Handbuch des Verwaltungsrechts

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa
F. Kommunalverwaltung

I. Reichsverfassung und kommunale Selbstverwaltung

46

Gemeindeverfassungsrecht besteht?

In den Kommunen war die Kontinuität der Verwaltung am größten. Art. 127 WRV normierte erstmals die kommunale Selbstverwaltung. Diese war der Sache nach keinesfalls neu,[221] ihre Erwähnung in der Verfassung aber eine wichtige rechtliche Aussage gegen eine Unitarisierung bis zu der Ebene der Kommunen. Das Kommunalverfassungsrecht hatte zumeist den Wechsel der Verfassung überdauert; Fritz Stier-Somlo hatte es auf der Leipziger Staatsrechtslehrertagung 1925 auf den Punkt gebracht: „Der demokratische Zug der Selbstverwaltung ist auch die Erklärung dafür, daß die Revolution von 1918 zwar die Staatsverfassungen umwarf, weil sie jenen aristokratisch-zentralen Charakter in der Monarchie aufwiesen, dagegen die Gemeindeverfassungsgesetze in ihrer Gesamtstruktur zunächst im Wesentlichen unberührt geblieben sind; es war an ihnen außer dem Wahlrecht nicht viel zu ‚demokratisieren.‘“[222] Oft war auch die kommunale Führungsebene identisch geblieben. Prominentester Fall war der seit 1917 amtierende Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Faktisch Veränderungen bewirkte die überfällige Reform des Wahlrechts,[223] die insbesondere der SPD in den Städten zugutekam. Die Reform beendete nicht nur das Dreiklassenwahlrecht, sondern erweiterte den Kreis der Wahlberechtigten erheblich um Frauen und Fürsorgeempfänger, führte zudem die geheime Wahl auf kommunaler Ebene durchgängig ein.[224] Insbesondere die Teilhabe von Frauen an der kommunalen Selbstverwaltung war rein rechtlich nahezu uneingeschränkt möglich geworden. Angeknüpft werden konnte an eine begrenzte Partizipationsmöglichkeit von Frauen in der Selbstverwaltung der Fürsorge unter der RV.[225]

47

Recht auf Selbstverwaltung

Ein Einfluss der WRV auf die kommunale Selbstverwaltung war zunächst kaum intendiert, auch nicht vom mit dieser Materie vertrauten Hugo Preuss.[226] Noch in der 1929 erschienenen 9. Auflage seines Verfassungskommentars stellte Gerhard Anschütz fest, Art. 127 WRV habe „rein formale Bedeutung“, materiell sei er „inhaltslos.“[227] Mangels Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung gewährleiste die Bestimmung den Gemeinden und Gemeindeverbänden „tatsächlich nichts. Er ändert weder das bestehende Gemeinderecht ab, noch schreibt er der Gesetzgebung irgend etwas vor.“[228] Gleichwohl musste Anschütz seinen Standpunkt zunehmend modifizieren, zuletzt als „prägnantes Beispiel einer ‚institutionellen‘ Garantie im Sinne C. Schmitts.“ Von anderen Autoren wurde Art 127 WRV da bereits als subjektives Recht der Gemeinden verstanden. Bei der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Schwerin hatte der vom Genossenschaftsrecht geprägte Rostocker Staatsrechtler Edgar Tatarin-Tarnheyden erstmals Art. 127 WRV so verstanden.[229] Auch die Rechtsprechung schien zu folgen; der StGH bejahte eine Parteifähigkeit der Kommunen.[230] Die politische Stoßrichtung war allerdings unverkennbar, der StGH sollte im Tatsächlichen die Frage entscheiden, inwieweit die Stadt Potsdam nur mit Schwarz-Weiß-Rot flaggen dürfe.[231] Fritz Stier-Somlo hatte sich als überzeugter Republikaner in einem anderen Fall rechtlich ausdrücklich Tatarin-Tarnheyden angeschlossen. Zugrunde lag in diesem Fall eine geplante Gebietsreform, der Zusammenschluss der niederrheinischen Städte München-Gladbach und Rheydt; die Stadt Rheydt hatte den Rechtsweg beschritten. Hier folgte der StGH der großzügigen Auslegung von Art. 127 WRV nicht, die Stadt Gladbach-Rheydt (heute: Mönchengladbach) wurde 1929 gebildet. Typisch für den konservativen Diskurs der Weimarer Republik war das Betonen eines Antagonismus zwischen Demokratie und Selbstverwaltung, wobei die auf den Freiherrn vom Stein zurückgeführte Selbstverwaltung als vermeintlich „deutsches“ Prinzip galt.[232] Entsprechend äußerte sich der konservative Staatsrechtler Hans Helfritz 1925 auf der Leipziger Staatsrechtslehrertagung.[233]

