Handbuch des Verwaltungsrechts

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E. Ausblick: Verwaltung und Verwaltungsrecht auf der Schwelle der 2020er Jahre

50

Verwaltung und Verwaltungsrecht in Zeiten von und nach SARS-CoV-2

Welche Auswirkungen die Mitte März 2020 auch über Deutschland und Europa hereingebrochene „Corona-Krise“ als solche und ihre zu befürchtenden mittel- und längerfristigen wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die zukünftige Rolle von Verwaltung und Verwaltungsrecht in Deutschland und der Europäischen Union (und ihren Bestand) haben wird, wird zunächst davon abhängen, welches Ausmaß die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Krise auf nationaler und europäischer Ebene annehmen und welcher Art sie sein werden. Es wird zudem davon abhängen, in welchem Umfang die sich in den letzten 30 Jahren summierenden ungelösten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Probleme in Deutschland und Europa[303] die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der „Corona-Krise“ noch potenzieren werden. Letztlich wird sich zeigen müssen, ob die heutige deutsche Verwaltung und das heutige deutsche Verwaltungsrecht nur auf Schönwetterlagen ausgerichtet sind oder ob sie nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung sein können (und es gelingt, dies zu kommunizieren). Es wird zu prüfen sein, welche Teile der Verwaltung und der verwaltungsrechtlichen Standards wirklich systemrelevant sind und welche eher als Früchte der Wohlstandsgesellschaft, von Symbolpolitik und politischem Aktivismus erscheinen, die man sich nicht mehr wird leisten können und wollen. Bei dieser Bewertung sollte jedoch im Auge behalten werden, dass die Grundlagen des bundesdeutschen Verwaltungsrechts zu einer Zeit gelegt wurden, die von einer Katastrophe heute nur schwer vorstellbaren Ausmaßes geprägt war und in der sich ein Wirtschaftswunder noch nicht abzeichnete. Dennoch bestand ein klarer Wille zum Aufbau einer rechtsstaatlichen Verwaltung und eines rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts.[304] Die ersten Stellungnahmen zur „Corona-Gesetzgebung“ des Bundes lassen hoffen, dass jedenfalls dies (wieder) ins Bewusstsein getreten ist.[305] Zu einer Suspension (wohl aber zu bisher beispiellosen Einschränkungen) von Grundrechten ist es nicht gekommen, die Gerichtskontrolle funktionierte zunächst auch durchaus effektiv.[306] Dies war auch dem Wettbewerb zwischen den Bundesländern um die besten Lösungen zu verdanken,[307] was die Gerichtskontrolle durch Vergleichsmöglichkeiten erleichtert hat. Aus der Verfassungsperspektive problematisch ist jedoch die nahezu vollständige Selbstausschaltung der Parlamente durch Verlagerung (grundrechts-)wesentlicher Entscheidungsbefugnisse auf eine gesetzlich nicht angeleitete Exekutive.[308] Die zunehmende „Koordination“ der zu ergreifenden Maßnahmen im Bund-Länder Regierungsausschuss[309] ließen zudem die gemeinsam beschlossenen Maßnahmen ab Dezember 2020 zunehmend „alternativlos“ erscheinen. Es schwanden Vergleichsmöglichkeiten, sodass auch die Gerichtskontrolle „formelhafter“ und pauschaler wurde.[310] Gerade auch aus der Verwaltungsperspektive ist deshalb problematisch, dass sich auch in der „Corona-Krise“ der politische Trend zeigt, die Lösung von (komplizierten) Problemen vor allem in dem Erlass von Regelungen zu sehen, deren Erfolg in dem Erreichen bestimmter Kennzahlen (hier: niedriger Infektions- und Reproduktionszahlen) gemessen wird, ohne dass immer selbst die Eignung der angeordneten Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels auf der Hand liegt (z. B. bei den Grenzschließungen und Quarantäneregelungen für Reiserückkehrer). Dass oft eher eine Verbesserung der tatsächlichen Implementierung des vorhandenen Normenbestandes zur Zielerreichung geboten wäre und dass den mit dieser Implementierung betrauten Behörden vor Ort (z. B. den Gesundheitsämtern, Schulen und Hochschulen) oft keine für eine effektive Implementierung ausreichende organisatorische, fachliche und personelle Ausstattung und Unterstützung gegeben wird, wird bei dieser Fixierung auf den Normerlass als Problemlösungsinstrument aus dem Auge verloren.

