Handbuch des Strafrechts

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IV. Versuche, mit Hilfe der Tatherrschaftslehre eine mittelbare Täterschaft zu begründen

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Zur ersten Gruppe gehört Welzel[183], der von „sozialer Tatherrschaft“ spricht, weil „der veranlassende qualifizierte Hintermann dem Nichtqualifizierten erst die Möglichkeit“ eröffne, „an der Tatbestandsverwirklichung … mitzuwirken. Das begründet die Herrschaft des qualifizierten Hintermannes über die Beteiligung des Nichtqualifizierten … und damit seine Tatherrschaft.“

231

Jescheck sagt:[184] „Wenn man in diesen Fällen nicht ganz auf eine Bestrafung verzichten will – was freilich zu erheblichen Ungerechtigkeiten führen würde – muss man … den rechtlich notwendigen Einfluss des Hintermannes als Tatherrschaft genügen lassen. Notwendig ist allerdings auch eine psychische Einflussnahme, die etwa das Gewicht einer Anstiftungshandlung hat (normativ-psychologische Tatherrschaft).“

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Auch bei neueren Autoren finden sich noch Versuche, die täterschaftsbegründende Pflichtverletzung in eine Tatherrschaft umzudeuten. So behauptet Puppe,[185] dass „die Pflichtenstellung selbst eine Form von Tatherrschaft“ sei. Die Sonderstellung des Intraneus bestehe nicht nur in seiner spezifischen Pflicht (z.B. der Vermögensfürsorgepflicht in § 266), sondern auch darin, „dass er eine Zugriffsmöglichkeit auf das geschützte Rechtsgut hat“, die dem Extraneus nicht zu Gebote stehe. Und Murmann sagt:[186] „Fasst man die Tatherrschaft nicht lediglich im Sinne einer instrumentalen Beherrschung eines äußeren Geschehensablaufs auf, sondern begreift sie in einem normativen Sinn als soziales Herrschaftsverhältnis, so kann der Sonderpflichtige, dem ein Rechtsgut in besonderer Weise anvertraut ist, sein Verhältnis zum Opfer auch durch äußerlich untergeordnete Handlungen beherrschen.“

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Aber das alles läuft nur darauf hinaus, die aus der sozialen Rolle erwachsende Pflichtenstellung mit der Tatherrschaft gleichzusetzen (wie dies Puppe ausdrücklich tut). Tatherrschaft ist aber – entgegen Murmann – die Herrschaft über den zur Rechtsgutsverletzung führenden Geschehensablauf. Diese Herrschaft hat derjenige nicht, der nur „äußerlich untergeordnete Handlungen“ (Murmann) vornimmt oder an der Ausführung überhaupt nicht beteiligt ist (wie derjenige, der die Falschbeurkundung oder den schädigenden Vermögenstransfer durch einen außerhalb der Pflichtenbindung stehenden Extraneus vornehmen lässt).

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Auch der „rechtlich notwendige Einfluss des Hintermannes“ (Jescheck) verweist nur auf dessen Pflichtenstellung und nicht auf eine Herrschaft über die deliktische Ausführung. Und Welzels Hinweis darauf, dass der Hintermann die Tatherrschaft habe, weil seine Veranlassung erst die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung eröffne, ist eine petitio principii: Denn ob eine Tatbestandserfüllung vorliegt, ist gerade die Frage. Auch begründet die Eröffnung einer Möglichkeit, wie jede Anstiftung zeigt, noch keine Tatherrschaft.

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Man könnte dies alles als einen terminologischen Streit abtun, wenn nicht „Tatherrschaft“ und „soziale Pflichtenstellung“ als unterschiedliche Täterschaftskriterien auf unterschiedliche Tatbestandsstrukturen verwiesen. Bei Herrschaftsdelikten sind Begehung und Unterlassung klar geschieden (die unechte Unterlassung verlangt eine zusätzliche Garantenstellung), während bei Pflichtdelikten diese Unterscheidung bedeutungslos ist: Ob der Vermögensverwalter i.S.d. § 266 StGB durch aktive Einwirkungen oder durch Unterlassung gebotener Maßnahmen das ihm anvertraute Vermögen schädigt, ist für die Tatbestandsverwirklichung gleichgültig. Auch z.B. für den Tatbestand der Gefangenenbefreiung durch einen Amtsträger (§ 120 Abs. 2 StGB) spielt es keine Rolle, ob der Aufseher die Strafanstaltstür vorschriftswidrig öffnet oder es unterlässt, sie zu verschließen. Zwischen Herrschafts- und Pflichtdelikten bestehen also gewichtige Abweichungen, die hier nicht in alle Konsequenzen verfolgt werden können, die aber nicht durch beliebige Normativierungen des Herrschaftskriteriums verwischt werden sollten.

