Handbuch des Verwaltungsrechts

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E. Max Weber und die deutsche Verwaltung im langen 19. Jahrhundert

85

Rationale, berechenbare Vielfalt

Schon in den wenigen Perspektiven dieses Beitrags zeigt sich die große Vielfalt und situative Unterschiedlichkeit der Führung und des Arbeitens der deutschen Verwaltungen auf allen Ebenen. Max Weber kam durch sein umfassendes erkenntnisleitendes Interesse an sozial bedingten Ausprägungen der Einstellung der Menschen zum Leben, insbesondere an deren „rationalen“ Formen, immer wieder auch darauf, Ungleichheitsbeziehungen in Herrschaftsverhältnissen zu thematisieren. Er verband die Typen der patrimonialen, bürokratischen und charismatischen Herrschaft stets mit ihren regelhaften Ausprägungen in konkreten Realitäten, und dafür stand besonders die Verwaltung in seiner Zeit. „Die rein bureaukratische, also: die bureaukratisch-monokratische aktenmäßige Verwaltung ist nach allen Erfahrungen die an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verläßlichkeit, also: Berechenbarkeit für den Herrn wie für die Interessenten, Intensität und Extensität der Leistung, formal universeller Anwendbarkeit auf alle Aufgaben, rein technisch zum Höchstmaß der Leistung vervollkommenbare, in all diesen Bedeutungen: formal rationalste, Form der Herrschaftsausübung.“[100] Damit bezog Weber die höchste Rationalität der Institution Verwaltung immer noch auf einen vormodernen, ja patrimonialen „Herrn“. Er vertrat eine abstrahierte Sicht auf einen Idealtypus, dessen Realitäten schon sehr viel unterschiedlicher waren. Zwar sind Verlässlichkeit und Berechenbarkeit unerlässlich auch als Pfeiler einer Rechtsordnung, doch zeigte sich in der Rechtsanwendung des 19. Jahrhunderts ein buntes Bild von Zielen, Verfahrensweisen, Aushandlungen und Wirkungen, in dem es stets auch Freiräume individuellen Handelns auf allen Ebenen gab.

86

„Hörigkeit der Zukunft“

In der Zuspitzung der deutschen Politik im Drei-Kanzler-Sommer 1917 engagierte sich Max Weber tagespolitisch in der Frankfurter Zeitung mit sehr kritischen Aufsätzen. Für ihn fehlte in Deutschland eine politische Führung, die wertegeleitet Entscheidungen für die Zukunft treffen konnte. Dabei zeichnete er ein sehr viel düstereres Zukunftsbild bürokratischer Herrschaft als in der klassischen Variante seiner Gedanken. „Eine leblose Maschine [in Fabrik und Arbeitsleben] ist geronnener Geist. […] Geronnener Geist ist auch jene lebende Maschine, welche die bürokratische Organisation mit ihrer Spezialisierung der geschulten Facharbeit, ihrer Abgrenzung der Kompetenzen, ihren Reglements und hierarchisch abgestuften Gehorsamsverhältnissen darstellt. Im Verein mit der toten Maschine ist sie an der Arbeit, das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen, in welche vielleicht dereinst die Menschen sich, wie die Fellachen im altägyptischen Staat, ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden, wenn ihnen eine rein technisch gute und das heißt: eine rationale Beamten-Verwaltung und -Versorgung der letzte und einzige Wert ist, der über die Art der Leitung ihrer Angelegenheiten entscheiden soll.“[101] Verweist dieses Schreckbild „technisch guter, rationaler Beamtenversorgung“ auf Ernst Forsthoffs Volksgenossen (nicht etwa: alle Menschen) oder überhaupt auf eine Welt voller Daseinsvorsorge, in der die bloße Teilhabe an Leistungen, die das nackte Überleben sichern, zum neu zu organisierenden Ziel von Allem wird?

F. Bibliografie

Thomas Ellwein, Der Staat als Zufall und als Notwendigkeit. Die jüngere Verwaltungsentwicklung in Deutschland am Beispiel Ostwestfalen-Lippe, Bd. 1: Die öffentliche Verwaltung in der Monarchie 1815–1918, 1993.

Hans Fenske, Bürokratie in Deutschland. Vom späten Kaiserreich bis zur Gegenwart, 1985.

Edith Hanke/Wolfgang Justin Mommsen (Hg.), Max Webers Herrschaftssoziologie. Studien zu Entstehung und Wirkung, 2001.

Hans Hattenhauer, Geschichte des deutschen Beamtentums, 21993.

Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, 21969.

Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789–1830, 21975; Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830–1850, 21975; Bd. 3: Bismarck und das Reich, 21978; Bd. 4: Struktur und Krisen des Kaiserreichs, 21982.

ders. (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, 31978; Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851–1900, 31986; Bd. 3: Deutsche Verfassungsdokumente 1900–1918, 31991.

Kurt Gustav Adolf Jeserich/Helmut Neuhaus (Hg.), Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648–1945, 1991.

Kurt Gustav Adolf Jeserich/Hans Pohl/Georg-Christoph von Unruh (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes, 1983; Bd. 3: Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie, 1984.

Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791–1848, 21975.

Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, 1990.

ders., Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, 1990; Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie, 1992.

Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, 1999.

Tibor Süle, Preußische Bürokratietradition. Zur Entwicklung von Verwaltung und Beamtenschaft in Deutschland 1871–1918, 1988.

Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815, 1987; Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815–1845/49, 1987; Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, 1995; Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949, 2003.

Bernd Wunder, Geschichte der Bürokratie in Deutschland seit 1780, 1986.

G. Abstract


1. Hobsbawm’s metaphor of a “long 19th century” fits the central issue of this study quite well. From the French Revolution and the Napoleonic Era to the total breakdown of 1918, monarchy alone and not the Crown-in-Parliament was the political decisive factor. Within that order, governments and administrations reacted to structural change in disparate ways and showed different approaches to similar problems (par. 1).
2. Until the Vienna Congress of 1815 and its new order for Europe and Germany, German territories were more or less integrated into Napoleon’s French Empire. Up to nine de-concentrated départements in the West and North were entirely oriented towards Paris. French satellite states like the new Kingdom of Westphalia looked towards France as well. The other states seemed sovereign, but most of them were bound by Napoleon’s Federation of the Rhine. Its foundation in 1806 coincided with the inglorious end of the Holy Roman Empire, which was pressured to dissolve and redistribute territories in its Reichsdeputationshauptschluss of 1803. Only Prussia remained in 1806 and, defeated by France, lost half of its territory. Yet this was a period of massive reforms in Germany, whether following the Parisian model or independently conceived. Bavaria was the first state to admit its high officials to irrevocable office (Berufsbeamtentum), thus aiming to provide a counterpart against ministers. Both Bavaria and Prussia organised their governments into the five classic sectoral ministries (Fachministerien). Whereas Bavaria centralised its whole administration and included the local level, Prussia favoured an independent local government structure for its cities (Selbstverwaltung) (par. 3 et seqq.).
3. Premodern city republics survived even after 1815 in the three Hanseatic cities and the Free City of Frankfurt. In their senates, it was once again the life-time members who made decisions, while a small group of wealthy burghers held some participation rights in their quasi-parliaments, and ordinary people were marginalised. In general, legitimate power was believed to reside solely in the ancestral monarch, and the new system of 1815 restored some but not all pre-revolutionary states. The German Confederation expected constitutions to be ‚landständisch’, based on traditional orders such as lords and noblemen, the church, and cities rather than on modern representation. In 1820, it also defined a conservative ‚principle of monarchy’ (monarchisches Prinzip). This posed a central problem: the political chain of authorities led to the sovereign as head of government, and the separate military one to him as supreme commander, but there was no institutional coordination between these powers except in the person of the monarch. His cabinets of civil and military advisors worked strictly separately until 1918. Another central issue was the monarch’s right to discharge higher administrators at will. Prussian kings had never abandoned this idea, and in the counter-revolution, it became a written law in 1849/52. Men in higher posts were in any moment at the king’s discretion, because they were supposed to act, in the king’s interest, as an opposition to Parliament and free press – very different from the counterpart to ministers argument in Bavaria in 1805. This status of politischer Beamter is a fixed and far-reaching instrument of personnel policy to the present day. Only Bavaria has retained its original position of 1805 that neither king nor government may remove a state official unless an independent judge has ruled accordingly (par. 21 et seqq.).
4. A discussion about the functions of state arose both in scholarship and in certain fields of administrative action, such as policing or organising revenues. Future high officials were socialised in their professions by means of intensive academic and practical training. Administrative organisation varied between collegial bodies and bureaucratic hierarchies. In day-to-day practices, oral communication was reduced, as its written equivalent became more essential for keeping records. Their function was to document the entire decision-making process in early institutional memory. Regarding the scopes of action, there seemed to be no clear dividing line between the governing and executive power. Instead, lower-level administrators performed a piecemeal process of implementation, sometimes giving constant feedback to their superiors (par. 45 et seqq.).
5. The three wars between 1864 and 1871 had a dramatic influence on the new national superstructure. In 1866/67, Prussia enlarged its territory and population, integrating the defeated states. There was a phase of dictatorship without participation of the Prussian parliament. Some harsh measures were adopted, removing especially the higher officials and replacing them with Prussian ones. The status of politische Beamte was introduced in a widely extended scale. Integration also brought about basic reforms in local government, especially with a real Selbstverwaltung on the provincial level with generous state endowments, a reform model for all of Prussia in 1875. The Empire had a federal structure, but Prussia’s dominance was overwhelming. And the now German, formerly French Alsace-Lorraine was treated as an inferior and dependent state, and the people were generally regarded as unreliable. The influence of the army was decisive here, and the region remained a problem area. Generally, a new type of administration arose involving essential services to society and economy (Daseinsvorsorge), such as mail, railways, and telephone. They were public enterprises, and their employees were lower public servants, with a strictly blocked union movement. German social security was the first such system worldwide. Using a mix of existing public administrations, it showed that the state (and its political leaders) took social risks seriously. Mayors in metropolitan cities and their administration were outstanding centres of innovation. They founded a university, invented effective town-planning, and cared for networks supplying gas, water, and electricity. The big challenge to the whole system came with the Great War in 1914. The state of war transferred all powers to army commanders, and their action was rather incoherent due to a lack of coordination. In a strange act of self-disempowerment, the German parliament transferred all social and economic legislative and regulatory powers to the executive branch. The old tensions between the executive branch and the military increased, and at the end of 1918, it seemed inevitable that cities and production would go dark at nightfall, as the navy persistently claimed all stocks of lamp-oil for its submarine warfare, but then the unexpected call for an armistice complicated further decision-making (par. 63 et seqq.).
6. Max Weber’s writings are considered foundational to the understanding of bureaucracies as extremely rational organisations, but a reconstruction of different versions of his work also shows a very pessimistic view, which evokes a future dependency on inanimate mechanisms and administrative structures of obedience (par. 85 et seq.).

