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Historische Translationskulturen

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Quellen

Staatliches Zentralarchiv-Museum für Literatur und Kunst in der Ukraine (Kiew)

F. 806, Op. 1, Spr. 1. L. 1–3, 29–35, 36–39. 1958.

F. 806, Op. 1, Spr. 252, L. 5, 25. 1971.

F. 806, Op. 1, Spr. 261, L. 7. 1971.

F. 806, Op. 1, Spr. 361, L. 1–3, 12–13, 15, 18, 27. 1972.

F. 806, Op. 1, Spr. 361-a, L. 13. 1972.

F. 806, Op. 1, Spr. 369, L. 22. 1972.

F. 806, Op. 1, Spr. 518, L. 4, 7, 16, 27, 30. 1973.

F. 806, Op. 1, Spr. 669, L. 7, 39, 55. 1974.

F. 806, Op. 1, Spr. 789, L. 77, 78. 1975.

F. 806, Op. 1, Spr. 921, L. 9, 19. 1976.

F. 806, Op. 1, Spr. 1072, L. 15–16. 1977.

F. 806, Op. 1, Spr. 1193, L. 18, 23, 24–25, 31, 33, 34, 63. 1978.

F. 806, Op. 1, Spr. 1454, L. 7, 1982.

F. 806, Op. 1, Spr. 1498, L. 12–15. 1983.

F. 806, Op. 1, Spr. 1697, L. 14. 1988.

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Abb. 5: Sarló és kalapács, 1973 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Sándor Pinczehelyi)

Ungarische Translationskultur im Sozialismus:

Zensur, Normen und Samisdat-Literatur

Edina Dragaschnig, Claus Michael Hutterer

1 Ungarische Translationskultur anhand zensurbedingter Normen – Gründe für die Themenwahl

Thema dieses Artikels ist die anhand von zensurbedingten Normen in Grundzügen dargestellte ungarische Translationskultur in der Zeit des späten Sozialismus, d.h. in der Ära Kádár, welche nach dem ungarischen Politiker János Kádár benannt wurde. Dabei handelt es sich um eine wichtige, im Hinblick auf die ungarische Translationskultur relativ wenig erforschte Periode, obwohl es gerade in dieser Zeit zu radikalen gesellschaftspolitischen, kulturellen und wirtschaftlichen Umbrüchen kam (vgl. Harmat 2015), die auch an Entwicklungen in der ungarischen Translationskultur nicht spurlos vorübergingen.

Die Wende 1989 wurde u.a. durch Veränderungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, durch Lockerungen auf dem Weg von der totalitären zur posttotalitären Phase der Zensur sowie durch Samisdat-Werke, d.h. von der Zensur nicht genehmigte, im „Selbstverlag“ erschienene Druckwerke, Tonaufzeichnungen etc. (Jakab 2017) geistig vorbereitet, indem sich letztere über von der Parteiideologie vorgegebene Denkverbote inhaltlich und formal hinwegsetzten und durch die Verletzung von Normen sowie zahlreiche Tabubrüche gegen den Willen der Machthaber richteten. Der politisch-ökonomische Systemwechsel hatte auch gravierende Auswirkungen auf das Verlagswesen und die Auswahl legal übersetzbarer Literatur.

Angesichts der Komplexität der behandelten Thematik ist hier nur eine überblicksmäßige Charakterisierung der ungarischen Translationskultur anhand ihrer zensurbedingten Normen sowie deren Verletzung durch die Samisdat-Literatur im untersuchten Zeitraum möglich. Somit können lediglich durch einige Beispiele konkretisierte Antworten auf die folgenden thematisch relevanten Forschungsfragen gegeben werden. Wie funktionierte das System der Zensur in Ungarn im Sozialismus und welche für die damalige Translationskultur geltenden Normen lassen sich beispielhaft daraus ableiten? Was ist in diesem Zusammenhang mit dem Begriff „vörös farok“ (der rote Schwanz) gemeint? Wofür standen die drei „T“1 der ungarischen Kulturpolitik? Inwieweit trug die Samisdat-Literatur zur Änderung von Normen und damit zu Veränderungen in der vorherrschenden Translationskultur bei? Wer waren die wichtigsten AkteurInnen bzw. Verlage in Bezug auf die übersetzte Samisdat-Literatur in Ungarn? Mit welchen Veränderungen ging die Wende 1989 in Bezug auf das Verlagswesen und die Thematik von Übersetzungen in Ungarn einher?

