Handbuch des Verwaltungsrechts

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3. Die Internationalisierung als Konzept

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Dogmatik und kooperative Systeme

Obwohl häufig gleich-, zumindest nebeneinandergesetzt,[31] bleibt die Internationalisierung weniger anschaulich, trifft sie die dogmatischen nationalen Figuren weniger unmittelbar als das europäische Recht. Es findet sich kaum ein Verwaltungsrecht, das aus dem internationalen Raum auf das nationale Verwaltungsrecht einwirkt.[32] Strukturen internationalisierten Verwaltungshandelns sind häufig in ein kooperatives System komplexer Interdependenzen, in eine Mehrebenenstruktur eingebunden. Meist ist es schon schwierig festzustellen, wo sich die Einwirkungen aus dem internationalen Raum auswirken: auf der Ebene des Rechts oder auf der des faktischen Handelns.[33] Anknüpfen ließe sich beispielsweise an das Verwaltungshandeln als solches oder an die Verwaltungsorganisation.[34] Als fruchtbar hat sich erwiesen, auf die Typen internationalisierter Verwaltungsbeziehungen abzustellen, beispielsweise auf Formen bilateraler Zusammenarbeit, regionale Organisationsformen, auf weltweite Strukturbildung und auf informale Behördennetzwerke.[35]

II. Internationalisierung als Harmonisierung des nationalen Verwaltungsrechts durch Internationales Recht

1. Einwirkung durch Gesetze

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Völkerrechtliches Verwaltungsrecht

Der fortschreitende Internationalisierungsprozess hat das Gesamtgebiet des Verwaltungsrechts erfasst. Als besonders betroffene Bereiche sind neben dem Wirtschaftsverwaltungsrecht (Subventions-, Bankenaufsichts-, Telekommunikationsrecht etc.) so große Gebiete wie das Steuerrecht, das Umweltrecht und das Sicherheitsrecht zu nennen. Die Forderung nach einer länderübergreifenden Ordnung[36] liegt deshalb in der Entwicklung zu einem offenen Verfassungsstaat,[37] eine Forderung, die heute mit Begriffen wie Globalisierung, Internationalisierung, Mehrebenenverwaltung, Verwaltungsverbund, Governance und dergleichen zu erfassen versucht wird und die zu einer Perspektivenveränderung geführt hat.[38] Nach dem geänderten Selbstverständnis der Wissenschaft ist nicht mehr der Staat der alleinige Urheber und Garant der Rechtsordnung.[39] Es zeigen sich vermehrt Erscheinungen wie der transnationale Verwaltungsakt,[40] die systemkonform erfasst werden müssen und es zeigen sich Rechtsänderungen, welche sogar die Prämissen des deutschen Rechts berühren.[41] Insgesamt gesehen muss der richtige Weg in der Mitte gefunden werden: das Grundgesetz hat zwar die innerstaatliche Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit geöffnet, nicht aber die letzte Verantwortung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufgegeben.[42] Das zentrale Lenkungsmittel für die Gestaltung von Sozialabläufen und für die Durchsetzung politischer Ziele sind nach wie vor die Gesetze.[43] Dies gilt auch für die Schaffung internationalen Verwaltungsrechts, dessen Zustandekommen trotz mancher Brechungen und Vermittlungen in der Praxis nur „in enger Bindung an den Nationalstaat und seine […] verfassungsrechtliche[n] Institute“[44] rechtlich gelingen konnte. Für die Darstellung der Internationalisierung des Verwaltungsrechts ist deshalb vor allem auf „das im Völkerrecht begründete Verwaltungsrecht“[45] abzustellen.

