Handbuch des Verwaltungsrechts

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2. Prinzipien und Standards

a) Prinzipienvermittlung

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Prinzipien des Umweltrechts, Wechselwirkungen

Die das nationale Umweltrecht beherrschenden Prinzipien prägen nicht nur funktional, sondern auch systembildend das Leitbild des Umweltverwaltungsrechts.[106] Ein näherer Blick auf Ursprung und Genese insbesondere der Grundsätze der Vorsorge, Nachhaltigkeit und des Verursachers ermöglicht ein besseres Verständnis von Wechselwirkungen zwischen nationalem und internationalem Recht. So sind zwar einige dieser tragenden Prinzipien auf internationale, nicht notwendigerweise umweltrechtliche,[107] Vertragswerke zurückzuführen.[108] Gleichwohl findet sich im Vorsorgeprinzip auch ein Grundsatz, der sich als erfolgreicher „Export“ eines nationalen Rechtsprinzips im internationalen Recht durchgesetzt hat.[109] Damit ist nicht lediglich ausgedrückt, dass Internationalisierung keinesfalls einseitig verläuft. Vielmehr sei darauf hingewiesen, dass sich auch das internationale Recht aus bekannten Rechtsprinzipien und -traditionen einzelner Rechtsordnungen speist. Das internationale Recht wird dadurch seinerseits zum Medium fremder Rechtsinstitute, -strukturen und -prinzipien.

b) Internationale Standards

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Standardisierung

Einen nicht nur im internationalisierten Umweltverwaltungsrecht beachtlichen Einfluss haben internationale technische Standards, die jedoch nicht von öffentlich-rechtlich organisierten, sondern privatrechtlichen Institutionen erarbeitet und auf unterschiedliche Weise in die nationale, inter- und supranationale Gesetzgebung integriert werden.[110] Danach anerkannte Normsetzungsinstitute sind auf internationaler Ebene die International Organization for Standardization (ISO) mit Sitz in der Schweiz, auf europäischer Ebene das Comité Européen de Normalisation (CEN) und auf nationaler Ebene beispielsweise das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN). Ihre Steuerungsleistung ist jedoch begrenzt. Die von diesen Instituten normierten Umweltstandards beanspruchen keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit.[111] In erster Linie handelt es sich daher um sog. soft law, das erst im Wege der Adaption im Rahmen verschiedener Verhaltenskodizes verbindliche Berücksichtigung findet, etwa bei der Vergabe von Umweltzeichen.[112] Auch in Hinblick auf Umweltmanagementsysteme erfolgt regelmäßig eine Rückbindung an international standardisierte Normen, bei Umweltaudits konkret an die ISO-Normserie 14000[113] oder im Rahmen der Energieaudits an die Norm ISO 50001.[114]

3. Internationale Verwaltungszusammenarbeit

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Verwaltungsaufwand durch internationale Zusammenarbeit

Aufgrund des inhärent grenzüberschreitenden Bezugspunktes[115] verwundert es nicht, dass die internationale behördliche Zusammenarbeit eines der Kernelemente der Aufgabenwahrnehmung der zuständigen Umwelt- und Naturschutzbehörden bildet. Empirisch wurde die genaue Zahl der grenzüberschreitenden Kontakte noch nicht erhoben. Aufgrund der Vielzahl insbesondere informeller Kontakte stellt dies auch eine nahezu unmögliche Aufgabe dar.[116] Insgesamt birgt die internationale Verwaltungszusammenarbeit, ob in institutionalisiertem oder informellem Rahmen, jedoch auch Risiken. So muss auf den mit der Unterhaltung und Pflege von Netzwerken und Austauschkanälen verbundenen Verwaltungsaufwand und damit mögliche Effizienzverluste hingewiesen werden.[117] Es sind daher bei der Beurteilung der Effektivität der beabsichtigten Zusammenarbeit[118] stets opportune Kosten materieller und personeller Ressourcenbindung einzubeziehen.[119]

4. Ausgewählte Sachgebiete der Umweltverwaltung

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Sachgebiete

Das Umweltvölkerrecht beschränkt sich heute nicht lediglich auf die Regelung einzelner Sachgebiete des Umweltverwaltungsrechts.[120] Aufgrund der Vielzahl der Regelungsmaterien ist daher eine Auswahl unvermeidbar. Sie muss bestimmte, besonders anschauliche Sachgebiete des Umweltverwaltungsrechts berücksichtigen. Dies betrifft hier zunächst den Klimaschutz, dessen Probleme auf sämtliche Umweltmedien einwirken.[121] Als weiteres Sachgebiet wird der Gewässerschutz herangezogen, der wie schon das Klimaschutzrecht in besonderem Maße durch das Umweltvölkerrecht bestimmt wird.

a) Klimaschutz

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Kyoto-Protokoll und Pariser Klimaabkommen

Seit bald drei Dekaden steht der Klimaschutz an der Spitze der internationalen umweltpolitischen Agenda. Die Rio-Konferenz der Vereinten Nationen und der Abschluss der noch heute gültigen Klimarahmenkonvention in New York im Jahr 1992 gelten als erste Meilensteine der internationalen Klimaschutzpolitik.[122] Nach dem im Jahr 1997 verabschiedeten Kyoto-Protokoll und darauffolgenden verbindlichen Detailregelungen im Rahmen der siebten Vertragsstaatenkonferenz (VSK) in Marrakesch im Jahr 2001 stellt das jüngst verabschiedete Pariser Klimaschutzabkommen[123] als Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls den vorläufigen Höhepunkt der internationalen Bemühungen um eine Reduktion klima- und umweltschädlicher Emissionen dar.[124] Sein Zustandekommen war wegen der Einbeziehung auch der Entwicklungs- und Schwellenländer und damit einer erheblichen Ausdehnung auf weitere Vertragsparteien ein schwieriges Unterfangen, das langwierige Verhandlungen mit – jedenfalls in Hinblick auf den relativen Fortschritt – ernüchterndem Ergebnis nach sich zog.[125]

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Fragmentur der Umweltrechtsordnung

Die Umsetzung der Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens wird von der Bundesregierung im Rahmen des „Klimaschutzplans 2050“ verfolgt.[126] Danach sind Änderungen insbesondere im Energie-, Steuer- und Immissionsschutz-, und Klimaschutzrecht beabsichtigt.[127] Die Verrechtlichung klimaschutzpolitischer Ziele steht sinnbildlich für Implementationsschwierigkeiten völkervertragsrechtlicher Verpflichtungen. Änderungen beschränken sich im Sinne einer maximalen Wirkkraft der angepeilten Ziele nicht lediglich auf ein (Teil-)Rechtsgebiet. Das Bundes-Klimaschutzgesetz[128] legt zur Verfolgung der nationalen und europäischen Klimaschutzziele sowie der Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens einen rechtlich verbindlichen Handlungsrahmen vor.[129] Somit existiert nunmehr ein zentrales Steuerungsinstrument für die verschiedenen Teilbereiche der Klimaschutzpolitik.[130] Dennoch zeigt sich, dass international begründete Verpflichtungen nicht auf nationale Rechtsordnungen passgenau zugeschnitten sind, sodass sie – im Umweltrecht bezeichnend – unausweichlich eine Fragmentur der nationalen Rechtsordnungen erzwingen.

b) Gewässerschutz

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Partielle Internationalisierung

Das Gewässerschutzrecht widmet sich dem Schutz des Umweltmediums „Wasser“ vor Überbeanspruchung und Verunreinigung.[131] Einen „bedeutenden Teil“[132] seiner Rechtsgrundlagen findet das Recht des Gewässerschutzes im Umweltvölkerrecht. Das internationale Gewässerschutzrecht lässt sich grobmaschig in den Umweltschutz der Hohen See einerseits[133] und den Schutz von Binnengewässern andererseits unterteilen. In Hinblick auf den Schutz der Meere liegt ein eindeutiger Schwerpunkt auf dem Schutz vor Verunreinigung, wohingegen sich der Schutz von Binnengewässern und Wasserläufen wegen der hier stärker in Erscheinung tretenden industriellen und wirtschaftlichen Nutzung insbesondere Problemen der Überbeanspruchung widmet.[134] Wie bereits im Rahmen des Klimaschutzes thematisiert,[135] beschäftigen die internationale Gemeinschaft auch beim Gewässerschutz Einigungsprobleme. Vor diesem Hintergrund finden sich nicht wenige örtlich begrenzte und von einigen wenigen Vertragsstaaten ratifizierte Regelwerke.[136] Im Kontext des Gewässerschutzrechts lässt sich daher neben einer universellen auch eine bloß partielle Internationalisierung feststellen.

II. Öffentliches Kulturrecht

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Kulturgüterschutz

Eines der im Rahmen der Internationalisierung des Verwaltungsrechts und auch überhaupt seltener thematisierten Rechtsgebiete ist das Kulturgüterschutzrecht als Teilmaterie des öffentlichen Kulturrechts.[137] Der Kulturgüterschutz erfasst den Bereich des materiellen kulturellen Erbes. Er widmet sich dem Schutz unbeweglicher und beweglicher Kulturgüter und umfasst alle Maßnahmen zum Schutz ihrer Substanz (Schutz vor Beschädigung und Zerstörung) und ihrer kulturellen Bindung (Schutz vor Diebstahl und Verlust; auch: Abwanderungsschutz).[138] Die Anwendung der einschlägigen Regelungswerke setzt eine temporale Unterscheidung von Kulturgüterschutz in Friedens- und in Kriegszeiten voraus.[139] So finden in Kriegszeiten ergänzende spezielle internationale Verträge Anwendung, beispielsweise die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954.[140] Die weiteren Ausführungen beschränken sich aus Gründen der Vereinfachung auf den Kulturgüterschutz zu Friedenszeiten.

1. Rechtsgrundlagen des Kulturgüterschutzes

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UNESCO-Übereinkommen und kulturelles Erbe der Union

Der Kulturgüterschutz wird in einem ebenenübergreifenden System von Rechtsnormen abgebildet.[141] Auf völkerrechtlicher Ebene sind das UNESCO-Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut von 1970 (Kulturgüterübereinkommen, KGÜ)[142] und das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes von 1972 (Welterbekonvention, WEK)[143] Primi inter Pares der internationalen Regelwerke zum öffentlich-rechtlichen Kulturgüterschutz.[144] Mit dem Unionsrecht, das sich die Wahrung der kulturellen Vielfalt und den Schutz des kulturellen Erbes in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 4 EUV zum Ziel setzt und dieses Ziel mit einem Förderauftrag verbindet (Art. 167 AEUV) sowie schließlich vermittels sekundärrechtlicher Bestimmungen flankiert und konkretisiert, erfährt der Kulturgüterschutz eine europäische Dimension, die neben die völkerrechtlichen Vertragswerke tritt.

 

2. Parallelität der Regelwerke

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Holistischer Kulturgüterschutz

Die Umsetzung sowohl völkerrechtlicher als auch unionsrechtlicher Verpflichtungen führte zu einer Rechtszersplitterung des Kulturgüterschutzes in Deutschland, die erst im Rahmen der Novellierung des Gesetzes zum Schutz von Kulturgut (KGSG) im Jahr 2016 beseitigt wurde.[145] Das novellierte KGSG war als eine Regelung „aus einem Guss“ angedacht, die Redundanzen und Querverweise zwischen bislang verschiedenen Kulturgüterschutzgesetzen beseitigen und eine „systematisch schlüssige Umsetzung von EU- und völkerrechtlichen Vorgaben“ verwirklichen sollte.[146] Eine besondere Herausforderung stellten hierbei die Zusammenführung bzw. Trennung der unterschiedlichen Kulturgutbegriffe des Völker-, Unions- und nationalen Rechts sowie unterschiedliche Vorgaben an das Verwaltungsverfahrensrecht dar.

a) Kulturgutbegriffe und Abwanderungsschutz

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Kategorien

Art. 1 des KGÜ definiert Kulturgüter als die von jedem Staat aus religiösen oder weltlichen Gründen als für Archäologie, Vorgeschichte, Geschichte, Literatur, Kunst oder Wissenschaft besonders wichtig bezeichneten Güter und fordert darüber hinaus eine Einordnung in die in Art. 1 lit. a) bis k) aufgeführten Kategorien. Enger gestaltet sich die Definition des Kulturguts im Primärrecht der EU: Unter einem Kulturgut im Sinne des Art. 36 AEUV ist jedes „nationale Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert“ zu verstehen. Eine auf die Rückgabe unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter zugeschnittene Definition findet sich in Art. 2 Nr. 1 der jüngsten RL 2014/60/EU.[147] Kulturgut im Sinne der Richtlinie ist danach ein „Gegenstand, der vor oder nach der unrechtmäßigen Verbringung aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nach den nationalen Rechtsvorschriften oder Verwaltungsverfahren im Sinne des Art. 36 AEUV von diesem Mitgliedstaat als ‚nationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert‘ eingestuft oder definiert wurde“. Damit räumt die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen Beurteilungsspielraum bei der Festlegung, ob ein Gegenstand als nationales Kulturgut zu erfassen ist, ein.[148] Die unterschiedlichen Definitionsansätze hat der deutsche Gesetzgeber bei der Novellierung des KGSG aufgegriffen und sich an einer „umfassende[n] Definition von Kulturgut“ versucht.[149] Gemäß § 2 Nr. 10 KGSG ist Kulturgut im Sinne des Gesetzes „jede bewegliche Sache oder Sachgesamtheit von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder aus den Bereichen des kulturellen Erbes, insbesondere von paläontologischem, ethnographischem, numismatischem oder wissenschaftlichem Wert.“

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Öffentlich-rechtliche Rückgabeansprüche

Im Rahmen der gesetzlichen Rückgabeansprüche nach den §§ 49 ff. KGSG schneidet das Gesetz den jeweiligen Anspruch auf Kulturgüter im Sinne des jeweiligen Regelwerks zurück. So hebt der Rückgabeanspruch eines Mitgliedstaats in § 50 Nr. 2 KGSG auf den in der RL 2014/60/EU zugrunde gelegten Kulturbegriff ab, wohingegen sich Rückgabeverlangen eines Vertragsstaats auf den grundsätzlich weiten Kulturgutbegriff der UNESCO-Übereinkommen beziehen, vgl. § 52 Abs. 1 KGSG. In kaum einem anderen Rechtsbereich ist ein derartiges Nebeneinander völker- und europarechtlicher Normverständnisse abgebildet. Funktional schützen die §§ 49 ff. KGSG fremde Kulturgüter und dienen gerade nicht dem Schutz heimischer Kulturgüter. Außerhalb der §§ 5 ff. KGSG ist es aber gerade die Umsetzung der Verpflichtungen aus den UNESCO-Übereinkommen durch die Vertragsstaaten, die den Schutz deutscher Kulturgüter fördern. Mit insgesamt 140 bzw. 193 Vertragsstaaten wird den UNESCO-Übereinkommen von 1970 und 1972 in diesem Zusammenhang universelle Akzeptanz zugesprochen.[150] Angesichts der aus dem zugrundeliegenden völkerrechtlichen Vertrag erwachsenden Reziprozitätsavancen unterstreicht die funktionale Ausgestaltung der Rückgabemechanismen das Interesse der Vertragsstaaten an einer umfassenden Harmonisierung ihres nationalen Rechts.

b) Harmonisierung von Rechtsprinzipien

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Tradierte Rechtsprinzipien und Dysfunktionalitäten

Die Implementierung der UNESCO-Übereinkommen wirkt sich eingehend auf das nationale Kulturgüterschutzrecht aus. Unbenommen spezifischer Auswirkungen, etwa auf Fristenregelungen, führte die Umsetzung der Verpflichtungen aus dem KGÜ zur Aufgabe des bis dahin im deutschen Kulturgüterschutz fest verankerten, jedoch wenig flexiblen „Listenprinzips“. Danach setzte ein Rückgabeverlangen eines Vertragsstaates voraus, dass das herausverlangte Kulturgut als „besonders bedeutsam bezeichnet wurde oder ein Verfahren zur Bezeichnung eingeleitet und die Einleitung des Verfahrens öffentlich bekannt gemacht wurde“, vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 1 KultGüRückG.[151] Die Aufnahme in eine Liste war konstitutiv; die bloße Erklärung zum „nationalen Kulturgut“, sei es durch Verwaltungsakt, Verordnung, Erlass oder Beschluss, genügte nicht. So hatte Deutschland das KGÜ zwar im Jahr 2007 ratifiziert. Die Umsetzung der Vorgaben im KultGüRückG schlug aber aufgrund der nach dem Listenprinzip geforderten Einzeleintragung fremden Kulturguts in Listen derart fehl, dass es seit der Umsetzung „trotz mehrerer Rückgabeersuchen zu keiner einzigen Rückgabe gekommen“ ist.[152] Mit der Aufgabe des Listenprinzips im KGSG[153] und einer praktikableren Umsetzung der Verpflichtungen aus den Art. 2, 3 und 7 des KGÜ genügt heute unter den weiteren Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 KGSG, dass der aktivlegitimierte ausländische Staat das herausverlangte Kulturgut als bedeutsam oder unveräußerlich eingestuft hatte. Ob dies durch Rechtsvorschrift oder Verwaltungsakt, mit oder ohne Eintragung in ein besonderes Verzeichnis erfolgt, ist in Hinblick auf § 52 Abs. 1 KGSG nunmehr irrelevant. Die gegenseitige Anerkennung der Unterschutzstellung von Kulturgütern wird schließlich komplettiert durch die universell anzuerkennende Unterschutzstellung von Kulturgütern durch das Welterbekomitee im Verfahren nach Art. 11 WEK.[154]

III. WTO-Recht

1. Allgemeines

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Direktwirkung der WTO

Internationale Organisationen wie die WTO formen nicht nur das Internationale Wirtschaftsrecht,[155] sondern sie sind auch verwaltungsrechtlich relevant. In der Wissenschaft wird dies vielfach nur inzident unter dem Gesichtspunkt der Direktwirkung des Völkerrechts bzw. des Welthandelsprimärrechts diskutiert.[156] Neben der Frage einer umsetzungsfreien Geltung geht es vor allem darum, dass die Einwirkung des Welthandelsrechts auf das nationale Recht vor allem über das Europarecht führt. Nach wir vor ist umstritten, ob die Vorschriften des GATT im Unionsrecht unmittelbar anwendbar sind. Der EuGH bleibt hier weiterhin grundsätzlich ablehnend. Allerdings können sich auch nach seiner Rechtsprechung Einzelne auf GATT-Bestimmungen dann berufen, wenn sich dies ausnahmsweise aus dem Sekundärrecht ergibt.[157] Welche rechtlichen Parameter künftig für das Wirken von Union und Mitgliedstaaten gelten werden, scheint weiterhin offen.[158]

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WTO-Abkommen

Die WTO ist die weltumspannend wichtigste Internationale Organisation im Bereich der Wirtschaft.[159] Kern ist das 1947 entstandene GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), das mit dem Grundprinzip der Meistbegünstigung, dem Verbot der diskriminierenden Behandlung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber inländischen Produkten, dem Abbau von Zöllen und der Beseitigung zollfremder Handelshemmnisse eine liberale Weltwirtschaftsordnung konstitutionalisiert. Das ursprüngliche „GATT 1947“ wurde im Jahr 1994 grundlegend reformiert und ist Zentrum der neuen Welthandelsordnung. Die Prinzipien der Liberalisierung und Nichtdiskriminierung wurden in einer Reihe von multilateralen Abkommen ergänzt und konkretisiert. Am wichtigsten sind wohl das Allgemeine Dienstleistungsabkommen (General Agreement on Trade in Services, GATS) und das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen).

2. Streitbeilegungsverfahren

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Streitschlichtungsverfahren

Das im Rahmen der WTO errichtete Streitbeilegungsverfahren wird als eine besondere Erfolgsgeschichte des Internationalen Wirtschaftsrechts angesehen. Wegen seiner Effektivität, der obligatorischen Unterwerfung und Bereitstellung einer zweiten Entscheidungsinstanz, wird es als Spruchkörper in der Völkerrechtsordnung als „singulär“ bezeichnet. Im Fall eines handelsrechtlichen Konflikts können die Parteien das Streitbeilegungsorgan DSB (Dispute Settlement Body) anrufen. Als erste Instanz ist ein sog. Panel installiert. Zusammen mit der Revisionsinstanz, dem Appellate Body,[160] wird eine effektive Durchsetzung des vorhandenen materiellen Rechts gewährleistet.[161] Die Garantie von Sicherheit und Vorhersehbarkeit mit den Mitteln des Rechts rechtfertigt es, der WTO die Züge einer „Rechtsgemeinschaft“ zuzusprechen. Die hohe organisatorische Verdichtung und die thematische Breite des Wirtschaftsvölkerrechts haben eine Rückwirkung auch auf das Verwaltungsrecht in anderen Gebieten.[162]

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Interne Wirkung

Wegen der ausschließlichen Kompetenz der EU für die Handelspolitik nach Art. 3 Abs. 1 lit. e AEUV stellt sich die Frage nach der internen Wirkung des WTO-Rechts. Für das Schrifttum steht wegen Art. 216 Abs. 2 AEUV das Völkerrecht im Rang über dem sekundären Unionsrecht. Der EuGH dagegen betont den Verhandlungscharakter des Streitbeilegungsverfahrens nach dem WTO-Recht und lehnt den völkerrechtlichen Vorrang in ständiger Rechtsprechung ab. Die mitgliedstaatlichen Gerichte müssen allerdings anwendbares Unionsrecht WTO-konform auslegen. Denkbar ist aber, dass dem WTO-Recht in Zukunft unmittelbare Wirkung zuerkannt wird, wenn die WTO-Verpflichtungen durch Entscheidungen des DSB bestätigt wurden.[163] Die vom BVerfG in der Lissabon-Entscheidung[164] als modellhaft bezeichnete, kooperativ gemischte und parallel wahrgenommene Mitgliedschaft von Union und Mitgliedstaaten in der WTO lässt die Frage offen, wie sich in Zukunft der Spielraum für die Entwicklung verwaltungsrechtlicher Grundsätze in den Mitgliedstaaten darstellen wird.[165]