Handbuch des Verwaltungsrechts

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II. Länder und Reichsreform

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Föderalismus ohne Fürsten

Art. 18 WRV machte Vorgaben für eine Länderneugliederung. Die RV hatte die Bundesstaaten des Jahres 1871 selbst bei Aussterben der regierenden Familie petrifiziert.[153] Unmittelbar nach Inkrafttreten der WRV war eine „Zentralstelle zur Gliederung des Deutschen Reichs“ beim Reichsministerium gegründet worden. Unitarisierend war Art. 17 WRV, der allen Ländern eine „freistaatliche Verfassung“ vorschrieb; im bedeutungslosen Waldeck trat allerdings die alte Verfassung formal nie außer Kraft.

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Thüringen

Am 1. Mai 1920 war das Land Thüringen aus sieben thüringischen Kleinstaaten gebildet worden, der achte, Coburg, hatte sich zum 1. Juli 1920 dem Freistaat Bayern angeschlossen. Dies hatte auch eine Umgestaltung der Verwaltung zur Folge, die als nicht abgeschlossen galt; der preußische Regierungsbezirk Erfurt zerteilte bis zur bayerischen Grenze Thüringen, das wegen seiner Talsperren auf bayerische Gebiete an der Saale spekulierte.[154] Der „Staat Großthüringen“ habe sich immer wieder als „Gegenstand banger Sorge“ erwiesen, so Heinrich Triepel auf der Staatsrechtslehrertagung 1924 in Jena und wünschte „die Bahn zu ruhiger staatlicher Entwicklung und den Weg zu sozialem Frieden.“[155] 1923 hatte die Regierungsbeteiligung der KPD zu einem militärischen Einschreiten der Reichsregierung (Art. 48 WRV) geführt, seit 1930 war die NSDAP an der Regierung beteiligt.

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Waldeck

Am 30. November 1921 hatte sich der Bezirk Pyrmont, der kleinere Landesteil von Waldeck, durch Volksentscheid Preußen angeschlossen. Am 1. April 1929 war das verbliebene Waldeck zu Preußen gekommen. Es bestand ein enger Zusammenhang mit der desolaten Haushaltslage des Kleinstaats nach der Finanzreform 1926.[156] Waldeck blieb ein untypischer Einzelfall, das Fürstentum hatte sich schon 1867 durch den „Accesionsvertrag“ der preußischen Verwaltung angeschlossen, die landeseigene Verwaltung beschränkte sich auf „Hofbehörden“ und die evangelische Landeskirche.[157] Robert Graf Hue de Grais wies vor dem Krieg in seinem „Handbuch der Verfassung und Verwaltung“ ausdrücklich darauf hin, dass Waldeck „nicht zum preußischen Staate“ gehört.[158]

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Reichsreform

Insbesondere der preußische Finanzminister Hermann Höpker-Aschoff hatte sich vehement für eine Neugliederung des Reichs und eine Verknüpfung der Finanz-, Verwaltungs- und Reichsreform eingesetzt.[159] Aus ähnlichen Beweggründen wurde 1928 auf Betreiben des ehemaligen Reichskanzlers und späteren Reichsbankpräsidenten Hans Luther der „Bund zur Erneuerung des Reiches“ („Luther-Bund“) gegründet, der auch konkrete Vorgaben zur Verwaltungsreform gemacht hatte. Der Name „Preußen“ und das preußische Staatsvermögen sollten erhalten bleiben, staats- und verwaltungsrechtliche Befugnisse auf die Provinzen als „Reichsländer“ übergehen. Die Länderkonferenz zur Reichsreform folgte Luther, der aber am Widerstand Preußens und Bayerns scheiterte.[160]