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Internationalisierte Aufgabenwahrnehmung

Das parlamentarische Gesetz und der völkerrechtliche Vertrag sind nach wie vor die wesentlichen Instrumente zur Gestaltung der internationalen Verwaltungsbeziehungen.[46] Die Verwaltung bewegt sich bei internationalisierter Aufgabenwahrnehmung zwischen der Bindung durch den Gesetzesvorbehalt (Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG) und der verfassungsrechtlich garantierten Eigenständigkeit einer funktionsgerechten Aufgabenwahrnehmung (Art. 59 Abs. 2 S. 2 GG).[47] Durch die vom Grundgesetz geforderte parlamentarische Steuerung wird für die Außenpolitik eine demokratische Legitimation gesichert.[48] Aus Gründen einer funktionsgerechten Organstruktur (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) wird allerdings nach der restriktiven Interpretation des Bundesverfassungsgerichts Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG als eng auszulegende Ausnahmevorschrift betrachtet.[49] Die unmittelbar parlamentarische Steuerung der Internationalisierung des Verwaltungsrechts bleibt deshalb reduziert. Dies hängt auch mit der völkerrechtlichen Praxis zusammen, nur weit gefasste Rahmenverträge abzuschließen und die konkreteren Regeln den nachfolgenden Konferenzen der Vertragsparteien und deren praxisorientierter Fortbildung zu überlassen. Der eigentliche Schöpfer des zu handhabenden Verwaltungsrechts ist dann eben nicht der Gesetzgeber, sondern es sind speziell die internationalen Wirtschaftsorganisationen, welche die entsprechende Eigendynamik freisetzen.[50]

2. Einwirkung durch Verträge

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Parlamentarische Mitbestimmung

Mit Art. 59 Abs. 2 GG, wonach Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, eines Zustimmungsgesetzes bedürfen, werden „auch die wichtigsten verwaltungsrechtlichen Materien erfasst, die Schaffung eigener Ordnungsgefüge ebenso wie die Fälle, in denen administrativ mit regulatorischen Instrumenten gearbeitet werden soll“.[51] Dadurch wird zumindest eine parlamentarische Mitverantwortung des Internationalisierungsprozesses erreicht.[52] Wegen der restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fordert Wolfgang Kahl[53] zu Recht zukünftig die Erfassung folgender Fallgruppen von Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG:


- materielle Vertragsänderungen,
- einseitige völkerrechtliche Akte, die einer wesentlichen materiellen Veränderung gleichstehen und
- soft law, das Gegenstand einer dynamischen Verweisung aus dem Völkervertragsrecht ist.

Neben einer engeren parlamentarischen Steuerung der Vertragsinhalte sollten auch die vorhandenen Informations-, Kontroll- und Entschließungsrechte des Parlaments aktiviert werden.[54]

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Sekundäre Rechtssetzungsbefugnisse

Schließlich ist darauf zu achten, dass wegen der Gefahren einer ungeregelten dynamischen Fortentwicklung organisationsinterner Verfahren[55] bereits in den Gründungsverträgen hinreichend präzise umschrieben wird, wo die Möglichkeiten und Grenzen sekundärer Rechtssetzungsbefugnisse liegen.[56]

3. Einwirkung durch Verwaltungsabkommen

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Verwaltungsabkommen

Quantitativ sind Verwaltungsabkommen bedeutender als Gesetze und Verträge.[57] Zumeist geht es um praktische Fragen der Zusammenarbeit, Handlungen des Verwaltungsalltags, aber auch um Rechtsprobleme wie Haftungsfragen. Verwaltungsabkommen sind einfacher abzuschließen, eine Mitwirkung parlamentarischer Instanzen ist nicht erforderlich. „Gerade hier muss sich die verfassungsrechtliche Anerkennung der Exekutive als eigenständige Gewalt bewähren“.[58] Unter Verwaltungsabkommen versteht man völkerrechtliche Vereinbarungen, für deren Zustandekommen die Mitwirkung des nationalen Parlaments nicht erforderlich ist. Es geht demnach um einen Begriff des Verfassungsrechts zur Bezeichnung einer Kategorie von Verträgen, die auf völkerrechtlicher oder nicht-staatlicher Grundlage geschlossen werden. Sie beziehen sich keineswegs zwingend auf Gegenstände der Verwaltung, vielmehr geht es um gubernative Angelegenheiten.[59] Verwaltungsabkommen sind demnach alle auswärtigen Verträge, die kein Vertragsgesetz erfordern. Die Vertragspraxis der Bundesregierung ist sehr weitgehend. So wurde z. B. der Beitritt zu UN-Sonderorganisationen, etwa zu Kulturabkommen wie der UNESCO-Welterbekonvention ohne parlamentarische Zustimmung erklärt. Neben solchen sog. „solennen Verwaltungsabkommen“ gibt es normative Verwaltungsabkommen, die materiell-rechtliche Vereinbarungen oder Verpflichtungen zur innerstaatlichen Rechtssetzung enthalten.

