Handbuch des Verwaltungsrechts

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II. Das ältere Policeyverständnis der beginnenden Neuzeit

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Justizielles Policeyverständnis

Der funktionale Kern der frühneuzeitlichen Policey bestand ursprünglich in der Statuierung und Durchsetzung bestimmter Ordnungszustände. Demgemäß war es die wesentliche Tätigkeit der Policey, den staatlich gesetzten Policeynormen durch möglichst dichte Verhaltenskontrolle und konsequente Sanktionierung von Normverstößen faktische Wirksamkeit zu verschaffen, um auf diese Weise das Verhalten der Herrschaftsunterworfenen in dem politisch intendierten Sinne steuern zu können. Der frühneuzeitlichen „Policey“ ist dadurch eine starke Affinität zur Strafgerichtsbarkeit eigen und in der Tat bediente sich der frühneuzeitliche Territorialstaat des 16. Jahrhunderts bei der Durchsetzung der policeylichen Normen auch weitgehend der traditionellen Institutionen der Bußenstrafgerichtsbarkeit.[17] Das Funktionsprofil weltlicher Herrschaft blieb auf diese Weise zu Beginn der Neuzeit zu großen Teilen noch justiziell bestimmt. Das zeigt sich nicht zuletzt in den von der Theorie formulierten Aufgabenbeschreibungen und Funktionsformeln für den Fürsten und seinen Beamtenstab.[18] In ihrer Arbeitsweise und ihren Zielen unterschied sich die frühneuzeitliche „Policey“ ganz deutlich vom modernen Verwaltungshandeln, bei dem die Bestrafung von Normverstößen zwar keineswegs fehlt, aber nur noch einen nachgeordneten Teilbereich ausmacht.[19]

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„Gute Policey“

Fasst man nun die Verwaltungsziele der Policey in der beginnenden Neuzeit ins Auge, dann begegnet zuvorderst der Topos der „guten Policey und Ordnung“ als eine Art Zielformel, in der jener Ordnungszustand auf den Nenner gebracht war, der von den älteren Policey angestrebt wurde. Der Topos von der „guten Policey und Ordnung“ war in der Gesetzgebung, wie auch in der Verwaltungs- und Regierungslehre der Frühen Neuzeit nahezu omnipräsent. Es wird allerdings kaum irgendwo Näheres dazu ausgeführt, wie der Ordnungszustand „guter Policey“ im Einzelnen auszusehen habe. Denn die ältere Politik kannte noch kein allgemein zu formulierendes Entwicklungsziel staatlichen Handelns. Der gemeinsame Nenner, unter dem sich alle obrigkeitlichen Maßnahmen abstrakt zusammenfassen ließen, war derjenige der Beseitigung eingetretener „Missbräuche“. Aus der Sicht der politischen Ordnungsvorstellungen dieser Zeit reichte hierbei aus, die störenden Missbräuche durch möglichst konsequent durchgesetzte Verbote zu eliminieren und die ursprüngliche, fehlerfreie Ordnung würde sich wieder einstellen. Insofern kann man dieses politische Ordnungsverständnis durchaus als „statisch“[20] bezeichnen, denn sein perspektivischer Fluchtpunkt war ein im Kern immer gleichbleibender Ausgangszustand. Die politischen Handlungsperspektiven waren daher auch im 16. Jahrhundert noch „nach rückwärts“ in die Vergangenheit gerichtet; sie hatten den noch besser geordneten Vorzustand im Blick, den sie wiederherstellen wollten. Dieser schien aus zeitgenössischer Sicht erreicht, wenn die störenden Veränderungen rückgängig gemacht worden waren, sodass der Vorzustand wieder in Erscheinung treten konnte.

