Handbuch des Strafrechts

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

69

Es gibt außerdem keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber die Verantwortlichkeit für eigenes Handeln jemals nach den Regeln über die Wirksamkeit der Einwilligung oder den Maßstäben der einfachen Nötigung (§ 240 StGB) bestimmt hat. Wo das Problem eine praktische Bedeutung gewinnen kann – bei Tötungs- und Körperverletzungsdelikten – zeigen §§ 216, 228 StGB im Gegenteil, dass der Gesetzgeber die Mitwirkung an einer Selbstschädigung auch dort straflos lässt, wo er eine durch Einwilligung oder sogar ein Verlangen gedeckte Fremdschädigung für strafbar erklärt.

70

Es bestehen auch gute Gründe, Selbstschädigungen anders als nach den Regeln der Einwilligung zu behandeln. Denn die „Einwilligung“ ist in der Realität ein schnell gesprochenes, oft missdeutbares oder übereiltes und bisweilen bereutes Wort, dessen Gültigkeit vielfach von vornherein bezweifelt werden kann, wenn sie sich auf eine irreparable Schädigung bezieht. Dagegen vollzieht der sich selbst Schädigende die Rechtsgutsbeeinträchtigung in eigener Person und behält das Geschehen bis zuletzt in der Hand, während der Einwilligende die Herrschaft über den Schadensvollzug aus der Hand gibt.

71

Die neuere Rechtsprechung hat sich nur selten mit Fällen erzwungener Selbstschädigung befasst. Im Fall Hoefeld[48] wurde mit Recht ein Tötungsversuch angenommen, als Eltern ihre Tochter durch Schläge zu einem Selbstmordversuch trieben. Ein – freilich nie vor Gericht gekommener – Totschlag lag auch im Fall des Generalfeldmarschalls Rommel vor, der von Hitler wegen seiner Verstrickung in das Attentat vom 20. Juli 1944 durch Drohung mit Hinrichtung zum Selbstmord gezwungen wurde. OGHSt 2, 7 f. bejaht zutreffend eine Körperverletzung in einem Fall, in dem KZ-Häftlinge mit den Mitteln des § 35 StGB zu stundenlangem Aufenthalt in eiskaltem Wasser gezwungen wurden.

72

Eine eindeutige Stellungnahme in der Frage, ob eine mittelbare Täterschaft in Analogie zu § 35 oder schon bei Ausübung geringeren Drucks auf den Selbstschädiger anzunehmen sei, lässt auch die neuere BGH-Rechtsprechung nicht erkennen. Einerseits verweist BGHSt 32, 41 unter Bezugnahme auf meine Abhandlung in der Dreher-FS[49] ausdrücklich auf § 35 StGB. Andererseits hat der BGH[50] schon den Umstand, dass eine Ehefrau ihrem Mann einen Selbstmord vorgeschlagen, das Gift gemischt und den Plan „zügig“ durchgesetzt hatte, für eine Tatherrschaft der Frau und die Bejahung einer mittelbaren Täterschaft genügen lassen, ohne dass eine eigentliche Drohung oder Nötigung überhaupt vorgelegen hätte. Freilich waren in diesem Fall, worauf später einzugehen sein wird, auch die Vortäuschung eines Doppelselbstmordes und der prekäre seelische Zustand des Mannes zu berücksichtigen.

12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 52 Mittelbare Täterschaft › D. Die Irrtumsherrschaft

D. Die Irrtumsherrschaft

73

Neben die Nötigungsherrschaft als Zwangseinwirkung auf den Willen des unmittelbar Handelnden tritt die Irrtumsherrschaft als zweite Grundkategorie der mittelbaren Täterschaft (der Willensherrschaft). Man kann eine Tatbestandsverwirklichung nicht nur dadurch beherrschen, dass man einem unmittelbar Handelnden seinen Willen aufzwingt, sondern auch, indem man seine Unkenntnis ausnutzt und ihn dadurch zum Werkzeug seiner Pläne macht. Eine solche Irrtumsherrschaft kann in vier Erscheinungsformen auftreten.[51] Sie sind schon oben (Rn. 19 ff.) genannt worden und werden nachfolgend dargestellt.

