Handbuch des Verwaltungsrechts

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3. Die Bedeutung der WTO für die Internationalisierung des Verwaltungsrechts

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Mittelbare und unmittelbare Wirkung

Die Rechtsordnung der WTO hat erhebliche, bisher noch nicht im Einzelnen abschätzbare Auswirkungen auf die Internationalisierung des Verwaltungsrechts. Wesentlich schwerer als die Erfassung der dargestellten unmittelbaren, teilweise umstrittenen direkten Wirkungen ist die der internationalisierten mittelbaren Rechtswirkungen. Manche Bereiche entziehen sich noch einer genaueren Bewertung. Ansatzpunkte einer solchen bieten erfolgte Standardisierungen.[166]

a) Lebensmittelrecht

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Lebensmittelrecht

Als Beispiel bzw. als Referenzgebiet bietet sich vor allem das Lebensmittelrecht an. Nach Rainer Wahl sei die direkte und indirekte Wirkung von internationalen Organisationen nirgends so anschaulich wie hier. Im Lebensmittelrecht werde deutlich, dass jenseits der europäischen Ebene die größere und umfassendere Internationalisierung des nationalen Rechts zur Realität geworden sei.[167] Nach dem Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS-Übereinkommen) wird jedes nationale legislative oder administrative Verhalten zum Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen erfasst, da sich nie eine potenzielle Auswirkung auf den internationalen Handel ausschließen lasse. Die WTO-Mitglieder sind umfassend für die Einhaltung des Übereinkommens völkerrechtlich verantwortlich (Art. 13 SPS-Übereinkommen). Alle Mitglieder müssen ihre Maßnahmen auf internationale SPS-Standards mit dem Ziel stützen, langfristig eine Harmonisierung zu erreichen. Das SPS-Übereinkommen nimmt hierbei ausdrücklich auf Richtlinien und Empfehlungen der Codex-Alimentarius-Kommission als Referenznorm Bezug (Art. 3 SPS-Übereinkommen). Die Mitgliedstaaten haben aber weiterhin die Möglichkeit, das gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Schutzniveau selbst festzulegen, vorausgesetzt es liegt eine entsprechende wissenschaftliche Begründung vor. Art. 3 Abs. 2 SPS-Übereinkommen enthält nur eine widerlegliche Vermutung für den Umweltschutz.

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Appellate Body

Im Ergebnis wird demnach ein Mitgliedstaat völkerrechtlich dazu verpflichtet, einen entsprechenden Standard einzuhalten, unabhängig davon, ob er von einer staatlichen oder nichtstaatlichen Stelle umgesetzt wird. Entscheidend ist der Maßstab, der nach Art. 5 SPS-Übereinkommen für die Risikobewertung anzuwenden ist. Die Rechtsprechung des Appellate Body stellt bei ihrer Risikoanalyse ab auf „the actual potential for adverse effects on human health in the real world where people live and work and die“.[168] Im Ergebnis bleibt den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Einhaltung der SPS-Standards für die rechtliche Form der einzusetzenden Instrumente großer Spielraum, während die entsprechende verwaltungsrechtliche Dogmatik für die Handhabung des Risikobegriffs weitgehend durch die Rechtsprechung des Appellate Body geprägt wird.[169] Man mag gegen die „Härtung“ der Codex-Normen zu faktischer Verbindlichkeit wegen der Verflüchtigung demokratischer Legitimation Bedenken haben, andererseits sind die Möglichkeiten, Legitimation auch im Rahmen des geltenden Rechts zu fördern, noch nicht ausgeschöpft.[170]

b) Vergaberecht

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GPA

Ein weiteres Gebiet im Rahmen der WTO, das in einem wichtigen Bereich des nationalen Verwaltungsrechts zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist das Vergaberecht.[171] Das im GATS-Bereich abgeschlossene Agreement on Government Procurement (GPA) enthält nicht nur Liberalisierungsvorschriften für die Mitgliedstaaten, sondern auch gegenüber Anbietern aus Drittstaaten, z. B. die Schwellenwerte betreffend. Es handelt sich um ein „Plurilaterales Abkommen“, das nur für die Mitglieder verbindlich ist, die dieses angenommen haben.[172] Grundsätze wie Reziprozitätsvorbehalte, Inländerbehandlung und die Meistbegünstigungsklausel bestimmen über EG-Richtlinien die Verwaltungsrechtsordnung der Mitgliedstaaten.[173]