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Wiederherstellung der ursprünglichen Ordnung

Daraus ergibt sich die Grundstruktur der administrativen Handlungsprojektionen, wie sie noch den Regimentstraktaten des 16. Jahrhunderts zugrunde liegen: Da das politische System schon zum Zeitpunkt seiner Entstehung nicht mehr verbesserungsfähig schien, sondern im Gegenteil als eine Schöpfung Gottes bereits ein Höchstmaß an innerer Stimmigkeit, Harmonie der Einzelteile und Funktionsgerechtigkeit aufwies, musste jede Veränderung seiner Eigenschaften zu einer Verschlechterung führen. Das politisch-administrative Ziel bestand somit darin, die überlieferte Sozial- und Wirtschaftsordnung zu stabilisieren, indem man sie von allen Veränderungen, die die überlieferte Ordnung störten, abzuschirmen suchte.[21] „Missbrauch“ und „Unordnung“ waren die im 16. Jahrhundert typischerweise verwendeten Ausdrücke für solche Störungen, welche die ursprünglich gute Ordnung in Unordnung brachten. Sie standen im Mittelpunkt der Policeyordnungen, die mit dem Verbot aller „Missbräuche“ das Gleichgewicht der ursprünglichen Ordnung wiederherstellen wollten;[22] die Policeyordnungen bieten daher geradezu ein Panoptikum der innenpolitischen und administrativen Problemlagen.[23]

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Moralische Ordnung

Es ist allerdings deutlich zu erkennen, dass der Religionspolicey im „konfessionellen Zeitalter“ der beginnenden Neuzeit ein besonderer Stellenwert zukam. Es war ohne Zweifel das Feld der sittlich-mentalen Formung der Untertanen einschließlich der hierfür erforderlichen Institutionen der Seelsorge, der Sittenzucht und der Bildung, auf dem die Verwaltungslehre der beginnenden Neuzeit die steuernde Ordnungstätigkeit des Staates in Gestalt von Normgebung und Sanktionierung am nachdrücklichsten eingefordert hat.[24] Es war augenscheinlich dieser Punkt, der den Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts in besonderer Weise unter den Nägeln brannte: Die Bemühungen der Kirche, die Gesellschaft mit den kirchlich-religiösen Geboten und Moralnormen zu durchdringen und die Menschen zur konsequenten Befolgung der christlichen Gebote und einem moralischen Lebenswandel anzuhalten, erschienen den Zeitgenossen vielfach wirkungslos. Demgemäß hielt man seit dem Beginn der Neuzeit vor allem auch staatliche Anstrengungen in diese Richtung für erforderlich. In der Tat trat der Staat seit Beginn der Neuzeit mit dem Bemühen auf den Plan, den Glauben und die Moral, ja das ganze religiöse und sittliche Verhalten der Untertanen, zum Gegenstand der „Policey“ und damit auch zum Gegenstand der Gesetzgebung zu machen. Schwören und Fluchen, gotteslästerliches Reden und die Missachtung der Feiertagsheiligung durch Arbeiten und bedenkliche Vergnügungen, regelmäßiger und pünktlicher Gottesdienstbesuch, die religiöse Kindererziehung – all dies wurde nun, um nur einige Regelungsbereiche zu nennen,[25] auch zum Gegenstand staatlicher Normgebung und Sanktionierung.[26] Besonders ausgeprägt war dies naheliegenderweise in den protestantischen Territorien der Fall, aber das Grundmuster war auch in den katholischen Territorien anzutreffen, nämlich die partielle Verstaatlichung der Religionssorge und die Tendenz, die Kirche einer staatlichen Oberaufsicht zu unterstellen. Diese neue Aufgabe war nur noch mit Hilfe eines ausgebauten institutionellen Apparates zu erfüllen. Denn Seelsorge und Schulwesen, Frömmigkeit und Bildung der Untertanen waren allein mit dem herkömmlichen policeylichen Handlungsinstrumentarium – Normgebung und Sanktionierung – nicht zu leisten. Dies war nur erreichbar mit einem Minimum an institutioneller Struktur, mit deren Hilfe sich „Leistungen“ erbringen ließen: Gottesdienst, Seelsorge, religiöser Unterricht, Erziehung und Lehre. In der Tat kam es zu Beginn der Neuzeit – jedenfalls außerhalb der fürstlichen Kammerverwaltung[27] – zu einer ersten Differenzierung des Behördenapparates: Damals entstand ein neuer Behördenzweig, der speziell für die Überwachung der Seelsorge- und Bildungsinstitutionen des Territoriums zuständig war.[28]

III. Verwalten als „Wirtschaften“: Die ökonomische Policey und das neue Verwaltungsverständnis des 18. Jahrhunderts

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Wandel des Verwaltungsverständnisses