V. Befürworter einer Straflosigkeit beider Beteiligten

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Wenn man an der Tatherrschaftslehre auch bei Pflichtdelikten festhalten will, müsste man also zur Straflosigkeit aller Beteiligten kommen: Der Ausführende kann nicht Täter sein, weil ihm die dazu erforderliche Qualifikation (die soziale Pflichtenstellung) fehlt. Eine mittelbare Täterschaft oder auch nur Anstiftung des qualifizierten Hintermannes muss an der mangelnden Tatbestandserfüllung durch den Ausführenden scheitern.

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Die Konsequenz der Straflosigkeit wird wegen des kriminalpolitisch inakzeptablen Ergebnisses nur selten gezogen, findet aber immer noch Anhänger.[187] So sagt etwa Otto:[188] „Die Tatsache einer besonderen Pflichtenstellung des Hintermannes begründet keine Herrschaftsposition über den unmittelbar Handelnden.“ Es entfalle daher „die Möglichkeit, ihn als Täter zu bestrafen“. Über die Lehre von den Pflichtdelikten und über die geschilderten Versuche, eine Täterschaft normativ zu begründen, sagt er: „Beide Meinungen können eine Herrschaft des Hintermannes nicht begründen. Sie kaschieren nur mühsam, dass es ihnen allein darum geht, befürchtete Strafbarkeitslücken zu schließen. Das aber wäre Aufgabe des Gesetzgebers.“

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Im selben Sinn argumentiert Zieschang:[189] „Vor dem Hintergrund, mögliche Strafbarkeitslücken zu vermeiden, verlässt man die bestehenden sachlich zutreffenden Kriterien zur Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme.“ Auch er verweist auf den Gesetzgeber als möglichen Lückenschließer.[190]

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Die Straflosigkeitsthese ist jedoch in doppelter Hinsicht unhaltbar. Zum einen hat der Gesetzgeber keinen bestimmten Täterbegriff kodifiziert. Daher ist es wissenschaftlich möglich und geboten, die Täterschaft an die besondere soziale Pflichtenstellung eines Beteiligten zu knüpfen, wenn diese eine herausgehobene Verantwortung für das Geschehen begründet und den Pflichtigen gegenüber Nichtqualifizierten als „Zentralgestalt“ des deliktischen Geschehens erscheinen lässt.

240

Zum anderen ist auch das Ergebnis einer Straflosigkeit aller Beteiligten derart verfehlt, dass es nicht mehr als eine vertretbare Gesetzesauslegung angesehen werden kann. Wenn in einem oben (Rn. 223 ff.) gebildeten Beispiel ein Amtsträger eine Falschbeurkundung vornimmt (§ 348 StGB), so gibt es kein sinnvolles Argument für die These, dass dies zwar bei eigenhändiger Beurkundung, nicht aber dann strafbar sein soll, wenn er sich eines professionellen Fälschers bedient.

241

Das gilt für alle Pflichtdelikte. Ein Pflichtdelikt ist z.B. auch § 288 StGB (Vereitelung der Zwangsvollstreckung). Denn der Täter handelt in der sozialen Rolle eines Vollstreckungsschuldners, aus der ihm die Pflicht erwächst, sein Vermögen für die Befriedigung des Gläubigers bereitzuhalten. Befindet er sich auf Reisen und beauftragt er seinen Freund, Vermögensstücke beiseitezuschaffen, so ist er mittelbarer Täter des § 288 StGB, während der Freund als qualifikationsloses doloses Werkzeug und damit als Gehilfe zu bestrafen ist.[191] Die Gegenmeinung, die in einem solchen Fall die Straflosigkeit beider befürwortet, führt, wie Fischer[192] mit Recht sagt, zu einem nicht akzeptablen Ergebnis: „Diese Lösung müsste die kriminelle Energie potentieller Täter auf die risikolose Gewinnung von außenstehenden Komplizen verlagern.“ So etwas zuzulassen, darf man dem Gesetzgeber nicht unterstellen.