2 Translationskultur und Normen

Ausgangs- und Bezugspunkt dieser Darstellung ist der von Prunč (1997: 107) definierte Begriff Translationskultur, welchen er als „historisch gewachsene[s] […] Subsystem“ innerhalb eines weiter gefassten Kulturbegriffs betrachtet. Laut Prunč besteht Translationskultur per definitionem aus „einem Set von gesellschaftlich etablierten Normen, Konventionen, Erwartungshaltungen und Wertvorstellungen“ der „an Translationsprozessen beteiligten Handlungspartner“. Er weist auch darauf hin, dass Translationskultur als solche „steuerbar“ ist (ibid.: 107). Das Element der „Steuerbarkeit“ findet sich ebenfalls in Begriffsbestimmungen der sogenannten „translation und language policy“ bei González Núñez (2016: 87–109) wieder. Ausgehend von Überlegungen von Meylaerts (2011a) zur Problematik der terminologischen Abgrenzung hinsichtlich der „translation und language policy“ (ibid.: 163–166) ist bei González Núñez (2016) in diesem Zusammenhang u.a. vom Verhalten von Staat, Regierung und Behörden in Bezug auf Translation sowie den rechtlichen Regeln die Rede, die Translation im öffentlichen Bereich steuern (ibid.: 88). Meylaerts betrachtet „translation policy“ als eine Sammlung rechtlicher Regeln, mit denen der Sprachgebrauch zu Bildungs- und Kommunikationszwecken, insbesondere in den Bereichen Recht, politische Institutionen, Medien und Verwaltung gesteuert wird (2011b: 744). In diesem Zusammenhang wird auch auf Spolsky verwiesen, der bezüglich der Sprachpolitik eine Differenzierung in die Kategorien Sprachpraxis, sich in der Sprache widerspiegelnde Überzeugungen sowie Sprachmanagement vornimmt (Spolsky 2004: 5, 9; 2009: 4f.; 2012: 5). Mit dem Wort „Handlungsfeld“ in der Definition von Prunč (1997) wird offenbar eine Verbindung zu den Arbeiten von Holz-Mänttäri (1984) hergestellt, die Translation als Handlung (innerhalb eines komplexen Gefüges) auffasst, an der mehrere ProtagonistInnen und Faktoren (ÜbersetzerInnen, AuftraggeberInnen, Zielpublikum, Zweck etc.) beteiligt sind. Aus diesen Definitionselementen lässt sich ableiten, dass Translation nicht im „luftleeren“ Raum entsteht, sondern von zahlreichen, insbesondere auch überindividuellen bzw. kulturellen Faktoren abhängt und „gesteuert“ wird.

 

Beim Versuch der Darstellung einer bestimmten historischen Translationskultur, basierend auf den Überlegungen von Prunč (1997), ergeben sich daher unmittelbar Fragen nach den jeweils vorherrschenden Normen, Konventionen, Erwartungshaltungen und Wertvorstellungen, mit deren Hilfe sich die untersuchte Translationskultur charakterisieren lässt. Es geht aber auch um Fragen der Macht und der Translationspolitik („translation management“, „translation practice“, „translation beliefs“) im Sinne von González Núñez (2016: 91f., 103).

Im vorliegenden Beitrag soll nur ein für das Forschungsziel äußerst relevanter Teilaspekt der Definition von Prunč (1997), nämlich der Begriff der Norm herausgegriffen werden, anhand dessen die untersuchte Translationskultur charakterisiert werden kann. Die Relevanz dieses Teilaspektes liegt u.a. darin begründet, dass die hier dargestellte ungarische Translationskultur in den Jahrzehnten vor der Wende 1989 von der Zensur des sozialistischen Regimes und den sich daraus ergebenden Normen sowie deren Verletzung durch Samisdat-Literatur in der Spätphase des Sozialismus geprägt war.

Unter Normen werden häufig ganz allgemein Gebote, Verbote und Erlaubnisse verstanden. Toury (1995) beschreibt Normen spezifischer als bei Translationsprozessen latent vorhandene Regeln, die von einer Mehrheit der TranslatorInnen befolgt und durch genaues Beobachten entdeckt werden (ibid.: 53). Da sie im Laufe der Zeit Veränderungen unterliegen, handelt es sich um dynamische Systeme. Es kann zwischen „preliminary norms“ und „operational norms“ unterschieden werden, wobei sich erstere auf die Auswahl von Ausgangstexten, letztere auf die konkrete Textgestaltung bzw. Formulierung von Übersetzungen beziehen (ibid.: 58).