Bis in das 18. Jahrhundert hinein zeigt die Verwaltung in den deutschen Territorien jenes stark justizielle Gepräge. Im Laufe des 18. Jahrhunderts bekam sie dann allerdings einen deutlich veränderten Grundzug. Die Registrierung und Ahndung von Normverstößen rückten nun gegenüber anderen Funktionen deutlich an den Rand. Stattdessen schob sich das Element der Planung und der ökonomischen Entwicklung des Landes in den Vordergrund. Dies war allerdings keineswegs in allen Territorien des Reiches gleichermaßen der Fall, aber in einigen Staaten ist ein tiefgreifender Wandel zu verzeichnen – besonders dezidiert in Brandenburg-Preußen. In anderen Territorien verblieb es hingegen – in ganz unterschiedlichen Abstufungen – beim traditionellen Policeyverständnis.

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„Status“ als neuer Schlüsselbegriff der Politik

Bedingt war diese Veränderung des Verwaltungsverständnisses durch einen Wandel der Ordnungsvorstellungen und Verwaltungsziele. Naheliegenderweise hat dies auch einen Wandel mit sich gebracht, was die Arbeitsweise der Verwaltung anbelangt. Dahinter stand eine grundlegende Veränderung des politischen Denkens im Laufe des 17. Jahrhunderts.[29] Ein zentraler Aspekt dieses säkularen politischen Ideenwandels ist in der Freisetzung des Machtstaatsgedankens zu sehen: Das politische Denken wird im 17. Jahrhundert immer stärker von der entscheidenden Ausgangsfrage bestimmt, wie sich die Macht des Princeps, insbesondere sein militärisches Durchsetzungsvermögen, stärken ließe. Beides wurde mit dem aus der italienischen Ratio status-Lehre rührenden Wort status zum Ausdruck gebracht. Damit waren alle diejenigen Faktoren angesprochen, welche für die Macht des Fürsten als ausschlaggebend betrachtet wurden.[30] Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurde dieser status immer stärker als rein finanziell-militärische Größe aufgefasst: Die Macht des Fürsten wurde mehr und mehr durch die ihm zu Gebote stehenden militärischen und finanziellen Mittel definiert. Der Ausgangspunkt wie auch die Bezugsgröße des politischen Denkens haben sich damit grundlegend verändert:[31] Ausgangspunkt des älteren politischen Denkens war die „Policey“ gewesen. Das Wort „Policey“[32] stand für das Gemeinwesen als Ganzes. Mit dem status hingegen war allein die Macht des Fürsten umschrieben.

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Machtsteigerung als politisches Ziel

Seit dem 17. Jahrhundert war das politische Denken zunehmend auf diesen status konzentriert: Es kreiste nunmehr um die Frage, wie sich der Fürsten-Status stärken ließe; es entwickelte Strategien der Machtstabilisierung und -steigerung. Das war etwas gänzlich Neues und es wurde damals auch, als diese Form des politischen Denkens allmählich auch im Reich heimisch wurde, als ausgeprägter Traditionsbruch empfunden – in vielen Fällen sogar als Bedrohung des überkommenen politischen Wertegefüges betrachtet.[33] Denn dem älteren politischen Denken war es keinesfalls darum gegangen, die Macht des Fürsten möglichst effektiv zu steigern. Ihm ging es vielmehr um die Bewahrung der überlieferten sozialen und politischen Ordnung. Für diejenige politische Größe, die in der Sprache des Barockzeitalters mit dem Wort status umschrieben wurde, gab es zuvor noch gar keinen Begriff – es kam in der politischen Reflexion des 16. Jahrhunderts schlechthin noch nicht vor.

 

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Rechtfertigung: innere und äußere Sicherheit