Martin Otto

 

§ 3 Verwaltung in der Weimarer Republik

A. „Verfassungsrecht vergeht – Verwaltungsrecht besteht“1, 2

B. Verwaltung und Reichsverfassung3 – 6

C. Reichsverwaltung7 – 22

I. Oberste Reichsorgane7 – 10

II. Einzelne Reichseigenverwaltungen11 – 22

1. Auswärtige Verwaltung11

2. Innere Verwaltung12

3. Finanzverwaltung13 – 15

4. Wehrverwaltung16

5. Arbeits- und Sozialverwaltung17 – 19

6. Verkehr und Post20 – 22

D. Länderverwaltung23 – 36

I. Länderverfassungen und Verwaltung23 – 25

II. Länder und Reichsreform26 – 32

III. Einzelne Landeseigenverwaltungen33 – 36

1. Innenverwaltung33, 34

2. Finanz- und Wirtschaftsverwaltung35

3. Arbeits- und Sozialverwaltung36

E. „Querschnittverwaltungen“37 – 45

I. Justiz37, 38

II. „Kulturverwaltung“39 – 42

III. Wirtschaftsverwaltung43 – 45

F. Kommunalverwaltung46 – 60

I. Reichsverfassung und kommunale Selbstverwaltung46 – 48

II. Kommunale Neugliederung49, 50

III. Einzelne Länderverwaltungen51 – 60

1. Preußen51 – 56

2. Bayern57

3. Weitere Mittel- und Kleinstaaten58, 59

4. Stadtstaaten60

G. Kirchliche Verwaltung61, 62

H. Über- und zwischenstaatliche Verwaltung63 – 65

I. Dogmatik und Wissenschaft66 – 68

J. Verwaltung zwischen Revolution und Rezession69 – 72

K. Bibliografie

L. Abstract

A. „Verfassungsrecht vergeht – Verwaltungsrecht besteht“

1

Verwaltung und Verfassung

„Verfassungsrecht vergeht – Verwaltungsrecht besteht“ ist eines der bekanntesten juristischen Zitate.[1] Es stammt aus der Weimarer Republik, aus dem Vorwort der 1924 erschienenen dritten Auflage des „Lehrbuchs des Verwaltungsrechts“ von Otto Mayer.[2] Die Aussage ist klar und unmissverständlich. Der Wandel der Staatsform, von der Monarchie zur Republik, hat auf die öffentliche Verwaltung keinen Einfluss und darf auf sie auch keinen solchen haben. Mayer war mit gutem Beispiel vorangegangen. Der führende Verwaltungsrechtler des Zweiten Deutschen Kaiserreichs war Vernunftrepublikaner geworden und damit in seiner Disziplin kein Einzelfall.[3] Dies entsprach dem methodischen Verständnis einer Wissenschaft, die sich als positivistisch, aber auch als „unpolitisch“ verstand und korrespondierte mit dem Selbstverständnis der Träger der Verwaltung, der Beamten. Das galt im Konstitutionalismus, war aber auch für die Republik ausdrücklich sanktioniert worden. Art. 130 Abs. 1 WRV bestätigte das Ideal des unpolitischen Beamten und damit der unpolitischen Verwaltung:[4] „Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei.“ Das war nicht die gelungenste Formulierung der Reichsverfassung, eine überflüssige Volte gegen politische Parteien, die nur in diesem negativen Zusammenhang im Verfassungstext erwähnt wurden,[5] obwohl der Gesetzgeber bereits im Kaiserreich zunehmend von ihnen Kenntnis genommen hatte, worauf Heinrich Triepel 1927 in seiner oft auf Parteienkritik reduzierten Berliner Rektoratsrede hinwies.[6]