4. Kodifikation eines internationalisierten Verwaltungsrechts

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Kooperation und Information

Letztlich sind es weiterhin die Staaten, welche die Internationalisierung der Verwaltungsvorgänge zu verantworten haben.[60] In welchem Umfang die Internationalisierung des Verwaltungsrechts durch die Kodifizierung des Verwaltungsverfahrens vorangetrieben werden kann, hängt weitgehend von der Aktivierung eines institutionellen Gesetzesvorbehalts ab. Im Wesentlichen geht es um Kooperation und Information.

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Verfahrenseffizienz

Der zentrale Gedanke der Verfahrenseffizienz[61] muss auch das Hauptziel eines weitgehend noch zu schaffenden Verwaltungskooperationsrechts sein. Vorschläge hierfür bestehen für den Bereich des internationalen Verwaltungskooperationsrechts im Planungs- und Vorhabengenehmigungsrecht, für die Gestaltung von Informations- und Konsultationspflichten, das Verwaltungskollisionsrecht, den Informationsaustausch mit ausländischen Verwaltungsbehörden, die Anerkennung auswärtiger Verwaltungsentscheidungen und -handlungen, die grenzüberschreitende Amtshilfe und die Gestaltung allgemeiner Partizipationsregeln.[62] Insgesamt ist festzuhalten, dass das im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten besonders heikle Verwaltungsrecht nicht strikt gesetzlich durchprogrammiert werden kann und in manchen Bereichen nur mit Generalklauseln gestaltbar ist. So ist beispielsweise eine Gefahrenabwehr durch Einzeleingriffe im Seeverkehr außerhalb des deutschen Küstenmeeres nur generell gesetzlich ermöglicht (§ 7 AWG). Von der Verfolgung von Staatsschutzdelikten kann wegen überwiegender öffentlicher Interessen abgesehen werden (§ 153d StPO).

 

III. Internationale Verwaltungskooperation

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Kooperationsrecht

Das im Völkerrecht begründete internationale Verwaltungsrecht kann unter dem Aspekt des Aktionsrechts internationaler Verwaltungsinstanzen, des Determinationsrechts für die nationalen Verwaltungsrechtsordnungen und schließlich als Kooperationsrecht spezieller Verbundstrukturen gesehen werden. Mit dem Kooperationsrecht, der horizontalen oder vertikalen Verwaltungskooperation, stellen sich besondere Verbundprobleme. Beispiele hierfür sind Auslegungsvereinbarungen im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen, übergreifende Datenverkehrsstandards des Sozialrechts oder auch die spezielle Handhabung eines völkerrechtlichen ordre public. Ein konkreterer Ordnungsrahmen für das internationale Verwaltungsrecht fehlt jedoch. Noch sind es so allgemeine Prinzipien wie die Vollzugseffektivität, die Rücksichtnahme und das Vertrauen,[63] mit denen sich die Praxis behelfen muss.