I. Das vorsatzlos handelnde Werkzeug

1. Der unmittelbar Ausführende handelt schuldlos oder unbewusst fahrlässig

74

Hier liegt ein eindeutiger und unbestrittener Fall mittelbarer Täterschaft vor. Das sei an zwei bekannten Schulbeispielen verdeutlicht. Ein Mord in mittelbarer Täterschaft ist gegeben, wenn ein von einer Patientin als Erbe eingesetzter Arzt, um rascher an die Erbschaft zu kommen, einer Krankenschwester eine vorgeblich schmerzlindernde, in Wirklichkeit tödliche Spritze übergibt, die diese dem Opfer weisungsgemäß injiziert. Ein Diebstahl in mittelbarer Täterschaft ist anzunehmen, wenn jemand in einem Restaurant einen Bekannten bittet, ihm seinen am rechten Garderobenhaken hängenden Mantel zu bringen, der aber im Eigentum eines anderen steht, so dass der seine Herbeiholung Erbittende ihn sich rechtswidrig zueignen kann.

75

Bei Schuldlosigkeit oder unbewusster Fahrlässigkeit des Ausführenden wird dieser vom Hintermann als blinder Kausalfaktor zur Erfolgsherbeiführung benutzt. Man könnte in solchen Fällen sogar von einer unmittelbaren Täterschaft des Veranlassenden sprechen, wie man dies beim Einsatz mechanischer Kausalfaktoren ohne weiteres tut. Da jedoch Menschen „andere“ i.S.d. § 25 Abs. 1 StGB sind, empfiehlt es sich, diesen Fall entsprechend dem herkömmlichen Sprachgebrauch bei der mittelbaren Täterschaft einzuordnen.

2. Der unmittelbar Ausführende handelt bewusst fahrlässig

76

Etwas schwieriger wird die Beurteilung, wenn der unmittelbar Ausführende bewusst fahrlässig handelt. Er sieht also die Möglichkeit einer Tatbestandsverwirklichung – er erwägt also z.B., ob die Spritze möglicherweise vergiftet sei oder der Mantel in fremdem Eigentum stehe –, vertraut aber darauf, dass alles in Ordnung sei. Obwohl der Ausführende in solchen Fällen kein ganz blindes Werkzeug ist, muss dem Hintermann jedoch auch hier die Tatherrschaft und damit die mittelbare Täterschaft zugesprochen werden.[52] Das beruht einerseits darauf, dass der Hintermann den Sachverhalt weitaus besser übersieht als der Ausführende (er weiß, was der andere nur als eine theoretische Möglichkeit ansieht) und dass andererseits demjenigen, der auf die Rechtmäßigkeit des Vorganges vertraut, das Hemmungsmotiv fehlt, das der Bitte des Hintermannes entgegengesetzt werden könnte. Mindestens das letztgenannte Argument rechtfertigt auch dann noch die Annahme einer mittelbaren Täterschaft, wenn der Hintermann nur mit dolus eventualis handelt.

3. Der unmittelbar Ausführende handelt im Erlaubnistatbestandsirrtum

77

Eine mittelbare Täterschaft durch ein vorsatzlos handelndes Werkzeug liegt auch dann vor, wenn der Hintermann dem Ausführenden eine Rechtfertigungslage vorspiegelt, ihn also in einen Erlaubnistatbestandsirrtum versetzt. Wenn A dem B vortäuscht, der ihn (den B) umarmende C wolle ihn berauben und B den C daraufhin niederschlägt, ist A als mittelbarer Täter einer Körperverletzung zu bestrafen. Entsprechendes gilt, wenn jemand durch die fälschliche Behauptung, es liege eine rechtfertigende Notstandslage vor, zu einer Tatbestandsverwirklichung veranlasst wird.

78

Wenn man mit der ganz h.M. den Erlaubnistatbestandsirrtum als vorsatzausschließend ansieht, handelt es sich um einen Fall, der dem Fehlen des Tatbestandsvorsatzes gleichsteht. Eine mittelbare Täterschaft müsste aber auch dann bejaht werden, wenn man mit der sog. strengen Schuldtheorie in Fällen der Putativrechtfertigung eine vorsätzliche Tat des unmittelbar Handelnden annehmen würde. Denn der Hintermann ist der einzige, der strafrechtliches Unrecht verwirklichen will und den Unrechtssachverhalt übersieht. Das verschafft ihm die Tatherrschaft.[53]