VI. Die Täterschaft bei unechten Unterlassungen

242

Pflichtdelikte sind auch die unechten Unterlassungen. Denn Täter kann nur sein, wer in einer sozialen Pflichtenstellung als Garant für die Nichtabwendung des Erfolges einzustehen hat. Das bedeutet nach der hier vertretenen Lehre, dass ein Garant, der die Abwendung des Erfolges unterlässt, den Tatbestand des betreffenden Deliktes als Täter verwirklicht, auch wenn ein Begehungstäter den Tatbestand durch aktives Handeln erfüllt. Wenn also ein Vater gegen die Tötung des neugeborenen Kindes durch die Mutter nicht einschreitet, ist er Täter eines Tötungsdeliktes durch Unterlassen, obwohl natürlich auch die Mutter den Tatbestand als Täterin verwirklicht.

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Man kann darüber streiten, ob man hier von einer mittelbaren oder unmittelbaren Täterschaft des Unterlassenden sprechen sollte. Für die Annahme einer unmittelbaren Täterschaft lässt sich geltend machen, dass die Täterschaft des Vaters unabhängig davon ist, ob der Tod des Kindes durch einen Menschen oder durch ein Naturereignis herbeigeführt wird. Im letzten Fall liegt zweifelsfrei eine unmittelbare Unterlassungstäterschaft vor. Doch das ist eine terminologische Frage ohne praktische Bedeutung.

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Eine Ausnahme von der Täterschaft des unterlassenden Garanten gilt nur für den Fall, dass ein bestimmter Tatbestand nicht durch Unterlassen verwirklicht werden kann. So liegt es bei eigenhändigen Delikten (man kann z.B. keinen Meineid durch Unterlassen begehen), vor allem aber bei Absichtsdelikten. Wenn jemand während seiner Abwesenheit seine Wohnung durch einen Aufseher bewachen lässt und dieser gegen einen Dieb nicht einschreitet, hat der Aufseher trotz seiner Garantenstellung nur eine Beihilfe zum Diebstahl durch Unterlassen begangen. Denn ihm fehlt die für die Tatbestandserfüllung erforderliche Zueignungsabsicht.

 

245

Der Auffassung, dass das Garantenunterlassen schon als solches täterschaftsbegründend wirkt, nähert sich in zunehmendem Maße auch der Bundesgerichtshof. Er hatte ursprünglich darauf abgestellt, ob der unterlassende Garant einen Täter- oder Teilnehmerwillen habe[193] – ein bei Unterlassungsdelikten besonders untaugliches Abgrenzungskriterium, weil bei völliger Untätigkeit ein irgendwie gearteter Wille nach außen überhaupt nicht hervortreten kann.

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In neuerer Zeit hat sich das aber geändert. Das Urteil BGHSt 38, 325 ff. bestraft einen Bürgermeister, den die Entscheidung als Garanten für die Abwendung der von ortsansässigen Grundeigentümern ausgehenden Gewässerverunreinigungen ansieht, als Unterlassungstäter, ohne die Möglichkeit einer bloßen Beihilfe auch nur in Erwägung zu ziehen. „Demgemäß hat der Bürgermeister den Tatbestand der Gewässerverunreinigung (§ 324 Abs. 1 StGB) durch Unterlassen verwirklicht, soweit die pflichtwidrige Verabsäumung der von ihm zu ergreifenden Maßnahmen für den Eintritt des Erfolges ursächlich war.“[194] Nestler[195] zieht daraus mit Recht die Folgerung, die These, dass der BGH Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen immer nach der subjektiven Theorie abgrenze, lasse sich „für den Bereich der Amtsträgergarantenstellungen gem. § 324 StGB … nicht mehr aufrechterhalten“. Der BGH bejahe „mit der Feststellung einer Garantenstellung gleichsam automatisch die Täterschaft des Bürgermeisters“.

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Diese Rechtsprechung beschränkt sich aber keineswegs auf Amtsträger. So wird in BGHSt 41, 113 ff. ein Vater, der gegen Misshandlungen seines Kindes nichts unternommen hatte, ohne weiteres als Täter einer Körperverletzung bestraft. „Indem er nicht in der geforderten Weise eingeschritten ist und dadurch Schädigungen des Kindes verhindert hat, hat der Angeklagte durch Unterlassen das seiner Fürsorgepflicht unterstehende Kind … gequält.“[196] Auch in einem Fall der Untreue[197] hat der BGH den Garanten als mittelbaren Täter bestraft. Eine ausdrückliche Anerkennung der Lehre von den Pflichtdelikten fehlt freilich bisher auch im Bereich der unechten Unterlassungen.