Die Rechtfertigungsmuster für einen starken und machtvollen status, wie er in der Politikliteratur des 17. Jahrhunderts typischerweise anzutreffen ist, lassen auch den Hintergrund für die rasche Verbreitung dieser Politiklehre erkennen: Immer wieder wird die Gefährdung des ganzen Gemeinwesens durch Bürgerkrieg und äußere Feinde beschworen, sodass zum Schutz der Gemeinschaft und zur Niederhaltung des ihr inhärenten Gewaltpotenzials ein starker und handlungsmächtiger status unumgänglich notwendig erscheint.[34] Die Vermutung liegt nahe, dass hier nicht zuletzt die katastrophenhaften Erfahrungen der konfessionellen Bürgerkriege wirksam wurden, die ein Land wie Frankreich an den Rand nahezu vollkommener Desintegration haben treiben lassen und im Reich in das Inferno des Dreißigjährigen Krieges mündeten.[35] Es muss jedenfalls auffallen, dass die Politikliteratur des 17. Jahrhunderts in ganz neuartiger Akzentuierung tranquillitas rei publicae und securitas publica zum entscheidenden, ja geradezu existenziellen Politikziel erhob, dem alles andere unterzuordnen sei.[36] Daraus wiederum folgte in der politischen Einschätzung dieser Zeit die evidente Notwendigkeit starker Rüstung, um sich gegen außen schützen und den inneren Frieden auch im Zeitalter konfessioneller Desintegration erzwingen zu können.[37] Nach den militärpolitischen Maximen dieser Zeit war dies nur mit dem Aufbau eines stehenden Heeres zu erreichen.

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Implikationen für die Staatsfinanzen

Das Streben der größeren Territorien nach einer machtvollen „Armierung“, wie man die Aufrüstung durch ein stehendes Heer damals nannte, erzeugte freilich einen enormen Kostendruck. Denn das damals noch neuartige politische Handlungs- und Zwangsinstrument eines ständig einsatzfähigen stehenden Heeres kostete, gemessen an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Staates dieser Zeit, ein immenses Geld.[38] Indem die neuen politischen Handlungsziele das Militär zu einem unverzichtbaren Element der Politik werden ließen, drängten sie zugleich zu einer Steigerung der Staatseinnahmen.[39]

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Primat der Wirtschaftspolitik

Gleichzeitig wird in der Literatur zur Prudentia politica allerdings auch davor gewarnt, die Steuerschraube zu sehr anzuziehen, weil dies die geschröpften Untertanen in eine Rebellion treiben könnte, die der Herrschaft des Fürsten hätte gefährlich werden können. Die Prudentia politica des Barockzeitalters hat deshalb immer wieder betont, der Fürst müsse zuerst durch die Förderung der Wirtschaftstätigkeit im Lande Reichtum bei den Untertanen erzeugen und dürfe erst danach einen Teil dieses Reichtums steuerlich abschöpfen, aber auch nur insoweit als dies den ökonomischen Strukturen des Landes zuträglich sei.[40] Es bedurfte also aus solcher Sicht vor einer Erhöhung der Steuern zunächst eines zeitlichen Vorlaufs, während dessen im Lande Reichtum entstehen kann, der dann die Chance höherer Steuereinnahmen eröffnet. Diese Finanzierungsperspektive war von dem Vertrauen getragen, das Land durch eine gezielte Wirtschaftspolitik reich machen zu können. Die Politik des 18. Jahrhunderts hat daher die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen ganz in den Vordergrund gerückt. Dieses eindeutige Primat der Wirtschaftspolitik gegenüber allen anderen inneren Politikfeldern unterscheidet das Politikverständnis des 18. Jahrhunderts auf das Schärfste von den älteren Politikkonzepten, wie sie noch in den Regimentstraktaten des 16. Jahrhunderts aufscheinen. Die „Gute Policey“ schloss zwar auch im Verständnis des 16. Jahrhunderts eine Reihe wirtschaftspolitischer Ziele ein, aber dabei ging es nie um die Hebung der Produktivkräfte, sondern im Gegenteil um die Festschreibung der tradierten Wirtschaftsordnung; im Übrigen aber lag der Akzent auf der religiös-moralischen Ordnung des Landes.

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„Zeitliche Glückseligkeit“ als Verwaltungsziel

Seit dem 18. Jahrhundert kleidete die neue Politiklehre das nun überragende Politikziel einer reichen und daher auch steuerlich leistungsfähigen Gesellschaft in die berühmte Formel von der sogenannten „zeitlichen Glückseligkeit“.[41] Dieses Ziel war erreicht, wenn das Land von zahlreichen, wohlhabenden Untertanen bewohnt war. An der zeitlichen Glückseligkeit der Untertanen nahm der Staat teil, denn sie brachte ihm hohe Steuererträge. Der Staat hatte demnach zwei Anliegen vordringlich zu verfolgen: Zum einen die Förderung der Einwanderung und Niederlassung, zum anderen die systematische Förderung von Handel und Produktion.