Neben der für die Arbeit als TranslatorIn notwendigen Anpassung an bestehende Normen sehen sowohl Toury (1995: 55) als auch Göhring (2002: 108) den Normenbruch als eine potenzielle Vorgehensweise an, die mit bestimmten negativen Konsequenzen einhergehen kann. Der Normenbruch birgt aber auch die Möglichkeit ihrer Weiterentwicklung in sich.

3 Die Ära Kádár (19561988): Grundzüge des Staatssozialismus vor der Wende 1989

Die Ära Kádár wurde nach dem von 1956 bis 1988 in Ungarn regierenden Generalsekretär der Magyar Szocialista Munkáspárt (MSZMP, Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei) und 1956–1958 sowie 1961–1965 amtierenden ungarischen Ministerpräsidenten János Kádár benannt. Der am 26. Mai 1912 in Fiume im heutigen Rijeka (Kroatien) als János Czermanik geborene und am 6. Juli 1989 in Budapest verstorbene Kádár war führend am Aufbau der kommunistischen Herrschaft in Ungarn beteiligt (vgl. Zwahr et. al. 1999, Bd. 11: 117). Zunächst war er von 1948 bis 1951 Innenminister. Ab 1951 saß er drei Jahre lang wegen „angeblicher Opposition gegen den damaligen stalinistischen“ Machthaber Mátyás Rákosi im Gefängnis. Im ungarischen Volksaufstand von 1956 war er zuerst auf der Seite der Aufständischen, bildete später aber „eine Gegenregierung und bat die UdSSR um militärische Intervention“. Seine Politik orientierte sich stark an den Interessen der UdSSR (ibid.). Obwohl er die Niederschlagung des Ungarnaufstandes 1956 mithilfe der Sowjets und zahlreiche Hinrichtungen von Aufständischen mitzuverantworten hatte, gelang es ihm letztendlich, zu einer Art „Symbol des ungarischen Mittelwegs“ (Bart 1999: 87) zu werden, indem er keine radikalen gesellschaftlichen Umstrukturierungen forcierte wie Rákosi, keine „Einschränkungen der kommunistischen Macht“ erlaubte wie Imre Nagy, Interessen bestimmter Gruppen wahrte und nur bedingt und in Maßen „Veränderungen“ zuließ (ibid.). Aufgrund seines pro-sowjetischen Kurses wurde ihm von den Sowjets ein größerer Handlungsspielraum eingeräumt und es konnte sich in Ungarn eine weniger rigide Form des Staatssozialismus etablieren, für welchen JournalistInnen aus dem Westen den Begriff „Gulaschkommunismus“ prägten. Der ungarische Begriff „legvidámabb barakk“ (die fröhlichste Baracke) bezieht sich ebenfalls auf diese „liberalere“ Variante des Sozialismus, wobei hier zynische Untertöne mitschwingen. Ungarn wird als fröhlichste Baracke im Lager, d.h. innerhalb des Bündnissystems der Sowjetunion, gesehen. Die Metapher des Lagers verweist darauf, dass dieses Bündnis nicht das Ergebnis einer freiwilligen Entscheidung war und auch nicht ohne Weiteres verlassen werden konnte. Gemeint ist auch, dass die UngarInnen innerhalb des Systems von Satellitenstaaten der UdSSR zu jenen gehörten, denen es in den Jahrzehnten nach der Revolution von 1956, wenn auch in bescheidenem Ausmaß, besser als anderen ging (ibid.: 70). Der „Gulaschkommunismus“ war insbesondere durch die in den 1960er und 1970er Jahren erfolgten Lockerungen der Regeln in Wirtschaft und Politik entstanden. Aufgrund der Beteiligung Kádárs an den Verbechen des Kommunismus einerseits und seiner Politik zur Entwicklung einer „weichen“ Diktatur mit bescheidenem Wohlstand für die BürgerInnen andererseits, ist das Bild, das er in der Rückschau abgibt, durchaus als ambivalent zu bezeichnen. Dass die historische Verortung und Bewertung der Ära Kádár nach wie vor umstritten ist und reichlich Stoff für Konflikte bietet, zeigt sich u.a. daran, dass im Jahr 2007 Kádárs Grab am Budapester Kerepesi-Friedhof von Unbekannten geschändet wurde (Gergely 2007).

4 Die (institutionellen) Rahmenbedingungen der Zensur im Ungarn der Nachkriegszeit

Zwischen 1948 und 1989 hatte in Ungarn das kommunistische bzw. sozialistische Regime der ungarischen Volksrepublik Bestand, was zwangsläufig mit der Einschränkung der Presse-, Meinungs- und Redefreiheit einherging. Dabei kann eine grobe Unterscheidung in eine stalinistisch geprägte, von der Revolution 1956 unterbrochene, von 1948 bis 1963 dauernde totalitäre und eine liberalere, posttotalitäre Phase (1963–1989) getroffen werden.

Interessant ist, dass es in der Zeit der nach sowjetischem Vorbild in Ungarn etablierten Diktatur offiziell keine Zensurbehörde (Horváth 2013: 80) und bis 1986 nicht einmal ein Pressegesetz gab. Gegenüber dem Westen sollte der Eindruck vermieden werden, dass in Ungarn keine Pressefreiheit herrschte. Es sorgte daher für nicht wenig Aufsehen, als anlässlich einer Tagung des ungarischen SchriftstellerInnenverbandes (Magyar Írószövetség, früher: Magyar Írók Szövetsége) 1981 der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller, Dichter, literarische Übersetzer und Publizist István Eörsi mit ironischem Ernst die offizielle Einführung der Zensur forderte, damit klargestellt werde, was kommuniziert werden dürfe und was nicht (Vasy 2015: 99). Das Phänomen der aus Angst sich selbst auferlegten Zensur bzw. Selbstzensur bereitete nämlich vielen AutorInnen Kopfzerbrechen. Ein entsprechendes Gesetz hätte ihnen Klarheit darüber verschafft, wo denn nun genau die Grenzen des legal Publizierbaren lagen.

Trotz der offiziell nicht vorhandenen Zensur standen die gleichgeschalteten Medien und kulturellen Einrichtungen realpolitisch sehr wohl unter der Kontrolle der Staatspartei. Bis zur Wende 1989 waren in sämtlichen Theatern, Verlagshäusern etc. von der Staatspartei entsandte RepräsentantInnen tätig, die eventuelle Verletzungen der Interessen der Partei oder politischer Führungspersönlichkeiten meldeten. Die führenden kulturellen Organe und Gremien wurden vom Sekretär des Zentralkomitees überwacht. Betrieb und Überwachung der kulturellen Institutionen war Aufgabe des Bildungsministeriums (Standeisky 2017: 16).

Presse und Verlagswesen standen im Dienst der staatlichen Propaganda. Veröffentlichungen waren erst möglich, nachdem die für die Publikation gedachten (übersetzten) Texte von mehreren verlässlichen ParteifunktionärInnen gesichtet und für die Publikation freigegeben worden waren. Bisweilen reichte für ein Publikationsverbot offenbar sogar die Weisung eines einzigen Parteifunktionärs aus (Horváth 2013: 84). Im Politbüro der Staatspartei (MSZMP) gab es einen eigenen sogenannten „Ressortverantwortlichen“, der für die Kontrolle der wichtigsten Tages- und Wochenzeitungen zuständig war. In der Agitációs és Propaganda Osztály (Abteilung für Agitation und Propaganda) und der Tájékoztatási Hivatal (Informationsbehörde) waren mehrere MitarbeiterInnen u.a. mit dem Zensieren von Zeitungen und Zeitschriften beschäftigt. Druckereien durften nur dann Texte wie z.B. Manuskripte drucken, wenn diese gemeinsam mit einem abgestempelten Begleitbrief als Genehmigung abgegeben wurden. Die Publikation von Büchern konnte erst aufgrund der Zustimmung des Kiadói Főigazgatóság (Generaldirektoriums der Verlage/Verleger) erfolgen. Druckwerke konnten also nur nach dem Passieren mehrerer Kontrollinstanzen und nur aufgrund mehrfacher Genehmigungen erscheinen (ibid.: 80), und das, obwohl es wie oben erwähnt in Ungarn in dieser Zeit offiziell keine Zensur gab. Im Fall von Texten, die als besonders heikel galten, konsultierten die Verlage sogar die Amtsinhaber an der Staatsspitze (ibid.). In diesem Zusammenhang darf der sehr einflussreiche, hohe Parteifunktionär und Vertraute von János Kádár, György Aczél (1917–1991) (Munzinger Online 2018)1, nicht unerwähnt bleiben, dessen Name untrennbar mit der Kulturpolitik der Ära Kádár (1956–1988), insbesondere der „Politik der drei T“, verbunden ist (Eörsi 2008: 74; Nemzeti Emlékezet Bizottsága 2017).

5 Zensurbedingte Normen und übersetzte Literatur

Die Zensur von Büchern begann sofort nach der Etablierung der Sowjetherrschaft in Ungarn, und zwar mit der Verordnung 530/1945. ME. In der Folge wurde eine Kommission aufgestellt, die hunderte (übersetzte) Bücher, darunter auch viele Werke der Weltliteratur, auf Verbotslisten setzte (Horváth 2013: 82). Und hier kommt wieder der Begriff der Norm ins Spiel. Aus der Zensur ergaben sich nämlich zahlreiche Normen, die sowohl für das Publizieren im Allgemeinen als auch für die translatorische Praxis im Besonderen galten. Neben Büchern mit zweifelsohne antisemitischem, faschistischem und nationalsozialistischem Gedankengut wurden bald Werke verboten und eingestampft, in und mit denen auch nur die leiseste Kritik an der Sowjetunion oder dem Sozialismus geübt wurde (ibid.: 82). Untersagt war die Darstellung von Gegensätzen zwischen den sozialistischen Staaten (z.B. zwischen der Sowjetunion und China) (N.N. 2016). Auf keinen Fall durfte Lenin in ein schlechtes Licht gerückt werden. Gräueltaten sowjetischer Soldaten hatten offiziell nie stattgefunden. Die Liste der Tabuthemen war lang: So durften keine Übersetzungen entstehen, in denen das sowjetische Militärbündnis, der sogenannten Warschauer Pakt oder die Präsenz sowjetischer Truppen in Ungarn in Frage gestellt wurden. Auch der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON) der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten durfte nicht kritisiert werden. Die Ereignisse des Jahres 1956 durften nicht als „Revolution“ bezeichnet bzw. realistisch eingeschätzt werden. Es durfte kein Buch über die von der Sowjetunion und der Mehrheit der sozialistischen Staaten boykottierten Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles (Horváth 2013: 89) erscheinen. Ebenfalls unzulässig war die genaue Analyse ethnischer und sozialer Probleme, wie z.B. die Probleme der Roma, der Drogensüchtigen, der ungarndeutschen Minderheit etc.

 

In der Spätphase des Staatssozialismus war es verboten, über im Entstehen begriffene Oppositionsparteien, Bürgerinitiativen, von der offiziellen außenpolitischen Linie abweichende Haltungen und über die Arbeit von Vereinen, die sich für den Umweltschutz einsetzten, zu berichten sowie auf den religiösen Charakter von Weihnachten und einem der wichtigsten ungarischen Nationalfeiertage, dem 20. August, hinzuweisen. Während der Drogenkonsum zunächst ein verbotenes Thema war, wurden Antidrogenkampagnen später unterstützt. Tabu war auch die Literatur emigrierter ungarischer SchriftstellerInnen bzw. Exilliteratur (N.N. 2016).

Die Listen verbotener Schriften wurden ständig ergänzt, die betreffenden illegalen Werke aus (Privat-)Bibliotheken, Schulen und Antiquariaten entfernt. Daneben gab es auch Weisungen, denen zufolge bestimmte Bücher von den Regalen zur freien Entnahme weggenommen und in Lagerräume gebracht werden mussten oder in zerrissenem Zustand und eng verpackt mit dem Papiermüll zu entsorgen waren (Horváth 2013: 82).

Unter den nicht ungarischen AutorInnen, deren übersetzte Werke in Ungarn in der totalitären Phase der Zensur nicht erscheinen durften, obwohl es sich um Klassiker der Weltliteratur handelte, waren Dante Alighieri, Albert Camus, Charles Dickens, Benjamin Disraeli, Alexandre Dumas, die Gebrüder Grimm, Ernest Hemingway, Rudyard Kipling, Somerset Maugham, Karl May, Marcel Proust, Jean Paul Sartre und Stefan Zweig. In Bezug auf die Literatur des Westens war sogar davon die Rede, dass versucht werde, die Völker und Staaten mit der „Schmuggelware des geistigen Verfalls“ des angelsächsischen Imperialismus zu überschwemmen (ibid. 83). Als weitere Norm galt daher auch das Verbot der Verbreitung sogenannter „imperialistischer“ westlicher Ideologie. Dieses Verbot hatte natürlich Auswirkungen auf die Auswahl der übersetzten Literatur („preliminary norms“). Während vor Beginn der totalitären Phase der Zensur, d.h. vor 1948 das ungarische Lesepublikum noch mit Werken von Graham Greene, Aldous Huxley, George Bernard Shaw, John Steinbeck, Thornton Wilder oder Jean Cocteau, Jean Giraudoux, François Mauriac, Antoine de Saint-Exupéry und anderen, z.B. auch über die renommierte Zeitschrift Magyar Csillag (Ungarischer Stern) des Schriftstellers Gyula Illyés, welcher übrigens insbesondere wegen seines aus einem einzigen langen Satz bestehenden Gedichtes über die Tyrannei bekannt ist, vertraut gemacht wurde, Europa also gleichsam noch mit „ungarischer Stimme“ sprach, wurde diese Stimme nach 1948 hingegen größtenteils zum Schweigen gebracht. Stattdessen rückten in dieser Zeit die sozialistische und die Sowjetliteratur in den Mittelpunkt des Interesses (Pomogáts 2015: 5f.). In der Zeit von 1945 bis 1957 stammen zwei Drittel aller ins Ungarische übersetzten Werke der Literatur von russischen AutorInnen, das entsprach insgesamt einem Drittel aller literarischen Werke, die in Ungarn in diesem Zeitraum herausgegeben wurden (Romsics 2001: 368). Dabei ging es aber nicht nur um russische AutorInnen, die tatsächlich Weltliteratur hervorgebracht hatten, wie z.B. Isaak Babel, Maxim Gorki, Sergei Jessenin, Wladimir Majakowski oder Alexei Tolstoi, sondern auch um mittlerweile wieder in Vergessenheit geratene Schriftsteller wie Wassilij Aschajew, Alexander Fadejew, Walentin Katajew, Julian Semjonow und Nikolai Tichonow. Anderseits wurden damals inzwischen zu Klassikern avancierte AutorInnen wie Anna Achmatowa, Michail Bulgakow, Ossip Mandelstam sowie Marina Zwetajewa, allesamt Opfer stalinistischer Willkür, totgeschwiegen (Pomogáts 2015: 5f.).

Bis 1953, dem Todesjahr Stalins, und der Etablierung der Regierung von Imre Nagy in Ungarn, konnten nicht einmal Frühwerke von Karl Marx aus Bibliotheken entliehen werden. Für ein Publikationsverbot reichte es schon, wenn ein Buch von einem als „reaktionär“ eingestuften Verlag herausgegeben wurde oder der Schriftsteller, Journalist und Übersetzer Sándor Márai das Vorwort zu einem Werk von Cervantes verfasst hatte (Horváth 2013: 83). Márai, der bis zu seiner Emigration nach Italien im Jahr 1948 und später in die USA zu den renommiertesten AutorInnen in Europa gehört hatte, dann lange Zeit hindurch in Vergessenheit geraten war und erst um die Jahrtausendwende „wiederentdeckt“ wurde (Piper Verlag 2018), war mit der Machtergreifung der kommunistischen Partei in Ungarn in Ungnade gefallen (aboutbooks 2018), hatte er doch, seines Zeichens Literat des ungarischen Bürgertums, als Klassenfeind und Gegner des Bolschewismus gegolten. Die Situation im Hinblick auf die Zensur literarischer Werke besserte sich ein wenig, nachdem u.a. am 7. Dezember 1950 die BBC in Form eines ironischen Kommentars zu einem Leitartikel der Times über den Umgang mit klassischen Werken der Weltliteratur in Ungarn berichtet hatte (Horváth 2013: 83).

