Handbuch des Verwaltungsrechts

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2. Innere Verwaltung

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Allgemeine Verwaltung

Das Reichsinnenministerium stand in ungebrochener Kontinuität zum Reichsamt des Innern als „im Zweifel zuständiger höchster Reichsbehörde“; oberste Behörden waren im Norddeutschen Bund das Auswärtige Amt und das Bundeskanzleramt, das 1871 in Reichskanzleramt und 1879 durch Otto von Bismarck in „Reichsamt des Innern“ umbenannt wurde.[81] Wie unter der RV behielt es mit drei Abteilungen die allgemeine Zuständigkeit für innere Politik, soweit nicht Sonderbehörden zuständig waren. Polizeiliche Aufgaben nahm das Ministerium nicht wahr, obwohl Gesetzgebungskompetenz des Reichs bestand (Art. 9 WRV); ein geplantes „Reichskriminalpolizeiamt“[82] konnte nicht verwirklicht werden. Viele unterstellte Behörden wahrten Kontinuität zum Kaiserreich, darunter das Reichsgesundheitsamt, die Physikalisch-technische und die Chemisch-technische Reichsanstalt. Letztere war 1920 aus der Militärverwaltung gekommen, konnte aber nicht an die Bedeutung älterer Institute anknüpfen. Ferner gehörten zum Geschäftsbereich der Reichswahlleiter, die aus der Zentralerdbebenstation Straßburg hervorgegangene Reichsanstalt für Erdbebenforschung in Jena, die Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica, die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, das Deutsche Archiv für Jugendwohlfahrt und das Zentralnachweisamt für Flüchtlinge und Kriegsgräber.[83] Der private „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ war am 10. September 1919 gegründet worden und handelte auch im Auftrag der staatlichen Verwaltung, der Tätigkeit im Ausland nicht möglich war.[84] Eine neue Behörde war das 1919 in Potsdam gegründete Reichsarchiv; zuvor bestanden nur Archive der Länder. Seine Gründung, die an ältere Forderungen anknüpfte, stand in engem Zusammenhang mit den Folgen des Ersten Weltkriegs, insbesondere dem propagandistischen Kampf gegen deutsche „Kriegsschuld.“[85] Umstritten war die unter Innenminister Wilhelm Külz (DDP) eingerichtete „Prüfstelle für Schmutz- und Schundschriften“; Konsequenz aus dem gleichnamigen Gesetz von 1926.[86] Dem Ministerium angegliedert war der 1919 neu geschaffene „Reichskunstwart“ für die ästhetische Gestaltung oder „künstlerische Formgebung des Reichs“ und damit auch der Verwaltung. In der ganzen Dauer der Weimarer Republik war die Behörde geprägt durch den einzigen Amtsinhaber, den Kunsthistoriker Edwin Redslob.[87]

3. Finanzverwaltung

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„Erzbergersche Finanzreform“

Die größte Veränderung in der Verwaltung, im Grunde eine Widerlegung von Otto Mayers schneidigem Satz von 1924, erfolgte auf dem Gebiet der Finanzen. Sie war Werk des 1921 ermordeten Reichsfinanzministers Matthias Erzberger[88] und bereits vor dem eigentlichen Beginn der Weimarer Republik in Angriff genommen worden. Bis 1918 war das Deutsche Reich Kostgänger seiner Einzelstaaten gewesen;[89] Reichssteuern, wie die 1902 zur Finanzierung des Flottenbaus eingeführte Schaumweinsteuer, waren die Ausnahme und auch von den Länderbehörden verwaltet. Erzberger hatte eine Entwicklung beschleunigt, die sich bereits im Krieg abgezeichnet hatte. Zweimal waren zur Kriegsfinanzierung direkte Reichssteuern erhoben worden. Im Sommer 1918 hatte sich die Überzeugung von der Notwendigkeit eigener Steuereinnahmen des Reichs im Frieden durchgesetzt. Noch unter der RV war am 26. Juli 1918 der Reichsfinanzhof mit Sitz in München gebildet worden, um die Steuergesetzgebung zu vereinheitlichen.[90] Art. 8 WRV bestimmte eindeutig: „Das Reich hat ferner die Gesetzgebung über die Abgaben und sonstigen Einnahmen, soweit sie ganz oder teilweise für seine Zwecke in Anspruch genommen werden. Nimmt das Reich Abgaben oder sonstige Einnahmen in Anspruch, die bisher den Ländern zustanden, so hat es auf die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Länder Rücksicht zu nehmen.“ Das war die „Verreichlichung“ der Finanzverwaltung, möglicherweise folgenschwerer als der Wechsel von der Monarchie zur Republik.[91] Art. 83 Abs. 1 WRV bestimmte: „Die Zölle und Verbrauchssteuern werden durch Reichsbehörden verwaltet.“