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Merkantilismus und Kameralismus

Es ist dies ein Teil dessen, was die Wirtschaftsgeschichte traditionell unter dem Begriff des „Merkantilismus“ fasst. Der Merkantilismus stellt allerdings nur eine Spielart dieses neuen, ökonomisch zentrierten politischen Denkens dar.[42] Sein Spezifikum bestand darin, dass er im Handel die entscheidende Quelle des Wohlstandes eines Landes sah, weniger in der Produktion. In Deutschland setzte sich demgegenüber seit dem 18. Jahrhundert eine wirtschaftspolitische Grundauffassung durch, die den Akzent auf die Produktion legte. Diese Akzentuierung der Wirtschaftspolitik belegt man traditionellerweise mit dem Stichwort des „Kameralismus“. Der Kameralismus, wie man ihn am konsequentesten in Preußen umzusetzen versuchte, weist nicht unbeträchtliche Parallelen zu dem auf, was dann im 20. Jahrhundert – freilich in erheblich zugespitzter Form – in planwirtschaftlichen Systemen versucht wurde. Die Parallele zur Planwirtschaft liegt vor allem darin, dass die ökonomischen Prozesse – jedenfalls dem Anspruch nach – einer weitgehenden zentralen Steuerung und Beeinflussung durch den Staat unterliegen sollten.[43]

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Ökonomische Ausrichtung der Policey

Die Policey bekam auf diese Weise im 18. Jahrhundert in manchen Territorien eine neuartige ökonomische Ausrichtung: Nunmehr wurden die wirtschaftspolitischen Verwaltungsaufgaben dominant. Nicht mehr die Registrierung und Kontrolle von Normverstößen war jetzt die Hauptsache, sondern vielmehr die möglichst genaue Beobachtung und Erfassung des ökonomischen Zustandes der Städte und Dörfer, um der Regierung ein exaktes Bild von den Verhältnissen im Lande vermitteln zu können. Die Verhaltenskontrolle und die Sanktionierung policeywidrigen Verhaltens durch Policeystrafen wurde zum bloßen Annex einer vorrangig auf die Weiterentwicklung der ökonomischen Strukturen fokussierten Verwaltung.

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Neue Handlungsformen der Verwaltung

Die neue Verwaltungsaufgabe der Erzeugung gesellschaftlichen Reichtums gab der Verwaltungstätigkeit naheliegenderweise ein neues Gepräge. Neben dem Ge- und Verbot und deren Durchsetzung praktizierte die Verwaltung nun weitere Handlungsformen, die in besonderer Weise darauf ausgerichtet waren, Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Das betraf zum einen die administrative Planung und Weiterentwicklung der ökonomischen Strukturen des Landes und zum anderen die Leistungsverwaltung. Diese Verschiebung der Aufgaben- und Zielstellungen des Verwaltungshandelns ist in ihren Anfängen seit dem 18. Jahrhundert zu beobachten – besonders ausgeprägt in einem Land wie Brandenburg-Preußen.[44] An zwei Punkten lässt sich dies besonders anschaulich machen: Zum einen an der Art und Weise, wie der Verwaltungsapparat in einem Land wie Preußen im Laufe des frühen 18. Jahrhunderts um- und ausgebaut wurde (dazu B.). Zum anderen an den Veränderungen der Pflichten- und Aufgabenkataloge, die die Amtsträger bei ihrer Arbeit anleiten sollen; in diesen Dienstanweisungen schlagen sich naturgemäß auch die Veränderungen der policeylichen Ordnungsvorstellungen und der Arbeitsweise nieder (dazu C.).

B. Die institutionellen Strukturen der frühneuzeitlichen Verwaltung: Behördenorganisation und -aufbau

I. Die Ausgangslage seit dem Beginn der Neuzeit

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Ausgangslage

Generell hat man hier zu unterscheiden zwischen großen Territorien mit ausgeprägter landständischer Machtstellung einerseits und den zahlreichen mittleren und kleineren Reichsständen andererseits; letztere nicht selten ohne oder zumindest mit vergleichsweise schwachen Ständevertretungen. Die Struktur der territorialen Verwaltungsorganisationen korreliert mit der Macht und dem Einfluss der Stände: Je ausgeprägter deren Machtposition, desto stärker sind sie auch im Gefüge der jeweiligen Verwaltungsstrukturen positioniert.