IV. Die Finanzmarktregulierung als Paradebeispiel

1. Systemaufsicht

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Systemaufsicht

Wohl in keinem anderen Rechtsgebiet zeigt sich die Verwobenheit von internationalem, supranationalem, nationalem, öffentlichem und privatem Recht deutlicher als am Beispiel der Finanzmarktaufsicht.[174] Nicht nur geht es im Bereich der Banken und Versicherungen um aufsichtsrechtlich zu erfassende relevante Risiken, um Risikomanagement-, Risikocontrolling-, Managementinformationssysteme und sonstige Kontrollverfahren, sondern es fließen auch Verfahrens- und Organisationspflichten ineinander.[175] Besondere Schwierigkeiten macht die Erfassung der Systemaufsicht, weil sie nur schwer in das bekannte Spektrum von vorbeugenden, begleitenden und repressiven Instrumenten eingeordnet werden kann. Systemische Risiken sind im Übrigen nicht auf die Finanzmärkte beschränkt. Sie entstehen aus Beziehungen, an denen sämtliche Systemelemente beteiligt sein können und welche die Stabilität und Funktionsfähigkeit eines ganzen Systems bedrohen.[176] Aus dem großen Politikfeld, zu dem das Recht der Bankenaufsicht, das Recht der Versicherungsaufsicht, das Kapitalmarktrecht und das Börsenrecht gehören,[177] wird der Teilausschnitt herausgegriffen, in dem die Internationalisierung in einer sehr speziellen Gemengelage bei Handhabung der Instrumente, Kooperation und Standardsetzung zusammentrifft.

2. Institutionelle Grundlagen

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Institutionelle Grundlagen

Das weltweite Netzwerk von zahlreichen Aufsichtsregeln und unterschiedlichen Behörden[178] ist institutionell höchst verschieden ausgestaltet. Weltweiter Standardsetzer ist der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Basel Committee on Banking Supervision, BCBS), der im Jahr 1974 unter der Ägide der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel (BIZ) gegründet wurde.[179] An dessen Eigenkapitalregeln von 1998 (Basel I), von 2004 (Basel II), von 2010 (Basel III) und der Ergänzung letzterer von 2017 (Basel IV) orientieren sich auch die EU[180] und die Mitgliedstaaten bei ihrer Gesetzgebung.[181] Daneben sind für die Versicherungsaufsicht die International Association of Insurance Supervisors (IAIS) und für den Wertpapierhandel die International Organisation of Securities Commissions (IOSCO) zu nennen. Die höchst unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen der genannten Institutionen hindern nicht oder begünstigen vielleicht sogar das Entstehen gemeinsamer Regeln, deren Qualifizierung vom soft law bis zum Gesetzesrecht reicht. Während das BCBS auf völkerrechtlicher Grundlage beruht, sind die IOSC und die IAIS privatrechtliche Vereinigungen; die IAIS als privatrechtsfähiger Verein nach Schweizer Recht mit Sitz in Basel, die IOSC als Verein nach dem Recht der kanadischen Provinz Québec, inzwischen mit Sitz des Generalsekretariats in Madrid. Mitglieder dieser Vereine können einzelne Behörden wie z. B. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)[182] vermutlich nur dann sein, wenn sie innerstaatlich rechtsfähig sind und wenn dies die jeweilige Vereinssatzung erlaubt.[183]