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Reichsfinanzverwaltung

Das verfassungsändernde Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung vom 10. September 1919[92] bestimmte in § 1: „Die Reichssteuern werden von den Reichsbehörden verwaltet (Finanzbehörden). Als Reichssteuern gelten alle Abgaben, die ganz oder zum Teil zugunsten des Reichs erhoben werden. Die oberste Leitung steht dem Reichsfinanzministerium zu. Unter ihm stehen Landesfinanzämter als Oberbehörden und unter diesen Finanzämter mit ihren Hilfsstellen.“ Eine neue Behördenstruktur unter einem neuen Dienstherrn musste aus den Landesfinanzverwaltungen aufgebaut werden.[93] Das gesamte Reichsgebiet war in Landesfinanzamtsbezirke eigeteilt, die Finanzämter als Reichsunterbehörden trugen in ihrem jeweiligen Sprengel zum Teil der kleinstaatlichen Struktur noch Rechnung. Zu der Finanzverwaltung gehörte auch eine Zollverwaltung mit Zollämtern als Unter- und Hauptzollämtern als Mittelbehörde (Art. 83, 84 WRV). Damit endete neben der württembergischen auch die angesichts zahlreicher Zollämter an der Reichsgrenze wichtige bayerische Zollverwaltung, die noch 1912 ein repräsentatives Hauptzollamt in München errichtet hatte.[94]

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Reichsabgabenordnung

Gesetzgeberische Sanktion der „Verreichlichung“ der Finanzverwaltung war die Reichsabgabenordnung 1919; der oldenburgische Finanzbeamte Enno Becker hatte die Kodifizierung fast im Alleingang geleistet.[95] 1926 wurde ein Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Reich und Ländern beschlossen.[96] Besondere Bedeutung gewann der Ministerialdirektor und ab 1925 Staatssekretär im preußischen Finanzministerium Johannes Popitz,[97] der als Schöpfer des Reichsumsatzsteuergesetzes 1918 galt und maßgeblich die Disziplin wissenschaftlich bearbeitete.[98] Zu dem im Grunde erst in der Republik gebildeten sehr großen Ministerium gehörten insgesamt neun Abteilungen, neben Finanzen auch mit Zuständigkeit für Liegenschaften und Forsten des Reichs sowie die Reichsbauverwaltung.[99] In den Geschäftsbereich fielen der Reichsfinanzhof, die Landesfinanzämter als Mittel- und Finanzämter als Unterbehörden, mehrere Behörden für Kriegsfolgen und die 1922 eingerichtete „Reichsmonopolverwaltung für Branntwein.“ Das aus fiskalischen Gründen 1930 eingeführte Zündwarenmonopol wurde durch eine wirtschaftliche Gesellschaft in Reichseigentum geführt.