F. Bibliografie

Martin Burgi, Die Ausschreibungsverwaltung – Dogmatische Herausforderungen des Verwaltens mit Dienstleistungskonzessionen, DVBl 2003, S. 949–958.

ders./Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG, 2012.

Pascale Cancik, Vom Widerspruch zum informalen Beschwerdemanagement, Die Verwaltung 43 (2010), S. 467–499.

Falk Ebinger, Vollzug trotz Reform? Die Umweltverwaltungen der Länder im Wandel, VerwArch 100 (2009), S. 55–70.

Michael Fehling, Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, in: VVDStRL 70 (2011), S. 278–337.

Jens Kersten/Stephan Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, 2020.

Oliver Lepsius, Hat die Europäisierung des Verwaltungsrechts Methode?, in: Peter Axer/Bernd Grzeszick/Wolfgang Kahl/Ute Mager/Ekkehart Reimer (Hg.), Das Europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase. Systembildung – Disziplinierung – Internationalisierung, Die Verwaltung Beih. 10, 2010, S. 179–219.

Gertrude Lübbe-Wolff, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren auf Kosten des Umweltschutzes, ZUR 1995, S. 57–62.

Anna Katharina Mangold, Gemeinschaftsrecht und deutsches Recht, 2011.

Stephan Rixen, Taking Governance Seriously – Metamorphosen des Allgemeinen Verwaltungsrechts im Spiegel des Sozialrechts der Arbeitsmarktregulierung, Die Verwaltung 42 (2009), S. 309–338.

Paul Stelkens, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Umbruch – eine Reform ohne Ende?, NVwZ 1995, S. 325–335.

Andreas Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, in: VVDStRL 62 (2003), S. 266–335.

Rainer Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006.

ders., Die Rechtsbildung in Europa als Entwicklungslabor, JZ 2012, S. 861–870.

Uwe Wesel, Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2019.

