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Historische Translationskulturen

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3.3 Vom dialetto ricercato1 in dialetto ricercato (und ins Standarditalienische)

Zum römischen Dialekt sagte der aus Rom stammende Maler und Dichter Cesare Pascarella (1858–1940) „Esso è la stessa lingua italiana pronunciata differentemente“2 (Cagiano de Azevedo/Trani 2012: V). Seine im römischen Dialekt verfasste Lyrik La scoperta de l’America (1894) wurde insgesamt acht Mal in andere italienische Sprachvarietäten übertragen: ins Mailändische, ins Venezianische, in den Dialekt der Romagna und fünf Mal ins Genuesische (Haller 1995: 81).

Giorgio Faggin (geb. 1939), Philologe und Übersetzer niederländischer, aber auch italienischer dialektaler Literatur ins Friaulische, gab im Jahre 1995 Il savôr dal pan. Poesìis nord-italianis dal ’900, einen Sammelband mit neodialektalen Gedichten aus sieben italienischen Regionen heraus, die er selbst ins Friaulische übersetzte. Ein weiteres Beispiel interdialektaler Übersetzung von Giorgio Faggin ist das Quaderno di traduzioni (1999), eine Sammlung europäischer Gedichte und italienischer neodialektaler Dichtung. Alle Texte wurden von Faggin ins Friaulische übertragen und von ihm mit einer Übersetzung ins Standarditalienische als Verständnishilfe versehen. Im Jahre 1999 publizierte Faggin den dreisprachigen Gedichtband Dal padovano al friulano. Quaderni di Hebenon I. mit drei von Cesare Ruffato auf Paduanisch verfassten Gedichten, die von Faggin ins Friaulische und von Ruffato selbst ins Standarditalienische übertragen wurden.

3.4 Vom italiano in dialetto ricercato und vice versa

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird die Dialektforschung zur anerkannten Disziplin dank des Linguisten Graziadio Isaia Ascoli (1829–1907) und vor allem seines Werkes Saggi ladini (1873), einer historisch basierten Grammatik der Dialekte Italiens. Unter dem Einfluss von Ascoli und im Bestreben, die italienischen Sprachvarietäten vollständig zu erfassen, werden unter anderem Sammlungen von Übersetzungen eines einzigen, meist literarischen Textes in mehrere Regionalvarianten veröffentlicht. Darunter finden sich die bereits erwähnte Sammlung von Giovanni Papanti und die Raccolta di dialetti italiani con illustrazioni etnologiche (1864) von Attilio Zuccagni-Orlandini (1784–1872) mit Binnenübersetzungen eines Dialoges ausgeprägt volkstümlichen Charakters zwischen einem Herrn und einem seiner Diener, bekannt unter dem Titel „Dialogo tra un padrone e un suo servitore“ vom Italienischen in 19 dialektale Varianten (vgl. Vignuzzi 2010; Lieber 2011: 1932).

Der sizilianische Theaterautor und Nobelpreisträger für Literatur, Luigi Pirandello (1867–1936), schrieb in seiner ersten Schaffensperiode (1915–1920) seine Werke bewusst auf Sizilianisch, die italienische Normsprache kam ihm als Theatersprache noch unzulänglich, gar ausdrucksschwach vor (vgl. Lukenda 2014: 48). Der Anlass zur Selbstübersetzung seiner Texte ins Italienische war zunächst das nicht sizilianische Theaterpublikum, das mit der Normsprache bereits vertraut war, aber deutlich weniger mit der stark volkstümlich geprägten Variante seines Sizilianischen. Auf der Suche nach einer geeigneten Sprache (ibid.: 53) agierte Pirandello als Selbst- bzw. Binnenübersetzer seiner Werke vom Sizilianischen und Italienischen in die jeweils andere Richtung. Die Übertragung seines Theaterstückes Liolà (1916) aus der sizilianischen Variante seiner Heimatstadt Agrigento ins Italienische durchlief drei Phasen, die den Italianisierungsprozess von Pirandello im Zuge seiner Auseinandersetzung mit der Sprache veranschaulichen: In der ersten Version von 1917 bemühte sich Pirandello noch, „un certo colore, un certo sapore del vernacolo nativo“1 zu bewahren, wie er selbst in den Anmerkungen zu seinem Werk erläuterte. Das Ergebnis war selbst für Pirandello ein hybrider Text (vgl. Lubello 2012: 52), „un’autotraduzione di servizio“ (ibid.: 57), eine Selbstübersetzung, die lediglich dem besseren Verständnis des Originaltextes dienen sollte. Erst in der dritten Fassung von 1937 fand er zu seiner endgültigen Version auf Italienisch.