4. Wehrverwaltung

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Reichsheer und Reichswehr

Neu gegenüber der RV war die vollständig reichseigene Militärverwaltung (Heeres- und Flottenangelegenheiten, Art. 79, 96 WRV). Erstmals bestand ein unmittelbares Reichsheer in Reichseigenverwaltung.[100] Bis 1919 gab es vier Kriegsministerien in Berlin, Stuttgart, München und Dresden.[101] Die RV kannte als reichseigene Streitkräfte nur Marine und Schutztruppen in den Kolonien. Allerdings hatten die meisten Staaten ihre Armeen, die sich bei Kleinstaaten auf repräsentative Schlosswachen beschränkten,[102] auch formal in die preußische Armee integriert. Die drei nichtpreußischen Armeen Sachsens, Württembergs und Bayerns waren auf dem Weg dorthin, positiven Niederschlag hatte dies etwa in zwischenstaatlichen Abkommen wie der „Bebenhäuser Abkunft“ von 1892 gefunden, die für wechselseitige Abkommandierungen die württembergische Armee in Uniformierung und Ausbildung der preußischen anglich.[103] Paul Laband sah bereits ein faktisches Reichsheer unter preußischen Vorzeichen.[104] Praktische Schwierigkeiten lagen weniger im föderalen Aufbau des kaiserlichen „Reichsheeres“, sondern im Fehlen einheitlicher Kommandoabteilungen und in parallelen, zum Teil sogar gegenläufigen Kommandostrukturen wie Generalstab und Militärkabinett, die sich insbesondere im Ersten Weltkrieg als verhängnisvoll erwiesen. Große Erwartungen wurden in den keinesfalls unumstrittenen[105] militärischen Oberbefehl des Reichspräsidenten gesetzt (Art. 47 WRV), der als Primat der Zivilverwaltung über die Armee verstanden wurde. Tatsächlich perpetuierten sich die Probleme der RV im Falle des sich nie als Zivilist verstehenden Reichspräsidenten Paul von Hindenburg sogar. Obwohl die Reichswehr ausschließlich Reichsorgan war, wurde auf den Freistaat Bayern rechtlich und tatsächlich besondere Rücksicht genommen, dessen rechtsrheinisches Gebiet mit dem der 7. Division der Reichswehr mit Sitz in München identisch war; die linksrheinische Rheinpfalz lag auf demilitarisiertem Gebiet. Zum Konflikt war es 1923 gekommen, als der bayerische Landeskommandant Otto von Lossow die 7. Division ausschließlich auf Bayern verpflichtete, um zu verhindern, dass dem Freistaat „von der unter marxistischen Einfluss stehenden Berliner Regierung Diktate aufgezwungen werden.“[106] Der Konflikt konnte durch Mitwirkung der bayerischen Staatsregierung bei Abberufung des Landeskommandanten und Einsatz der 7. Division außerhalb Bayerns sowie einen modifizierten Fahneneid (Treue zur Verfassung „meines Heimatstaats“) beigelegt werden. Für die Wehrverwaltung waren die Vorgaben durch Verfassung und Völkerrecht erheblich. Der Versailler Vertrag hatte einen Generalstab untersagt und die Höchstgrenze der Wehrmacht auf 115.000 Mann (100.000 Heer, 15.000 Marine) festgesetzt, was eine Verkleinerung der Verwaltung bedeutete; das Verbot einer Luftwaffe hatte darauf keine Auswirkungen, da diese noch keine eigene Teilstreitkraft war. Es bestanden Heeres- und Marineleitung. Das Heer besaß sechs Zentralämter, zwei Gruppenkommandos in Berlin und Kassel und sieben Wehrkreise, die einer Division entsprachen; der Wehrkreis München entsprach der bayerischen Division. Der Marineleitung waren Zentralbehörden in Berlin unterstellt, darunter Marinekommandoamt und Allgemeines Marineamt.

 

5. Arbeits- und Sozialverwaltung

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Reichsarbeitsamt

1919 wurde ein „Reichsarbeitsamt“ aus dem erst 1917 gebildeten Reichwirtschaftsamt ausgegliedert.[107] Seine Errichtung war der Abschluss einer Entwicklung zur „leistenden“ Verwaltung, die in den Vorkriegsjahren begann, durch den Krieg und seine Folgen erheblich beschleunigt wurde.[108] Zu dem mit zwölf Abteilungen sehr großen Ministerium gehörte auch der seit 1923 nicht mehr zusammentretende „Ausschuss für ein einheitliches Arbeitsrecht.[109]

