare Ähnlichkeit nicht entgangen war, obwohl wir niemals dieses Thema berührten. Charakteristisch war, daß der Kondor das gleiche Nachtgeschirr wie mein Vater benutzte. Sich mit dem Ausbrüten immer neuer Exemplare nicht zufriedengebend, veranstaltete mein Vater auf dem Dachboden Vogelhochzeiten, schickte Brautwerber aus, band in den Luken und Löchern des Dachbodens anmutige und sehnsuchtsvolle Bräute fest und brachte es tatsächlich fertig, daß der Dachboden unseres Hauses – eine gewaltige schindelgedeckte Mansarde – eine richtige Vogelherberge, eine Arche Noah wurde, in die Geflügelte jeglicher Art aus fernen Ländern geflogen kamen. Noch lange nach der Liquidierung dieser Vogelwirtschaft wurde in der Vogelwelt die Tradition unseres Hauses aufrechterhalten, und zur Zeit der Frühlingszüge ließen sich manchmal auf unserem Dach ganze Schwärme Kraniche, Pelikane, Pfauen und allerhand anderer Vögel nieder.

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