48

Daseinsvorsorge

Die kommunale Verwaltung der Versorgung war ein besonderer Schwerpunkt des Bereiches, der 1935 von Ernst Forsthoff[234] in Anlehnung an einen von Karl Jaspers[235] 1931 gewählten Begriff mit „Daseinsvorsorge“ umschrieben wurde; das war nach der Weimarer Republik, doch mit unverkennbaren Wurzeln in dieser.[236] Die Leistungen der Verwaltung waren hier erheblich. Dazu zählten Personennahverkehr,[237] Abfallentsorgung[238] und die Versorgung mit Wasser, Gas und Elektrizität.[239] Zum Teil konnte an auch juristische Vorleistungen der Vorkriegszeit angeknüpft werden,[240] doch konnte die kommunale Neugliederung in den „guten“ Jahren der Republik diese Anstrengungen erheblich erleichtern. Durch Architekten wie Fritz Schumacher in Dresden, Köln und Hamburg, Martin Elsässer in Frankfurt am Main und Stuttgart oder Gustav Oelsner in Altona erhielt die kommunale Verwaltung in der Weimarer Republik ein Gesicht und erreichte dabei ein beachtliches ästhetisches Niveau.

II. Kommunale Neugliederung

49

Groß-Berlin

Wichtigste kommunale Neugliederung der Weimarer Republik war das am 27. April 1920 vom preußischen Landtag beschlossene „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“. Acht Städte einschließlich Berlin, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke (darunter auch der des Berliner Stadtschlosses mitten in der Innenstadt) wurden zum 1. Oktober 1920 zu „Groß-Berlin“ zusammengeschlossen, die der Fläche nach größte Stadt Europas und die bevölkerungsreichste des europäischen Festlands. Berlin gehörte formal noch zu der preußischen Provinz Brandenburg, bildete allerdings einen weitgehend selbstverwalteten und auch im Reichsrat vertretenen Regierungsbezirk.[241] Für die Verwaltung wurde die Reichshauptstadt in 20 Bezirke eingeteilt; zwar kannte auch das alte preußische Gemeinderecht mit „Stadtteilen“ eine Ebene unterhalb der Stadtgemeinde, doch waren diese mit den selbstverwalteten Bezirken kaum zu vergleichen. Berlin folgte Wien, das seit 1850 in Bezirke (das im reichsdeutschen Kontext kaum präsente Graz seit 1869) und Paris, das seit 1860 in 20 arrondissements aufgeteilt war. New York bestand seit 1898 aus fünf Boroughs, das mit Kommunen auf dem Kontinent nur bedingt vergleichbare London seit 1898 aus 28 Metropolitan Boroughs. Die Weimarer Republik hatte mit Berlin an die Verwaltung der Metropolen Anschluss gefunden und damit auch im deutschen Kontext Neuland beschritten; dass gleichzeitig in der Rechts- und Veraltungswissenschaft die „Verwaltung der Metropolen“ behandelt wurde, überrascht nicht.[242] Die Verwaltung Berlins trug in der Weimarer Republik die Handschrift des Oberbürgermeisters Gustav Böß (DDP).[243]

50

Eingemeindungen

Eine „Groß-Berlin“ vergleichbare Neugliederung wurde auch von anderen Großstädten angestrebt, insbesondere von Hamburg und Frankfurt am Main, deren Einzugsbereich jeweils auf das Gebiet mehrerer Länder oder preußischer Provinzen verteilt war; Groß- und Mittelstädte gingen bruchlos ineinander über. Sie konnten in der Weimarer Republik nicht verwirklicht werden, in Hamburg auf Grundlage der Planungen unter nationalsozialistischen Vorzeichen 1937 durch das Groß-Hamburg-Gesetz.[244] Allerdings fallen in die Weimarer Republik zahlreiche Eingemeindungen insbesondere in Preußen, so der Zusammenschluss der Städte Hannover und Linden 1920,[245] das Groß-Altona-Gesetz 1927[246] und drei Gesetze zur Neugliederung im Rheinisch-Westfälischen Industriebezirk. Dabei waren 1927 Gelsenkirchen und Buer sowie Solingen und Ohligs,[247] zusammengeschlossen worden, 1929 Barmen und Elberfeld (ab 1930 Wuppertal), Duisburg und Hamborn, Krefeld und Uerdingen, die Großstadt Oberhausen war völlig neu. 1928 war Höchst in Frankfurt am Main eingemeindet worden, mittelbare Folge der Gründung der IG Farben AG und damit Zeichen der Wechselwirkung zwischen Kommunal- und Wirtschaftsverwaltung. Zu einem wichtigen Instrument der Eingemeindung wurde der öffentliche Vertrag.[248] In Sachsen war 1921 aus den Bergbaustädten Deuben, Döhlen und Potschappel südlich von Dresden die amtsfreie Stadt „Freital“ gebildet worden, deren Name auf die neue Staatsform anspielte.

III. Einzelne Länderverwaltungen

1. Preußen

51

Pluralität im Gemeinderecht

Preußen gliederte sich gemäß Art. 71 der Verfassung des Freistaats Preußen vom 30. November 1920 in Provinzen und Regierungsbezirke, diese in Kreise, Städte und Landgemeinden. Die Provinzen besaßen eine Doppelnatur als staatliche Verwaltungsbezirke, etwa in Polizeiangelegenheiten, und Selbstverwaltungskörperschaften. Die staatliche Aufsicht war mit Weisungsbefugnis auch in Zweckmäßigkeitsfragen verbunden.[249] „Die Gemeinde bildet den Grundstein des ganzen Staatsorganismus, den nicht weiter auflösbaren untersten Knoten, in dem alle Fäden des öffentlichen Lebens zusammenlaufen.“[250] Insgesamt war die preußische Gemeindeverfassung unübersichtlich und uneinheitlich und ohne Einfluss der WRV. Grundsätzlich war der Unterschied zwischen Gemeinden und Städten; nur in den Hohenzollerschen Landen (Regierungsbezirk Sigmaringen) galt die Gemeindeordnung auch für Städte. Bereits vor 1914 wurden Anstrengungen unternommen, Städte und Gemeinden anzugleichen, zumal insbesondere um Berlin der Unterschied als willkürlich empfunden wurde. Größte Landgemeinde war 1919 der Berliner Vorort Steglitz (Kreis Teltow) mit 32.000 Einwohnern. Unterschieden wurde zwischen der auf die „Steinsche Städteordnung“ zurückgehenden Gemeindeverfassung der „sieben östlichen Provinzen“ (Ostpreußen, Niederschlesien, Oberschlesien, Pommern, Brandenburg, Grenzmark Posen-Westpreußen, Sachsen), denen Schleswig-Holstein, Hessen-Nassau und der Regierungsbezirk Sigmaringen weitgehend folgten, den „westlichen Provinzen“ Rheinprovinz und Westfalen, die in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts eigene Landgemeindegesetze erhielten und schließlich dem ein Sonderbewusstsein pflegenden Hannover, wo zum Teil „vorpreußische“ Regelungen fortgalten. In den östlichen Provinzen bestand ein Dualismus zwischen Gemeindevertretung und Gemeindevorsteher, in den westlichen war der Bürgermeister nach Vorbild des französischen maire stärker.

 

52

Provinzialverwaltung

Die Provinzen des Freistaats Preußen entsprachen weitgehend denen des Königreichs. Schlesien war 1919 mit Blick auf die Volksabstimmung in Oberschlesien in Ober- und Niederschlesien aufgeteilt worden, es bestanden auch danach „gesamtschlesische“ Behörden. Westpreußen und Posen waren zu großen Teilen an Polen oder die Freie Stadt Danzig gefallen, aus dem verbliebenen Westteil entstand die strukturschwache Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen mit der Hauptstadt Schneidemühl; der Ostteil mit der alten Hauptstadt Marienwerder (Sitz des OLG) kam als Regierungsbezirk Westpreußen zu Ostpreußen. Für Altfälle bestand eine „Provinzialabwicklungsstelle“ im nicht mehr zu Preußen gehörenden Danzig.[251] Alle Provinzen bestanden aus zum Teil sehr alten Regierungsbezirken. Der Regierungsbezirk Sigmaringen der Rheinprovinz wurde als südlichste Exklave Preußens teilweise wie eine Provinz behandelt. Die Provinz Schleswig-Holstein bestand aus dem einzigen Regierungsbezirk Schleswig.

53

Gutsbezirke

Anfang 1927 bestanden noch rund 12.000 Gutsbezirke mit immerhin 1,5 Mio. Einwohnern, 4 % der Bevölkerung auf 29 % der Gesamtfläche; ihre lange vor 1918 geforderte Auflösung zog sich hin, da sich die neue Landgemeindeordnung aus anderen Gründen bis 1927 immer wieder verzögerte.[252] Aufsichtsführend war bei Landgemeinden und Gutsbezirken der Landrat. Die Gutsbezirke wurden dann 1927 bis auf unbewohnte Forsten (Truppenübungsplätze) abgeschafft.[253]

54

Stadtverwaltung

Bei den Städten überwog die auf den Freiherrn vom Stein zurückgehende Magistratsverfassung. Es bestanden Städteordnungen für die sieben östlichen Provinzen, aus historischen Gründen ohne Neuvorpommern (Regierungsbezirk Stralsund), Westfalen, die Rheinprovinz, Schleswig-Holstein und Hessen-Nassau-Frankfurt am Main. In Hannover galt die vorpreußische Städteordnung in „revidierter“ Form; so erhielt die Provinzhauptstadt Hannover erst 1919 einen Oberbürgermeister (zuvor „Stadtdirektor“). Eine rechtliche Sonderrolle besaß das 1920 weitgehend aus der Provinz Brandenburg gelöste Berlin. Unter der Kreisebene bestanden in einzelnen Landesteilen Landbürgermeistereien (Rheinland), Kirchspiele (Teile Schleswig-Holsteins) oder Ämter (Westfalen).

55

Kreisverwaltung

Auch für die Kreise bestanden unterschiedliche Regelungen. Insbesondere in der Fürsorge kam ihnen wachsende Bedeutung zu. Unterschiedliche Kommunalverwaltungen innerhalb eines Landes und reichsgesetzliche Vorgaben setzten das Kommunalrecht allgemein unter „Regulierungsdruck.“[254] Zu den Kuriosa der ohnehin buntscheckigen preußischen Kommunalverfassung gehörten in der Provinz Schleswig-Holstein bis 1932 (Eingliederung in den Kreis Pinneberg) die kreisfreie Inselgemeinde Helgoland und der aus einem preußischen Nebenland hervorgegangene Kreis Herzogtum Lauenburg mit eigenem Landeskommunalverband.[255]

56

Zweckverbände

In der Weimarer Republik weiterentwickelt wurden die kommunalen „Zweckverbände“, eine dogmatische Innovation des späten Kaiserreichs, deren bekanntester der 1912 gebildete „Verband Groß-Berlin“ (größer als die 1920 gebildete Kommune) war.[256] Insbesondere dem 1919 gebildeten „Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk“ sollte wachsende Bedeutung zukommen.[257] Für den Großraum Berlin wurde 1929 der „Landesplanungsverband Brandenburg-Mitte“ geschaffen.[258] Hier war eine „planende Verwaltung“ erkennbar, die in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik besondere Bedeutung erlangen sollte.[259]

