Handbuch des Verwaltungsrechts

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

III. Beamte als Fürsten- oder als Staatsdiener?

39

Fürstendiener und Staatsdiener

In der monarchischen Tradition standen die Soldaten ebenso wie die in der Verwaltung tätigen Fürstendiener in einem persönlichen Treue- und Dienstverhältnis zum Monarchen. Das preußische ALR sprach bereits 1794 von ihnen als Dienern des Staats und unterschied zwischen „Militairbedienten“ und „Civilbeamten“. Der König behielt indirekt sein freies Entlassungsrecht, denn das ALR verbot nur Vorgesetzten oder Ministern, einen Beamten gegen seinen Willen entlassen.[41] Die bayerische Hauptlandespragmatik von 1805 dagegen sprach zwar altmodisch von „Staatsdienern“, gestaltete deren Dienst aber nicht mehr analog zu privaten Dienstverträgen aus, sondern legte ihn in neuer, öffentlich-rechtlicher Art fest und schützte das neue Berufsbeamtentum als Verfassungsrecht vor individueller Willkür des Monarchen. Diese Fragen waren um 1800 noch völlig im Fluss, entwickelten sich dann jedoch zwischen Preußen und Bayern in gegensätzlicher Richtung.

40

Preußische Königsrechte über Beamte

Geheim gebliebene Anordnungen der 1820er Jahre zeigen in Preußen die unverändert bestehende Neigung des Königs, über „seine“ Beamten wie immer schon in der Art persönlicher Diener verfügen zu können. Als 1844 in Ergänzung zum ALR ein Disziplinargesetz erlassen wurde, galten nach einem bekannten Kommentar zum ALR die folgenden Passagen aus dessen Entstehungszeit fünfzig Jahre davor als weiterhin „grundlegend“: „Seine Königl. Majestät [Friedrich Wilhelm II.] haben den Satz, daß kein Staatsbedienter ohne Untersuchung und rechtliches Erkenntnis seiner Dienste entsetzt werden solle, insoweit verworfen, als dadurch Allerhöchst denenselben die freie Wahl ihrer Diener eingeschränkt würde. Dieses persönliche Reservat schließt jedoch, wie sich von selbst versteht, allen Minister-Despotismum aus […]. Der Landesherr kann eigene erhebliche und gerechte Bewegungsgründe zur Entlassung, und zugleich dazu haben, daß solche nicht durch den Weg Rechtens gehe.“[42] In Preußen blieb die Auffassung vom Königtum und seinen recht-überschreitenden Rechten beim Fehlen einer Verfassung weiterhin absolutistisch geprägt. Im bayerischen Verfassungsstaat gab es dagegen kein königliches Reservatrecht dieser Art.

41

Unterlaufen der bayerischen Verfassung

Unter dem Eindruck der europäischen Revolutionen von 1830 versuchte König Ludwig I. von Bayern allerdings, an der Verfassung vorbei mehr Einfluss auf die hohe Ministerialbeamtenschaft zu gewinnen, indem er sie erneut durch ein Band der Abhängigkeit an sich knüpfte. Da dem Landtag nur ein Gesamtbudget für alle Beamten vorgelegt wurde und der König bei dessen Aufteilung auf die Gehälter der einzelnen Beamten frei blieb, konnte er neben der Höhe des Gesamtgehalts auch den Anteil des lebenslänglichen „Standesgehalts“, also die erdiente Pension, möglichst lange niedrig halten und sich so Wohlverhalten sichern. Das Beurteilungswesen wurde ausgebaut und die Vorgesetzten mussten regelmäßig über Auffälligkeiten berichten. Ab 1833 nutzte Ludwig I. jede Beförderung dazu, die neue Position wie zu Anfang der Karriere nur provisorisch und noch nicht definitiv zu verleihen, womit die gesamte Stellung des Beamten erst einmal wieder unsicher wurde. Gegen Ende seiner Regierungszeit berief er schließlich selbst Minister nur noch zu „Verwesern“, zu zeitweiligen kommissarischen Vertretern ihrer Stelle, um sie jederzeit ersetzen zu können. Nach dem durch Lola Montez bedingten Rücktritt seines Vaters Anfang 1848, vor der Revolution, handelte König Maximilian II. nicht grundlegend anders. Seinen Versuch, viele Beamte gleichzeitig in einen allerdings relativ gut dotierten Ruhestand zu versetzen, verhinderte 1849 nur sein Innenminister Theodor von Zwehl, und der Entwurf eines am gleichzeitigen preußischen Vorbild orientierten Disziplinargesetzes scheiterte 1852 im Landtag.[43]