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Überblick

Die Administrativ- und Jurisdiktionsinstitutionen der kleineren und mittelgroßen Territorien des Reiches waren in der Frühen Neuzeit in aller Regel auf zwei Ebenen gelagert: Einer zentralen Ebene und einer Ebene örtlicher/regionaler Herrschaftsausübung durch Vertreter des Landesherrn. An der Spitze stand regelmäßig eine kollegial organisierte, zentrale Regierungsinstanz für das gesamte Territorium, nämlich die an den landesfürstlichen Höfen entstehenden Räte, die auch als Beratungsorgan des Fürsten bei der Gesetzgebung dienten (1.).[45] Die zweite Administrativebene war diejenige dezentraler Verwaltung „vor Ort“ (2.). Seit dem Spätmittelalter waren diejenigen Territorien, die über eine gewisse Minimalgröße hinauskamen, räumlich in Verwaltungssprengel – häufig als „Amt“ oder „Vogtei“ bezeichnet – gegliedert, in denen ein Vertreter des Landesherrn dessen territoriale Herrschaftsrechte ausübte. Die Entstehung eines Netzes von Amtssprengeln, mit denen das Land systematisch überzogen war, bringt die Intensivierung und zunehmende Flächenhaftigkeit der spätmittelalterlichen Landesherrschaft sinnfällig zum Ausdruck. In den großen Territorien – in erster Linie ist hier an Preußen und Österreich zu denken – ist dieses Grundmuster dadurch modifiziert, dass es sich hier um „zusammengesetzte Staaten“ handelte, d. h. um zunächst rein dynastische Verbindungen vormals eigenständiger Territorien zu einem Großterritorium, dessen Bestandteile anfangs nur durch den gemeinsamen Landesfürsten in einer Art „Personalunion“ zusammengehalten wurden. Hier kam eine weitere administrative Ebene hinzu, gelagert zwischen der Zentrale und den lokalen Verwaltungsinstitutionen. Deren Zuständigkeitsbereich war in der Regel deckungsgleich mit den Grenzen jener Länder und Territorien, die in das Großterritorium der „Länderverbindung“ einbezogen wurden (3.). Neben dieser allgemeinen Landesverwaltung stand schon seit dem Mittelalter die Verwaltung des fürstlichen „Hauses“, also des fürstlichen Grundbesitzes und der Regalien. Daraus hat sich im Laufe der Frühen Neuzeit die Finanzverwaltung als erste Verwaltungsbranche mit speziellem Aufgabenbereich neben der allgemeinen Landesverwaltung entwickelt. Seit dem Beginn der Neuzeit traten dann weitere Sonderbehörden mit sachlich begrenztem Aufgabenbereich hinzu; am frühesten – im konfessionellen Zeitalter des 16. Jahrhunderts – die neuartigen Institutionen der staatlichen Religionssorge und der Kirchenaufsicht, später – allen voran in Preußen – eine neuartige Militärverwaltung (4.).

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Verbindung justizieller und administrativer Funktionen

Keine der genannten Funktionsträger und Instanzen waren allerdings reine „Verwaltungsbehörden“; alle diese Institutionen übten vielmehr ganz wesentlich auch Rechtsprechungsfunktionen aus. „Wenn man für die Epoche der europäischen Frühen Neuzeit von Verwaltung spricht, sind damit nur ausnahmsweise Institutionen bezeichnet, die ausschließlich Verwaltungstätigkeiten durchführten. Bürokratie, Justiz und Politik stellten vielmehr nur im Ansatz ausdifferenzierte Systeme dar, die personell, institutionell und auf der Handlungsebene eng miteinander verknüpft waren.“[46] Neben diesen sowohl administrativ wie rechtsprechend tätigen Institutionen gab es allerdings in aller Regel auch noch einen gerichtlichen Instanzenzug. Typisch für die institutionellen Strukturen in den frühneuzeitlichen Territorien war also ein Nebeneinander von „Gerichten“ mit überwiegend justiziell-rechtsprechender Funktion einerseits und herrschaftlichen Amtsträgern andererseits, bei denen die Rechtsprechungsfunktion mit administrativen Aufgaben verbunden war. Beide nahmen gleichermaßen administrative wie justizielle Funktionen wahr und sie waren zudem auf das Engste miteinander verzahnt.