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Bilaterale Absprachen

Es sind dann bilaterale Absprachen unterhalb der völkervertraglichen Ebene oder die grenzüberschreitende Tätigkeit im Rahmen des Bundespolizeigesetzes (§§ 8, 65 BPolG), die es erlauben, über das eigene Hoheitsgebiet hinaus zu wirken. Routine sind inzwischen Kooperationsformen im Rahmen bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen. Bewährt hat sich z. B. das Verständigungsverfahren nach Art. 25 des OECD-Musterabkommens,[64] mit dem eine gleichmäßige Handhabung der Verteilungsregeln erreicht werden soll.[65] Für die Tätigkeit ausländischer Behörden im Inland bestehen einzelne Gesetze oder Abkommen, so wenn die Schweizer Polizei auf deutschem Boden tätig wird oder bei grenzüberschreitender Tätigkeit von öffentlich-rechtlichen Wasserverbänden und gemeinsamen Grenz- und Zollabfertigungsstellen.[66] Mehr als ein gewisser Problemkatalog wurde in diesem Bereich noch nicht entwickelt, weshalb noch nicht von einem „internationalen“ Verwaltungsrecht, allenfalls von einer „Internationalisierung“ gesprochen werden kann.[67]

IV. Internationalisierung durch komplexe Strukturbildung

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Internationale Strukturen

Die Etablierung internationaler Strukturen ist ein weiterer Pfeiler der Internationalisierung, wobei die Rechtsharmonisierung im Vordergrund steht.[68] Die Notwendigkeit der Einrichtung über- oder zwischenstaatlicher Institutionen lässt sich auf einen erhöhten Organisationsaufwand zurückführen, welcher der für die Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Arbeitsteilung und Abgrenzung oder aber einfach der Pluralität der Beteiligten geschuldet ist.[69] Nicht zu vernachlässigen ist dabei die Effektivierung, die mit der Strukturbildung in gleichem Maße verfolgt wird.[70] Unterschiedliche Formen internationaler Strukturen sind voneinander abzugrenzen und durch Beispiele der verwaltungsrechtlichen Praxis zu veranschaulichen.

1. Formelle Strukturbildung

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Internationale Organisationen als Völkerrechtssubjekte

Die wohl zugänglichste Form der Strukturbildung besteht in der Einrichtung zwischenstaatlicher Organisationen mit eigener Völkerrechtssubjektivität, die durch Gründungsvertrag mit der selbstständigen Wahrnehmung eigener Aufgaben betraut und teilweise mit eigenen Rechtssetzungsbefugnissen ausgestattet sind.[71] Wegen ihrer rechtsförmigen Ausgestaltung und des klar umrissenen Aufgabenfeldes lässt sich die Einrichtung dieser Organisationen als formelle Strukturbildung bezeichnen. Historisch gewachsen sind solche Strukturen zunächst dort, wo sich infolge eines angestiegenen internationalen Verkehrs und damit einhergehender Interdependenzen zwischenstaatliche Verwaltungseinheiten mit eng bestimmten Kompetenzen herausbildeten, weil ein besonderes Bedürfnis nach gemeinsamer oder einheitlicher Verwaltung bestand. Ein frühes Beispiel hierfür ist der als „internationale Verwaltungsgemeinschaft“ ins Leben gerufene Weltpostverein,[72] der vornehmlich mit dem freien Durchgang von Briefsendungen in einem einheitlichen Postgebiet betraut wurde (Art. 1 der Satzung des Weltpostvereins [SPWV][73]). Demgegenüber sind zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermehrt generelle Organisationen mit einem umfassenden Zweck eingerichtet worden, wie etwa die den Völkerbund ablösende UN zur Friedenssicherung, die NATO als Verteidigungsbündnis oder die WTO (als Sonderorganisation der UN) und die OECD mit wirtschaftlicher Bestimmung.[74]

2. Informelle Strukturbildung

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Informale Zusammenarbeit durch Netzwerke