In seinem Roman Quer pasticciaccio brutto de via Merulana (1957) bedient sich der ursprünglich aus Mailand (!) stammende Autor Carlo Emilio Gadda (1893–1973) bewusst und gezielt der römischen Mundart, um durch sie die römische Gesellschaftsstruktur zur Zeit der faschistischen Diktatur offenzulegen. Die gesellschaftliche Komplexität wird mittels verschiedener sprachlicher Register dargestellt, der Autor wird zum „kulturellen“ Übersetzer (Lukenda 2014: 49) für ein bürgerliches Lesepublikum. Zu den Erzählungen von L’Adalgisa (1945) erstellte Gadda Übersetzungen seiner „gaddianischen“ Wortschöpfungen in Form eines Glossars, dessen „[…] funzione autoriflessiva e, in certo senso autoparodistica“2 emblematisch sei, wie Paola Desideri (2012: 21) anmerkt. Paratexte, wie Anmerkungen und Glossare, präzisiert Desideri (ibid.: 21), „rappresentano una variante paradigmatica del ‘testo a fronte’, in quanto servono anche da utile dizionario bilingue che combina la traduzione con informazioni metalinguistiche“.3

Ab den 1960er Jahren und vor allem in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ist ein allgemeiner Rückgang der aktiven Dialektsprecherinnen und Dialektsprecher, zugleich aber ein Aufschwung in der Produktion von dialektaler Literatur festzustellen. In ihrer literarischen, von linguistischer Experimentierfreudigkeit gekennzeichneten Produktion bedienen sich die neodialektalen Dichter und Dichterinnen sogenannter von ihnen verfeinerter dialetti ricercati, die ihnen als Ausdrucksmittel bessere Entfaltungsmöglichkeiten als das standardisierte Italienische bieten, das vor allem im Technologiezeitalter stark an Lebendigkeit und an Ausdrucksfähigkeit eingebüßt hat, wie etwa Pier Paolo Pasolini 1964 in seiner Abhandlung „Nuove questioni linguistiche“ eingehend beschreibt (vgl. Lieber 2011: 1936). Die mitgelieferte Selbstübersetzung ins Italienische ist eine Conditio sine qua non und dient der besseren Lesbarkeit von Lyrik oder Prosa (vgl. Desideri 2012: 22).

Als einer der Wegbereiter der wiedergewonnenen Dialektalität trat der bereits erwähnte Lyriker, Publizist, Regisseur, Journalist und Sprachtheoretiker Pier Paolo Pasolini (1922–1975) für den Gebrauch des Dialektes in der Literatur „im Dienste der […] sprachlichen Expressivität und damit der literarischen Freiheit“ (Lieber 2011: 1938) ein. Sein erster Gedichtband auf Friaulisch, Poesie a Casarsa erschien bereits 1942 (und damit noch unter faschistischer Herrschaft), Mitte der 1970er Jahre folgte dann der Gedichtband La nuova gioventù, ebenfalls auf Friaulisch. Teilweise übersetzte Pasolini die Gedichte selbst ins Italienische und merkte dazu an: „Das Friaulische benötigt Übersetzungen, das ist der schlagende Beweis für seine Stellung als Literatursprache“ (Lukenda 2014: 51).