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Kleinstaatliche Resilienz

Zur Länderneugliederung war es nicht gekommen.[161] Der kleinste Gliedstaat Schaumburg-Lippe führte ab 1924 ergebnislos Verhandlungen mit Preußen. Insgesamt war das Beharrungsvermögen auch kleinster Einzelstaaten wie Lippe stärker als 1919 zu erwarten. Allerdings darf die „Kleinstaaterei“ insoweit nicht überschätzt werden, als es bereits im Kaiserreich eine funktionierende Zusammenarbeit in Verwaltung und Justiz über Ländergrenzen gegeben hatte.[162] Die gemeinsame Trägerschaft von „Unterhalterstaaten“ für die Universität Jena zeigt, dass Spielraum für eine auch im internationalen Maßstab effiziente Zusammenarbeit über kleinstaatliche Grenzen bestand. Die allerwenigsten Staaten hatten alle Attribute der Staatlichkeit besessen. Sie ließen sich auch in der Republik im ohnehin weniger körperschaftlich gestalteten Reichsrat von anderen Ländern vertreten und übernahmen häufig preußische Gesetze als Blankett.

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Preußische Frage

Das „Exklavenproblem“ war für den mitteldeutschen Raum eine echte Belastung, da die allein dynastischen Zufälligkeiten geschuldeten Grenzen eine vernünftige Landesentwicklung behinderten. Die Reform wurde vom Oberpräsidenten der preußischen Provinz Sachsen Eduard Hübener[163] vorangetrieben; ein Gutachten verfasste der Hallenser Staatsrechtler Max Fleischmann.[164] Dabei erwies sich als Problem, dass Preußen und Thüringen zum Teil entgegengesetzte Interessen vertraten. Im mitteldeutschen Raum bestand dabei eine eingespielte Zusammenarbeit der Verwaltung über Ländergrenzen hinweg. Die „Reichsreform“ und eine Auflösung des Dualismus „Preußen-Reich“ besaßen während der gesamten Weimarer Republik nahezu ununterbrochene Präsenz.[165] Größtes Hindernis war die Funktionalität der zur Republik loyalen preußischen Verwaltung. Der sächsische Staatskanzleichef Alfred Schulze, ein liberaler Republikaner und Demokrat, betonte 1927: „Das einige Preußen mit seiner Größe ist eine starke Stütze für das ganze Reichsgefüge, die jedenfalls solange nicht entbehrt werden möchte, als die neuen Stützen der Reichseinheit wie die einheitliche Wehrmacht, die einheitliche Verkehrsverfassung und das einheitliche Finanzsystem noch nicht auf ihre Tragfähigkeit erprobt sind.“[166] In einem eigenartigen ahistorischen Rekurs auf Martin Luther formulierte 1929 der linksliberale Staatsrechtslehrer Fritz Stier-Somlo: „Das selbstständige und ungeteilte, das in seiner Staatseigenschaft durch die Reichsverfassung ohnedies schon stark versehrte Preußen, – Ihr sollt es lassen stahn!“[167] Die Notwendigkeit der Verwaltungsreform wurde dabei auch von Konservativen vorbehaltlos geteilt: „jeder einzelne von Ihnen muss so ein Kämpfer für eine wirklich durchgreifende Verfassungs- und Verwaltungsreform sein, wenn es mit unserem deutschen Vaterlande wieder gehen soll, wie es – bei Gefahr unserer nationalen Existenz – nach dem Niederbruch gehen muss: Vorwärts und aufwärts!“ erklärte 1929 der letzte Innenminister des Königreichs Preußens, Bill Drews.[168]

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Missbräuchliche Verwaltung

Eine verhängnisvolle, allerdings zu keinem Zeitpunkt intendierte Folge der unterlassenen Länderneugliederung war, dass frühe Erfolge der NSDAP in Kleinstaaten wie Schaumburg-Lippe (26,9 %, 1931) oder Braunschweig (22,9 %, 1930) reichsweite Aufmerksamkeit erhielten.[169] Auch die Einbürgerung des staatenlosen Adolf Hitler durch eine rechtsmissbräuchliche Beamtenernennung zum Landesbeamten, also zum Angehörigen einer Landesverwaltung, war im „kleinstaatlichen“ Kontext erfolgt. Nachdem 1930 Ernennungen zum Polizeikommissar in Thüringen[170] und zum Professor in Braunschweig scheiterten, wurde Hitler 1932 zum braunschweigischen Regierungsrat ernannt;[171] er nahm unmittelbar nach Ernennung Urlaub und hatte offen als einziges Motiv den Erwerb der „Reichsangehörigkeit“ benannt. Auch nach damaligem Recht hätte Hitler nicht ernannt werden dürfen.[172]