42

Erste „politische Beamte“ 1848

Im Überschwang der ersten Monate nach der Märzrevolution versuchte in Preußen die neue Regierung Hansemann-Kühlwetter am 15. Juli 1848 in einem verwaltungsinternen Rundschreiben ihre konservativen Gegner aus der Beamtenschaft zu entfernen, wenn sie „dem dermaligen Regierungs-System ihre Anerkennung geradehin versagen und demselben geflissentlich widerstreben“.[44] Wirkungen dieses Aufrufs sind nicht berichtet, aber die Idee, einen Beamten aus politischen Gründen jederzeit entlassen zu können, war in der Welt und wurde 1849 gegen die Anhänger der Revolution von 1848 gewendet.

43

Reaktionäre Indienstnahme des Instruments 1849/52

Gestützt auf das Notverordnungsrecht des Königs in der Ende 1848 oktroyierten Verfassung erließ die Regierung Brandenburg nach der Auflösung der widerspenstigen zweiten Kammer am 11. Juli 1849 eine umfangreiche „Verordnung, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten […]“. Sie ermöglichte es, bestimmte hohe Beamte „im Interesse des Dienstes“ jederzeit „einstweilig in den Ruhestand“ zu versetzen gegen Wartegeld wie bei Auflösung von Behörden, ohne Disziplinarverfahren und ohne konkrete Gründe. Aufgezählt wurden u. a. Unterstaatssekretäre, Ministerialdirektoren, Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, Landräte und Vorsteher von Polizeibehörden. Das waren die bald so genannten „politischen Beamten“.[45] Eine von der Verfassung vorgeschriebene Beratung dieser Verordnung im Staatsministerium ist in der lückenhaften Überlieferung dieses Jahres nicht nachweisbar. Die Regierung musste aber ihre Notverordnung zur nachträglichen Billigung der neugewählten Kammer vorlegen, mit aufschlussreicher Begründung. Die neue Verfassungsregel der Ministerverantwortlichkeit führe zu der „Betrachtung, dass das Bedürfnis der Opposition gegenwärtig in der Volks-Repräsentation, in der freien Presse und in dem Versammlungs- und Vereinigungsrechte seine volle Befriedigung finden könne, und dass die Staats-Gewalt in der Centralisation und in der vermehrten Abhängigkeit der Beamten ein neues unentbehrliches Gegengewicht begründen müsse“.[46] Die nur in sehr vager Form verantwortlichen Minister traten als „Staats-Gewalt“ in Funktionen der früheren Selbstregierung des Königs ein, hier sein nie aufgegebenes persönliches Verfügungsrecht über ‚seine‘ Beamten. Nach einigen Änderungen durch die Abgeordneten wurde das Gesetz betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten vom 21. Juli 1852 zu einem Grundpfeiler des zersplitterten, bis weit nach 1918 nicht in ein Beamtengesetz zusammengeführten preußischen Beamtenrechts.[47]

44

Beamte als Gegengewichte – wogegen?

Montgelas hatte 1796 die von ihm später in Bayern durchgesetzte Lebenslänglichkeit der Beamtenstellung als notwendig angesehen, um ein Gegengewicht zu einem möglichen Despotismus der Minister zu schaffen.[48] Im jungen Verfassungsstaat Preußen setzten die Minister dagegen 1849/52 ihre Herrschaft über die höchsten Beamten durch, um zusammen mit den hohen Beamten ein Gegengewicht gegen die als Opposition angesehene verfassungsmäßige Volksvertretung aufzubauen. Das Disziplinargesetz von 1852 wurde Modell für alle weiteren Regelungen[49] über den Umbruch von 1918 hinaus, mit denen die Regierungen „politische Beamte“ jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen können, inzwischen mit Bezug auf ihre besondere Nähe mit besonderen Pflichten gegenüber der Regierung, aber weiterhin nicht justiziabel. Unter den Ländern hat zuletzt 1978 Hamburg dieses personalpolitische Instrument eingeführt; nur der Freistaat Bayern verzichtet darauf bis heute.