4. Die Tatbestandsbezogenheit der mittelbaren Täterschaft

79

Die mittelbare Täterschaft ist in den Fällen des vorsatzlosen Werkzeugs immer tatbestandsbezogen. Sie kann also bei der Veranlassung zur Erfüllung verschiedener Tatbestände ggf. unterschiedlich beurteilt werden. Ein Beispiel liefert die Entscheidung BGHSt 30, 363. Hier hatte der Angeklagte zwei Männer zu einem Raub aufgefordert und ihnen zur Betäubung des Opfers ein angebliches Schlafmittel ausgehändigt, das in Wahrheit aus tödlich wirkender Salzsäure bestand. Bei einer Durchführung der Tat (sie scheiterte daran, dass die Aufgeforderten die Tödlichkeit des Mittels erkannten) wäre der Angeklagte wegen eines Mordes in mittelbarer Täterschaft zu verurteilen gewesen, während hinsichtlich des Raubes nur eine Anstiftung vorgelegen hätte.

80

Vereinzelt wird die Meinung vertreten, dass auch hinsichtlich des Mordes nur eine Anstiftung anzunehmen sei, weil schon das Ansinnen, einen Raub zu begehen, ein die Tatherrschaft des Hintermannes ausschließendes Hemmungsmotiv schaffe.[54] Aber das ist irrig. Denn die viel höhere Hemmschwelle, die gegenüber einer Mordtat besteht, wird durch die Täuschung gerade beseitigt. Einen bewussten Mord wollten die zum Raub entschlossenen Täter nicht begehen, wie auch der Geschehensverlauf im geschilderten Fall zeigt. Auch geht es nicht an, einen Sachverhalt, in dem ohne die Raubkomponente unstrittig eine mittelbare Täterschaft vorgelegen hätte, nur deshalb als Anstiftung zu beurteilen, weil noch eine Aufforderung zum Raub hinzutritt.

5. Die mittelbare Täterschaft bei rechtmäßig handelndem Tatmittler

81

 

In den Bereich der mittelbaren Täterschaft durch ein vorsatzlos handelndes „Werkzeug“ fällt auch die Benutzung eines rechtmäßig handelnden Tatmittlers. Solche Fälle kommen vor allem bei der Täuschung von Staatsorganen (besonders der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder der Richterschaft) vor. Wenn jemand durch eine falsche Anschuldigung einen scheinbar dringenden Tatverdacht gegen einen anderen schafft, ist er bei einer vorläufigen Festnahme oder Verhaftung des Beschuldigten als mittelbarer Täter einer Freiheitsberaubung zu bestrafen, während der Polizist und der Staatsanwalt im Fall der Festnahme und der Richter bei Ausstellung des Haftbefehls rechtmäßig gehandelt haben. Entsprechendes gilt für den nicht seltenen Fall des Prozessbetruges, in dem der Kläger durch gefälschte Unterlagen eine das Vermögen des Beklagten schädigende Verurteilung oder ein Beklagter mit denselben Mitteln eine den Kläger um sein Geld bringende Klagabweisung erreicht. Da das Urteil bis zu seiner etwaigen Aufhebung Bestand hat, ist der Richter das vorsatzlose, aber rechtmäßig handelnde Werkzeug des Klägers oder Beklagten.

82

Aber auch Privatleute können vorsatzlos-rechtmäßige Tatmittler sein. So kann jemand eine üble Nachrede durch einen gutgläubigen und in Wahrnehmung berechtigter Interessen handelnden Tatmittler in die Öffentlichkeit bringen und ist dann als mittelbarer Täter nach § 186 StGB zu bestrafen (vgl. RGSt 64, 23). Auch die Vorspiegelung einer Rechtfertigungssituation kann zur mittelbaren Täterschaft unter Einschaltung einer rechtmäßig handelnden Person führen. Wenn A dem B einen rechtswidrigen Angriff des C vorspiegelt, B daraufhin Putativnotwehr und C gegen B berechtigte Notwehr übt, ist A mittelbarer Täter einer Körperverletzung, wenn er einen solchen Verlauf vorsätzlich herbeigeführt hat. B ist dann vorsatzloses Werkzeug einer gegen ihn verübten rechtmäßigen Körperverletzung von Seiten des C.