III. Einzelne Landeseigenverwaltungen

1. Innenverwaltung

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„Republikanisches Bollwerk“

In den größeren Ländern zählte zu der inneren Verwaltung ein beeindruckender Apparat. Mit Abstand wichtigster Einzelstaat blieb, entgegen aller gegenläufigen Bestrebungen, weiter Preußen, einerseits durch seine Größe, andererseits durch Kontinuität der politischen Leitungsebene[173] unter dem langjährigen Ministerpräsidenten Otto Braun.[174] Dem preußischen Innenministerium, noch immer eine der wichtigsten und mit fünf Abteilungen größten deutschen Behörden, unterstanden das Statistische Landesamt, das Domkapitel Brandenburg, die Domstifte Merseburg, Naumburg und Zeitz, der Deutsche Sparkassen- und Giroverband, der Verband öffentlicher Feuerversicherungsanstalten, der Verband öffentlicher Lebensversicherungsanstalten und nicht zuletzt die Polizei.

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Polizei in Preußen

Unmittelbar dem Ministerium unterstanden das Polizeipräsidium in Berlin, die höhere Polizeischule in Eiche bei Potsdam sowie die Polizeischule für Leibesübungen in Berlin-Spandau. Landespolizeibehörden waren dem Regierungspräsidenten nachgeordnet. Landes- und Gemeindepolizisten handelten „im Namen des Staates“, bei einer insbesondere in den Provinzen Rheinland und Westfalen erkennbaren Tendenz zur „Verstaatlichung“ mit Polizeipräsidien als Landesbehörden; 1929 bestand in 45 Städten für 16 Mio. Einwohner staatliche Polizei.[175] Preußen zählte rund 91.000 Polizisten, seit 1926 auch Frauen in der „Weiblichen Kriminalpolizei“[176] und besaß mit der paramilitärischen „Sicherheitspolizei“ die nach der nur wenig größeren Reichswehr größte bewaffnete Truppe. Die nach Vorbild der französischen Gendarmerie 1812 gebildete „Landjägerei“ für das „platte Land“ war 1923 der allgemeinen Landesverwaltung unterstellt und von militärischer auf zivile Organisation umgestellt worden.[177] Die Kodifikation des disparaten preußischen Polizeirechts fand 1931 mit dem Polizeiverwaltungsgesetz einen Abschluss.[178] Es war die größte Leistung Preußens auf dem Gebiet der Verwaltung in der Weimarer Republik und das Werk von vier Praktikern, dem Präsidenten des preußischen OVG Bill Drews[179] und der Beamten im preußischen Innenministerium Christian Kerstiens, Erich Klausener und Robert M. W. Kempner.[180] Auch in anderen Ländern war das Polizeirecht vom Nebeneinander staatlicher und kommunaler Polizei geprägt. Das preußische Polizeirecht spielte nach 1945 weiter eine wichtige Rolle im besonderen Verwaltungsrecht der Bundesrepublik.[181]

2. Finanz- und Wirtschaftsverwaltung

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Schlösser und Staatsweingüter

