Handbuch des Strafrechts

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c) Individualstrafandrohung und Freistellungsklausel

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Schließlich wird für ein Verbandsstrafrecht angeführt, dass sich die Geldstrafe eines Individualtäters nur an seinen persönlichen Verhältnissen orientiert, nicht aber an den wirtschaftlichen Verhältnissen des Unternehmens. Daher würden gegen Individualtäter Strafen verhängt, die in keiner Relation zu den Vorteilen stünden, welche die Straftaten dem Unternehmen gebracht hätten, was eine Praxisbefragung des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen für den Zeitraum 2006–2011 bestätigt habe.[338] Zudem könnten in den Verträgen zwischen Unternehmen und ihren Leitungspersonen bzw. Mitarbeitern Freistellungsklauseln enthalten sein, so dass bei einer im Rahmen der beruflichen Tätigkeit begangenen Straftat eine Geldstrafe übernommen wird.[339] Da die Erstattung einer Geldstrafe nach der neueren Rechtsprechung[340] keine Strafvereitelung darstellt, führe dies dazu, dass der Verband die verhältnismäßig geringe Geldstrafe zahlt und diese den Individualtäter nicht mehr trifft.[341]

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Hiergegen ist aber einzuwenden, dass mit der Verbandsgeldbuße bereits heute nicht nur die Vorteile, die ein Unternehmen unrechtmäßig gezogen hat, abgeschöpft werden können, sondern auch die „fehlerhafte kollektive Sinnsetzung“, die mit der Straftat verbunden ist, geahndet werden kann (Rn. 70). Dass die Geldstrafe Individualtäter möglicherweise im Ergebnis finanziell nicht mehr trifft, ist die Folge der neueren Rechtsprechung zur Strafvereitelung. Es ist nicht zu erwarten, dass die Einführung eines Verbandsstrafrechts Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Erstattung von Geldstrafen haben wird.

4. Verbandsverantwortung

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Sehr kontrovers wird diskutiert, ob die bestehende Verbandsverantwortung ausreichend ist, oder ob Defizite bestehen, die mit der Einführung eines Verbandsstrafrechts beseitigt werden müssen.

a) Sanktionsinstrumentarium

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Die Befürworter eines Verbandsstrafrechts führen an, dass das vorhandene Sanktionsinstrumentarium unzureichend sei und ein Präventionsdefizit bestehe.[342] Im Ausland würden neben Verbandsgeldstrafen weitere, z.T. sehr scharfe Sanktionen und Maßnahmen drohen, die in Deutschland bislang nicht bzw. nicht im Rahmen der Verbandsgeldbuße angeordnet werden können:[343] Eintragung der Verurteilung in ein Strafregister; Ausschluss von öffentlichen Aufträgen oder Zuwendungen; zeitweise oder dauerhafte Betriebsbeschränkung und Betriebsschließung; Betriebsauflösung; Zwangsaufsicht bzw. Kuratel durch einen Treuhänder oder ein Gremium; Entlassung von Mitarbeitern; Änderung der Inhaberverhältnisse und Ausschluss von Gesellschaftern; Anteilsverwässerung; öffentliche Bekanntgabe der Verurteilung; staatliche Warnhinweise; Werbeverbote; Auflagen, Anordnungen und Weisungen. Daher könne das geltende Recht „nicht die Anreize setzen, die erforderlich wären, um auf die Unternehmenskultur in Deutschland flächendeckend Einfluss auszuüben“.[344]