6. Die Ausnutzung eines vorsatzausschließenden Irrtums als Fall der mittelbaren Täterschaft

83

Nicht ganz unstrittig ist der Fall, dass ein Hintermann den vorsatzausschließenden Irrtum des unmittelbar Handelnden nicht hervorruft, sondern nur ausnutzt. So liegt es etwa, wenn bei einer Jagdgesellschaft der kurzsichtige A auf ein im Gebüsch sich bewegendes Wild schießen will und der B ihm sein Gewehr leiht, obwohl er sieht, dass es sich bei dem vermeintlichen Wild um den ihm verhassten Jagdgenossen C handelt. In diesem Fall ist B nach richtiger Auffassung mittelbarer Täter eines Tötungsdelikts, während A allenfalls wegen fahrlässiger Tötung bestraft werden kann.

84

Das wird von einigen Autoren bestritten,[55] aber mit Unrecht. Denn da B vorsätzlich die Tötung eines Menschen durch einen unvorsätzlich handelnden anderen verursacht, ist er als mittelbarer Täter zur Verantwortung zu ziehen. A erlangt nicht dadurch die Tatherrschaft, dass er auf ein Wild schießen wollte.

85

Jede andere Lösung als die Annahme einer mittelbaren Täterschaft führt auch zu ganz unsachgemäßen Ergebnissen. Denn eine Bestrafung des B wegen Beihilfe kommt nicht in Betracht, weil die Beihilfe eine vorsätzliche Haupttat voraussetzt. Und eine Bestrafung des B wegen unterlassener Hilfeleistung, wie sie Schumann[56] befürwortet, verharmlost nicht nur den Unrechtsgehalt der Tat des B. Sie ist auch konstruktiv verfehlt, weil dem B kein Unterlassen, sondern eine todesverursachende Handlung (die Hingabe des Gewehrs) vorgeworfen wird.

7. Die durch Täuschung veranlasste Selbstschädigung

86

Eine mittelbare Täterschaft ist auch dann anzunehmen, wenn jemand durch Täuschung eine Selbstschädigung hervorruft, dem Getäuschten aber die selbstschädigende Wirkung seines vom Hintermann veranlassten Handelns verborgen geblieben ist. Wenn also A dem B eine vergiftete Speise vorsetzt, an deren Genuss der ahnungslose B erkrankt, ist A mittelbarer Täter einer Körperverletzung.

87

Ein spektakuläres Beispiel aus der Rechtsprechung liefert der sog. Sirius-Fall.[57] Hier hatte ein angeblich vom Stern Sirius stammender Mann in versicherungsbetrügerischer Absicht eine leichtgläubige Frau veranlasst, sich mit einem laufenden Fön in die Badewanne zu setzen. Er wollte sie auf diese Weise umbringen, hatte ihr aber vorgespiegelt, sie werde nach der Trennung von ihrem alten Körper in einem Raum am Genfer See mit einem veredelten Körper wieder erwachen. Der Plan scheiterte, weil der Fön nicht funktionierte. Hier lag, wie auch der BGH angenommen hat, ein versuchter Mord in mittelbarer Täterschaft vor. Denn da die Frau auf Erden weiterleben zu können glaubte, blieb ihr der lebenszerstörende Charakter ihres Handelns verborgen.

88

Auch bei der Veranlassung zu einer irrtumsbedingten Selbstschädigung genügt es für eine mittelbare Täterschaft, dass der Veranlasser vorsätzlich (sei es auch nur in der Form des dolus eventualis), der sich selbst Schädigende aber bewusst fahrlässig handelt. Wenn also jemand einem gesundheitlich gefährdeten Menschen Heroin gibt und eine möglicherweise tödliche Wirkung der vom Empfänger vorgenommenen Injektion in Kauf nimmt, ist er mittelbarer Täter eines Tötungsdelikts, wenn der Konsument an dem Rauschgift stirbt, sofern dieser zwar die Gefährlichkeit des „Stoffes“ kannte, aber nicht mit der Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs rechnete.

89

Ob eine mittelbare Täterschaft auch dann in Betracht kommt, wenn der unmittelbar Handelnde in einen bloßen Motivirrtum versetzt wird und sich unter dessen Einfluss selbst schädigt (etwa bei einem vorgetäuschten Doppelselbstmord oder der Vorspiegelung einer schweren Erkrankung), ist sehr umstritten. Die Konstellation wird hier erst im Rahmen der vierten Irrtumsstufe (unten Rn. 141 ff.) behandelt.