Die Finanzverwaltungen der Länder spielten infolge der „Verreichlichung“ nur noch eine untergeordnete Rolle. Gewisse Bedeutung erlangten sie durch Zuständigkeit für die meiste öffentliche Bautätigkeit (Hochbauabteilung) und die Verwaltung landeseigener Liegenschaften. Bei dem preußischen Finanzministerium kam die Verwaltung beschlagnahmter Vermögensmassen des Hauses Hohenzollern hinzu, darunter Schlösser, Bauämter, die Berliner Schlossbibliothek und die Münchener Schackgalerie. Nach einer Vermögensauseinandersetzung mit dem preußischen Staat wurde am 1. April 1927 die „Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten“ gebildet. Auch in anderen Ländern betrieb die Finanzverwaltung die Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Domänen-, Forst- und Schlössereigentum.[182] Zur Finanzverwaltung gehörten schließlich auch die wirtschaftliche Betätigung des Staates, im Falle Preußens die Preußische Staatsbank („Preußische Seehandlung“), die Preußische Zentralgenossenschaftskasse („Preußenkasse“), die Generallotteriedirektion, die Preußische Bergwerks- und Hütten AG sowie seit 1927 die Preußische Elektrizitäts AG („Preußen-Elektra“).[183] Die preußische Domänenverwaltung mit dem Staatsweingut Kloster Eberbach gehörte zum Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. Zum preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe gehörte neben der Staatlichen Porzellanmanufaktur Berlin (KPM) auch wie in den meisten Ländern die Bergverwaltung; mit Oberbergämtern als Oberbehörde und Bergämtern als Unterbehörde, zudem die Geologischen Landesanstalten.

3. Arbeits- und Sozialverwaltung

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Fürsorge und Anstalten

Die Sozialverwaltung, im damaligen Sprachgebrauch mit „Volkswohlfahrt“ oder „Fürsorge“ umschrieben, war auf Ebene der Länder relativ schwach. Traditionell ein genuines Betätigungsfeld der Kommunen, hatte das Reich hier unter der WRV, mehr Zwängen als einem Plan gehorchend, erhebliche Kompetenzen erworben. Bei den Kompetenzen der Länder verblieben die Gesundheitsverwaltung mit der gewichtigen Selbstverwaltung der Ärzte und Heilberufe, die als Sozialpolitik verstandenen staatlichen Pfandbriefbanken, Anstalten für Waisen, Taubstumme und Blinde und schließlich als wichtige Krankenhäuser in Trägerschaft Preußens etwa die Berliner „Charité“ und das Elisabethhospital Kassel. Auf Ebene der Provinzen bestanden „Provinzialanstalten“, besondere Krankenhäuser wie das Landarmen- und Krankenhaus Geseke, die Augenheilanstalt Münster und Entbindungsanstalten (Landesfrauenkliniken), in der Regel in Verbindung mit einer Hebammenlehranstalt. Die Anstalten zur „Pflege der Gebrechlichen“ und die „Krüppelfürsorge“, so der damalige Sprachgebrauch, durch die Verordnung über die Fürsorgepflicht von 1924 auf eine solide Grundlage gestellt, unterstanden den Landefürsorgeverbänden auf Provinzialebene.[184]

E. „Querschnittverwaltungen“

I. Justiz

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Sparzwänge

Die Justiz gehörte nicht zur eigentlichen Verwaltung, doch wäre das Bild ohne sie unvollständig.[185] Ohnehin waren Verwaltung und Rechtsprechung keineswegs trennscharf abgegrenzt; ausgesprochene Schnittmengen bestanden in Form von Reichsversicherungsamt oder Reichspatentamt. Im Rahmen der „Emmingerschen Justizreform“ wurden 1924 das Verfahrensrecht verändert und Spruchkörper verkleinert, doch blieben Auswirkungen auf die Justizverwaltung weitgehend aus.[186] Das Oberlandesgericht Augsburg als fünftes bayerisches Oberlandesgericht wurde 1932 durch eine „Sparverordnung“ geschlossen. Zur Justiz gehörten auch genuine Verwaltungsaufgaben wie die Verwaltung der Strafanstalten, in Preußen auch die Auflösung der Familiengüter mit dem „Landesamt für Familiengüter“.