C. Staatsaufgaben und Verwaltung
I. Innere Verwaltung und Polizei

1. Konzeption zwischen Gemeinwohlorientierung und Sicherheitspolizei

45

„Polizeiwissenschaft“ und „Verwaltungslehre“

Aus der Aufklärung kam das Ideal einer „guten Polizei“ als guter innerer Ordnung des Staates in alle Richtungen, auch mit Gewähr der öffentlichen Sicherheit, durch den Monarchen und seine Verwaltung.[50] Wirtschaftliche Freiheitsrechte wie die Gewerbefreiheit verlangten einen Rückzug aus Vorstellungen einer zentralen Beglückung von oben. Gleichzeitig verbreiterte sich die Sorge für öffentliche Sicherheit zu neuen Betätigungsfeldern und entsprechenden Vorschriften für u. a. Armen-, Gesundheits-, Lebensmittelpolizei und bei der Zunahme technischer Anlagen auch zu Gewerbepolizei und Gewerbeaufsicht. Motivierungsstrategien, die einem indirekten nudging ähnlich waren,[51] bauten auf dem damals neuen freiwilligen Engagement in Vereinen auf. Darin wurden örtliche Meinungsführer wie die Pfarrer geschickt als Multiplikatoren für staatlich-wirtschaftspolitische Zwecke benutzt.[52] Diese reale Gemengelage spiegelte sich in Richtungen der wissenschaftlichen Literatur: Robert von Mohl behandelte eine umfassende „Polizeiwissenschaft“ im älteren Sinne 1833 und zuletzt noch in 3. Auflage 1866, während Lorenz (von) Stein ab 1865 recht ähnliche Inhalte als „Verwaltungslehre“ fasste.[53]

46

Administrativjustiz und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Verwaltungs- und Justizfunktionen blieben in einer Hand, in den Landgerichten in Bayern oder den Bezirken in Baden. Ihre Leiter führten zugleich die untere Ebene staatlicher Verwaltung und richteten in erster Instanz. Das änderte sich durch die Einführung von Amtsgerichten in Baden 1857 und von Bezirksämtern 1862 in Bayern. Administrativjustiz bezeichnet dagegen das zuerst in Frankreich seit 1790 geltende Prinzip, dass die Verwaltung Anordnungen trifft und auch alle Verstöße gegen sie ahndet, ohne dass irgendein ein Dazwischen-Gehen der Gerichte zulässig ist; sie sollten auf Zivil- und Strafrecht beschränkt sein. Diese Auffassung verbreitete sich im Zeitalter Napoleons auch in Deutschland, und eine von der Verwaltung unabhängige Verwaltungsjustiz entstand erst recht spät, erstmals 1863 in Baden durch Verwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshof und 1875 in Preußen mit Einrichtung der unabhängigen Revisionsinstanz des Preußischen Oberverwaltungsgerichts über den noch sehr verwaltungsnahen Kreis- und Bezirksausschüssen. Spätestens seit dessen berühmtem Kreuzberg-Urteil 1882 zur Unzulässigkeit von polizeilichen Gestaltungsvorschriften im Umfeld eines Nationaldenkmals wurden dadurch Polizeiaufgaben immer mehr eingegrenzt im Sinne der Abwehr von Gefahren verstanden.[54]

 