3. Standardsetzung

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Standardsetzung

Zentral für die internationale Finanzarchitektur ist die BIZ. Der bei ihr angesiedelte Ausschuss für Bankenaufsicht soll im Folgenden wegen dessen exemplarischer Bedeutung herausgegriffen werden. Er entstand durch ein informelles Zusammenwirken der Zentralbankgouverneure und der Präsidenten der G 10 sowie von Argentinien, Australien, Brasilien, China, Hongkong, Indonesien, Korea, Luxemburg, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Singapur, Südafrika, Spanien, Türkei sowie der EU. Die genannten Länder sind teilweise durch mehrere Institutionen vertreten. Deutschland beispielsweise durch die Deutsche Bundesbank und durch die BaFin.[184] Die vom Basler Ausschuss getroffenen Vereinbarungen zur Kreditvergabe durch Banken (Basel Accords) binden zwar völkerrechtlich nicht. Ihre Empfehlungen sind aber faktisch bedeutend. Sie beeinflussen unmittelbar nicht nur die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten und deren Institute; sie wirken darüberhinausgehend weltweit.[185] Der Ausschuss versteht sich als „primary global standard-setter for the prudential regulation of banks“.[186] Er kooperiert weltweit mit den Bankenaufsichtsbehörden. In regelmäßigen internationalen Konferenzen wurden sog. Kernprinzipien für eine wirksame Bankenaufsicht entwickelt. Dies wird angesichts der vielfältigen Risiken der internationalen Wirtschaft und der Schwierigkeiten, eine weltweite Kontrolle der Finanzmärkte einzuführen, als ein „vergleichsweise schwacher Ansatz“ angesehen. Aber immerhin verwendet sie der IWF als „benchmark“ zur Beurteilung nationaler Aufsichtssysteme.[187]

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Kooperation

Eine Gesamtwertung wird auch zu berücksichtigen haben, dass im Finanzaufsichtsrecht eine vitale informationelle, prozedurale und institutionelle Kooperation[188] gehandhabt wird sowie dass im Gemeinschaftsrecht und international eine Reihe von Möglichkeiten geschaffen wurden, um eine effiziente Finanzmarktaufsicht zu gewährleisten.[189] Auch der deutsche Gesetzgeber hat entsprechende Kooperationsbefugnisse geschaffen wie etwa in § 4 Abs. 2 FinDAG, wo die Zusammenarbeit der BaFin „mit anderen Stellen und Personen im In- und Ausland“ ausdrücklich genannt wird.

 

4. Gesetzgebung im materiellen Sinn

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Rechtsfragen

Die Standardsetzung im Basler Ausschuss dient dem Anlegerschutz und der Stabilität einzelner Banken sowie der Bankwirtschaft insgesamt. Der Sache nach werden Vereinbarungen wie der Basler Account als Gesetzgebung im materiellen Sinn qualifiziert.[190] Dies ist deshalb berechtigt, weil die für Normen vorausgesetzten Elemente wie der Rechtsbindungswille, die Bestimmtheit und die Vollzugsfähigkeit zweifellos vorhanden sind. „Es fehlt nur ein Gesetzgeber“.[191] Die Einordnung des Basler Accords 1988 (Basel I) als soft law ist eher eine Verlegenheitslösung und entspricht keineswegs deren faktischer Bedeutung. So wurden beispielsweise die Kapitaladäquanzrichtlinie[192] von der EU und das darauf beruhende Umsetzungsgesetz vom deutschen Gesetzgeber[193] nahezu unverändert vom Basler Ausschuss übernommen. Die entsprechenden Eigenkapitalvorschriften sind äußerst umfangreich und detailliert[194]. Man mag auch in den faktisch wirkmächtigen Regeln, entstanden in einem komplizierten Rechtssetzungsprozess unter Beteiligung Privater, durchaus das Entstehen eines neuen Typus internationaler Normen sehen[195] und sicherlich zeigen sich in ihnen die Erscheinungen einer entgrenzten Staatlichkeit. Derzeit bleibt jedoch bei kritischer Betrachtung ein demokratisches Defizit, in der Bundesrepublik gemildert durch das Mandat zur internationalen Behördenkooperation (§ 4 Abs. 2 FinDAG), durch die persönliche Legitimität der beteiligten Beamten und dadurch, dass dem Basler Ausschuss ein völkerrechtlicher Gründungsakt zugrunde liegt.[196] Ein zeitgemäßes Völkerverwaltungsrecht, wie dies in der Literatur vorgeschlagen wird,[197] wurde allerdings bisher noch nicht entwickelt.