II. Der unmittelbar Ausführende handelt im Verbotsirrtum

1. Der Verbotsirrtum des Ausführenden ist unvermeidbar

90

Eine mittelbare Täterschaft liegt in solchen Fällen nach fast einhelliger Auffassung[58] vor, wenn jemand sich zum Zwecke einer Tatbestandsverwirklichung eines unmittelbar Ausführenden bedient, den er in einen unvermeidbaren Verbotsirrtum versetzt hat. Ein Anwalt veranlasst etwa einen Geschäftsmann zur Verwirklichung des Untreuetatbestandes, indem er ihm unter Hinweis auf sein Fachwissen vorspiegelt, sein Verhalten liege im Rahmen des erlaubten unternehmerischen Risikos. Der Geschäftsmann ist dann gemäß § 17 StGB straflos. Der Hintermann bedient sich eines für seine Tat nicht verantwortlichen „Werkzeugs“ und ist mittelbarer Täter. Es handelt sich um eine Parallele zum Fall einer mit den Methoden des § 35 StGB erfolgenden Nötigung mit dem Unterschied, dass die Herrschaft bei der Nötigung auf einer Zwangseinwirkung, in unserem Fall dagegen auf der schuldlosen Unkenntnis des Verbots beim Ausführenden beruht.

2. Der Verbotsirrtum des Ausführenden ist vermeidbar

91

Sehr umstritten ist aber die Frage, wie zu entscheiden ist, wenn jemand durch Herbeiführung eines vermeidbaren Verbotsirrtums beim Ausführenden einen strafbaren Tatbestandserfolg verursacht.

92

Die Vertreter eines strikten Verantwortungsprinzips (vgl. oben Rn. 4 ff.) nehmen, soweit sie diesen Ansatz durchhalten, nur eine Anstiftung an. Da der unmittelbar Ausführende trotz seines Verbotsirrtums als Täter einer vorsätzlichen Tat verantwortlich gemacht werde, könne ein Außenstehender, da es keinen Täter hinter dem Täter gebe, nur Teilnehmer sein.[59]

93

Dagegen nimmt die überwiegende Ansicht – wenigstens im Regelfall – eine mittelbare Täterschaft an mit der Begründung, dass der Hintermann als einziger die Rechtslage übersehe und dadurch, dass er den Ausführenden zum Werkzeug seiner Pläne mache, die Tat beherrsche.[60]

94

Der BGH hat sich mit dem Problem erstmals in dem – auf einem absurden Sachverhalt beruhenden – „Katzenkönig-Fall“ beschäftigt.[61] Hier hatten eine Frau (H) und ein Mann (P) den unmittelbar handelnden Täter (R) in den wahnhaften Aberglauben versetzt, dass ein „Katzenkönig“ Millionen von Menschen töten werde, wenn ihm nicht ein Menschenopfer in Gestalt der Frau N gebracht werde. In Wirklichkeit wollten sie Frau N aus Hass und Eifersucht umbringen. R hatte Bedenken, die ihm angesonnene Tat auszuführen, doch überzeugten sie ihn davon, dass die Tötung der Frau N „ein göttlicher Auftrag“ sei und nur auf diese Weise Millionen von Menschen gerettet werden könnten. R hielt daraufhin eine Tötung der Frau N für gerechtfertigt und versuchte, sie zu erstechen, scheiterte aber dabei.

95

Der BGH hat den unmittelbar handelnden R als noch – wenngleich erheblich vermindert – zurechnungsfähig angesehen und ihm einen vermeidbaren Verbotsirrtum zugebilligt.[62] Er lehnt es ab, eine mittelbare Täterschaft von Hintermännern, die den Verbotsirrtum hervorgerufen haben, allein unter Berufung auf das Verantwortungsprinzip abzulehnen:[63] „§ 25 Abs. 1 StGB erfordert jedenfalls nicht ein derart enges Verständnis des Begriffs der mittelbaren Täterschaft, wie es aus dem Verantwortungsprinzip hergeleitet wird … Ein wertender Vergleich der Fälle des unvermeidbaren Verbotsirrtums – hier ist unbestritten mittelbare Täterschaft möglich – mit denen des vermeidbaren Verbotsirrtums zeigt, dass allein die Vermeidbarkeit des Irrtums kein taugliches Abgrenzungskriterium ist. Auch dem in einem solchen Irrtum handelnden Täter fehlt zur Tatzeit die Unrechtseinsicht. Dass er Kenntnisse hätte haben können, die er im konkreten Fall nicht hatte, braucht an der Tatherrschaft des die Erlaubtheit vorspiegelnden Hintermannes nichts zu ändern …“.