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Sozialversicherung

In den Zuständigkeitsbereich des Ministeriums fiel das Reichsversicherungsamt; die Landesversicherungsanstalten waren seiner Aufsicht unterstellt, blieben aber Landesbehörden. Ferner waren die Reichsversicherung für Angestellte, die 1927 gegründete Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung mit 13 Landesarbeitsämtern, das Reichsarbeitsgericht beim Reichsgericht sowie das Reichsversorgungsgericht beim Reichsversicherungsamt dem Ministerium nachgeordnet. Für den Bergbau war 1923 die Reichsknappschaft mit bedeutendem Gebäude von 1930 in Berlin entstanden.[110] Die Reichsversicherung für Angestellte blieb öffentliche Anstalt. Als Zeichen ihres Bedeutungsgewinns, der mit dem der soziologischen Gruppe „Angestellte“ einherging,[111] erhielt sie 1923 den bis heute genutzten Neubau in Berlin-Wilmersdorf.[112] Die öffentliche Anstalt beschäftigte die Dogmatik des Verwaltungsrechts besonders.[113] Konnte die Arbeiterversicherung auf bewährte Arbeit von Jahrzehnten im Kaiserreich zurückblicken[114] und war die Angestelltenversicherung immerhin 1911 gegründet worden,[115] war die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, das wichtigste sozialpolitische Vorhaben der Weimarer Republik, ohne Vorgänger.[116] Damit verbunden waren der Aufbau eines beeindruckenden Verwaltungsapparates[117] unter dem ersten Präsidenten Friedrich Syrup[118] und wichtige Neubauten wie das Arbeitsamt in Oberhausen von 1928.[119] Die große Leistung der Republik wurde davon überschattet, dass die Reichsregierung unter Hermann Müller 1930 auch am Streit über die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zerbrach[120] und die Kapitaldecke der jungen Versicherung zu gering war, um die Folgen der Weltwirtschaftskrise wirksam aufzufangen.

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Versorgung als Reichsaufgabe

Herausgefordert war die junge Republik durch die zwar nicht neue, bis zum Ersten Weltkrieg infolge langer Friedensjahre aber randständige Versorgung von „Militärpersonen“. Nun betrafen militärische Versorgungsfälle unterschiedlichen Ausmaßes unzählige deutsche Familien, die nicht immer mit der Militärbürokratie vertraut waren. Die nach Mannschaften, Unteroffizieren und Offizieren unterscheidende „ständische“ Versorgung wurde als nicht mehr zeitgemäß bei breitem Konsens abgeschafft. Durch Zusammenschluss mit der zivilen Invalidenversorgung waren dem Reichsversicherungsamt unterstellte Hauptversorgungsämter als Mittel- und Versorgungsämter als Unterbehörden, letztere formal Landesbehörden, entstanden; 1923 wurden die Versorgungsämter aus Kostengründen reichsweit „dekonzentriert“.[121] Zur Schlichtung von Tarifstreitigkeiten, ein Schwerpunkt des Arbeitsrechts der Weimarer Republik, bestand ein Nebeneinander von Reichs- und Landesbehörden;[122] genuines Verwaltungsrecht war die häufige „Zwangsschlichtung“ durch Verbindlicherklärung eines Tarifvertrags.[123] Insgesamt war die Sozialverwaltung ein Bereich der Verwaltung, in dem sich das „Zukunftsrecht“ einer unitarischen und sozialen Republik besonders deutlich abzeichnete.[124]

6. Verkehr und Post

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Deutsche Reichsbahn

Das Reichsverkehrsministerium gliederte sich in drei Abteilungen und war ohne unmittelbaren Vorläufer. In seine Zuständigkeiten fiel die Eisenbahn, die es in der Reichsverwaltung zuvor nur in Elsass-Lothringen und für Militäreisenbahnen gegeben hatte. Die Staatsbahn wurde mit der Deutschen Reichsbahn durch das Reichsbahngesetz vom 30. August 1924[125] gegründet. Im europäischen Maßstab war das nach der Schweiz (1902), Dänemark (1885) sowie Österreich (1923) und vor Belgien (1926), den Niederlanden und Frankreich (beide 1938). Diese „Verreichlichung“ war kompliziert, auch weil die Eisenbahnen, die vor dem Krieg erhebliche Überschüsse erzielten, mit Reparationsforderungen aus dem „Dawesplan“ konfrontiert wurden, bis 1932 1 Mrd. RM jährlich.[126] Die Reichsregierung hatte bis zum 1. April 1921 (Art. 171 WRV) keinen unmittelbaren Einfluss auf die Staatsbahnen der Länder. Zunächst wurden am 1. April 1920 die Staatsbahnen der Länder Preußen, Bayern, Württemberg, Baden, Sachsen, Hessen, Mecklenburg und Oldenburg durch Staatsvertrag in Reichseigentum als „Reichseisenbahnen“ überführt.[127] Im Februar 1924 war die „Deutsche Reichsbahn“ aufgrund der Reparationsforderungen und drohender Verpfändung zum wirtschaftlich selbstständigen Reichsunternehmen umgebildet worden, am 30. August 1924 übernahm die „Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft“ Betrieb und Verwaltung.[128] Die Eisenbahnanlagen verblieben in unmittelbarem Reichseigentum. Die Verwaltung, mit Hauptsitz in Berlin und unter Aufsicht des Reichsverkehrsministers, war unabhängig von der übrigen Reichsverwaltung. Generaldirektor war ab 1926 Julius Dorpmüller, es bestanden als Mittelbehörden 30 Reichsbahndirektionen (ab 1931: 28, da die Reichsbahndirektionen Magdeburg und Würzburg aufgelöst wurden), von denen den sechs bayerischen eine Sonderrolle zukam; sie waren nicht unmittelbar der Reichsbahn-Hauptverwaltung in Berlin unterstellt, sondern nur mittelbar über die Reichsbahn-Gruppenverwaltung in München.[129]