Etliche Werke von Jules Verne durften erst nach einer gründlichen Zensur erscheinen. Aus seinem Abenteuerroman L’Île mystérieuse (Die geheimnisvolle Insel) wurde an mehreren Stellen das Wort „Gott“ gestrichen, und zwar selbst dann, wenn daraufhin die betreffenden Textpassagen keinen Sinn mehr ergaben. Karl Mays Winnetou-Romane wurden überhaupt neu übersetzt, wobei pietistische und religiöse Moralvorstellungen, Bezüge zu Kreuzen etc. weggelassen wurden (ibid.: 84). Als weitere Norm lässt sich daraus, einem Gedanken von Karl Marx entsprechend, demzufolge Religion „das Opium des Volkes“ sei (Marx 1844: 72), ein Verbot von sämtlichen Bezügen zu Gott, Jesus und Religion im Allgemeinen herauskristallisieren.

Erwähnenswert ist auch, wie eines der wichtigsten Werke der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts, nämlich Ulysses von James Joyce, trotz zensurbedingter Hürden, im Wege mehrerer Übersetzungen und Ausgaben allmählich zum Bestandteil des kulturellen Allgemeinwissens in Ungarn werden konnte. Schon das Original war zunächst wegen des Vorwurfs der Pornografie verboten worden und konnte in voller Länge erst 1922 in einer bescheidenen Auflage von 1.000 Exemplaren in einer Pariser Buchhandlung erscheinen. Die erste ungarische Übersetzung wiederum wurde 1947, ebenfalls in einer Auflage von 1.000 Exemplaren, herausgegeben und stammte aus der Feder von Endre Gáspár. Sie wurde sofort von der Zensur verboten (Kappanyos 2014). Daher beginnt die eigentliche Rezeptionsgeschichte des Ulysses in Ungarn erst infolge der kulturpolitischen Lockerungen der späten 1960er Jahre, und zwar mit der 1974 in einer Auflage von 50.000 Exemplaren herausgegebenen Übersetzung von Miklós Szentkuthy. Laut Kappanyos (2012) bedeutete die Übersetzung von Szentkuthy im Vergleich zur dem Standard ihrer Zeit entsprechenden demütigen Handwerkskunst des Endre Gáspár eine enorme Steigerung in der Qualität (ibid.). Es ist aber auch kein leichtes Unterfangen, ein komplexes literarisches Werk zu übersetzen, das gleichzeitig Tragödie, Roman, Satire, Komödie, Epos, philosophische Schrift und Synthese in einem ist. Überarbeitete Versionen von Szentkuthys Übersetzung des Ulysses erschienen dann noch 1986 und 1998. Laut Kappanyos (2012), der gemeinsam mit Marianna Gula, Gábor Zoltán Kiss und Dávid Szolláth für die 2012 erschienene, bisher aktuellste ungarische Übersetzung des Ulysses verantwortlich ist, könne die Zeitlosigkeit großer literarischer Werke durch Übersetzungen jedoch nicht bewahrt werden, da sich in einer Übersetzung immer die jeweilige Epoche und die Beurteilung des Werkes seitens des jeweiligen kulturellen Milieus widerspiegelten. Durch Veränderungen des kulturellen Milieus und seiner Beurteilung des Originals sei die Veraltung der Übersetzung gleichsam unvermeidbar. Die Übersetzung sei kein Teil der autonomen Existenz des Werkes, sondern stets eine kultur-, epochen- und kontextabhängige Funktion. Eine Neuübersetzung könne durch viele Veränderungen, wie z.B. die veränderte Positionierung des jeweiligen Werkes in der Weltliteratur, Veränderungen des literarischen Diskurses in der Zielkultur, neue Trends in der Theorie und Praxis des literarischen Übersetzens und dadurch bedingte veränderte Erwartungen der Leserschaft sowie Veränderungen der Lesegewohnheiten und der Rezeption von Texten dringlich und notwendig werden (ibid.). Alles das sind Hinweise auf dynamische Entwicklungsprozesse innerhalb einer Translationskultur. Da der Fokus dieser Arbeit aber auf der Charakterisierung der ungarischen Translationskultur aufgrund ihrer Normen bzw. Normverletzungen liegt, kann auf diese Variablen hier nicht näher eingegangen werden. Stattdessen werden in den folgenden Abschnitten weitere Beispiele für die sich in Normen und Normenbrüchen äußernde Translationskultur des untersuchten Zeitraumes angeführt.