Handbuch des Strafrechts

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III. Der unmittelbar Ausführende nimmt irrtümlich die Voraussetzungen ausgeschlossener Verantwortlichkeit an

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Diese Fallgruppe wird in der Regel unter dem Stichwort der irrigen Annahme schuldausschließender Umstände behandelt. Sie spielt jedoch bei Schuldausschließungsgründen im engeren Sinne keine Rolle. Wenn ein Zurechnungsfähiger sich fälschlich für zurechnungsunfähig hält, ist er gleichwohl vorsätzlicher Täter und der Hintermann nur Anstifter.

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Jedoch können Irrtümer des Handelnden über die Voraussetzungen ausgeschlossener Verantwortlichkeit in den Fällen des § 35 StGB und auch bei übergesetzlichem Verantwortungsausschluss vorkommen. Wenn jemand durch eine Todesdrohung zu einer Strafvereitelung (§ 258 StGB) veranlasst wird, die Drohung aber nur vorgespiegelt war, so ist der unmittelbar Handelnde gemäß § 35 Abs. 2 StGB straflos, wenn der Irrtum unvermeidbar war; im Fall der Vermeidbarkeit ist die Strafe zu mildern.

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Bei Konstellationen solcher Art ist der Hintermann mittelbarer Täter, weil er allein die Sachlage übersieht und die psychische Situation des Ausführenden derjenigen entspricht, die beim Vorliegen einer wirklichen Notstandssituation gegeben ist. Das gilt auch dann, wenn der Irrtum vermeidbar war. Denn die Ausnahmen, die bei einem Verbotsirrtum nach der hier vertretenen Auffassung (oben Rn. 93 ff.) in Fällen der Rechtsfeindschaft des Ausführenden in Betracht kommen, haben bei irrtümlicher Annahme von Notstandssituationen nach § 35 StGB keine Parallele. Die Regeln, nach denen ausnahmsweise beim wirklichen Notstand des Ausführenden nur eine Teilnahme des Hintermannes in Betracht kommt (oben Rn. 38 ff.), gelten hier freilich entsprechend.[75]

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Um die irrtümliche Annahme der Voraussetzungen eines übergesetzlichen Verantwortungsausschlusses handelte es sich im Katzenkönig-Fall (oben Rn. 94 ff.), wo der Handelnde glaubte, zur Rettung von Millionen Menschenleben eine Tötung vornehmen zu sollen.[76] Auch die Hervorrufung eines solchen Irrtums begründet – ob dieser nun vermeidbar war oder nicht – stets eine mittelbare Täterschaft.

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Die irrtümliche Annahme verantwortungsausschließender Umstände führt nicht selten zu einem gleichzeitigen Verbotsirrtum des Ausführenden, wofür der Katzenkönigs-Fall ein anschauliches Beispiel bildet. Denn die Annahme verantwortungsausschließender Umstände wird bei Rechtsunkundigen oft zu der Annahme führen, das Handeln sei erlaubt. Darin liegt aber kein Problem. Denn es ist ohne weiteres möglich, dass die mittelbare Täterschaft bei demselben Sachverhalt in verschiedenen Erscheinungsformen auftritt.

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Eine bloße Teilnahme liegt freilich vor, wenn der Ausführende und der Veranlassende gleichermaßen verantwortungsausschließende Umstände irrtümlich annehmen. Denn dann fehlt eine herrschaftsbegründende überlegene Kenntnis des Hintermannes.

IV. Der unmittelbar Ausführende handelt voll deliktisch

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Ob und ggf. inwieweit eine mittelbare Täterschaft auch dann möglich ist, wenn der Ausführende trotz seines Irrtums voll deliktisch handelt, ist bis heute äußerst umstritten. Ich hatte im Jahr 1976[77] drei Fallgruppen genannt, in denen die Hervorrufung eines Irrtums beim Ausführenden auch dann zur mittelbaren Täterschaft eines Hintermannes führt, wenn der unmittelbar Handelnde trotz seines Irrtums als voll verantwortlicher Vorsatztäter haftet: die Täuschung über das Ausmaß des verwirklichten Unrechts (a), die Täuschung über qualifizierende Tatumstände (b) und die Hervorrufung eines error in persona (c). Alle drei Konstellationen stehen noch heute in der Diskussion.