2. Bayern

57

Bayerische Bezirke

Bayern setzte als Freistaat den Verwaltungsaufbau des Königreichs fast bruchlos fort. Als einziger Staat war Bayern territorial gestärkt aus dem politischen Umbruch hervorgegangen; es konnte sein Gebiet um Coburg (einschließlich der fränkischen Exklave Königsberg) arrondieren, der Regierungsbezirk Pfalz war allerdings zunächst besetzt und blieb von Separatismus nicht verschont. Die acht Regierungen blieben erhalten, eine Verkleinerung fand keine parlamentarische Mehrheit.[260] Als untere Verwaltungsbehörden bestanden 162 Bezirksämter und 58 kreisunmittelbare Städte. Auch in Bayern wurde eine Verwaltungsreform gefordert, die Verwaltung galt als überdimensioniert. Der Freistaat hatte so viele Einwohner wie die preußische Rheinprovinz. Die bayerischen Staatsregierungen verwiesen auf den hohen Anteil ländlicher Gebiete und die Sparsamkeit der bayerischen Verwaltung.[261]

3. Weitere Mittel- und Kleinstaaten

58

Mittlere Ebene

Sachsen behielt seinen mehrstufigen Verwaltungsaufbau mit fünf Kreishauptmannschaften, 28 Amtshauptmannschaften und 21 bezirksfreien Städten. Sonderrechte der Lausitz waren ersatzlos fortgefallen. Die Abschaffung der kostspieligen mittleren Ebene, die keine Selbstverwaltung besaß, scheiterte. 1921 schaffte der Freistaat Ritter- und Freigüter ab; politischer Widerstand beschränkte sich auf Verfahrensfragen.[262] Württemberg schaffte die mittlere Ebene, vier Kreisregierungen, 1924 ersatzlos ab.[263] Das Land verteilte sich auf 61 Oberämter; allein die Landeshauptstadt Stuttgart gehörte keinem Oberamt an und besaß (durch ein eigenes Polizeipräsidium) eine Sonderstellung. Baden hatte die Mittelinstanz bereits 1863 abgeschafft; der Volksstaat teilte sich in vier Amtsbezirke und elf selbstverwaltete Kreise. Hessens mittlere Ebene, drei Provinzen, trug dem Umstand Rechnung, dass der relativ große und an wichtigen Verkehrswegen gelegene Volksstaat kein geschlossenes Territorium besaß, sondern sich auf die Landesteile Oberhessen, Starkenburg (zwischen beiden das preußische Frankfurt am Main) und Rheinhessen verteilte. Die Provinzen besaßen kaum selbstständige Befugnisse.[264] Oldenburg konnte als Freistaat trotz großer Entfernungen seine Exklaven, das Fürstentum Birkenfeld an der Nahe (trotz Separatismus)[265] und das Fürstentum Lübeck (Eutin) aus der Zeit als Großherzogtum bis zum Ende der Weimarer Republik halten und verlor sie erst 1937 durch das Groß-Hamburg-Gesetz.

59

Sonderfall Mecklenburg

Wie im Kaiserreich kam dem dünnbesiedelten Agrarstaat Mecklenburg-Schwerin eine anachronistische Rolle mit verwirrendem Dualismus staatlicher und kommunaler Verwaltung zu; nicht nur für Edgar Tatarin-Tarnheyden hatte die „Organisationsfreudigkeit der Nachrevolutionszeit dem Lande einen zu umfangreichen und kostspieligen Verwaltungsapparat geschenkt.“[266] Der Freistaat war in „Landdrosteien“ als staatliche Verwaltungsbezirke mit einem „Landdrosten“ an der Spitze eingeteilt, daneben bestanden entsprechende Ämter und Amtsverbände als Selbstverwaltungskörperschaften.[267] Viele Reformvorhaben scheiterten in allen Ländern an parlamentarischen Mehrheiten.