G. Abstract


1. This chapter deals with the development of German administrative law from German reunification until today: When the German Democratic Republic (GDR) acceded to the Federal Republic of Germany on 3 October 1990, the constitution of West Germany, the German Basic Law adopted on 23 May 1949 entered into force for the territory of the former GDR. Thus, the GDR ceased to exist with its accession to the Federal Republic of Germany – and the laws of the GDR (shaped by socialist legal thought) were mostly either formally repealed or superseded by West German legislation. Therefore, the narrative of modern German law is the narrative of German law under the German Basic Law of 23 May 1949, this having become the constitution for Germany as a whole on 3 October 1990 (par. 6).
2. German reunification tested the (previously) West German administrative law by transferring it to an entirely new environment (par. 7 et seqq.). This complete adoption of the highly sophisticated West German administrative law system posed considerable challenges for the authorities and institutions in the territory of the former GDR. In particular, the new federal states lacked suitably trained civil servants in the upper echelons of the civil service. Nearly all authorities and institutions had to be built anew, and the material prerequisites for a modern office organisation had to be created (par. 9). In addition, it was necessary to implement highly complex legislation concerning the privatisation of former state-owned enterprises, the remedying of GDR injustice, and the restitution of assets (par. 11). Thirty years after reunification, this process can be considered completed.
3. The enormous challenges of rebuilding in the new federal states, added to the problems triggered in West Germany by the structural change from an industrial to a service society and its economic consequences, ultimately raised the question whether the basic structure of administration and administrative law, developed in the comparatively “placid” “Bonn Republic”, could adequately fulfil its tasks in times of enormous pressure to cut costs and an increasingly diversified society (par. 2 et seqq.). This also led to a new political style at the federal level of the “Berlin Republic” (adopted by some federal states). Aiming to address a far-reaching critique of the tasks of the state and thus also an extensive restructuring of the executive, this new political style tried to create an investment-friendly legal environment, often by means of measures intended to “accelerate” administrative (court) procedures (par. 14 et seq.), reduce bureaucracy (par. 19), privatise public services (par. 20 et seq.), implement New Public Management (par. 22), and reform social administration (par. 25 et seqq.). At the turn of the millennium, the digital revolution became an additional factor for change, but it has tended to reinforce the trends already established in the 1990s (par. 31 et seqq.).
4. Similar changes would presumably have occurred without the Federal Republic of Germany’s membership in the European Union, but the obligation to implement Union law has given them a special form (Art. 4 [3] TEU). It seems that neither German politics nor German scholarship has fully processed this fact yet (par. 36 et seqq.). By contrast, even if the application of EU law by national authorities and courts poses specific challenges, there is no need to generally revise German administrative legal thinking: The effects of EU law on German administrative law should neither be under- nor overestimated (par. 45 et seqq.).
5. It remains to be seen what administrative consequences the “Coronavirus crisis”, which broke out in mid-March 2020, will have for Germany and Europe in the medium and long term: they will initially depend on the extent and nature of the economic and social consequences of this crisis at the national and European level. They will also depend on the extent to which the unresolved social, economic, and political problems in Germany and Europe, which have accumulated over the past thirty years, will further increase the economic and social consequences of the “Coronavirus crisis”. Ultimately, it must become clear whether the current German administration and administrative law are only equipped to handle fair-weather conditions or whether they can be part not only of the problem but also of the solution (and succeed in communicating this, par. 50).

Zweiter Teil Rechtsebenen und Rechtsquellen

Ralf P. Schenke

 