V. Die Internationalisierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit

1. Rechtsgrundlagen

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Rechtsgrundlagen

Die Notwendigkeit bürgernaher Politikgestaltung beschränkt sich nicht auf ein einzelnes Sachgebiet. „Bürgernähe“ und Regionalisierung sollen in sämtlichen Politikfeldern den durch Internationalisierung und Europäisierung erlittenen Identitätsverlust kompensieren. Mit dezentralen Lösungen soll die Komplexität der Entscheidungsvorgänge verringert und höhere Transparenz erreicht werden. Dezentrale Entscheidungen begünstigen Partizipation, stärken das demokratische Bewusstsein[198] und dienen der Effizienz des gesamten Entscheidungsprozesses.[199] Aber selbst bei Bewältigung von Alltagsaufgaben im lokalen und regionalen Bereich ist nicht nur das europäische, sondern auch das internationale Recht relevant.[200] Entscheidend für die Bewältigung ehemals staatlicher Aufgaben ist die Bereitstellung von Rechtsformen für die innerstaatlichen Verwaltungen, die es ermöglichen, effektiv und rechtsstaatlich unbedenklich mit dem jeweiligen Kooperationspartner zusammenzuarbeiten.[201] Das klassische Beispiel für die Zusammenarbeit der Regionen ist die Tätigkeit der „Regio Basiliensis/Oberrheingraben“[202] zwischen dem schweizerischen Kanton Basel, der französischen Region Elsaß und dem Regierungspräsidium Südbaden auf den Gebieten Verkehr und Transport, Infrastruktur, Umweltschutz, Kultur und Bildung sowie bei Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der Region.[203]

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Art. 24 Abs. 1a GG

Da die grenznachbarschaftliche Kooperation in der Lage sein muss, Hoheitsrechte wahrzunehmen, fügte der Verfassungsgeber im Zuge der Reform des Grundgesetzes im Jahr 1992 Art. 24 Abs. 1a GG in die Verfassung ein. Diese Bestimmung gestattet mehr als die bisherigen Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Zwar wurde von Art. 24 Abs. 1a GG, einer inzwischen nicht mehr ganz neuen Bestimmung, bisher noch nicht Gebrauch gemacht, sie ist aber doch ein wichtiges Beispiel für ein von den nationalen Rechtsordnungen teilweise emanzipiertes Rechtsregime, eine autonome Rechtsordnung, die es ermöglicht, rechts- und fachaufsichtliche Zuständigkeiten mit hinreichendem Legitimationsniveau wahrzunehmen.[204] Weiter als gemäß Art. 32 Abs. 3 GG, der allein an die Gesetzgebungskompetenz anknüpft, können nach Art. 24 Abs. 1a GG Hoheitsrechte übertragen werden.[205] Mit der Übertragung von Hoheitsrechten wird der staatliche Ausschließlichkeitsanspruch zugunsten eines anderen Hoheitsträgers zurückgenommen. Staatsgewalt wird nicht abgetreten. In Betracht kommen zwei Formen: Entweder wird ein neuer Hoheitsträger geschaffen („grenznachbarschaftliche Einrichtung“) oder ein bereits vorhandener wird mit Hoheitsgewalt ausgestattet.[206]

2. Beispiele

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Die Praxis

Ein typisches Beispiel für grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist die Regelung der Gesundheitsvorsorge im deutsch-französischen Grenzgebiet. Grundlage ist die Herstellung eines Rechtsverhältnisses[207] durch einen völkerrechtlichen Basisvertrag, mit dem ein einheitliches Versorgungsniveau sichergestellt werden soll. Die Standards für die Qualität der Versorgung betreffen auch die Organisation der notfallmedizinischen Versorgung und die Gewährleistung einer durchgehenden Gesundheitsversorgung bis hin zu gemeinsamen Aufsichtsstandards, insbesondere Evaluierungs- und Kontrollkriterien.[208]

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Zweckverbände

Die Beispiele für Kooperationen im grenznachbarschaftlichen Bereich ließen sich vermehren. Sie betreffen das Zusammenwirken von Zweckverbänden wie dem Echternacher Übereinkommen in der Grenzregion zwischen Rheinland-Pfalz und Luxemburg zur Bewältigung wasserwirtschaftlicher Aufgaben.