Von den zahlreichen Autorinnen und Autoren neudialektaler Dichtung ab Mitte des 20. Jahrhunderts – denken wir etwa an Fernando Bandini, Franco Loi, Biagio Marin, Giacomo Noventa, Franco Scataglini und Michele Sovente – soll hier abschließend Andrea Zanzotto (1921–2011) genannt werden. Zum Werk des paduanischen Autors zählt unter anderem eine Reihe lyrischer Texte im venezianischen Dialekt, die er zum Teil selbst ins Italienische übersetzte. Seine wohl bekannteste dialektale Publikation ist die Gedichtsammlung Filò (1976), die im ersten Abschnitt mehrere für den Film Il Casanova di Federico Fellini verfasste Reime enthält. In einem Interview am 15. Juli 2003 meint Zanzotto zum Thema sprachliche Identität: „[I]l peccato originale della poesia, il germe di Babele, è di nascere e morire in una lingua. Questa è la grandezza e il mistero di ogni lingua storica“4 (Desideri 2012: 22, Fußnote 32).

Binnenübersetzungen begleiten die Entwicklung der italienischen Literatur von der scuola siciliana bis zur dialektalen Dichtung unserer Zeit und bilden eine Konstante innerhalb der italienischen Übersetzungskultur. Welche Charakteristika sich aus den genannten Beispielen ableiten lassen und welche Faktoren im Sinne der Übersetzungskultur eine Rolle spielen, ist Inhalt des folgenden Kapitels.

4 Charakteristika und auslösende Faktoren
4.1 Charakteristika
4.1.1 Ausgangstexte und Sprachvarietäten

Die Ausgangstexte stammen aus literarischen Werken der Lyrik, der Epik und der Dramatik, darunter finden sich Gedichte, Novellen, Romane und Komödien der Hochliteratur wie auch der Populär- und Unterhaltungsliteratur vom 13. Jahrhundert bis zur zeitgenössischen Literatur des 21. Jahrhunderts. Unter den Sprachvarietäten der Ausgangs- und der Zieltexte finden sich volgari volkstümlicher Prägung, die sogenannten volgari rustici, sowie hochentwickelte literarische Formen der volgari wie z.B. das siciliano illustre, das veneziano illustre oder das (überregionale) toscano illustre, das literarische Italienisch florentinischer Prägung, das zeitgenössische literarische Italienisch und das Standarditalienisch unserer Zeit, die literaturfähige, verfeinerte Sprache der dialetti ricercati sowie die spontane, dialektale Sprache volkstümlicher Prägung der dialetti rustici. Die sprachliche Zusammensetzung variiert von einsprachigen bis zu polyphonen Texten.

4.1.2 Horizontales und vertikales Übertragungsschema

Status und Ansehen einer Sprache sind entscheidend für die Bestimmung, ob es sich um eine horizontale oder vertikale Übertragung handelt. Wie bereits Gianfranco Folena eingehend dargelegt hat, spricht man von einer horizontalen Richtung bei Übertragungen von einer Hochsprache in eine andere Hochsprache oder von einem volgare bzw. Dialekt in ein anderes volgare bzw. einen anderen Dialekt. Wird von einer Hochsprache in den Dialekt und von einem Dialekt in die Hochsprache bzw. von einem dialetto illustre in einen Dialekt volkstümlicher Prägung und vice versa übersetzt, so ist Vertikalität gegeben (vgl. Folena 1991: 12f.). Im Bereich der Binnenübersetzungen ist die horizontale Übertragung seltener, dominierend ist die asymmetrische Natur der Übertragungen und somit die Vertikalität (vgl. Grutman 2012: 34).

 

Beispiel für horizontale Übertragung sind etwa die handschriftlichen Transkriptionen sizilianischer Werke ins Toskanische, da im ausgehenden 13. Jahrhundert alle volgari einen ähnlichen Status genießen. Interdialektal mit horizontalem Charakter wurden auch dialektale Werke des ausgehenden 19. Jahrhunderts übertragen, wie z.B. Cesare Pascarellas Lyrik La scoperta de l’America von der römischen Sprachvarietät in andere regionale Varietäten. Ebenso werden neodialektale Werke des 20. und 21. Jahrhunderts von einem dialetto ricercato in einen anderen dialetto ricercato übertragen.