§ 7 Rechtsquellen des Verwaltungsrechts

A. Rechtstheoretische Grundlagen1 – 8

I. Die Positivität des Rechts als Schlüsselbegriff der Rechtsquellenlehre2

II. Allgemeine Rechtsquellenlehre versus Rechtsquellenlehre des Verwaltungsrechts3 – 8

1. Möglichkeiten und Grenzen einer Allgemeinen Rechtsquellenlehre3, 4

2. Begriff und Eigenstand einer verwaltungsrechtlichen Rechtsquellenlehre5 – 8

B. Begriffliche Klarstellungen9 – 14

I. Recht, Rechtsnorm, Rechtssatz9, 10

II. Rechtserzeugungs-, Rechtswertungs- und Rechtserkenntnisquellen11 – 13

III. Regeln und Prinzipien14

C. Funktionen der Rechtsquellenlehre15 – 18

I. Identifikation des positiven Rechts und Grenzziehung zum „Nicht-Recht“16

II. Qualifikation der Normen im Schichtenmodell17

III. Auflösung von Normkollisionen18

D. Entwicklungslinien19 – 32

I. Entparlamentarisierung der Normsetzung20

II. Internationalisierung, Europäisierung, nichtstaatliche Rechtssetzung21 – 24

1. Aufwertung des Völkerrechts22

2. Unionsrecht als zentrale Rechtsquelle des Verwaltungsrechts23, 24

III. Konstitutionalisierung und Aufwertung Richterrechts25 – 28

IV. Verdichtung des Rechts und Zunahme von Normkollisionen29, 30

V. Relativierung des Geltungsanspruchs31, 32

E. Ordnungsprinzipien33 – 41

I. Rechtskreise34

II. Rechtsschichten35, 36

III. Widerspruchsfreiheit37

IV. Stufenbau versus Polyzentralität38 – 40

V. Die Rechtsquellen der Rechtsquellenlehre41

F. Rechtskreisübergreifende Typologie der Normerzeugung42 – 71

I. Förmliche Rechtssetzung43 – 56

1. Rechtliche Grundordnung: GG, Länderverfassung, Europäisches Primärrecht44

2. Parlamentarisch-gubernative Rechtssetzung: Richtlinie, Verordnung, einfaches Gesetz, völkerrechtlicher Vertrag45 – 47

3. Exekutive Rechtssetzung48 – 56

a) Rechtsverordnungen, Tertiärrecht49, 50

b) Satzungen51

c) Verwaltungsvorschriften52 – 56

II. Ungeschriebene Rechtsnormen57 – 61

1. Gewohnheitsrecht58

2. Allgemeine Rechtsgrundsätze59, 60

3. Richterrecht/Präjudizien61

III. Nicht-Recht als Rechtsquelle62 – 68

1. Gesellschaftliche Wertvorstellungen63

2. Technische Normung64 – 67

3. Weitere Formen nichtstaatlicher Normsetzung68

IV. Numerus clausus69

V. Rechtsformenwahl und Regelungsdichte70, 71

G. Rechtmäßigkeit und Fehlerfolgen72 – 80

I. Rechtmäßigkeitsanforderungen72 – 77

1. Formelle Rechtmäßigkeitsanforderungen73 – 76

2. Materielle Rechtmäßigkeitsanforderungen77

II. Fehlerfolgen78 – 80

H. Externe Normwirkungen81 – 83

 

I. Monismus82

II. Dualismus83

I. Rechtsschutz84, 85

J. Kollisionen86 – 93

I. Gleichrangige Normen87

II. Rangunterschiede88 – 93

1. Konkordanzmuster89 – 92

2. Polyzentrische Rechtsordnungen93

K. Bibliografie

L. Abstract

A. Rechtstheoretische Grundlagen

1

Gegenstände der Rechtsquellenlehre

Die Rechtsquellenlehre gehört zu den Reflexionstheorien des Rechts.[1] Ihre Gegenstände sind die Geltung und der Geltungsgrund des Rechts. Im Rechtsunterricht wird sie in den Lehrbüchern zur juristischen Methodenlehre und zur Rechtstheorie behandelt.[2] Sie ist aber auch fester Bestandteil der Lehrbuchliteratur zum Völker-, Verfassungs- und Europarecht[3] sowie in der Regel der Lehrbücher zu den einzelnen Rechtsgebieten (Verwaltungs-, Umwelt-, Zivilrecht).[4] Auf dem Weg der Rechtsfindung markiert die Rechtsquellenlehre nur die erste Etappe, indem sie die im konkreten Fall geltenden Rechtsregeln identifiziert. Daran knüpfen mit der Auslegung, der Fortbildung und der rechtsdogmatischen Überformung des Rechts[5] weitere Diskurse an, die enge Berührungspunkte und partielle Überschneidungen aufweisen.[6]

I. Die Positivität des Rechts als Schlüsselbegriff der Rechtsquellenlehre

2

Positives Recht

Eine Rechtsquellenlehre kann nicht unabhängig vom Rechtsbegriff gedacht werden.[7] Unter Recht wird im Folgenden das positive Recht verstanden. In Abkehr von naturrechtlichen Vorstellungen ist dies die Gesamtheit der Sollenssätze, deren Geltungsanspruch sich allein aus ihrer Anerkennung im Rechtssystem ableitet.[8] Dies ist wiederum davon abhängig, ob sich ein Sollenssatz auf eine anerkannte Rechtsquelle zurückführen lässt. Der Begriff der Rechtsquelle ist damit selbstreferentiell, indem er voraussetzt, was er zu begründen vorgibt.[9] Die Metapher der Rechtsquelle kann zu dem Missverständnis führen, das Recht verdanke seine Geltung außerhalb seiner selbst liegenden Umständen. Dies ist unzutreffend oder doch zumindest ungenau. Was geltendes Recht ist, entscheidet allein das Recht selbst.[10] Diese – in systemtheoretischer Terminologie – Autonomie und Selbstreferentialität des Rechts bedeutet nicht, dass Recht und andere Funktionssysteme der Gesellschaft unverbunden nebeneinander stehen. Das gilt insbesondere für das Verhältnis zur Politik. Beide Systeme sind strukturell gekoppelt.[11] Die im politischen System beschlossenen Gesetze können das Rechtssystem aber nicht direkt umprogrammieren. Vielmehr werden die Gesetze im Rechtssystem nach Maßgabe der eigenen Systemlogik verarbeitet. Das, was politisch gewollt ist, muss deshalb nicht zwingend das sein, was im Rechtssystem tatsächlich bewirkt wird.