 

2

Vorbild Frankreich

Die von Otto Mayer festgestellte Kontinuität in der Verwaltung korrespondierte mit der staatsrechtlichen Debatte, ob das 1871 von Otto von Bismarck gegründete Reich und die „Weimarer Republik“ den gleichen Staat bezeichneten.[7] Auch wenn im Kontext des Jahres 1924, die Republik hatte sich wider Erwarten konsolidiert, bei Mayer das Bekenntnis zu Kontinuität seines Faches und Stolz auf sein Lehrbuch im Vordergrund standen, war seine Aussage erheblich älter.[8] Seit seiner Zeit an der Universität Straßburg mit französischem Verwaltungsrecht und dessen Schrifttum vertraut,[9] hatte Mayer es 1886 vom „französischen Standpunkt aus“ als „ganz natürliche[n] Gegensatz“ bezeichnet, dass „Verfassungsrecht wechselt“, aber Verwaltungsrecht besteht und sich dabei auf den französischen Verwaltungsrechtler Théophile Ducrocq bezogen.[10] Sieben Jahre nach dem Verfassungswechsel vom Zweiten Kaiserreich zur Dritten Republik, zu einem ähnlichen Zeitpunkt wie Mayer 1924, hatte Ducrocq 1877 den Gegenstand seines Fachs umschrieben mit „un très grand nombre de lois administratives, dont l‘ensemble forme une partie notable du droit administratif, et qui la plupart (non pas toutes) ont l‘heureuse fortune de survivre aux effondrements divers du droit constitutionnel de la France“, sinngemäß „eine sehr große Zahl Verwaltungsgesetze, die den bedeutendsten Teil des Verwaltungsrechts bilden, und von denen der ganz überwiegende Teil (aber nicht alle) das glückliche Schicksal hatte, in den verschiedensten Umbrüchen des französischen Verfassungsrechts zu überleben.“ In der Weimarer Republik wurde Frankreich infolge des verlorenen Ersten Weltkriegs stark durch eine „geopolitische Brille“ gesehen, als Staat mit „natürlichen“ Grenzen, die auf den im deutschen Kontext unbeliebten „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. zurückgingen, der dem héxagone die vertraute Gestalt zwischen Pyrenäen, Mittelmeer, Atlantik, Ärmelkanal, Alpen und Rhein gegeben hatte;[11] auch die „unnatürliche“ Grenze in Flandern konnte im nur wenige Jahre zurückliegenden Ersten Weltkrieg nicht überwunden werden.[12] Diese Grenzen hatten den stabilen Rahmen einer Verwaltung geschaffen, die sich im „langen 19. Jahrhundert“ gegenüber drei Republiken, zwei Kaiserreichen und einem restaurierten Königreich mit zwei Verfassungen als Anker der Stabilität erweisen sollte.[13] Der französischen Kontinuität lag auch die jeweils erneuerte verfassungsrechtliche Dezision zugrunde, die revolutionäre Landkarte unverändert zu belassen.[14] Die annähernd gleich großen départements waren 1790 ohne Rücksicht auf historische Landschaften gebildet worden, ihre Benennung nach „natürlichen“ Flüssen oder Gebirgen vermied jede Anknüpfung an die vorrevolutionäre Ordnung;[15] ihr deutsches Äquivalent waren die von Maximilian Joseph von Montgelas 1808 und 1817 eingeführten bayerischen „Kreise“, die vermeintlich „historische“ Namen als Regierungsbezirke erst 1838 erhielten.[16] Die Größe der départements richtete sich nach der an einem Tag von der Präfektur zu Pferd zurückzulegenden Entfernung. In Frankreich hatte die Kontinuität der Verwaltung auf Staatsklugheit beruht, in den Worten von Alexis de Tocqueville: „C'est que, depuis [17]89, la constitution administrative est toujours restée debout au milieu des ruines des constitutions politiques.“[17]