Ab den Werken der trecentisti im 14. Jahrhundert und vor allem nach dem Traktat von Pietro Bembo zur questione della lingua im 16. Jahrhundert wird das Toskanische zunehmend als interregionale Dachsprache anerkannt und genießt als Literatursprache und als Maßstab für die anderen volgari hohes Ansehen. Die Horizontalität der Übertragungen vom Toskanischen in ein anderes volgare ist nicht mehr eindeutig und hängt vom Status der jeweiligen anderen Sprachvarietät ab.

In einem asymmetrischen Verhältnis „nach unten“ standen im 15. und im 16. Jahrhundert, aber auch in späteren Epochen, vereinfachende, parodisierende Versionen literarischer Werke im toscano illustre, die in ein nicht-toskanisches volgare volkstümlicher Prägung übertragen wurden. Als Beispiel sei hier die Übersetzung des Orlando furioso von Ludovico Ariosto in ein padovano rustico seitens eines unbekannten Autors angeführt. Eine vertikale Übertragung „nach oben“ war oft eine Frage des Prestiges, so erfolgte z.B. die Übersetzung des Orlando innamorato von Maria Matteo Boiardo ins Toskanische, als sich das Toskanische im 16. Jahrhundert als überregionale Literatursprache etabliert hatte.

4.1.3 Normbruch

Bereitschaft zum Normbruch im Sinne von „[…] Normbrüchen und Modifikationen, die aufgrund geänderter Interessenslagen und Machtkonstellationen von den Aktanten im Feld der Translation oder aber durch externe Faktoren bewirkt werden“ (Prunč 2008: 28) zeigen Übersetzerinnen und Übersetzer bei der Diversifizierung des literarischen Kanons; dazu zählen etwa Binnenübersetzungen in Form von Parodien, die zum Beispiel als eigenständige Werke um Gleichstellung der eigenen Sprachvarietät oder um größeres Lesepublikum bemüht sind. Bei der Auswahl der Werke für die angestrebten Ziele sind Ansehen und Status der Autorin oder des Autors des Originalwerkes maßgebend. Im Falle der Selbstübersetzung kommen Diversifizierungen als traduzioni di servizio vor, die keine Eigenständigkeit als Text aufweisen, aber eine bessere Lesbarkeit des Originaltextes bieten oder als Paratexte, die als Glossare, Kommentare und Reflexionen zum eigenen Werk gleichfalls als Lesehilfe dienen.

4.1.4 Selbstübersetzung

Ein zentrales Charakteristikum von Binnenübersetzungen stellt die Häufigkeit von Selbstübersetzungen dar. Ab dem 18. Jahrhundert, beginnend mit Carlo Goldoni als Autor und Selbstübersetzer zugleich, sind Binnen- respektive Selbstübersetzungen vertikal „nach oben“ in die überregionale toskanische Dachsprache bzw. in die italienische Normsprache keine Frage des Prestiges im Sinne des höheren Status der Zielsprache, sondern dienen der besseren Verständlichkeit, der größeren Verbreitung und der eigenen Sprachentwicklung, wie zum Beispiel bei Carlo Goldoni, Alessandro Manzoni oder Luigi Pirandello. Manzoni wollte außerdem einen Beitrag zur Lösung der Sprachenfrage leisten, Pier Paolo Pasolini wiederum die friaulische Sprachvarietät durch Übersetzung ins Italienische aufwerten. In der zeitgenössischen neudialektalen Dichtung leben die bilingualen Autorinnen und Autoren zwischen der Authentizität des eigenen Dialektes und der Universalität der Normsprache, auch hier bringt die Selbstübersetzung ihrer Werke ins Italienische Zugang zu einem breiteren Publikum (vgl. Grutman 2012: 45). Dissens herrscht über die Qualität der Übersetzungen. Giovanni Nadiani (2002: 4ff.) sieht die Selbstübersetzung als kreativen Akt, der, wenn „veri poeti e traduttori“1 am Werk sind, zu exzellenten Ergebnissen führen kann. Meo Zilio (1991: 95ff.) wiederum beleuchtet kritisch die am Seitenende oder in einer Fußnote angebrachten Selbstübersetzungen, die zwar einer besseren Lesbarkeit des Originals dienen, selbst aber keinen literarischen Wert haben.

4.2 Auslösende Faktoren für Binnenübersetzungen

Mit dem bereits zitierten Traktat De Vulgari Eloquientia (1303–1304) von Dante Alighieri wird der jahrhundertelange Prozess der questione della lingua in einem politisch zersplitterten Territorium eingeleitet. Nach Alighieri definiert sich ein volgare über die Qualität seiner Literatur (vgl. Marazzini 1994: 184) und Binnenübersetzungen fördern seine Rezeption: Zur Herausbildung dieses Segmentes innerhalb der italienischen Übersetzungskultur tragen damit sowohl sprachpolitische Faktoren als auch identitätsstiftende Bestrebungen, machtpolitische Ansprüche und marktwirtschaftliche Anforderungen bei.

4.2.1 Sprachpolitische und identitätsstiftende Faktoren

Ab dem 16. Jahrhundert ist eine steigende Tendenz zu Toskanisierungen von primär in anderen volgari verfassten literarischen Werken zu verzeichnen: Motivation für Binnenübersetzungen in die umgekehrte Richtung war das Aufbegehren mancher Autoren gegen das Primat des Toskanischen als Modell für die Einheitssprache, weshalb sie bedeutende literarische Werke im Toskanischen in ihr volgare illustre übertrugen. Im 19. Jahrhundert, einer von den Bestrebungen nach einer politischen Wiedervereinigung Italiens dominierten Zeit, wurde der berühmteste politische Vertriebene Italiens und hochangesehene Autor Dante Alighieri zur Identifikationsfigur im Kampf gegen Fremdherrschaft und später zum Symbol der Unità d’Italia. Seine Divina Commedia wurde in dieser historischen Phase in alle regionalen Sprachvarietäten und mit starkem Bezug auf die damaligen politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in unterschiedlicher polyvalenter Art und Weise interpretiert und übersetzt (vgl. Basile 2015: 15). Ebenfalls zu dieser Zeit und im Kontext der noch ungelösten questione della lingua setzte Alessandro Manzoni die Binnenübersetzung als identitätsstiftendes Mittel ein, indem er seinen ursprünglich in der „manzonianischen“ Mischsprache verfassten Roman I promessi sposi in die damals moderne florentinische Sprache mit hohem Ansehen übersetzte. Als Darstellungsmethode der Dialektografie innerhalb der Dialektforschung ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfüllt die Binnenübersetzung eine weitere Funktion im Rahmen der Sprachpolitik des postunitarischen Italiens.

4.2.2 Machtpolitische Faktoren

Drei Beispiele für die Durchsetzung machtpolitischer Ansprüche mit Hilfe von Binnenübersetzungen werden hier thematisiert: Im ersten geht es um die Verteidigung und Konsolidierung des Toskanischen als überregionale Dachsprache im 16. Jahrhundert, im zweiten um die Gleichstellung des Neapolitanischen zum Toskanischen zur Zeit des Königreiches von Neapel im 17. Jahrhundert und im dritten um die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung in einem Teilbereich der zeitgenössischen neudialektalen Literatur.