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Verwaltungsgerichte

Genuin rechtsprechend, aber in direktem Zusammenhang mit der Verwaltung stand die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Art. 107 WRV schrieb im „Reiche und in den Ländern“ nach Maßgabe der Gesetze „Verwaltungsgerichte zum Schutze der einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden“ vor. Einzelne Länder, an der Spitze Preußen mit dem im Jahre 1875 eingerichteten OVG, konnten Beachtliches vorweisen.[187] Dies setzte sich in der Weimarer Republik fort. Zu einem Reichsverwaltungsgericht, das immer wieder gefordert[188] und in den Bestimmungen der WRV zum StGH eigentlich vorausgesetzt wurde, sollte es jedoch erst unter anderen Vorzeichen 1941 kommen.[189] Von herausragender Bedeutung war die Gründung einer eigenständigen Arbeitsgerichtsbarkeit, zu deren Zuständigkeit auch die verwaltungsrechtliche Verbindlicherklärung von Tarifverträgen bei Zwangsschlichtung[190] gehörte. Die umstrittene Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts im Ruhreisenstreit 1929 bildete eine Zäsur für die Arbeitsverwaltung der Weimarer Republik.[191] Das Reichspatentamt bestand fort, verfassungsrechtlich wenig folgenreich flankiert durch die besondere Schutz- und Fürsorgepflicht des Reichs für „geistige Arbeit, das Recht der Urheber, der Erfinder und der Künstler“ (Art. 158 WRV). Pläne zu einer Reform des Patentrechts bestanden, konnten aber erst nach 1933 verwirklicht werden.[192]

II. „Kulturverwaltung“

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Schule

Kultur war sowohl nach RV als auch nach der WRV Ländersache. Die WRV hatte jedoch mit einer umfangreichen Regelung des Schulrechts Vorgaben gemacht, darunter Einführung von Schulpflicht, Elternrechten, Religionsunterricht und Privatschulen. Die Schulverwaltung blieb in Trägerschaft der Länder, Schulrecht Landesrecht.[193] Zu einem „Reichsvolksschulgesetz“, wurden bis 1927 mehrere Anläufe im Reichstag unternommen, die im Ergebnis alle scheiterten. Auf Reichsebene bestand die 1920 gebildete „Reichsschulkonferenz.“[194]

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Wissenschaft

Die wissenschaftlichen Reichsinstitute wurden in Zuständigkeit verschiedener Reichsministerien fortgeführt, darunter die Biologische Reichsanstalt Berlin-Dahlem und die Deutsche Seewarte Hamburg. Einige Forschungseinrichtungen wie das Reichsamt für Landesvermessung in Berlin waren stark anwendungsbezogen und nahmen Fachaufgaben für andere Behörden wahr; entgegen ihrem Namen war die Behörde nur für Norddeutschland und Sachsen zuständig, die süddeutschen Staaten behielten ihre eigene Landesvermessungsverwaltung.[195] 1930 kam das „Deutsche Arbeitsschutzmuseum“ in Berlin hinzu, trotz des Namens auch Behörde und Forschungseinrichtung.[196] Aus finanziellen Gründen war die Weimarer Republik kaum in der Lage, an die großzügige Wissenschaftspolitik der Vorkriegsjahre anzuknüpfen. Die einzigen beiden Neugründungen von Universitäten, Hamburg und Köln 1919, reichten unter Beteiligung privater Stifter weit in die Vorkriegsjahre zurück und erfolgten vor Inkrafttreten der WRV.[197] Zu den Aufgaben der Kulturverwaltung gehörte auch die 1920 durch das Lichtspielgesetz[198] eingeführte Vorzensur für Kinofilme;[199] sie wurde aus dem Reichshaushalt finanziert.[200]

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Reichswichtige Institute

Infolge der Inflation war das Reich gezwungen, sich stärker an Forschungseinrichtungen zu beteiligen, die „reichswichtige Institute von besonderer Bedeutung“[201] waren; darunter fielen die bis dahin allein vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels getragene Deutsche Bücherei in Leipzig, das Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr in Kiel, das Institut für Agrar- und Siedlungswesen in Berlin-Dahlem,[202] die Forschungsanstalt für technische Moorversuche in Hannover, die Forschungsinstitute für rationale Betriebsführung im Handwerk in Hannover und Karlsruhe und das Deutsche Hygienemuseum in Dresden. Gemeinsam mit den Ländern war das Reich zudem am Deutschen Museum in München, dem Römisch-Germanischen Museum in Mainz und dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg beteiligt. Zu den aus der Not geborenen neuen Formen der Wissenschaftsverwaltung gehörte die 1920 gegründete Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, formal ein eingetragener Verein; Pläne zur Umwandlung in ein „Reichskommissariat“ oder eine Ministerialabteilung hatten sich zerschlagen.[203] Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war bereits 1911 gegründet worden, stand auch in der Republik in engem Zusammenhang mit der preußischen Kultusverwaltung, doch wurde der Einfluss des Reichs in der Republik noch einmal intensiviert.[204] Preußen war Träger des Robert-Koch-Instituts als preußisches Landesinstitut zur Erforschung der Infektionskrankheiten und der Anstalt für Materialprüfung, beide in Berlin.

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Carl Heinrich Becker

Die Kulturverwaltung der Weimarer Republik wäre unvollständig, ohne ihren wichtigsten Repräsentanten zu erwähnen, den 1921 und von 1925 bis 1930 amtierenden preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker, der zuvor von 1916 bis 1919 Ministerialdirektor und Staatssekretär war.[205] Zwar besaß Preußen ohnehin die größte Kultusverwaltung, Becker, Professor für Orientalistik aus wohlhabender Kaufmannsfamilie, strahlte allerdings weit darüber hinaus. Bekannt waren die um ihn versammelten jungen Ministerialbeamten, die „Becker-Buben.“[206] Er reformierte die Lehrerbildung, indem Pädagogische Akademien gegründet wurden. Rechtlich neue Wege beschritt das Preußenkonkordat 1929; für den liberalen Etatisten Gerhard Anschütz war undenkbar, dass ein Staat Bereiche durch Vertrag regelt, auf denen er die Gesetzgebungskompetenz besitzt. „Was heute der Kirche zugestanden wird – die Regelung ihres Verhältnisses zum Staat durch Vertrag mit dem Staat – könnte eines Tages auch von sehr andersartigen innerstaatlichen Mächten, Personen- oder Kapitalvereinigungen, etwa von Gewerkschaften, Unternehmerverbänden, großen Konzernen und Trusts beansprucht werden.“[207] Becker arbeitete an einer Universitätsreform, damit „die Universitäten den Anschluss an die neue, durch Sozialismus und Massenproblem gekennzeichnete Zeit finden werden.“[208] Die über die Verwaltung umzusetzenden Konsequenzen waren Vereinheitlichung des Lehrkörpers, Einbeziehung der Studenten, Versuch einer „Systematisierung“ der Vorlesungen.[209] Auf dem Gebiet der Wissenschaftspolitik befürwortete Becker „einheitliche staatliche Führung.“[210]

III. Wirtschaftsverwaltung

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Gemeinwirtschaft

Das „Wirtschaftsrecht“ galt in der Weimarer Republik als methodische Herausforderung der Rechtswissenschaft.[211] Als besondere Disziplin hatte es sich durch die „Kriegswirtschaft“ im Ersten Weltkrieg herausgebildet;[212] hier vereinigten sich konservative und sozialistische Vorstellungen von „deutschem“ oder „preußischem Sozialismus“, Rätesystem, Gemeinwirtschaft und „Wirtschaftsdemokratie.“ Allen gemeinsam war der mehr oder weniger deutlich artikulierte Wille, die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Recht zu überwinden, meist wurde ein allmähliches Überwiegen öffentlicher Elemente angenommen;[213] Arbeits- und Sozialrecht schienen dies exemplarisch zu zeigen. In der Konsequenz hätte ein eigenes Verwaltungsrecht der Wirtschaft gelegen. Für eine grundlegende Umgestaltung der Wirtschaft fehlten der Weimarer Republik der politische Wille und auch die Möglichkeiten; der fünfte Abschnitt der WRV „Das Wirtschaftsleben“ blieb unbestimmte Erinnerung an den „Sozialismus“ der Revolutionsjahre.[214] Gleichwohl besaßen wirtschaftsrechtliche Themen große Präsenz im Schrifttum, und damit auch ein „Wirtschaftsverwaltungsrecht.“