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Vielfaltssicherung, Demokratisierung

Dezentrale Handlungsebenen bewahren und fördern soziale, kulturelle, wirtschaftliche und politische Vielfalt, erlauben Experimente und vermeiden Irrtümer, die auf Informationsdefizite der zentralen Entscheidungsebene zurückzuführen sind. Die stärkere Demokratisierung des Gesamtsystems ist ein weiterer positiver Aspekt.[209] Auch die behandelte substaatliche Ebene des Gesamtstaats wird nicht nur durch die europäische Integration („Europa der Regionen“) bestimmt, sondern auch durch transnationale und internationale Elemente des deutschen Verwaltungsrechts.

3. Insbesondere: Die Sicherheitsverwaltung

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Staatsaufgabe Sicherheit

Der klassischen Staatsaufgabe Sicherheit kommt mehr denn je politisches Gewicht zu.[210] Trotz der verbleibenden Zuständigkeit der Nationalstaaten hat sich inzwischen der Überbau einer überstaatlichen oder internationalen Sicherheitsverwaltung herausgebildet. Die Internationalisierung sicherheitsrechtlicher und präventiv bzw. repressiv polizeilicher Maßnahmen muss auch auf die kleinräumig grenzüberschreitenden Bedrohungspotenziale antworten. Dies zeigt sich insbesondere bei den zahlreichen polizeilichen Kooperationsverhältnissen im grenznachbarschaftlichen Raum.[211] Dabei spielen auch vielfältige Netzwerkstrukturen und eine übergreifende internationale Sicherheitsverwaltung, die sich zunehmend von ihren nationalstaatlichen Ursprüngen emanzipiert und selbstständige Organe entwickelt hat, eine herausragende Rolle. Insbesondere die Verselbstständigung der Informationsverwaltung ist festzustellen. Information ist inzwischen zu einem international austauschbaren eigenständigen Gut geworden.[212] Trotzdem muss sich der Staat seine eigene Verantwortungsfähigkeit, zumindest seine Mitverantwortung erhalten.[213]

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Verwaltungsrealakte

In wesentlichen Punkten gleichen sich die völkerrechtlichen Vertragswerke. Vielfach geht es um Verwaltungsrealakte, die grenzüberschreitend erlaubt werden wie Informationsaustausch, Observation, Nacheile, Festhalterecht, Sicherstellung und Schusswaffengebrauch. Die grenzüberschreitende präventive Polizeiarbeit ist vor allem im Schengener Durchführungsübereinkommen nebst Zusatzabkommen geregelt (SDÜ).[214] Dort wird beispielsweise die Verfolgung einer Partei auf dem Territorium einer anderen Vertragspartei erlaubt (Art. 41 SDÜ). Zusätzlich darf der nacheilende ausländische Beamte die verfolgte Person festhalten (Art. 41 Abs. 2 SDÜ) und zum Selbstschutz eine Dienstwaffe in Notwehr einsetzen (Art. 41 Abs. 5 lit. e SDÜ).[215]

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Gemischte Rechtsregime

Trotz dieser sehr weitgehenden Befugnisse dürfen sich die grenznachbarschaftlichen Einrichtungen nicht vollständig von den Vertragsstaaten emanzipieren, weil sie auf die ergänzende Einbindung in nationales Recht angewiesen bleiben, es liegt ein „gemischtes“ Rechtsregime vor.[216] Im Ganzen stellt sich das Recht der internationalen Sicherheitsverwaltung als ein Beispiel für ein verwaltungsrechtliches Mehrebenenrecht mit wechselseitigen Einflüssen und Verweisungen dar.[217]

C. Schluss

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Quantität der Internationalisierung

Ein Rückblick auf die behandelten Referenz- bzw. Fachgebiete zeigt, dass das Recht aus einem abgeschlossenen nationalen Regelzusammenhang weitgehend in einen internationalen Raum abgewandert ist.[218] Neben der europäischen Ebene besteht eine relevante dritte Ebene, eine internationale, auf der die „für die Staaten wichtige[n] Entscheidungen getroffen [werden, …] auf der auch Recht gesetzt und irgendwie durchgesetzt wird.“[219] Neben dieser allgemeinen Erkenntnis ist es schwierig, aus den behandelnden Referenzgebieten Erkenntnisse zu destillieren, die allgemeinere Bedeutung haben. Insbesondere fällt es schwer, Veränderungserscheinungen im Nationalbereich zu erkennen, die sich auf den Einsatz von Instrumenten und deren Qualität beziehen.[220] Überwiegend lässt sich nämlich nur feststellen, dass Regelungen von internationalen, europäischen und nationalen Institutionen getroffen, nicht aber, dass nationale Regelungen als solche verändert werden. Es geht also weniger um die Entwicklung neuer Strukturen auf internationaler Ebene, sondern um den Einsatz bekannter Instrumente durch Akteure außerhalb nationaler Räume. Im Ganzen handelt es sich eher um die Quantität der Internationalisierung, nicht um neue Qualitäten.

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Internationales Recht als Medium

Eine rechtsempirische Bestandsaufnahme wird jedenfalls erfolgreicher sein, wenn es sich um Gebiete mit natürlichem Auslandsbezug handelt, wie etwa das Umweltverwaltungsrecht. Hier geht es von Anfang an um entgrenzte Probleme, die allerdings vielfach durch Unionsrecht mediatisiert werden. Eine Besonderheit kann darin gesehen werden, dass Prinzipien aus dem nationalen Recht, wie etwa das Vorsorgeprinzip, exportiert werden. Das internationale Recht wird auf diese Weise seinerseits zum Medium fremder Rechtsinstitute.

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Grenzen und Herausforderungen der Internationalisierung

Die Internationalisierung des Verwaltungsrechts stößt an Grenzen, wenn sich, wie im öffentlichen Kulturrecht, herausstellt, dass für die Zusammenführung unterschiedlicher Kulturbegriffe unterschiedliche Vorgaben des internationalen Rechts für das Verwaltungsverfahrensrecht nicht ausreichend sind. In diesen Fällen ist der Gesetzgeber gefordert, einen plausiblen Kulturbegriff zu fassen. Ob die nationalen Folgerungen, ob etwa das herausverlangte Kulturgut als bedeutsam oder unveräußerlich eingestuft wird, durch Verwaltungsakt oder durch Eintragung in ein besonderes Verzeichnis erfolgen, bleibt vom Ergebnis her gleichgültig.

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Internationale Standards

Wie auch in den meisten anderen Referenzgebieten spielen internationale Standards, die teilweise von privatrechtlichen Institutionen erarbeitet wurden, eine wesentliche Rolle. Hierbei können durchaus Frakturen auftreten, wenn z. B. die international begründeten Verpflichtungen nicht ausreichend auf die nationalen Rechtsordnungen zugeschnitten wurden. Im Bereich der Standardsetzung ist es beliebte Regelungstechnik, die Entwicklung verwaltungsrechtlicher Grundsätze den einzelnen Staaten zu überlassen. Im Ergebnis werden die Staaten dazu verpflichtet, entsprechende Standards einzuhalten, unabhängig, ob sie von einer staatlichen oder nichtstaatlichen Stelle geschaffen wurden. Als Musterbeispiel gilt der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, der weltweit von Bedeutung ist. Zwar binden die Vereinbarungen zur Kreditvergabe durch Banken völkerrechtlich nicht, aber immerhin verwendet sie der IWF als „benchmark“ zur Beurteilung nationaler Aufsichtssysteme.

 

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Netzwerke

In den faktisch wirkmächtigen Regeln, entstanden in einem komplizierten Rechtssetzungsprozess unter Beteiligung Privater, kann durchaus das Entstehen eines neuen TÜVs internationaler Normen gesehen werden. Diese neuen Netzwerke sind eher technokratisch zu verstehen. Wegen ihrer Wertneutralität sind sie für alle Kulturen und Wertordnungen akzeptabel.[221] Neben den Standards spielen im Rahmen der Internationalisierung im Bereich des Sicherheitsrechts Kooperationsverhältnisse und die entstandenen vielfältigen Netzwerkstrukturen eine bedeutende Rolle.

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Legitimitätssicherung durch Nationalstaaten

Trotz der im Rahmen einer offenen Staatlichkeit tätigen zahlreichen externen Akteure wie internationale Weltbank, Expertengremien und Nichtregierungsorganisationen,[222] trotz der langen Tradition der besonders wichtigen Gestaltungsform des völkerrechtlichen Vertrags, bleibt die Legitimität politischen Handelns auf der internationalen Ebene weiterhin auf die Nationalstaaten angewiesen.[223]

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