1. Die Täuschung über das Ausmaß des verwirklichten Unrechts

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Als Schulbeispiel für diese Konstellation dient ein von Herzberg[78] erfundener Sachverhalt: Ein Hintermann veranlasst den Ausführenden zur Vernichtung eines einem Dritten gehörenden wertvollen Kandinsky-Bildes durch die Vorspiegelung, es handele sich um ein wertloses Geschmiere. Aber auch andere Fälle dieser Art sind leicht zu bilden. So kann etwa jemand einen anderen zu einer vorgeblich leichten Körperverletzung bestimmen und dabei eine ihm bekannte besondere Anfälligkeit des Opfers verschweigen, so dass dieses keine leichte, sondern eine schwere Verletzung davonträgt. Oder jemand wird durch einen anderen veranlasst, jemanden durch Einschließung der Freiheit zu berauben. Dabei wird ihm versichert, die Einschließung werde nur kurzfristig sein, während sie in Wirklichkeit, wie der Hintermann weiß, drei Tage lang dauert.

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Bei einem solchen „graduellen“ Tatbestandsirrtum[79] wird man eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes bejahen müssen.[80] Denn wenn der Kandinsky – um es am Ausgangsbeispiel zu verdeutlichen – hundertausendmal so viel wert ist wie ein unkünstlerisches „Geschmiere“, ist der Herrschaftsanteil des Hintermannes hunderttausendmal so groß wie der des Ausführenden, der ahnungslos ein unersetzliches Kunstwerk zerstört. Es geht nicht an, denjenigen, der den weitaus überwiegenden Teil des Unrechtsgeschehens beherrscht, nur als Randfigur (Anstifter) zu bestrafen. Entsprechendes gilt für den, der für eine gravierende Körperverletzung oder die lange Dauer einer Freiheitsberaubung allein verantwortlich ist.

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Für eine mittelbare Täterschaft sprechen noch weitere Gründe. Wer einen zur Verabreichung einer Ohrfeige Entschlossenen dazu bewegt, das Opfer krankenhausreif zu schlagen, ist wegen Anstiftung zur Körperverletzung strafbar.[81] Dann muss bei Benutzung eines im Hinblick auf die Übersteigerung ahnungslosen Werkzeugs eine mittelbare Täterschaft vorliegen.

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Die Annahme einer mittelbaren Täterschaft wird auch dadurch nahegelegt, dass eine Anstiftung zur Körperverletzung gleichzeitig ein Mord in mittelbarer Täterschaft sein kann, wenn dem zur Körperverletzung Angestifteten die tödliche Wirkung des zur Verletzung dienenden Mittels verschwiegen wird.[82] Wenn die Übersteigerung bei zwei verschiedenen Tatbeständen zur mittelbaren Täterschaft führt, muss das für eine Täuschung über die Unrechtshöhe im Rahmen desselben Tatbestandes ebenso gelten. Die mittelbare Täterschaft bei einer gravierenden Täuschung über das Maß des durch die Tat verwirklichten Unrechts wird auch nicht allein durch das überlegene Wissen des Hintermannes begründet. Auch das Hemmungsmotiv beim Ausführenden ist – im Verhältnis zum Fall einer Anstiftung – drastisch herabgesetzt. Der Vernichtung eines „wertlosen Geschmieres“ stehen nur ganz geringe, der Zerstörung eines sehr wertvollen Gemäldes dagegen fast unüberwindliche Hemmungen entgegen.

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Freilich muss man für eine mittelbare Täterschaft verlangen, dass die Täuschung zu einem erheblichen Irrtum über das Schadensausmaß führt. Eine geringfügige Differenz des Kenntnisstandes genügt nicht, um dem Hintermann die Herrschaft über eine selbstständige Tat zuzusprechen.

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Die hier befürwortete Lösung hat in der Literatur viele Anhänger[83], aber auch zahlreiche Gegner[84].