96

Der BGH schließt sich damit fast wörtlich den Ausführungen an, die ich schon 1976 gemacht hatte:[64] „Der Bewusstseinszustand des Tatmittlers ist ceteris paribus bei vermeidbarem und unvermeidbarem Verbotsirrtum derselbe; infolgedessen ändert sich am Einfluss des Hintermannes (d.h. an seiner Herrschaftsausübung) nicht das geringste dadurch, dass der Ausführende Kenntnisse hätte haben können, die er actualiter nicht hatte.“

97

Bei Bestimmung der mittelbaren Täterschaft in Fällen des vermeidbaren Verbotsirrtums sei, fährt der BGH fort, „auf das Kriterium der vom Täterwillen getragenen objektiven Tatherrschaft“ abzustellen. Danach sei jedenfalls derjenige mittelbarer Täter,[65] „der mit Hilfe des von ihm bewusst hervorgerufenen Irrtums das Geschehen gewollt auslöst und steuert, so dass der Irrende bei wertender Betrachtung als ein – wenn auch (noch) schuldhaft handelndes – Werkzeug anzusehen“ sei.

98

So liege es im zu entscheidenden Fall, so dass H und P als mittelbare Täter anzusehen seien. Der BGH will aber keineswegs ausnahmslos bei vermeidbarem Verbotsirrtum des unmittelbar Handelnden eine mittelbare Täterschaft des die Rechtslage übersehenden Hintermannes annehmen. Vielmehr müsse das Vorliegen mittelbarer Täterschaft[66] „je nach der konkreten Fallgestaltung im Einzelfall wertend ermittelt werden …“ Die Abgrenzung hänge „von Art und Tragweite des Irrtums und der Intensität der Einwirkung des Hintermannes ab“.

99

Trotz dieser Einschränkung wird man sagen können, dass der BGH den Befürwortern einer mittelbaren Täterschaft näher steht als den Vertretern eines strengen Verantwortungsprinzips. Denn für den „klassischen“ Fall, dass der Hintermann das Geschehen durch einen von ihm bewusst hervorgerufenen Verbotsirrtum steuert, ist sein Votum für die Annahme einer mittelbaren Täterschaft eindeutig.

100

Und damit ist der BGH im Recht. Denn die Tatherrschaft, die bei der mittelbaren Täterschaft als „Willensherrschaft“ in Erscheinung tritt, ist beim Handeln „durch einen anderen“ eine vorwiegend auf psychologischer Überlegenheit beruhende Herrschaft. Unter psychologischen Aspekten ist es aber, wenn dem unmittelbar Handelnden die Sozialwidrigkeit seines Verhaltens verschlossen bleibt, gleichgültig, ob er seinen Irrtum durch weitere Nachforschungen hätte vermeiden können oder nicht. Er ist hinsichtlich der rechtlichen Bedeutung seines Tuns ein blindes Werkzeug in der Hand des Hintermannes.

 

101

Von den Vertretern des Verantwortungsprinzips wird dem durchweg entgegengehalten, dass es ein Widerspruch sei, wenn man die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung in den Nötigungsfällen normativ (nach dem Maßstab der Verantwortung), in den Fällen des Verbotsirrtums dagegen nach psychologischen Kriterien vornehme. Das ist aber falsch. Denn auch die Nötigungsherrschaft ist psychologischer Art, indem sie auf der Stärke des psychischen Drucks („Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit“) beruht. Nur weil ein psychischer Druck seiner Stärke nach nicht exakt messbar ist, müssen zur Grenzziehung die normativen Vorgaben des § 35 StGB verwendet werden. Der Verantwortungsgrundsatz ist also, wie Küper[67] mit Recht sagt, „im Nötigungsbereich kein normatives Begründungsprinzip der Tatbeherrschung, sondern lediglich ein sekundäres Maß- und Abgrenzungsprinzip“.

102

Eine Normativierung im Grenzbereich ist aber, obwohl dies bisher kaum anerkannt wird, auch in den Fällen des Verbotsirrtums sinnvoll. Darin könnte eine gewisse Berechtigung für die vom BGH vertretene Ansicht liegen, dass ein Verbotsirrtum des unmittelbar Handelnden nicht ausnahmslos zur mittelbaren Täterschaft des die Rechtslage übersehenden Hintermannes führen müsse, sondern dass „im Einzelfall wertend ermittelt werden“ müsse, ob mittelbare Täterschaft oder nur eine Anstiftung vorliege. Zu bemängeln ist freilich, dass der BGH keine näheren Angaben darüber macht, unter welchen Voraussetzungen er eine bloße Anstiftung annehmen will.

103

Nach meiner Auffassung[68] sollte man dann lediglich eine Anstiftung annehmen, wenn der Verbotsirrtum des unmittelbar Ausführenden auf Rechtsfeindschaft beruht, d.h. wenn er weiß, dass er andere in gravierender Weise schädigt. Wer seine Kinder brutal misshandelt oder seine Frau vergewaltigt und – beeinflusst durch einen Hintermann – meint, seine familiäre Stellung gestatte ihm dies, erkennt die Sozialschädlichkeit (die materielle Rechtswidrigkeit) seines Tuns und muss mit der ungemilderten Vorsatzstrafe rechnen. Er hat damit hinreichenden Anlass, von seiner Tat Abstand zu nehmen, so dass ein Hintermann, der ihm dieses Verhalten angeraten und für zulässig erklärt hat, nicht als Beherrscher des Geschehens angesehen werden kann. Entsprechendes gilt, wenn jemand andere in grob ehrverletzender Weise schmäht (§§ 185–187 StGB) oder wucherisch ausbeutet (§ 291 StGB), weil ihm ein Hintermann dazu durch die Bemerkung veranlasst hat, dies entspreche dem Recht auf freie Meinungsäußerung bzw. den Regeln der kapitalistischen Gesellschaft.

104

Sachverhalte dieser Art werden relativ selten sein. Durch die Annahme einer bloßen Anstiftung in solchen Fällen könnte aber die Bemerkung des BGH, dass es auf „Art und Tragweite des Irrtums“ ankomme, einen konkreten Inhalt gewinnen.[69]

105

Eine zweite Ausnahme mit dem Ergebnis einer bloßen Anstiftung wird man annehmen können, wenn ein die Rechtslage übersehender Hintermann die Handlung des sich in einem Verbotsirrtum befindenden unmittelbaren Täters zwar unterstützt, aber weder dessen Tatentschluss noch den Verbotsirrtum des Ausführenden hervorgerufen hat.[70] Hier fehlt es an einem beherrschenden Einfluss des Hintermannes, weil der Ausführende sich ohne fremde Veranlassung zur Tat entschlossen hat und auch der Irrtum auf ihn allein zurückgeht. Damit würde der Anregung des BGH Rechnung getragen, auch die „Intensität der Einwirkung des Hintermannes“ bei Bestimmung der mittelbaren Täterschaft zu berücksichtigen.

106

Zu weit würde es freilich gehen, die Bestimmung zur Tat unter Ausnutzung eines schon vorhandenen Verbotsirrtums ebenfalls nur als Anstiftung zu beurteilen. Wenn jemand die Rechtsunkenntnis eines anderen benutzt, um durch ihn strafbare Handlungen zu begehen, ist er mittelbarer Täter.[71]

107

Murmann[72] will bei vermeidbarem Verbotsirrtum des Ausführenden eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes nur dann annehmen, wenn „dem Hintermann zugunsten des Opfers die Pflicht obliegt, die Hervorrufung oder Ausnutzung von Irrtümern über Rechtsfragen zu unterlassen“. Das ist im Wesentlichen nur bei staatlichen Stellen der Fall. Jedoch schränkt das die mittelbare Täterschaft zu sehr ein. Auch Privatleute haben die Tatherrschaft, wenn sie die Rechtsunkenntnis anderer zur Begehung von Straftaten benutzen.

108

Der BGH hat seine Rechtsprechung in späteren Entscheidungen bestätigt.[73] Verfehlt ist freilich die Annahme des BGH im zweitgenannten Urteil, dass eine mittelbare Täterschaft auch dann vorliegen könne, wenn Hintermann und Ausführender sich gleichermaßen im Verbotsirrtum befinden. Denn in einem solchen Fall fehlt dem Hintermann das überlegene Wissen, das allein ihm die Tatherrschaft verschaffen könnte. Die Entscheidung des BGH hat deshalb allgemeine Ablehnung gefunden.[74]