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Die Gegner eines Verbandsstrafrechts halten dem entgegen, dass das Sanktionsinstrumentarium ausreichend und ein Präventionsdefizit nicht erkennbar sei.[345] Bereits heute könne mit der Verbandsgeldbuße eine Hauptsanktion verhängt und das Ziel erreicht werden, dass sich die Begehung von Straftaten unter Kosten-Nutzen-Aspekten ökonomisch nicht lohnt; außerdem seien weitere Sanktionen und Maßnahmen möglich. Im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen bestünden keine echten Defizite. Die Freiheitsstrafe als schärfste Sanktion stünde – sofern nicht Tätigkeitsbeschränkungen als „Unternehmensfreiheitsstrafe“[346] begriffen werden – ohnehin nicht zur Verfügung.[347] Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das bestehende Instrumentarium nicht bewährt habe.[348] Ein signifikanter Anstieg der Unternehmenskriminalität sei nicht erkennbar.[349] Nach Beobachtungen der BRAK[350] haben viele Unternehmen infolge der Intensivierung der Strafverfolgung ihre internen Präventionsmechanismen, insb. Compliance-Strukturen, erheblich aufgewertet; die Behauptung, das geltende Recht könne keine Anreize setzen, sei „bisher unbelegt und bestenfalls gefühlt“.

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Die Bewertung dieses Disputs ist dadurch erschwert, dass umfassende rechtstatsächliche Erkenntnisse fehlen, da empirische Daten zur Unternehmenskriminalität mit Anspruch auf Vollständigkeit von den Bundesländern statistisch nicht erhoben werden. Aus den „Bundeslagebildern zur Wirtschaftskriminalität“ geht jedenfalls hervor, dass die Fallzahlen in den letzten Jahren kontinuierlich, wenn auch unter Schwankungen, zurückgegangen sind, und zwar von 63 194 Fällen im Jahr 2014 auf nur noch 50 550 Fälle im Jahr 2018, wobei der Anteil der Wirtschaftskriminalität an allen polizeilich registrierten Straftaten 0,9 % betrug.[351] Ebenso ist der registrierte Gesamtschaden deutlich zurückgegangen (2014: 4645 Mio. Euro; 2018: 3356 Mio. Euro).[352] Im Jahr 2010 waren demgegenüber noch 102 813 Fälle mit einem Gesamtschaden von 4655 Mio. Euro registriert worden. Selbst wenn das Bundeslagebild das tatsächliche Ausmaß der Wirtschaftskriminalität insb. in Anbetracht des traditionell hohen Dunkelfeldes nur sehr eingeschränkt erfassen kann, spricht viel dafür, dass die Wirtschaftskriminalität in den letzten Jahren insgesamt zurückgegangen ist. Ein Präventionsdefizit, jedenfalls ein „flächendeckendes“, ist daher aktuell nicht erkennbar (zu partiellen Anwendungs- und Vollzugsdefiziten Rn. 109). Weiter ist darauf hinzuweisen, dass in Deutschland bereits ein Unternehmensstrafrecht im weiteren Sinne existiert (Rn. 26). Auch darüber, ob präventive Maßnahmen effektiver sind, wenn sie von den Strafgerichten angeordnet werden, lässt sich streiten, da die Überwachung von Unternehmen eine typische Aufgabe der Verwaltung ist, die schneller, flexibler und effektiver auf Fehlentwicklungen reagieren kann.[353]

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Soweit Defizite bei den Sanktionen und Maßnahmen bestehen, spricht dies nicht zwingend für die Schaffung eines Verbandsstrafrechts, weil das bestehende System entsprechend ausgebaut[354] werden kann. So bevorzugt die bisherige Ausgestaltung der Verbandsgeldbuße Großunternehmen „strukturell“:[355] Zwar sind bereits Geldbußen im drei- und vierstelligen Millionenbereich verhängt worden, diese dienten aber nahezu ausschließlich der Gewinnabschöpfung, der Ahndungsanteil war verschwindend gering (Rn. 33); wenn im Wesentlichen nur die Wiederherstellung des status quo ante droht, ist die Begehung von Straftaten für finanzkräftige Großunternehmen ein geringes, gut kalkulierbares Risiko. Entgegengesteuert werden könnte bei der Verbandsgeldbuße zum einen (im Ahndungsteil) durch eine umsatz- oder ertragsbezogene (Rn. 44 f.) Sanktionierung, und zum anderen (im Abschöpfungsteil) durch das (abgemilderte) Bruttoprinzip (Rn. 38). Ob freilich höhere Geldsanktionen opportun sind, da sie im Ergebnis die Arbeitnehmer und Verbraucher treffen können, ist eine Grundsatzfrage.[356] Auch weitere Maßnahmen, wie der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und von Subventionen, sind schon möglich, wie die landesrechtlichen Korruptions- und Vergaberegister und jetzt die Eintragungen in das bundesweite Wettbewerbsregister (Rn. 54) zeigen. Ebenso ist die Einführung einer Kuratel oder der Möglichkeit, Auflagen und Weisungen zu erteilen, denkbar.[357]