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Die Vertreter einer dem Verantwortungsprinzip auch in diesen Fällen anhängenden Anstiftungslösung berufen sich im Wesentlichen darauf, dass der unmittelbar Handelnde den Tatbestand vorsätzlich-schuldhaft verwirkliche und daher die Tatherrschaft innehabe, wodurch die Täterschaft eines Hintermannes ausgeschlossen werde. Der Irrtum des Ausführenden sei daher „ein unbeachtlicher Motivirrtum“[85]. Es handele sich lediglich um einen Irrtum über „strafzumessungsrelevante Tatsachen“[86], der keinen Anlass biete, „vom Verantwortungsprinzip abzuweichen“. Außerdem wird allgemein darauf hingewiesen, dass das Kriterium, wonach die mittelbare Täterschaft eine erheblich größere Kenntnis des Hintermannes vom Schadensausmaß verlange, zu unbestimmt sei.

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Beide Einwände greifen aber nicht durch. Denn die Tatherrschaft ist keine „Tatbestandsherrschaft“, die bei schuldhaft-vorsätzlicher Tatbestandsverwirklichung andere von der Tatherrschaft notwendig ausschließt. Es handelt sich vielmehr um eine das gesamte Delikt und vor allem auch das tatbestandliche Unrecht umfassende Herrschaft. Der bei weitem größere Teil des Unrechtsgeschehens wird aber in den genannten Fällen allein vom Hintermann beherrscht. Es ist daher verfehlt, die Tatherrschaft allein demjenigen zuzusprechen, der nur einen sehr kleinen Teil des Tatunrechts beherrscht.

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Auch der Einwand, es lasse sich nicht sicher genug bestimmen, wann der vom Hintermann allein beherrschte Anteil an der Unrechtsverwirklichung erheblich größer sei als das vom Ausführenden bewusst verwirklichte Unrecht, überzeugt nicht. Grenzfälle, die es überall gibt, sind kein Argument gegen die Annahme einer mittelbaren Täterschaft in den Fällen deutlich überwiegender Unrechtsbeherrschung durch den Hintermann. Und in den echten Grenzfällen ergeben sich keine praktischen Probleme, weil der Strafrahmen bei mittelbarer Täterschaft und Anstiftung derselbe ist.

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Was für Fremdschädigungen bei überlegenem Wissen des Hintermannes gilt, ist auch auf Selbstschädigungen anwendbar. Wenn also jemand einen anderen zur Berührung einer Stromleitung durch die Zusicherung veranlasst, er werde nur einen leichten Stromstoß verspüren, während in Wirklichkeit, wie er weiß, ein schwerer und schmerzlicher Stromschlag die Folge ist, hat eine Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft begangen.

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Wichtig ist das auch bei überlegenem Risikowissen des Außenstehenden. Das spielt besonders bei der von einem Außenstehenden veranlassten Selbstinjektion von Rauschgift eine Rolle. Auch der BGH nimmt hier bei größerer Risikokenntnis des Veranlassers eine mittelbare Täterschaft an:[87] „Die Strafbarkeit kann … dort beginnen, wo der sich Beteiligende kraft überlegenen Sachwissens ein Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende.“ Dann ist eine mittelbare Täterschaft zu bejahen, obwohl das Opfer sich (mit geringerem Risikowissen) immer noch vorsätzlich selbst gefährdet.

2. Die Täuschung über qualifikationsbegründende Umstände

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Eine solche Täuschung kann sich zunächst auf qualifizierende Unrechtsmerkmale beziehen. Wenn A dem B eine Flasche mit angeblich essigsaurer Tonerde übergibt und ihn auffordert, den C damit anzuspritzen,[88] während es sich in Wirklichkeit um eine lebensgefährliche „Merck-Flusssäure“ handelt, verwirklicht B bei Begehung der Tat vorsätzlich nur den Tatbestand der einfachen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB), während der Vorsatz des A auf eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB: „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“) gerichtet ist. Hier ist A mittelbarer Täter einer gefährlichen Körperverletzung. Das ergibt sich nach der hier vertretenen Meinung (o.a.]) unabhängig vom Vorliegen eines Qualifikationstatbestandes schon daraus, dass der A infolge seines überlegenen Wissens das Maß des Unrechtsgeschehens in weit höherem Grade beherrscht als B.