4. Stadtstaaten

60

Stadt und Land

Die Stadtstaaten Hamburg, Lübeck und Bremen waren streng genommen ebenfalls Flächenstaaten, wobei in Hamburg sogar eine Unterscheidung zwischen Stadt und Land bestand; Lübeck hatte 1913 mit der Eingemeindung Travemündes und weiterer Vorstädte einen Schritt zur Einheitsgemeinde gemacht, doch bestanden weitere Landgemeinden; die Eingemeindung der Landgemeinden wurde in der Weimarer Republik fortgesetzt. Gleichwohl gab es weiterhin ein verwirrendes Exklavenwesen und komplizierte Fischereirechte in der Lübecker Bucht.[268] Bremen, 1918/19 kurzzeitig Räterepublik,[269] bestand aus drei räumlich getrennten Städten: (Stadt-)Bremen, seine nördliche Vorstadt Vegesack und Bremerhaven an der Wesermündung; dessen heute eingemeindete, 1924 gebildete Nachbarstadt Wesermünde war preußisch. Zu Hamburg gehörten die Städte Cuxhaven sowie Geesthacht und Bergedorf an der oberen Elbe. Die Stadt war in vier Landschaften aufgeteilt,[270] darunter das Amt Ritzbüttel an der Elbmündung und mehrere Landgemeinden in Schleswig-Holstein als Exklaven (Walddörfer).

G. Kirchliche Verwaltung

61

Konsistorien

Für die katholische Kirche bedeutete der Wechsel der Staatsform wenig Veränderung.[271] Sie konnte auf eine seit Jahrhunderten bewährte klerikale Bürokratie zurückgreifen und profitierte von der neuen politischen Situation, auch über die Zentrumspartei. Die evangelischen Kirchen, seit der Reformation ohne Unterbrechung vom landesherrlichen Kirchenregiment geprägt, fanden sich in einer für sie neuen Situation ohne selbstverständliche christliche „Obrigkeit“. Zwar hatte es seit dem 19. Jahrhundert Bestrebungen gegeben, kirchliche und staatliche Verwaltung zu trennen, insbesondere die Konsistorien zu verselbstständigen und den Oberkirchenrat von der Staatsverwaltung zu lösen;[272] jetzt waren die evangelischen Kirchen durch Fortfall der Landesherren als summus episcopus auf sich allein gestellt. Dass von säkularen Politikern versucht wurde, über staatliche Aufsichtsrechte in die Kirchen zu wirken, stärkte Verselbstständigungstendenzen.[273] Letzte Reste patronatsähnliche Kirchenverwaltungen jenseits der Landeskirchen, die „Fürstlich Stolbergschen Konsistorien“ in Wernigerode und die Kreishauptmannschaft Bautzen für die sächsische Oberlausitz, wurden aufgehoben, gemeinsame Einrichtungen etwa in der Lehrerbildung fielen ganz in kirchliche Hand, darunter die württembergischen Seminare.[274]

62

„Jahrhundert der Kirche“

Es fehlte nicht an evangelischen Stimmen, die den neuen Zustand als Chance begrüßten und sich ein Ende der dem Staat nachgebildeten Kirchenverwaltung wünschten. Führend war der konservative Berliner Pfarrer Otto Dibelius, dessen 1927 erschienenes Buch „Das Jahrhundert der Kirche“ zahlreiche Leser fand. Darin forderte er eine neue Form kirchlicher Verwaltung: „Die vom Staat übernommene bureaukratische Verwaltungsform, all diese Ratstitel, diese Scheidung der Beamtenklassen, dieses System von Erlassen und Verordnungen in dem unpersönlichen und unlebendigen Stil der staatlichen Kanzleien – das alles muß und wird einmal einem wirklich kirchlichen Gepräge weichen.“[275] Als „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ waren die Kirchen ausdrücklich bestätigt worden, auch Dibelius betonte die öffentliche Aufgabe der Kirchen zum „Dienst an Volk und Staat.“