Für die tägliche Praxis nicht weniger bedeutsam sind sog. informelle Strukturen, deren Unterhaltung zwischen den Verwaltungen verschiedener Staaten beobachtet werden kann.[75] Die bereits den Internationalen Organisationen inhärente Verselbstständigung der Verwaltung[76] tritt im Rahmen informeller Strukturen wegen ihrer Rechtsformunabhängigkeit,[77] Kurzlebigkeit oder Variabilität ungleich stärker zum Vorschein.[78] Informelle Strukturen finden sich sowohl auf Regierungsebene, etwa am Beispiel der Zusammentreffen der Staats- und -regierungschefs der „Gruppe der Sieben“ (G 7) oder „Gruppe der Zwanzig“ (G 20)[79], primär aber auf nationaler Verwaltungsebene. Grund, Grad und Verdichtung der Zusammenarbeit variieren stark: So leitet beispielsweise das International Competition Network (ICN) – ein 2001 initiiertes Projektnetzwerk, in dem über 130 Kartellbehörden und andere Organisationen weltweit mitwirken – der Gedanke der Koordinierung (der Wettbewerbspolitiken); die Zusammenarbeit erfolgt im Wesentlichen dezentral und auf elektronischem Weg.[80] Demgegenüber widmet sich der bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) angesiedelte „Basler Ausschuss für Bankenaufsicht“ – ein Zusammenschluss von Aufsichtsbehörden und Notenbanken – Regulierungsinitiativen, Standards und Empfehlungen im Bereich der Banken- und Finanzmarktaufsicht, also einer überwiegend für den Erlass bindender Rechtssätze vorbereitenden Tätigkeit.[81]

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Regionale Strukturen, Strukturcharakter

Kleinteiligere und regional begrenzte informelle Strukturen lassen sich am Beispiel der trinationalen Oberrheinkonferenz veranschaulichen.[82] Sie setzt sich zusammen aus Vertretern der Fachverwaltungen der Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, verschiedener Kantone der Region Basel sowie drei gebietskörperschaftlichen Behörden Frankreichs, dem Conseil Départmental du Bas-Rhin und du Haut-Rhin sowie dem Conseil Régional du Grand Est. Ihre Arbeit in Ausschüssen und Expertengremien widmet sich u. a. der Katastrophenhilfe, Wirtschafts- und Umweltthemen rund um den Lebensraum am Oberrhein.[83] Ob man schließlich singulären Kontakten zwischen Verwaltungen verschiedener Staaten, beispielsweise im Bereich der Informationsverwaltung,[84] Strukturcharakter zuspricht, ist umstritten, kann aber vor dem Hintergrund des organisationsrechtlich nur begrenzten Gehalts des Struktur- bzw. Netzwerkbegriffs[85] dahinstehen.

B. Besonderer Teil – Referenzgebiete

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Systembildung

Die im Allgemeinen Teil vorangestellten Aussagen über die Internationalisierung sollen im Folgenden anhand ausgewählter „Referenzgebiete“ überprüft werden.[86] Dabei handelt es sich um die „Gebiete des allgemeinen Verwaltungsrechts, die das Fallmaterial und die Beispiele für die Aussagen des allgemeinen Rechts abgeben“[87]. Probleme und Konfliktlagen des Fachverwaltungsrechts und der Verwaltungspraxis und vor allem die hierfür gefundenen Lösungen sollen danach als Erkenntnisquelle für „verlässliche Aussagen auf einer grundsätzlichen Ebene“[88] dienen. Die Annäherung an ein allgemeines „System rechtlicher Grundsätze“[89] vermittels einer generalisierenden Gesamtschau verschiedener Teilbereiche der Materie kann wegen der Wechselwirkungen zwischen allgemeinem und besonderem Verwaltungsrechta90[90] zu verallgemeinerungsfähigen Aussagen auch über internationalisiertes Verwaltungshandeln führen.[91]

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Auswahl der Referenzgebiete

Die Auswahl der Referenzgebiete muss darauf abstellen, inwieweit die herangezogenen Teilrechtsgebiete und die deduktiv vorangestellten oder induktiv gezogenen Schlüssen aus dem Partikularen ins Allgemeine für die rechtliche wie gesellschaftliche Gesamtordnung bedeutend sind.[92] Die hier interessierende Internationalisierung des Verwaltungsrechts beschränkt sich nicht lediglich auf Teilaspekte, etwa die Verwaltungsorganisation, das Verwaltungshandeln oder den Verwaltungsvollzug. Vielmehr gilt es die Internationalisierung des Verwaltungsrechts umfänglich zu erfassen. Herauszustellen sind daher nicht nur unmittelbare, vermittelte oder mittelbare Auswirkungen auf Einzelbereiche der Verwaltung, sondern möglichst auch antizipierte Entwicklungslinien. Dies wirkt sich maßgeblich auf die Wahl der Referenzgebiete aus, da nicht jede Materie des Fachverwaltungsrechts in gleichem Umfang und vor allem in gleichem Maße von einer irgendwie gearteten Internationalisierung durchdrungen ist.

I. Umweltverwaltungsrecht

1. Allgemeines

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Entterritorialisierung, grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen

Ein Charakteristikum des im Völkerrecht begründeten Verwaltungsrechts ist die Entterritorialisierung des Verwaltungshandelns und der Verwaltungsbeziehungen.[93] Das Umweltverwaltungsrecht ist in diesem Kontext schon wegen seines Bezugspunkts, der Umweltbeeinträchtigung, prädestiniertes und deswegen immer wieder herangezogenes Referenzgebiet der Internationalisierung des Verwaltungsrechts.[94] Denn: Umweltbeeinträchtigungen sind nicht an das eigene Hoheitsgebiet gebunden und daher entgrenzte Probleme.[95] Daraus folgt, dass entgrenzte Probleme einer entgrenzten, also zwischenstaatlichen Lösung zugeführt werden müssen. Die dreiphasige[96] Herausbildung eines Umweltvölkerrechts,[97] die ihren Anfang in der Weltumweltkonferenz von Stockholm 1972 und der daran anschließenden Einrichtung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) nahm, ist die Konsequenz dieser Annahme. Das Umweltvölkerrecht ist primäre Quelle der Internationalisierung des nationalen Umweltrechts. Es lassen sich in ihrer Form und Intensität vielfältige Einflüsse auf die nationale Umweltrechtsordnung entnehmen (dazu 2.).

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Mediatisierung durch Europäisierung

Auf der Ebene des Umweltvölkerrechts geschlossene Abkommen und daraus abgeleitete Verwaltungsaufgaben werden vielfach durch das Unionsrecht mediatisiert,[98] entweder weil die Europäische Union, mit eigener Völkerrechtssubjektivität ausgestattet (Art. 47 EUV),[99] ebensolche Abkommen selbst abschließt[100] oder vermittels Kompetenzübertragung durch die völkervertragsrechtlich gebundenen Mitgliedstaaten eine Rückkopplung an den Unionsgesetzgeber erfolgt.[101] Die aufgrund völkerrechtlicher Verträge bestehenden Verpflichtungen müssen nicht spiegelbildlich an die Mitgliedstaaten weitergereicht werden. Am Beispiel der Umsetzung der durch das Kyoto-Protokoll[102] vorgegebenen Gesamtemissionsreduktion zeigt sich etwa, dass originäre Pflichten der Mitgliedstaaten im Wege einer unionsinternen Lastenteilungsvereinbarung nach einem Verantwortungsproporz modifiziert werden können.[103] Die Tatsache, dass die Union im Rahmen ihrer Kompetenz für die Umweltpolitik nach Art. 191 ff. AEUV auch unabhängig von grenzüberschreitenden Umweltthemen tätig wird, sorgt weiter für eine vereinnahmende Europäisierung des nationalen Umweltverwaltungsrechts.a[104] Im weiteren Verlauf der Untersuchung ist dies auszublenden. Bei der Betrachtung des Referenzgebiets steht die unmittelbare Internationalisierung im Gegensatz zur bloß „vermittelten“[105] im Vordergrund.