Anlass für die intradialektale Binnenübersetzung von Boccaccios Decameron aus dem Alttoskanischen in das Toskanische des 16. Jahrhunderts war die Aufnahme des Werkes in den Index librorum prohibitorum der Katholischen Kirche im Jahre 1559. Zum Schutz des kulturellen Erbes der Toskana und des Status des Toskanischen als überregionale Dachsprache forderte 1570 der Großherzog der Toskana, Cosimo I. de’ Medici aus machtpolitischen Gründen die Rechte der Stadt Florenz für die rassettatura (Zurechtmachung) und Neuauflegung jenes Meisterwerkes Boccaccios ein, das als wichtigstes Modell toskanischer Erzählkunst galt und dem Land großes Ansehen verlieh. Im Gegenzug erklärte sich der Großherzog bereit, tiefgreifende inhaltliche Anpassungen des Werkes an die geltenden Moralvorstellungen zur Zeit der Gegenreformation zuzulassen. Nach der ersten „Zurechtmachung“ des Jahres 1573, die der römischen Kurie nicht genügte, kam es ungefähr zehn Jahre danach zu der neuen radikaleren Revision von Lionardo Salviati, die Zustimmung fand und mehrmals aufgelegt wurde. Im Zuge seiner Revidierung und auch in der Absicht, das Primat des Toskanischen weiterhin zu behaupten, ließ Salviati, wie bereits erwähnt, eine Novelle des Decameron in zwölf regionale Sprachvarietäten übersetzen. Damit sollten die Kontinuität zwischen dem Florentinischen der trecentisti und dem Florentinischen seiner Zeit sowie die qualitativen Unterschiede zu den anderen zwölf regionalen Sprachvarietäten dokumentiert werden (vgl. Finco 2014: 311f.).

Bei der neapolitanischen Version der Gerusalemme Liberata des Geistlichen Gabriele Fasano standen das sprachliche Experimentieren und das Ziel, ein literarisch gleichwertiges Werk im napoletano illustre zu verfassen, im Vordergrund. Dieses Projekt wurde vom neapolitanischen Adel gefördert und finanziert. Fasano war sich aber auch seines heiklen Vorhabens in Bezug auf die moralisch bedenklichen Passagen des Werkes Tassos im Sinne der Gegenreformation bewusst. Dies belegt eine Nachricht von Fasano an seinen Freund Tasso (vgl. De Maio [2012]), in der er die besagten Passagen nicht als Aufforderung zur Nachahmung interpretiert, sondern als Abschreckung verstehen will (ibid.: Fußnote 17). Seine Übersetzung des Tasso napoletano erschien in der ersten Ausgabe 1689 und bekam das Imprimatur sowohl seitens des kirchlichen als auch des königlichen Revisors: Gepriesen wurde der hervorragende Stil wie auch die Tatsache, dass darin nichts Anstößiges zu finden sei (ibid.).

Innerhalb der literarisch beachtlichen Produktion neudialektaler Dichtung ab den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts (vgl. Cesaretti Salvi 2006), die als innovatives kulturelles Phänomen des gesamten italienischen Raumes im Sinne einer sprachlichen Diversifizierung mit Demokratisierungstendenz von der Literaturkritik begrüßt wird, ist auf den Teilbereich der politisch gefärbten Linie hinzuweisen: Hier kann die Gefahr einer machtpolitischen Instrumentalisierung im Sinne einer Regionalisierung mit separatistischen Tendenzen nicht ausgeschlossen werden (vgl. Marcato 2015). Ideologisch und politisch gesteuerte Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung einzelner norditalienischer Dialekte, die über Gesetzesentwürfe auf die Verankerung dieser Dialekte in der Verfassung abzielen, werden immer wieder in Forschungsstudien und in der Presse behandelt. In seinem Beitrag „Centralizzazione e federalismo, italiano e dialetti: una coppia asimmetrica“ von 2008 thematisiert Francesco Bruni bezugnehmend auf die Aufwertung der „lingue minori“1 (Bruni 2008) im gegenwärtigen politischen und sozialen Kontext, das Ausbleiben einer modernen kulturellen Ausrichtung und die Verschärfung jener Regionalismen, die der postunitarische Staat stets, wenn auch nicht immer erfolgreich, zu überwinden suchte (ibid.). In Zusammenhang mit diesem Teilbereich der neudialektalen Dichtung dient die mitgelieferte traduzione di servizio ins Standarditalienische zwar der besseren Verständlichkeit, bei der Reduzierung der Landessprache auf bloße Hilfestellung darf aber die Frage nach einer politisch gesteuerten Abwertung ihres Status gestellt werden.