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Ernst Rudolf Huber

Die von Ernst Rudolf Huber 1932 bei Heinrich Göppert am Industrierechtlichen Seminar der Universität Bonn vorgelegte Habilitationsschrift „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ kann als die Summe der wirtschaftsrechtlichen Vorstellungen der Weimarer Republik angesehen werden.[215] Huber zeigte in seiner Bestandsaufnahme gleichzeitig, wie heterogen in dogmatischer und tatsächlicher Hinsicht die gesamte Materie war. Seine Einteilung der „wirtschaftsrechtlichen Verbände“ war der Versuch einer Systematik, unterschied zwischen „Verwaltungsstellen“ wie Reichspost und Reichsmonopolverwaltung, „Anstalten des öffentlichen Rechts“ wie Kohlen- und Kalisyndikaten, Siedlungsunternehmen, den Siegelhallen der Hopfenwirtschaft,[216] Kammern und Innungen sowie den Sozialversicherungskörperschaften auf der einen Seite und „Verbänden des öffentlichen Rechts“, nämlich Kreditinstituten, Monopolgesellschaften, Zwangsverbänden, wirtschaftlichen Vereinen, Kolonialgesellschaften, Versicherungsvereinen, Berggewerkschaften, Handelsgesellschaften, Genossenschaften, Kartellen,[217] Berufsvereinen und Betriebsvertretungen auf der anderen Seite. Teilweise versuchte Huber mit Monopolen und Privilegien das Wirtschaftsrecht einzuhegen. Er stellte absolute Rechte des Wirtschaftsrechts, neben dem Eigentum auch die Bergrechte und die weit verstandenen „Urheberrechte“ dar, blieb bei dem dogmatisch fassbaren Wirtschaftsrecht jenseits des Tatsächlichen aber unbestimmt. Seine Konsequenz war Rechtsschutz; nachdem er unterschiedliche Zuständigkeiten der Verwaltungs- und ordentlichen Gerichte festgestellt hatte, forderte er de lege ferenda eine Erweiterung des Verwaltungsrechtsschutzes auf das Wirtschaftsrecht: „Läßt man entgegen der rechtsstaatlichen Doktrin die verwaltungsgerichtliche Anfechtung von Verwaltungseingriffen in subjektive Rechte des Bürgers nicht zu, so sucht sich das rechtsstaatliche Bewußtsein kraft einer List der Idee in der inzidenten Kontrolle der Verwaltung durch die ordentlichen Gerichte einen Ersatz. Je stärker die Gesetzgebung die rechtsstaatlichen Forderungen vernachlässigt, desto schärfer dringt in die Gerichte das justizstaatliche Streben durch. Nur die Verwirklichung des Rechtsstaats in der Ausbildung einer durchgängigen und umfassenden Verwaltungsgerichtsbarkeit kann das deutsche Gewaltenteilungssystem in seiner Gleichgewichtsstruktur erhalten. Jede Verleugnung des Rechtsstaats in der Verwaltungsgesetzgebung stärkt die Entwicklung eines apokryphen Justizstaates, indem sie die Gerichte drängt, die inzidente Kontrolle der Verwaltungsakte zu einer institutionellen Kontrolle der Verwaltung zu verdichten.“[218] Bezeichnend ist, dass Hubers „Ergebnisse und Forderungen“ in das vorletzte Jahr der Weimarer Republik fielen. Ein kodifiziertes Wirtschaftsverwaltungsrecht blieb eine unerfüllte, aber typische rechtspolitische Forderung der Weimarer Republik.

 

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Private staatliche Regelung

Zu dem Wirtschaftsverwaltungsrecht rechnete Ernst Rudolf Huber auch die Selbstverwaltung durch „Verkammerung“, eine für das deutsche Verwaltungsrecht typische Mischform zwischen öffentlich und privat in Form einer öffentlichen (untergesetzlichen) Normsetzung durch Private. Diese wurde in der Weimarer Republik ausgebaut.[219] Dazu zählte auch die Entlastung des Staates durch Technische Überwachungsvereine.[220]