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Reichspost

Ausnahmslos Reichssache wurde die Post-, Telegraphen- und Fernsprechverwaltung (Art. 6 Nr. 7, 88 WRV); zwar hatte die Reichspost unter Generalpostdirektor Heinrich von Stephan[130] bereits im Kaiserreich bestanden und für die „Innere Reichsgründung“ eine besondere Bedeutung,[131] doch gelang erst der Republik eine vollständig reichseigene Verwaltung durch Aufhebung der Postreservate für Württemberg und Bayern. Durch Reichspostfinanzgesetz vom 18. März 1924[132] wurde die Reichspost zum „selbstständigen Unternehmen“ unter Verwaltung des Reichspostministers und eines Verwaltungsrates. Der Behördenaufbau blieb mit Oberpostdirektionen als Mittel- und Postamt, Telegraphenamt und Postscheckamt als Unterbehörde dreistufig. Oberpostdirektionen in Danzig, Bromberg, Posen, Metz und Straßburg waren fortgefallen. Das Reichspostministerium war mit sechs Abteilungen bei drei Staatssekretären sehr groß. Die sechste Abteilung hatte ihren Sitz in München und besondere Zuständigkeit für innere („bayerische“) Angelegenheiten der Oberpostdirektionen München, Landshut, Nürnberg, Bamberg, Würzburg, Regensburg, Augsburg und Speyer. Dennoch war auch Bayern vollständig zur Reichspost gekommen; bis heute sichtbaren Ausdruck fand die „Verreichlichung“ in der funktionalen „süddeutschen Postarchitektur“ des „Neuen Bauens“ (Postamt Goetheplatz München 1931/32, Franz Holzhammer und Walther Schmidt; Postamt Am Harras München 1931/32, Robert Vorhoelzer), die sich vom „Heimatstil“ der bayerischen Staatsbauverwaltung abgrenzte.[133] Die Oberpostdirektion Stuttgart besaß als Nachfolgerin der württembergischen Generaldirektion der Posten und Telegraphen besondere Zuständigkeit für innere Angelegenheiten des württembergischen Verkehrsgebiets (Verkehrsverbindungen, allgemeine Verwaltung, Personal).[134] Insgesamt bestanden 45 Oberpostdirektionen, deren Verringerung nicht erst in der Weltwirtschaftskrise angemahnt wurde.[135] Daneben fielen in den Geschäftsbereich die für amtliche Veröffentlichungen des Reichs (auch: Banknoten) zuständige Reichsdruckerei in Berlin, das Telegraphentechnische Zentralamt, die Versorgungsanstalt der Deutschen Reichspost, mehrere Fernsprechämter sowie die Reichsfunkstelle Norddeich. Auch der seit 1923 arbeitende Rundfunk fiel über die 1925 gegründete Reichs-Rundfunk-Gesellschaft in die Zuständigkeit des Reichspostministeriums; eine wichtige Rolle spielte dabei der Staatssekretär Hans Bredow.[136]

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Wasserstraßenämter

Die Wasserstraßenverwaltung wurde durch Staatsvertrag vom 29. Juli 1921 auf das Reich übertragen.[137] Eine Reichseigenverwaltung fand nur in Ausnahmen statt, nämlich auf dem Nord-Ostsee-Kanal mit dem Reichskanalamt Kiel, den Wasserstraßenämtern Holtenau und Brunsbüttelkoog sowie dem Wasserstraßen-Maschinenamt Rendsburg-Saatsee, und auf dem Neckarkanal mit dem Kanalamt Stuttgart in Nachfolge der reichseigenen Neckarkanaldirektion. Der Nord-Ostsee-Kanal war durch den Versailler Vertrag internationalisiert, was Vorgaben für die deutsche Kanalverwaltung (keine Bevorzugung deutscher Schiffe, Abgaben nur zur Kostendeckung) bedeutete.[138] Andere Wasserstraßenämter blieben Landesbehörden in Auftragsverwaltung. Für alle Konflikte aus der Unitarisierung der Verkehrswege war der StGH zuständig.