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Aber auch Autoren, die in der unter a) behandelten Fallgruppe nur eine Anstiftung annehmen, plädieren hier für eine mittelbare Täterschaft, da „das zusätzliche objektive Unrecht vortatbestandlich ist“[89]. Auch der BGH bejaht eine mittelbare Täterschaft.[90]

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Selbstständige Bedeutung gewinnt diese Fallgruppe aber dort, wo die Qualifikation nicht auf einer größeren Unrechtskenntnis, sondern auf der erhöhten Schuld des Hintermannes beruht, wie es nach verbreiteter Auffassung beim Verhältnis des Mordes (§ 211 StGB) zum Totschlag (§ 212 StGB) der Fall ist.

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Einen solchen Sachverhalt hat der BGH entschieden.[91] Der Angeklagte hatte im Frühjahr 1945 beim Einmarsch amerikanischer Soldaten diese zur Erschießung des L mit der bewusst wahrheitswidrigen Begründung veranlasst, L habe mehrere Fremdarbeiter ermordet. In Wirklichkeit wollte er den unschuldigen L aus niedrigen Beweggründen umbringen, indem er davon ausging, dass die Amerikaner ihn ohne Überprüfung der Anschuldigung und ohne Verfahren erschießen würden. So geschah es auch.

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Hier haben die Amerikaner einen Totschlag (§ 212 StGB) begangen, während beim Angeklagten die Voraussetzungen des § 211 StGB (niedriger Beweggrund) vorlagen. Der BGH hat damals nur eine Anstiftung zum Totschlag angenommen. Auch in der Literatur wird dies bisweilen vertreten. Zur Begründung lässt sich geltend machen, dass die höhere Schuld in der Person des Hintermannes nur ein Strafzumessungsfaktor sei, das Tatunrecht aber nicht vergrößere und deshalb zur Begründung der mittelbaren Täterschaft nicht ausreiche.[92] So verweist Bloy[93] darauf, dass ein Mord aus niedrigen Beweggründen „gegenüber dem Totschlag keine andere Tat, sondern dieselbe Tat mit einem anderen Schuldgehalt“ sei.

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Dennoch sprechen die besseren Gründe für die Annahme einer mittelbaren Täterschaft.[94] Denn auch sonst ist anerkannt, dass trotz Verwirklichung desselben Unrechts eine höhere Schuld in der Person des Hintermannes eine Tatherrschaft und damit eine mittelbare Täterschaft begründen kann, wenn sie auf einer Verkennung der Sach- oder Rechtslage beim Ausführenden beruht. Das gilt für die Hervorrufung eines vermeidbaren Verbotsirrtums (oben Rn. 91 ff.) ebenso wie für die Vorspiegelung einer verantwortungsausschließenden Situation (oben Rn. 109 ff.).

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Freilich muss man verlangen, dass die Schulddifferenz „objektiviert“ ist, d.h. eine gesetzliche Regelung gefunden hat oder in der Wissenschaft zu einer selbstständigen Rechtsfigur ausgebildet worden ist. Das ist in §§ 17 S. 2, 35 Abs. 2 geschehen; und es ist erst recht der Fall, wenn der höhere Schuldgehalt zur Schaffung eines eigenen Tatbestandes geführt hat, wie es beim Verhältnis des Mordes zum Totschlag der Fall ist. Auch eine in der Wissenschaft anerkannte Rechtsfigur wie der übergesetzliche verantwortungsausschließende Notstand reicht noch aus, um den über seine Voraussetzungen Täuschenden zum mittelbaren Täter zu machen (oben Rn. 110 ff.).

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Auch der BGH scheint zu der hier vertretenen Ansicht übergegangen zu sein, wenn er unter Berufung auf meine Ausführungen in dem eingangs geschilderten „Säure-Fall“ betont,[95] eine mittelbare Täterschaft liege auch dann vor, „wenn der Tatmittler infolge des Irrtums glaubt, eine minder schwere Straftat zu begehen“.

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Dagegen kann eine ausschließlich strafzumessungsrelevante Schulddifferenz zur Annahme einer mittelbaren Täterschaft nicht ausreichen, weil solche Umstände keinen Bezug zur Herrschaft über die Tat haben. Es steht aber nichts im Wege, einen Anstifter ggf. schwerer zu bestrafen als den Täter.

3. Der manipulierte error in persona

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Der Fall, dass ein Hintermann den unmittelbar Ausführenden über die Identität des Opfers täuscht, wird viel diskutiert, ist aber praktisch kaum von Bedeutung. Ein Sachverhalt dieser Art liegt etwa vor, wenn A sich durch einen Artikel des ihm persönlich nicht näher bekannten Journalisten B schwer beleidigt fühlt und ihm daraufhin auflauert, um ihn zu erschießen. C, der den Plan des A kennt und sich ihm angeschlossen hat, redet ihm daraufhin ein, der des Weges kommende D sei der gesuchte B. Er will auf diese Weise den ihm verhassten D aus dem Weg schaffen. A fällt auf die Täuschung herein und erschießt den D in der Meinung, es handele sich um B. Eine Variante des Falles geht dahin, dass C dem A zusichert, er werde den B auf einen Waldweg locken, wo er ihn hinterrücks erschießen könne, dass er dann aber den D an die verabredete Stelle manövriert, wo er von A erschossen wird.

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Richtigerweise wird man den C als mittelbaren Täter eines an D begangenen Tötungsdelikts verurteilen müssen. Denn zwar ist der A ebenfalls Täter eines vorsätzlich-schuldhaften Tötungsdelikts, weil der error in persona, in dem er befangen ist, ihn nicht entlastet. Aber C ist der einzige, der vorsätzlich den Tod des D herbeigeführt hat. Das genügt für die Annahme einer mittelbaren Täterschaft, weil die Tötung des D aus der Sicht des Hintermannes eine andere Tat ist, als es die Tötung des B gewesen wäre.

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Dass beim unmittelbar Ausführenden die abstrakte Vorstellung, den vor ihm stehenden Menschen töten zu wollen, auch bei einer Identitätstäuschung für die Zurechnung zur Vorsatztat genügt, ändert nichts daran, dass für den Hintermann die Umlenkung des Geschehens auf ein anderes Opfer eine selbstständige Tat darstellt. Das zeigt der Vergleich mit der Anstiftung: Wenn A dem zur Tötung des B entschlossenen C einredet, statt des B lieber den D umzubringen, ist er, wenn C darauf eingeht, als Anstifter eines selbstständigen Tötungsdelikts zu bestrafen. Dann muss aber, wenn der Identitätswechsel dem Ausführenden durch eine Täuschung verborgen wird, eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes angenommen werden.

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Hinzu kommt, dass, wenn man eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes ablehnen wollte, seine Bestrafung überhaupt nicht möglich wäre. Denn wenn man die abstrakte Personqualität des Opfers als Gegenstand der „Tat“ ansieht, scheidet eine Anstiftung aus, weil der Ausführende zur Begehung einer vorsätzlichen Tötung bereits entschlossen war. Auch eine Beihilfe kommt nicht in Betracht, weil der Hintermann den Plan des unmittelbar Ausführenden nicht fördert, sondern im Gegenteil vereitelt. Ebenso muss eine gelegentlich angenommene Nebentäterschaft ausscheiden, weil die Beteiligten nicht unabhängig voneinander handeln.

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Die Annahme mittelbarer Täterschaft ist deshalb in diesen Fällen auch weit verbreitet.[96] Aber auch die Ablehnung einer mittelbaren Täterschaft findet in der neueren Literatur immer noch Anhänger.[97] Dabei wird teils Anstiftung[98], vorwiegend aber Beihilfe[99] angenommen, obwohl diese Lösungen aus den geschilderten Gründen ausscheiden müssen. Die neuerdings bevorzugte Annahme einer Beihilfe widerspricht nicht nur dem Unrechtsgehalt, der in der Tötung eines ohne die Handlung des Hintermannes Ungefährdeten liegt. Es ist auch schlechterdings nicht ersichtlich, wieso eine Hilfe für den unmittelbar Handelnden darin liegen soll, dass er zur Tötung eines Menschen veranlasst wird, den er gar nicht töten wollte.

4. Die Tatveranlassung durch Vorspiegelung lediglich motivationsrelevanter Tatsachen

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Dagegen reicht die Hervorrufung von Motivirrtümern für die Annahme einer mittelbaren Täterschaft nicht aus. Ein solcher Irrtum liegt vor, wenn die Fehlvorstellung des unmittelbaren Täters sich auf den Tatbestandsvorsatz, auf das Unrechtsausmaß, auf objektivierte Schuldkriterien oder die Identität des Tatobjekts nicht auswirkt. Einfacher ausgedrückt: Ein Motivirrtum liegt vor, wenn der Irrtum nicht die Tat, sondern allein die Gründe für ihre Begehung betrifft.

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So liegt es etwa, wenn A den B zur Verprügelung des C durch die falsche Behauptung veranlasst, dieser (der C) habe ihn (den B) betrogen, verleumdet oder sonstwie geschädigt. Hier untersteht die Körperverletzung allein und in vollem Umfang der Beherrschung des B. A ist nur Anstifter (was allen Strafbedürfnissen vollauf gerecht wird).

143

Zu einer mittelbaren Täterschaft kommt freilich eine Auffassung, die bei Erörterung der „Grundlagen“ (oben Rn. 11 f.) als „Prinzip der überwiegenden Einflussnahme“ bezeichnet wurde. Sie wird am deutlichsten von Frister[100] vertreten. Ihm zufolge kann „die Tatherrschaft … durch alle Irrtumsarten begründet werden, so dass jeder für die Tat ursächliche Irrtum zur Begründung mittelbarer Täterschaft ausreicht“. Danach führen zur mittelbaren Täterschaft alle „Motivirrtümer …, aufgrund derer eine Straftat begangen wird“. Das macht, wie Frister mit Recht sagt, „im Grunde“ die Bildung verschiedener Fallgruppen eines Täters hinter dem voll deliktischen Täter (oben Rn. 116–140) „überflüssig“.

144

Aber eine solche Auffassung geht entschieden zu weit. Denn, um es am Ausgangsbeispiel zu verdeutlichen: Die Verprügelung des C unterliegt allein der Herrschaft des B. Die dem A zur Last zu legende Täuschung bietet nach rechtlichen Maßstäben keinen Anlass zur Begehung einer Straftat und wirkt sich weder auf den Schadensumfang noch auf objektivierte Schuldkriterien noch auf die Person des Opfers aus. Der unmittelbar Handelnde ist in seiner Entschließung genau so frei, wie er es wäre, wenn die Insinuationen des Hintermannes auf Wahrheit beruhten und unstrittig nur eine Anstiftung begründen könnten. Es fehlt also jeglicher Umstand, der eine Herrschaft des Hintermannes über die Tat begründen könnte.

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Problematisch wird diese Lösung nach einer verbreiteten Meinung freilich bei einer täuschungsbedingten Veranlassung zum Suizid.[101] Denn hier fehlt die Möglichkeit einer Anstiftungsbestrafung. Gleichwohl ist auch hier eine mittelbare Täterschaft abzulehnen, wenn der Suizident im Zustand voller Verantwortlichkeit unter seiner alleinigen Herrschaft den eigenen Tod herbeiführt.

 

146

Wenn also A den B zum Selbstmord durch erfundene Mitteilungen über eine angeblich ungünstige Entwicklung der ihn betreffenden wirtschaftlichen Verhältnisse oder durch die falsche Zusicherung verleitet, dass die Lebensversicherung auch in einem solchen Fall an die Angehörigen ausgezahlt werde, ist das eine straflose Beteiligung am Suizid. Denn die Selbsttötung unterstand allein der Herrschaft des B.

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Das muss auch dann gelten, wenn A den B durch die Vorspiegelung einer unheilbaren Krankheit in den Tod treibt. Hier kann eine mittelbare Täterschaft vorliegen, wenn die Täuschung den B in eine zurechnungsausschließende Depression stürzt. Wenn B aber im Zustand voller Verantwortlichkeit in den Tod geht, bleibt er Herr des Geschehens, so dass A nach geltendem Recht straflos ist. Die Annahme einer mittelbaren Täterschaft würde auch deshalb zu weit gehen, weil eine erfundene Diagnose einen voll verantwortlichen Menschen normalerweise nicht zu einem Suizid, sondern allenfalls dazu veranlassen wird, die ihm suggerierte Krankheit durch ärztliche Experten überprüfen zu lassen. Deshalb ist auch ein solcher Fall in der Rechtsprechung noch nie vorgekommen.

148

Sehr umstritten ist aber die Beurteilung des vorgetäuschten Doppelselbstmordes. Der BGH hat einen solchen Sachverhalt entschieden.[102] Hier hatte eine Ehefrau, die ein ehebrecherisches Verhältnis unterhielt und sich ihres Mannes entledigen wollte, diesem einen Doppelselbstmord vorgeschlagen und das Gift gemischt. Dabei war sie von vornherein entschlossen, von dem Gift nicht zu trinken. Der Mann stimmte dem Vorschlag zu mit der Bemerkung: „Dann bleiben wir immer zusammen.“ Als er einen kräftigen – schon tödlichen – Schluck aus der Giftflasche getrunken hatte, reichte er sie seiner Frau. Diese schüttelte nur den Kopf. Daraufhin nahm der Mann noch einen weiteren Schluck. Er starb noch in derselben Nacht.

149

Der BGH hat offengelassen, „ob eine derartige Irrtumserregung allein ausreicht, um die Tatherrschaft des arglistig Täuschenden zu begründen“. Er nimmt dennoch eine mittelbare Täterschaft der Ehefrau an. Sie habe die Tatherrschaft dadurch erlangt, dass sie „den lang anhaltenden deprimierten Zustand ihres Ehemannes“ ausgenutzt, das Gift gemischt sowie den Plan in allen Einzelheiten bestimmt und zügig durchgesetzt habe.

150

Das alles kann aber eine Tatherrschaft der Ehefrau nicht begründen. Denn ihr Verhalten erfüllt nicht einmal den Tatbestand der Nötigung, liegt also weit unterhalb der Schwelle eines tatherrschaftsbegründenden Zwanges. Näher liegt es, aus dem vom BGH festgestellten „lang anhaltenden deprimierten Zustand“ des Ehemannes eine die mittelbare Täterschaft der Frau begründende verantwortungsausschließende Depression des Mannes abzuleiten. Aber dieser Möglichkeit ist der BGH nicht weiter nachgegangen.

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Man kann daher zur Annahme einer mittelbaren Täterschaft nur kommen, wenn man die Tatherrschaft bei einer Veranlassung zum Suizid oder wenigstens bei vorgetäuschten Doppelselbstmorden anderen Regeln unterstellt als die Veranlassung zur Begehung von Delikten. Ich hatte das ursprünglich getan,[103] Neumann[104] hat diese Annahme weiter entwickelt, und auch Schünemann[105], der bei Drittschädigungen die Hervorrufung von Motivirrtümern nicht für eine mittelbare Täterschaft ausreichen lässt, will bei Suiziden eine Ausnahme machen.

152

So schreibt Letzterer, beim Suizid sei „eine besondere Konstellation gegeben. Weil das Individuum weder rechtlich gehindert ist, sich selbst zu verletzen oder gar zu töten, noch dabei ein anderes Hindernis als den eigenen Lebenswillen überwinden muss, sind hier allein der Suizidentschluss und das dahin führende Motiv als ‚Grund des Erfolges‘ anzusehen, so dass ein Hintermann, der den Suizidentschluss durch eine Täuschung auslöst oder zumindest ausnutzt, hierüber die Herrschaft ausübt und deshalb mit Recht als mittelbarer Täter verantwortlich gemacht wird.“

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