II. Allgemeine Rechtsquellenlehre versus Rechtsquellenlehre des Verwaltungsrechts

1. Möglichkeiten und Grenzen einer Allgemeinen Rechtsquellenlehre

3

Wert eines Allgemeinen Teils

Was als Rechtsquelle anzuerkennen ist, ist unmittelbarer Ausdruck des Selbstverständnisses und der Grundwertungen einer Rechtsordnung.[12] Dies schließt nicht aus, neben auf bestimmte Rechtsordnungen bezogene Rechtsquellenlehren einen Allgemeinen Teil zu stellen. Dieser kann als Vergleichsbasis und Problemlösungsspeicher dienen.[13] Zugleich ermöglicht es ein Allgemeiner Teil, Besonderheiten der Rechtsquellenlehre einer bestimmten Rechtsordnung umso schärfer hervortreten zu lassen. Der besondere Wert eines Allgemeinen Teils zeigt sich gerade in einem Mehrebenensystem, wie es für die Verwaltungsrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland kennzeichnend ist. Hier durchdringen sich mehrere Rechtsschichten unterschiedlicher Rechtskreise. Das in einem konkreten Fall geltende Recht kann daher vielfach nicht allein einer Regelungsebene, etwa dem Bundesrecht, entnommen werden, sondern ergibt sich erst in der Zusammenschau mit anderen Rechtskreisen, z. B. der EMRK oder des Rechts der Europäischen Union.[14]

4

Grenzen des Allgemeinen Teils

Zuschnitt und Abstraktionsgrad eines Allgemeinen Teils sind vom Kreis der einbezogenen Rechtsordnungen abhängig. Die folgende Darstellung wird sich auf das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht beschränken.[15] Neben dem deutschen Recht ist damit auch auf das Unionsrecht sowie das an Bedeutung gewinnende Völkerrecht einzugehen. Dabei kann es im hier bestehenden Rahmen nicht um eine Detaildarstellung, sondern nur um den Versuch gehen, Grundstrukturen der verwaltungsrechtlichen Rechtsquellenlehre herauszuarbeiten.

2. Begriff und Eigenstand einer verwaltungsrechtlichen Rechtsquellenlehre

5

Verwaltungsrecht

Nicht so theoriebelastet wie der Begriff der Rechtsquelle, aber gleichwohl klärungsbedürftig ist der Begriff des Verwaltungsrechts. Im hier bestehenden Zusammenhang ist eine bloße Nominaldefinition[16] ausreichend.[17] Unter Verwaltungsrecht werden im Folgenden die Normen des geltenden Rechts verstanden, die spezifisch an die Verwaltung (einschließlich der Beleihung sowie der Einbindung Privater in Form der funktionellen Privatisierung) adressiert sind, sei es, dass sie diese organisieren, diese verpflichten oder ihr umgekehrt Handlungsbefugnisse zuweisen.[18]

6

Spezifika einer verwaltungsrechtlichen Rechtsquellenlehre?