47

Süddeutsche Polizeistrafgesetzbücher

In der älteren Administrativjustiz waren Beamte auch Richter in eigener Sache, jedenfalls in von ihnen angeordneten Sachen, und agierten wie Richter, ohne durch deren richterliche Unabhängigkeit geschützt zu sein. Nach 1848 ging es in den süddeutschen Staaten, zuerst Bayern (1861/71), dann auch Baden (1863) und Württemberg (1871) darum, Verwaltung und Justiz klarer zu trennen. Dabei wurden zusätzlich zu den Strafgesetzbüchern auch Polizeistrafgesetzbücher erlassen. In Bayern war darin geregelt, welche Behörden für orts-, kreis- und oberpolizeiliche Anordnungen zuständig waren und bei Übertretung ohne Mitwirkung eines Richters „Ungehorsamsstrafen“ in Geld oder ersatzweise bis zu 30 Tage Haft verhängen durften. Das Parlament begrenzte dabei durch Aufzählung klar die Anwendungsfelder. Das bayerische Polizeistrafgesetzbuch sprach zuletzt in elf Gruppen von Übertretungen eine bunte, systematisch schwer zu fassende Vielfalt von Einzelermächtigungen aus, die bei der „Erwerbs- und Gewerbepolizei“ bis zum Umwelt- und Technikrecht reichten, etwa beim Betrieb von Dampfkesseln. Das Gesetz wurde regelmäßig novelliert. Die jüngste Fassung galt in Bayern noch nach 1949 und wurde dann erst in ein modernes Ordnungswidrigkeitenrecht überführt.[55]

2. Realität von Polizei bei der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung

48

Wenig Personal

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es nur sehr wenig Polizeikräfte. Als Reserve standen nur die für polizeiliche Aufgaben nicht ausgebildeten regulären Truppen zur Verfügung. Bei Unruhen führte das sehr schnell zum Einsatz der Waffen wie in Berlin im März 1848. Erste eigenständige Polizeieinheiten waren nach 1815 die der Gendarmerie und Landjäger auf dem Lande. Berlin erhielt erst im Laufe des Revolutionsjahrs 1848 eine erste Schutzmannschaft mit immerhin 200 Wachtmeistern und 1.800 Mann. Sie sollte anders agieren als die Garderegimenter bei den Märzunruhen, und ihre Uniformen waren nach dem Vorbild der Londoner Polizei mit schwarzem Zylinder sehr zivil gehalten. Damals war im Polizeialltag noch die Einzelstreife die Regel, und als Richtzahl für die Polizeidichte galt in Preußen noch nach 1870 nur ein Mann auf 1.500 Einwohner.[56]

49

Politische Polizei

Gleich nach der Gründung des Deutschen Bundes forderte das Streben der Burschenschaften nach einem „deutschen“ Vaterland, ohne die vielen Herrscher, die gerade erst in der Souveränität ihrer Monarchen restaurierten Staaten heraus. Gegen „demagogische Umtriebe“ und nationale, demokratische und anti-monarchische Ideen schufen die Karlsbader Beschlüsse von 1819 ein Ausnahmeregime, das alle Mitgliedstaaten band und bis 1848 bestand. An den Universitäten wurden alle Gruppen streng überwacht, in Preußen durch einen neuen, dem Kultusminister unterstellten, staatlichen „Kurator“. Professoren wurden entlassen, Studenten relegiert und für alle Zeitungen sowie Bücher galt eine Vorzensur. Zentralstellen des Bundes in Mainz und dann in Frankfurt versuchten, gemeinsames Vorgehen zu initiieren. Die Bundesgesetze gegen studentische Verbindungen wurden verschärft, indem Studenten das Reisen untersagt wurde und eine Relegation automatisch für alle Länder des Deutschen Bundes galt.[57] Nach 1848 baute der Berliner Polizeipräsident Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey seine Behörde zur Zentrale der politischen Polizei in Preußen aus, die mit anderen Bundesstaaten in einem neuen „Polizeiverein“ zusammenarbeitete. Mit dem Thronwechsel 1860/61 und der „Neuen Ära“ wurde die politische Polizei zunächst reduziert; spätestens ab 1878 wieder erweitert und zunehmend auf die als staatsgefährdend angesehene deutsche Sozialdemokratie und die internationale Arbeiterbewegung ausgerichtet.[58]

50

Staatliche und kommunale Polizei

Eigene städtische Polizeien hatten einen schweren Stand, in Bayern mit seinen sehr beschränkten Gemeinderechten sowieso, aber auch in Preußen. Das Vordringen der Sicherheitspolizei und der präventiven und überstaatlichen politischen Polizei stärkte den Einfluss des Staates auf die Polizei. Im dicht bevölkerten Ruhrgebiet, das von Gemeinde-, Kreis-, Regierungsbezirks- und Provinzgrenzen (Rheinprovinz und Westfalen) durchschnitten war, wurden nach dem massenhaften Ruhrbergarbeiterstreik 1889 die kommunalen Polizeien durch staatliche Polizeidirektionen in Bochum, Gelsenkirchen und Essen abgelöst.[59]