D. Länderverwaltung

I. Länderverfassungen und Verwaltung

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Verluste

Gänzlich fortgefallen war die Verwaltung des Reichslandes Elsass-Lothringen, trotz 1911 gestärkter Selbstverwaltung ein Protektorat aller Bundesstaaten. Folge für die Verwaltung der Weimarer Republik war, dass 1919 den Reichsbehörden „zur Pflicht“ gemacht wurde, „bei der Besetzung erledigter Stellen […] die vertriebenen elsaß-lothringischen Beamten vorzugsweise zu berücksichtigen.“[139] Entsprechendes galt für Beamte aus den preußischen Provinzen Westpreußen und Posen.[140] Flüchtlinge und „Grenzlandvertriebene“ aus Elsass-Lothringen (150.000) und den abgetretenen Provinzen Preußens (850.000) stellten die Verwaltung vor erhebliche Herausforderungen.[141] Danzig, Hauptstadt der Provinz Westpreußen, war ab 1920 „Freie Stadt“ unter Schutz des Völkerbundes. Vom Reich wurde Danzig möglichst wie Inland behandelt, auch bei wechselseitiger Abordnung von Beamten.[142] Der Danziger Oberbürgermeister Heinrich Sahm stammte aus der preußischen Verwaltung (1912–1918 Zweiter Bürgermeister Bochum), war seit 1920 in Danzig „Präsident des Senats“ und wurde 1931 zum Oberbürgermeister der Reichshauptstadt Berlin gewählt.[143] Eine nachhaltige Neuerung waren – wenige – Beamtinnen in Führungspositionen wie die 1919 zum „Vortragenden Rat“ im preußischen Wohlfahrtsministerium ernannte Helene Weber.

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Freistaatliche Verwaltung

Für die Länderverwaltungen bedeutete das Ende der Monarchie den endgültigen Fortfall der auch in kleinen Haupt- und Residenzstädten bestehenden „Hofbehörden“ mit „Hofbeamten.“[144] Die neuen „freistaatlichen Verfassungen“[145] knüpften an die bewährte Verwaltung an; zu einem großen Umbau war es bereits aufgrund eines Zwanges zum Pragmatismus und auch der kurzen Zeit nicht gekommen. Einige Reste der Verwaltung der Monarchie wurden nur zögerlich beseitigt. Sachsen schaffte allerdings Sonderrechte der „Landstände der Oberlausitz“ ab, ein Mitwirkungsrecht bei Beamten- und Pfarrstellen in der Kreishauptmannschaft Bautzen; hiergegen formierte sich Widerstand, auch mit einem Gutachten des Leipziger Staatsrechtlers Erwin Jacobi.[146] Dabei wurde erstmals die „Verfassungsdurchbrechung“ beschrieben. In der preußischen Provinz Hannover wurden die Landschaften belassen.[147] Auch an der Klosterkammer Hannover, als seit der Reformation geistliches Vermögen verwaltende Sonderbehörde, sollte sich in der Republik wenig ändern.[148]

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Diktatur

Wiederholt hatte die Reichsregierung aufgrund Art. 48 WRV in die Verwaltung einzelner Länder eingegriffen (Gotha, Sachsen, Thüringen, Preußen);[149] die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen waren verschieden.[150] Dabei legte sie den Rahmen für Eingriffe großzügig aus. Im Rahmen der den Ländern „nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten“ sollte auch kleinteiliges, besonderes Verwaltungsrecht geregelt werden. 1923 wurde in Thüringen die „Schulfreiheit am Bußtag verfügt“,[151] 1932 in Preußen die Badekleidung an öffentlichen Badestellen durch „Badepolizeiverordnung“ geregelt.[152]