Innerhalb der deutschen Rechtsordnung bestehen erhebliche Unterschiede, wie das Recht der verschiedenen Rechtsgebiete (Strafrecht, Verwaltungsrecht, Steuerrecht) auszulegen und fortzubilden ist.[19] Dagegen differenziert sich die Rechtsquellenlehre bislang weniger nach Rechtsgebieten als nach Rechtskreisen aus (Völkerrecht, Unionsrecht, Bundesrecht, Landesrecht), innerhalb derer verschiedene Rechtsschichten bzw. Normebenen (z. B. Verfassung, Gesetz, Verordnung unterschieden werden. Die sich in den verschiedenen Rechtsgebieten stellenden Fragen der Rechtsquellenlehre sind aber grundsätzlich auch gleich zu beantworten. Statt einer rechtsgebietsspezifischen Ausdifferenzierung der Rechtsquellenlehre geht es damit eher um eine unterschiedliche Akzentuierung bzw. Schwerpunktsetzung.[20] Tendenziell größere Bedeutung kommt im Verwaltungsrecht der Mehrebenenthematik und den hiermit verbundenen Normkollisionen zu.[21] Sonderthemen einer verwaltungsrechtlichen Rechtsquellenlehre sind die Einordnung von Verwaltungsvorschriften[22] und der allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts[23] sowie die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Bereich der Eingriffsverwaltung.[24]

7

Sonderthema Binnenrecht

Zu den Sonderthemen gehört auch das Binnenrecht. Aus einer gerichtszentrierten Perspektive[25] erscheint es als Recht minderen Ranges, da ihm im Verhältnis zum Bürger keine oder doch nur sehr eingeschränkte Verbindlichkeit zukommt.[26] Dies erklärt, warum die verwaltungsrechtliche Rechtsquellenlehre das Binnenrecht traditionell ausblendet. Dies ist aus rechtshistorischer Perspektive nachvollziehbar, aus rechtstheoretischer Sicht hingegen nicht mehr zu rechtfertigen. Die Ordnung des staatlichen Binnenbereichs aus dem Rechtsbegriff auszuklammern, diente im Konstitutionalismus dazu, der monarchischen Exekutive einen Reservatsbereich zu sichern, in dem sie ohne rechtliche Bindungen an die Volksvertretung bzw. die Ständeversammlung agieren konnte. Solche, durch die sog. Impermeabilitätstheorie[27] abgesicherte Reservatsbereiche haben sich im demokratischen Rechtsstaat längst überholt. Auch aus rechtstheoretischer Sicht erscheint es nicht zwingend, einem Sollensgebot nur deshalb den Rechtscharakter abzusprechen, weil es nicht allgemein gilt, sondern bereits seiner Form nach nur einen begrenzten Adressatenkreis betrifft.[28] Gleichwohl ist schon aus rechtspraktischen Gründen deutlich zwischen Innen- und Außenrecht zu unterscheiden.[29] Das zeigt etwa die Einordnung von Verwaltungsvorschriften in den Stufenbau der Rechtsordnung.[30] Im Rahmen dieses Beitrags ist es nicht möglich, die binnenrechtliche Perspektive durchgehend auszuarbeiten, sodass mit Ausnahme binnenrechtlicher Ausblicke[31] die Rechtsquellenlehre des Außenrechts im Vordergrund stehen wird.

8

Doppelnatur der exekutiven Rechtssetzung

Im neuen verwaltungsrechtlichen Schrifttum wird vielfach vorgeschlagen, das von der Verwaltung gesetzte Recht (Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsvorschriften) nicht ausschließlich im Rahmen der Rechtsquellenlehre zu behandeln, sondern auch als Handlungsinstrument zu begreifen.[32] Das Anliegen, den instrumentalen Charakter des selbstgesetzten Rechts der Verwaltung zu betonen, ist einsichtig. Durchaus zweifelhaft ist aber, ob es sich dabei um ein Spezifikum der exekutiven Rechtssetzung handelt. Jegliche Rechtsanwendung schließt schöpferische Elemente ein. Auch das von der Judikative gesetzte Recht trägt insofern eine „Doppelnatur“.[33] Insbesondere dürfte die Gestaltungsmacht, die dem BVerfG und dem EuGH bei der Interpretation von Grundrechten und Grundfreiheiten eröffnet ist, noch über das hinausgehen, was die Verwaltung kraft ihrer eigenen Rechtssetzungsmacht bewirken kann.[34]