II. Finanzverwaltung und materielle Ressourcen

51

Staatsschulden und Verfassung

Die Kriege und Verfassungsumwälzungen nach 1800 verlangten eine Anspannung aller staatlichen Kräfte und führten in massive Staatsverschuldung. Sie konnte im Königreich Westphalen selbst durch Zwangsanleihen nicht aufgefangen werden; nach dem Untergang des Staates wurden sie wertlos, weil sich die Nachfolgestaaten gerne und einmütig ihrer Bedienung entzogen. Die notwendige Stabilisierung der Staatsfinanzen war aber auf neues Vertrauen an den Finanzmärkten angewiesen. Strukturreformen in der Finanzverwaltung trugen zu größerer Transparenz und dann höherer Finanzkraft bei, etwa durch einheitliche Staatskassen statt zerstreuter Topfwirtschaft, Haushaltspläne, Staatsschuldenverwaltungen und Rechnungshöfe. Die drei auch zur Beruhigung der Gläubiger gegebenen Verfassungsversprechen Friedrich Wilhelms III. von 1810, 1815 und 1820 blieben jedoch uneingelöst und bahnten, neben anderem, den Weg zur Revolution von 1848. Umso mehr erwarteten die liberalen Kräfte stärkeren parlamentarischen Einfluss auf die Details der einzelnen Positionen des Budgets (der preußische Staatshaushalt passte lange auf nur zwei Seiten) und auf die nachträgliche Kontrolle der Haushaltsrechnung.[60]

52

Staatseinnahmen

Staatserträge lassen sich nicht beliebig erhöhen, sondern nur bedachtsam und in Rücksicht auf das Wirtschaftsleben. Das galt von Natur für die immer noch wichtigen Einkünfte aus Domänen und Forsten, und es war zu beachten bei den Steuern. In Süddeutschland waren unter französischem Einfluss die Privilegien des Adels, vor allem seine völlige Steuerfreiheit, weitgehend aufgehoben worden, was die Steuerbasis verbreiterte. Da man hier dem französischen Modell von Grund-, Gebäude- und (Gewerbe-)Patentsteuer folgte, wurde für einen umfassenden Grundsteuerkataster eine exakte Landesvermessung unentbehrlich. Bayern begann mit ihr bereits 1808, zugleich mit einer zentralen Staatsschuldenverwaltung. Preußen dagegen setzte auf die gegensätzliche Besteuerung von zwei Welten: in den Städten gab es die Mahl- und Schlachtsteuer als leicht erhebbare indirekte Steuer und auf dem Land die „Klassensteuer“, die bei niedrigen Einkommen als „Kopfsteuer“ pauschaliert war und darüber nach sehr breiten Einkommensklassen bis zu einem Höchstsatz von drei Prozent erhoben wurde. Die Grundsteuer rührte erst mit der Reform 1861 an die bis dahin bestehende Steuerfreiheit des Adels. Verwaltungstechnisch war allen diesen Steuern gemeinsam, dass sie nicht in die noch breit verstandene persönliche Sphäre der Steuerzahler eindrangen und keinen großen Verwaltungsaufwand erforderten.[61]

53

Staatsausgaben

Mit dem spürbaren Rückgang der Militärausgaben nach 1815 konsolidierten sich allmählich die Staatsschulden. Der Aufbau ganz neuer Infrastrukturen änderte das; der Eisenbahnbau wurde zur Leitinvestition, die das Wirtschaftswachstum beschleunigte.[62] Die erste Staatsbahn nahm bereits 1838 im Herzogtum Braunschweig ihren Betrieb auf. Als Preußen Verfassungsstaat geworden war und der Landtag erstmals Anleihen bewilligte, konnte der Bau der staatlichen Ostbahn beginnen. Diese Verbindung der beiden Hauptstädte Berlin und Königsberg, und weiter an die russische Grenze, war zwar politisch und strategisch wichtig, erschien aber privaten Unternehmern nicht attraktiv. Die mit dem Bevölkerungswachstum stark steigenden staatlichen Ausgaben für Schulen und Universitäten sind auch als Investitionen in immaterielle Infrastrukturen zu fassen.

III. Ausbildung für die höhere Verwaltung

54

Akademische Ausbildung in Preußen

Die in der klassischen Verwaltung tätigen höheren Beamten hatten fast alle Rechtswissenschaften studiert, vor allem Strafrecht und Zivilrecht und dazu Römisches Recht als echtes Bildungsfach im Sinne Wilhelm von Humboldts. Es schulte in scharf abgrenzender Begrifflichkeit und in systematisch-dogmatischem Denken, immer noch in der Gelehrtensprache Latein – und ohne Bezug zur Praxis der Zeit. Staatsrecht kam erst auf, nachdem es Verfassungen gab, war aber politisch brisant und blieb meist deskriptiv; Verwaltungsrechtslehre gab es noch gar nicht. Praxisferne war Absicht an Humboldts Universität; Ort der berufsbezogenen Ausbildung wurde das 1817 erstmals geregelte Regierungsreferendariat. Dazu musste man nach dem Studium und der für alle Juristen verpflichtenden ein- oder mehrjährigen „Auskultatur“, dem Referendariat bei Gericht, noch eine Kollegialprüfung in den lange vorher studierten kameralistischen und wirtschaftlichen Fächern vor den Praktikern einer Regierung bestehen. 1846 wurde diese Auswahl allein dem Regierungspräsidenten übertragen; sein Aufnahmegespräch bot nun mehr Raum für eine Abgleichung der Passung in den Auffassungen zu Monarchie und Staat. Die gesamten Ausbildungsjahre und auch die erste Zeit selbstständigen Arbeitens als Regierungs-Assessor mit allen Examina wurden nicht bezahlt; vor dem Referendariat musste deshalb auch ein Mindestvermögen zur Deckung dieser Durststrecke nachgewiesen werden, das 1863 auf zehn Jahre reichen sollte. Die ersten Anstellungen erfolgten als „Diätar“ auf Tagegeldbasis und dann als „Hilfsarbeiter“, bevor man mit etwa 40 Jahren zum Beamten ernannt wurde; dann war ein Weg nach oben bis zum Staatsminister möglich. Die gesellschaftlich-politischen Wurzeln und Anschauungen der hohen Beamten in Preußen waren daher recht homogen und die politischen Parteien konnten in dieses Spitzenpersonal bis 1918 nicht vordringen.[63]

55

Akademische Ausbildung in Süddeutschland

In Süddeutschland war das juristische Studium stärker mit den staatswirtschaftlichen Nachbarwissenschaften wie Landwirtschafts- und Forstwissenschaft und später Nationalökonomie und Finanzwissenschaft verbunden. In Württemberg gab es bis 1826 eine breite nicht-akademische Beamtenschaft aus „Schreibern“, die vielfach mit den lokalen Eliten verbunden waren und von hohen Gebühren lebten.[64] Danach gewann auch hier die kameralistisch-ökonomische Orientierung an Boden, aus der in Tübingen die Staatswirtschaftliche Fakultät entstand. Bayern verlangte als einziger deutscher Staat im Jura-Studium ein viertes Jahr, in dem abschließend geschichtliche Bezüge hergestellt werden sollten. Die praktische Ausbildung war hier einheitlich für Justiz und Verwaltung; alle Teilnehmer befassten sich auch mit Verwaltungslehre und Wirtschaftspolitik. Schon Montgelas hatte als Examensform die Staatsconcurse (Staatsexamina) aus dem französischen egalitär-leistungsorientierten concours übernommen. Deren Gesamtnote bestimmte den Platz der Kandidaten im gesamtbayerischen Vergleich, die heutige Platzziffer. In Bayern gab es eine stärker ausgeprägte Leistungsorientierung, deren soziale Folge eine stärker bürgerliche Prägung der Beamtenschaft ohne die für Preußen charakteristische Bevorzugung adeliger Herkunft wurde. König Maximilian II. richtete 1852 die Stiftung Maximilianeum ein, deren Stipendium seitdem begabten Abiturienten „jeglichen Standes“ ein Universitätsstudium zur „Lösung der höheren Aufgaben des Staatsdienstes“ ermöglicht.[65]