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Man wird eine Täterschaft des Garanten auch dann annehmen müssen, wenn er sich nicht auf ein Unterlassen beschränkt, sondern einen aktiven, aber nicht herrschaftsbegründenden Tatbeitrag leistet. Wird ein Kind getötet, ist der Vater also auch dann Täter, wenn er dabei in geringfügiger Weise aktiv mitgewirkt hat.[198]

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In der Literatur ist die Frage der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen heillos umstritten. Eine verbreitete Meinung folgt der Tatherrschaftslehre auch hier und sieht ein garantenpflichtwidriges Unterlassen neben einer Begehungstat stets nur als Beihilfe an. Aber damit wird nicht nur der Charakter der unechten Unterlassungen als Pflichtdelikte verkannt. Es ist auch nicht einzusehen, warum ein gegen äußere Umstände nicht einschreitender Garant stets Unterlassungstäter sein soll, während derjenige, der gegen eine von Menschen drohende Gefahr nicht vorgeht, in den Genuss der milderen Beihilfebestrafung kommen soll. Denn von Menschen ausgehende Gefahren sind meist leichter abzuwenden (durch Anruf und erforderlichenfalls Drohung mit Anzeige) als ein durch äußere Umstände sich anbahnendes Unglück.

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Andere differenzieren nach der Art der Garantenstellung: Der unterlassende Schutzgarant soll im Verhältnis zum Begehungstäter ebenfalls Täter, der Überwachungsgarant nur Gehilfe sein. Aber diese Lösung ist, soweit sie eine Beihilfe annimmt, denselben Einwänden ausgesetzt. Auch liegen Schutz- und Überwachungsgarantenstellungen oft gemeinsam vor und gestatten dann keine Differenzierung. Die Wasserwacht hat die vom Meer ausgehenden Gefahren zu kontrollieren, ist aber gleichzeitig Schutzgarant der Badegäste. Auch der BGH hat eine solche Unterscheidung nicht getroffen, wie das Beispiel des seine Überwachungspflicht versäumenden Bürgermeisters zeigt.

251

Auch mit Hilfe der Entsprechungsklausel des § 13 StGB wird eine differenzierende Abgrenzung versucht. Das alles gehört freilich in die Unterlassungsdogmatik und kann deshalb hier nicht in allen Einzelheiten behandelt werden.[199]

12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 52 Mittelbare Täterschaft › H. Mittelbare Täterschaft bei Wegnahme ohne Zueignungsabsicht?

H. Mittelbare Täterschaft bei Wegnahme ohne Zueignungsabsicht?

252

Früher wurde in Teilen der Literatur die Möglichkeit einer mittelbaren Täterschaft durch ein „absichtslos-doloses Werkzeug“ für möglich gehalten. Das Hauptbeispiel ist der Fall, dass jemand einen anderen veranlasst, eine Sache für ihn (den Hintermann) zu stehlen. Da der Tatbestand des § 242 StGB die Absicht verlangte, die Sache „sich“ zuzueignen, konnte der Ausführende einer verbreiteten Meinung zufolge wegen fehlender Zueignungsabsicht nicht Täter des Diebstahls sein. Der Hintermann konnte aber nach richtiger Auffassung auch nicht als Täter verurteilt werden, weil ihm die Tatherrschaft fehlte, die bei einem Herrschaftsdelikt wie dem Diebstahl unerlässliche Voraussetzung der Täterschaft ist. Die Konstruktion einer mittelbaren Täterschaft durch Einsatz eines „absichtslos-dolosen Werkzeugs“, die der Schließung dieser Strafbarkeitslücke dient, war also schon nach damaligem Recht abzulehnen.[200]

253

Heute hat sich das Problem weitgehend erledigt, weil das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 für den subjektiven Tatbestand die Absicht genügen lässt, „die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen“.[201] Im Ausgangsbeispiel ist also der Wegnehmende problemlos als Täter zu bestrafen, weil er die gestohlenen Sache „einem Dritten“ (seinem Auftraggeber) zueignen will. Der Auftraggeber ist Anstifter.

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Einige Autoren versuchen, die immer schon verfehlte Rechtsfigur einer mittelbaren Täterschaft durch ein absichtslos-doloses Werkzeug für den Fall aufrechtzuerhalten, dass der Wegnehmende nicht die „Absicht“, sondern nur den direkten Vorsatz einer Drittzueignung hat.[202] Als Beispiele dienen etwa Fälle wie die, dass der unmittelbar Handelnde primär durch das Motiv geleitet wird, den Eigentümer zu schädigen oder sich Ärger mit dem Auftraggeber zu ersparen. Aber solche Hintergrundmotive ändern nichts an der Absicht der Drittzueignung. Der unmittelbar Handelnde hat die Absicht, dem Veranlasser die weggenommene Sache zuzueignen, weil er den Eigentümer schädigen oder sich Ärger mit dem Auftraggeber ersparen will.