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Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sowohl interne als auch externe Präventionsmaßnahmen der Unternehmenskriminalität sehr effektiv entgegenwirken können. So deutet die kriminologische Forschung darauf hin, dass die Unternehmenskriminalität insb. von der ethischen Einstellung in einem Unternehmen, der Organisationskultur und der Normakzeptanz abhängig ist.[358] Der Rückgang der Wirtschaftskriminalität in den letzten Jahren (Rn. 96) dürfte vor allem auf den Ausbau interner Präventionsmechanismen zurückzuführen sein. Diesbezüglich könnten Compliance-Programme gezielt gefördert werden,[359] etwa durch entsprechende Reduktion von Verbandsgeldbußen. Weiter könnten Hinweisgeber stärker geschützt, Hotlines eingerichtet, die Kontrollen durch Wirtschaftsprüfer verstärkt, Selbstgesetzgebungsprozesse und Binnenverfassungen gefördert werden.[360] Und nicht zuletzt könnten die Anreize zur Begehung von Straftaten etwa durch die Abschaffung von Subventionen oder die Stärkung des Selbstschutzes der Verbraucher weiter reduziert werden.[361]

b) Verfolgung und Verfolgungspraxis

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Für ein Verbandsstrafrecht wird weiter angeführt, dass dort das Legalitätsprinzip Anwendung findet. So hatte im Jahr 2013 der damalige nordrhein-westfälische Justizminister Kutschaty[362] das Legalitätsprinzip als „Garant für die Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer“ bezeichnet: Eine Praxisbefragung für den Zeitraum 2006–2011 habe gezeigt, dass das Opportunitätsermessen sehr unterschiedlich ausgeübt werde, und in einer Erhebung bei 80 Staatsanwaltschaften hätten 45 % der Befragten geäußert, § 30 OWiG würde bei Geltung des Legalitätsprinzips „wesentlich öfter“ Anwendung finden. Auch die OECD habe die uneinheitliche Ermessensausübung beanstandet und empfohlen, zumindest Leitlinien über den Gebrauch des Verfolgungsermessens herauszugeben.[363] Während einige Staatsanwaltschaften „astronomisch hohe“ Bußgelder verhängen würden, friste § 30 OWiG anderorts ein „Schattendasein“, da wegen Ressourcenproblemen allein Individualstraftaten verfolgt werden.[364] Ferner habe eine neuere empirische Erhebung zu § 130 OWiG[365] gezeigt, dass diese Bußgeldvorschrift kaum Anwendung findet.[366] Durch das Opportunitätsprinzip, das auch wegen der meist fehlenden Publizität einen Verhandlungsspielraum eröffne,[367] schwinde nicht nur der Opferschutz, sondern für die Unternehmen seien divergierende Entscheidungen bei ähnlichen Sachverhalten ebenfalls eine „unerfreuliche Konsequenz“.[368]

 

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Die Gegner eines Verbandsstrafrechts halten dem entgegen, dass das bestehende System funktioniert.[369] So lobt Schünemann[370] die „herausragende Intensität“, mit der die Staatsanwaltschaften die Wirtschaftskriminalität bekämpfen und führt an, dass ihnen bereits heute mit §§ 30, 130 OWiG eine „starke Waffe in die Hand gegeben“ sei, von der „steigender Gebrauch“ gemacht werde. Die BRAK[371] bezeichnete im Jahr 2013 die Vorstellung einer „Gleichbehandlung“ durch Einführung eines Verbandsstrafrechts als „lebensfremd“, da dann die Möglichkeiten der Verständigung noch stärker genutzt und größere und finanzkräftige Unternehmen gegenüber kleineren bevorzugt würden; zudem würde der Prozess der „Ökonomisierung“ und Privatisierung“ von Strafverfahren verstärkt. Von anderen werden vermehrt „Bauernopfer“ bzw. Verständigungen zu Lasten von Mitarbeitern befürchtet.[372] Behauptungen, die Wirtschaftskriminalität werde nicht gleichmäßig verfolgt oder Verfahren fänden unbemerkt von der Öffentlichkeit statt, seien nicht nachvollziehbar: Die verpflichtend vorgesehene Weitergabe von Erkenntnissen aus der steuerlichen Betriebsprüfung über Unregelmäßigkeiten an die Ermittlungsbehörden führe bereits zu einer „quasi-automatischen Verfolgung“; zudem würden die bisherigen Verfahren in der Öffentlichkeit, gerade wenn es um DAX-Unternehmen gehe, durchaus wahrgenommen.[373]

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Die Bewertung dieses Streits wird erneut dadurch erschwert, dass umfassende empirische Daten zur Verfolgungspraxis fehlen. Die von den Befürwortern genannten Statistiken und Studien legen freilich nahe, dass das Potential der bestehenden Regelungen „bei weitem noch nicht überall genutzt oder gar ausgereizt wird“,[374] also Anwendungs- und Vollzugsdefizite[375] bestehen. Diese Defizite dürften jedoch nicht die (schweren) „Leuchtturm-Fälle“ (wie Siemens, VW) betreffen, da die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nicht im „freien“, sondern im „pflichtgemäßen Ermessen“ (§ 47 Abs. 1 OWiG) liegt. Bei der Ermessensausübung ist abzuwägen, ob unter Berücksichtigung der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und des Vorwurfs die Verfolgung und Ahndung angebracht ist; Leitgedanken bilden der Gleichheits- und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.[376] Folge dürfte sein, dass „schwere“ Fälle stets sowie „leichte“ Fälle kaum verfolgt und geahndet werden, im „mittleren“ Bereich dagegen das eröffnete Ermessen zum Tragen kommt. Freilich bestehen auch in der Praxis der Strafverfolgung „Spielräume“, da das Legalitätsprinzip durch die Einstellungsmöglichkeiten nach §§ 153 ff. StPO durchbrochen wird. An dem Umstand, dass das Verfahren zur Festsetzung von Verbandsgeldbußen durch hohe Einstellungsraten und eine überdurchschnittlich hohe Tendenz zu Verständigungen gekennzeichnet ist,[377] dürfte sich daher in einem künftigen Verbandsstrafverfahren voraussichtlich nicht viel ändern, zumal regelmäßig schwierige Beweisfragen zu klären sind.[378] Auch aus dem Ausland wird berichtet, dass die Zahl der geführten Strafverfahren gering ist.[379] Gleichwohl sollte der Übergang zum Legalitätsprinzip zur Folge haben, dass die Unternehmenskriminalität gerade im „mittleren“ Bereich gleichmäßiger und stärker verfolgt wird. Hierfür spricht auch, dass im Strafverfahren auf das volle Ermittlungsinstrumentarium – und nicht nur auf das eingeschränkte des Bußgeldverfahrens – zurückgegriffen werden kann, womit das Entdeckungsrisiko tendenziell steigt. Die moderne Sanktionsforschung zeigt, dass für die generalpräventive Wirkung einer Sanktion nicht so sehr deren Schärfe, sondern vor allem das Entdeckungsrisiko entscheidend ist.[380] Damit könnte – je nach Ausgestaltung – der kriminalitätsdämpfende Effekt eines Verbandsstrafrechts (deutlich) stärker sein.

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Soweit im bestehenden System Anwendungs- und Vollzugsdefizite bestehen, spricht dies aber nicht zwingend für die Einführung eines Verbandsstrafrechts, da ein gleichmäßigerer und stärkerer kriminalitätsdämpfender Effekt ebenso durch den Ausbau des bisherigen Systems und die Ausschöpfung des Instrumentariums erreicht werden kann. Zu denken ist hierbei nicht nur an die Schaffung von Leitlinien für die Ausübung des Verfolgungsermessens und von Richtlinien für die Zumessung der Verbandsgeldbuße,[381] sondern auch an die Schaffung zusätzlicher Ressourcen bei den Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität, bei den speziellen Abteilungen der Amtsgerichte und bei den Wirtschaftsstrafkammern der Landgerichte.[382] Schließlich könnte auch die internationale Kooperation weiter verstärkt werden.[383]

c) Rechtsschutz und richterliche Kontrolle

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Von Befürwortern eines Verbandsstrafrechts wird vorgetragen, dessen Einführung werde zu einem stärkeren Rechtsschutz der Beschuldigten und einer stärkeren richterlichen Kontrolle von Entscheidungen führen. Die bisherige Praxis habe „deutliche Züge eines Unternehmensstrafrechts“, allerdings mit dem Unterschied, dass die Position des Beschuldigten erheblich schlechter sei; im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts und damit der „exekutivischen Erledigung“ sei die Beachtung von Verfahrensgarantien ungleich schwerer zu erzwingen als im Strafrecht, da Verwaltungssanktionen „weitgehend unkontrollierte Sanktionen“ seien.[384] Die Verfahren wären der richterlichen Kontrolle weitgehend entzogen, es würden ohne effektiven Rechtsschutz „Quasistrafen“ auferlegt, womit die Praxis Gefahr laufe, sich im „soft law des OWiG“ häuslich einzurichten und „nolens volens“ die Abwesenheit strafprozessualer Rechte zu etablieren.[385]

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Hiergegen hat Trüg[386] treffend eingewandt, dass es „überraschend“ anmutet, die „Schaffung eines materiellen Strafbarkeitsrisikos“ für Unternehmen könne „zur Verbesserung eines konstatierten prozessualen Missstands beitragen“. Im Übrigen besteht jedenfalls im Normalfall des verbundenen Verfahrens (Rn. 35) eine richterliche Kontrolle,[387] und auch im getrennten Verfahren ist gerichtlicher Rechtsschutz grds. erreichbar. Soweit in der Praxis Defizite vorhanden sein sollten, könnten die Rechtsschutzmöglichkeiten weiter ausgebaut[388] werden.

d) Gerichtsverfahren und Öffentlichkeit

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Von den Gegnern eines Verbandsstrafrechts wird angeführt, das Umschwenken zu einem strafrechtlichen System wäre nicht mehr als bloße „Symbolik“ und führe zu keinem nennenswerten Präventionsgewinn.[389] Es sei einerlei, ob die finanzielle Einbuße eine Geldbuße oder Geldstrafe ist, eine „Umetikettierung“ führe nicht zu einer effizienteren Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität.[390] Im Hinblick darauf, dass in der Bevölkerung geringe Kenntnisse der Dogmatik vorhanden seien, wäre das mit einer Strafe verbundene rechtstheoretische Unwerturteil weder für einen rational agierenden Beschuldigten noch für die Öffentlichkeit von Bedeutung.[391] Entscheidend sei die Zahlungsverpflichtung nebst deren Höhe.[392] Außerdem sorge bereits im bisherigen System die Medienberichterstattung über die strafrechtliche Verfolgung der Leitungspersonen für die Stigmatisierung der betroffenen Unternehmen.[393] Eine Stärkung des Prinzips der Öffentlichkeit durch öffentliche Hauptverhandlungen hätte zudem Folgen für Unschuldige, würde zu einer „Sippenhaft“ von Mitarbeitern und Aktionären führen.[394] Bei der Hauptverhandlung bliebe „das Unternehmen“ nicht nur weitgehend „gesichtslos“, sondern mit dem Vertreter des Unternehmens würde eine unschuldige Person sichtbar, die „den Kopf hinhält“.[395]

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Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass die Verbandsgeldbuße nicht die gleiche Wirkung haben kann und auch nicht hat, die eine Verbandsgeldstrafe hätte.[396] Die Durchführung von Strafverfahren gegen Unternehmen erregt öffentliche Aufmerksamkeit und wird – wie auch die Erfahrungen im Ausland zeigen – gefürchtet. Gerade der öffentliche Druck eines Strafverfahrens in Verbindung mit der entehrenden und stigmatisierenden Wirkung der Strafe im Fall einer Verurteilung entfaltet eine hohe Abschreckungswirkung. Unternehmen sind i.d.R. sehr um ein positives Bild in der Öffentlichkeit bemüht und reagieren auf negative Schlagzeilen empfindlich; sie sind nicht daran interessiert, dass Interna in die Öffentlichkeit gelangen.[397] Der Unterschied zwischen Geldbußen und Geldstrafen mag zwar in der Bevölkerung weitgehend unbekannt sein, die Leitungspersonen von Unternehmen und ihre Rechtsberater dürften ihn aber genau kennen. Diese Personen agieren rational und ihnen wird regelmäßig bekannt sein, dass ein Strafverfahren und erst recht eine Verurteilung die Reputation nachhaltig schädigen kann – womit auch die „Kosten“ höher ausfallen. Eine Verbandsstrafe kann daher eine stärkere Wirkung entfalten als andere Reaktionsformen. Gegen ein Verbandsstrafrecht sprechen im Übrigen nicht die Auswirkungen, die die Durchführung eines Strafverfahrens auf Unternehmensvertreter, Mitarbeiter und Aktionäre haben könnte, da es sich nur um mittelbare Effekte handelt, die mit jeder Strafverfolgung verbunden sein können und von denen diese Personen bei ausländischen Strafverfahren auch heute schon betroffen sind.

e) Unrechts- und Schuldgehalt sowie Angemessenheit der Sanktion

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Weiter führen die Befürworter eines Verbandsstrafrechts zu Recht an, dass es nicht den wahren Unrechts- und Schuldgehalt widerspiegelt, wenn auf Straftaten, die von Leitungspersonen zugunsten von Unternehmen begangen werden, nur mit Verbandsgeldbußen reagiert werden kann.[398] Strafe dient dazu, sozialschädliche Verhaltensweisen zu sanktionieren, die einen hohen Unrechts- und Schuldgehalt haben. Gerade Wirtschaftsstraftaten weisen aber häufig eine hohe Sozialschädlichkeit auf. Es ist unangemessen, ein sehr sozialschädliches Verhalten nicht zu bestrafen, sondern nur mit Geldbußen zu ahnden und damit wie einen „Bagatellverstoß“ zu behandeln.[399] Strafen werden von der Öffentlichkeit anders bewertet als Geldbußen. Wenn nach der Festsetzung von Verbandsgeldbußen in der Presse häufig fälschlich von „Geldstrafen“ die Rede ist, zeigt dies, dass nur Strafen als eine angemessene Reaktion erscheinen. Nur eine Kriminalstrafe bringt durch ihre entehrende und stigmatisierende Wirkung die sozialethische Missbilligung der Rechtsgemeinschaft unmissverständlich zum Ausdruck, so dass allein eine Verbandsstrafe eine angemessene Sanktion darstellt.[400]