255

Außerdem vertritt Puppe[203] mit gutem Grund die Meinung: „… für die überschießende Innentendenz gilt durchweg, dass dolus eventualis ausreicht, weil der Verzicht des Gesetzgebers auf die objektive Erfüllung dieses Merkmals kein Grund dafür ist, die Anforderungen an den Vorsatz im Sinne einer Absicht im technischen Sinne zu verschärfen.“

256

Man wird also sagen können: Die Konstruktion einer mittelbaren Täterschaft durch Einsatz eines absichtslos-dolosen Werkzeugs ist rechtlich weder möglich noch zur Erzielung eines vernünftigen Ergebnisses nötig. Der unmittelbar Handelnde ist in solchen Fällen Täter, der Hintermann Anstifter.

257

Zu einem anderen Ergebnis kommt man nur in Fällen, in denen der unmittelbar Handelnde nicht nur ohne Zueignungsabsicht, sondern auch ohne Tatbestandsvorsatz tätig wird. Er ist dann „absichtslos-undoloses“, nicht aber absichtslos-doloses Werkzeug. So liegt es z.B., wenn ein Hintermann, der sich die Sache zueignen will, den Ausführenden bittet, eine fremde Sache wegzunehmen und ihm zu vorübergehendem Gebrauch (furtum usus) zu bringen oder wenn er ihm vorschwindelt, einen fälligen, nicht einredebehafteten Anspruch auf die Sache zu haben. In solchen Fällen fehlt dem unmittelbar Handelnden der Diebstahlsvorsatz, der sich auch auf die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes (den Zueignungswillen oder, im zweiten Beispiel, die Rechtswidrigkeit der Zueignung) erstrecken muss. Es handelt sich also um einen Fall der Irrtumsherrschaft durch Benutzung eines vorsatzlosen „Werkzeugs“, der ohne weiteres eine mittelbare Täterschaft begründet.[204]

12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 52 Mittelbare Täterschaft › I. Keine mittelbare Täterschaft bei eigenhändigen Delikten

I. Keine mittelbare Täterschaft bei eigenhändigen Delikten

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Ein eigenhändiges Delikt ist eine Straftat, die nur in unmittelbarer Täterschaft begangen werden kann. Dadurch wird definitionsgemäß eine mittelbare Täterschaft ausgeschlossen. Nach welchen Maßstäben das Vorliegen eines eigenhändigen Deliktes zu bestimmen ist und welche Tatbestände im Einzelnen zu dieser Deliktsgruppe gehören, ist eine Frage der allgemeinen Täterlehre und kann im Rahmen der mittelbaren Täterschaft nicht näher behandelt werden.[205]

259

Ein exemplarischer Fall der ersten Gruppe ist der Inzest unter erwachsenen Geschwistern, der nach § 173 Abs. 2 S. 2 StGB unter Strafe steht. Wenn – nach einem sehr konstruierten, aber anschaulichen Schulbeispiel – eine Hamburger Bordellwirtin einen Seemann und eine Prostituierte zusammenbringt, von denen sie (anders als das verkuppelte Paar) weiß, dass es sich um Geschwister handelt, wäre sie nach den Regeln der Tatherrschaft mittelbare Täterin eines Geschwisterinzests. Die tabuverletzende Unmoral des Geschlechtsaktes, die den Grund der Bestrafung bildet,[206] fehlt aber, wenn die unmittelbaren „Täter“ von ihrer Geschwistereigenschaft nichts wissen. Daher müssen alle Beteiligten straflos bleiben.

260

Ein höchstpersönliches Pflichtdelikte ist z.B. der Meineid (§ 154 StGB). Täter kann nur sein, wer seine höchstpersönliche Eidespflicht durch einen falschen Schwur verletzt. Wenn ein Hintermann ihn, indem er ihm einen falschen Sachverhalt suggeriert, zu einem unwissentlich falschen Schwur verleitet, kann der Hintermann also nicht als mittelbarer Täter eines Meineides bestraft werden, obwohl er die Tatherrschaft ausübt. Denn ihn trifft nicht die Eidespflicht, deren bewusste Verletzung den Strafgrund abgibt. Dass der Gesetzgeber das auch so sieht, zeigt § 160 StGB, der die Verleitung eines „anderen zur Ableistung eines falschen Eides“ in einer Sondervorschrift unter Strafe stellt. (Ein „falscher Eid“ ist nach dem Sprachgebrauch des Gesetzes ein unvorsätzlich falscher Eid.)

12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 52 Mittelbare Täterschaft › J. Der Irrtum über Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft