Handbuch des Strafrechts

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

IV. Unterlassung und Mittäterschaft

86

Im Rahmen der Unterlassung ist zwischen dem Zusammenwirken mehrerer Unterlassender und dem Zusammenwirken eines Garanten mit einem aktiv Handelnden zu differenzieren. Bei den letzteren Fallkonstellationen bereitet insbesondere die Frage der (Mit-)Täterschaft eines unterlassenden Garanten erhebliche Probleme. Hierbei ist eine differenzierte Beurteilung geboten, die unterschiedliche Fälle erfasst.

1. Zusammenwirken von Unterlassenden

87

Eine (Mit-)Täterschaft durch gemeinsames garantenpflichtwidriges Unterlassen kommt grundsätzlich in zwei Fallkonstellationen in Betracht. Zum einen ist es denkbar, dass zwei Garanten die Erfüllung einer Pflicht unterlassen, die jeder von ihnen allein erfüllen könnte. In diesen Fällen ist eine gegenseitige Zurechnung richtigerweise nicht nötig. Es liegt ein Fall der Nebentäterschaft vor.[215]

88

Zum anderen ist es möglich, dass zwei Garanten eine Pflicht verletzen, die sie nur gemeinsam erfüllen könnten. Hier könnte sich jeder darauf berufen, dass – wenn man die gebotene Handlung hinzudenkt – die Pflicht trotzdem verletzt worden und der Erfolg eingetreten wäre. Im Rahmen von Gremienentscheidungen hat die Rechtsprechung einerseits eine Mittäterschaft angenommen: Jedem Garanten könne der Unterlassungsbeitrag des anderen zugerechnet werden, wenn mehrere Garanten, die eine ihnen gemeinsam obliegende Pflicht nur gemeinsam erfüllen können, einen gemeinsamen Tatentschluss hinsichtlich des Unterlassens gefasst haben.[216] In einer anderen Entscheidung hat die Rechtsprechung hingegen eine Nebentäterschaft bejaht.[217] Sie begründet dies damit, dass bei der Beurteilung der sog. Quasi-Kausalität des Unterlassens auf normative Kriterien abzustellen sei: Die Garanten müssten daher jeweils von einem rechtmäßigen Verhalten des anderen ausgehen, da das Recht rechtmäßiges Handeln voraussetze. Es bedürfe daher nicht einer gegenseitigen Zurechnung, wie in den Fällen der aktiven Mittäterschaft. Im Ergebnis ist der Rechtsprechung zu folgen, da jeder Garant die von ihm geforderte Handlung jeweils unterlässt, auch wenn die gebotene Handlung in einer gemeinsamen Rettungsaktion besteht. Das Unterlassen jedes Garanten ist dann für sich genommen bereits erfolgsursächlich. Einer gegenseitige Zurechnung bedarf es in diesen Fällen dann nicht.

2. Zusammenwirken eines Garanten mit einem aktiv Handelnden

89

Anders stellt es sich dar, wenn ein Garant eine ihm mögliche und zumutbare Rettungsmaßnahme unterlässt und so die Herbeiführung des Erfolgs durch einen aktiv Handelnden ermöglicht. In diesem Fall ist auch nach der Äquivalenztheorie das Unterlassen des Garanten „quasi-kausal“ für den Erfolg. Doch stellt sich auf der Zurechnungsebene die Frage, wie das Zusammenwirken mit dem aktiv Handelnden zu beurteilen ist. Dem Garanten kann hier der Erfolg grundsätzlich auch (mit-)zugerechnet werden. Fraglich ist nur, ob ihm die Tat als Täter oder als Teilnehmer zuzurechnen ist.

90

Diese Frage, inwiefern der garantenpflichtwidrig Unterlassende beim Zusammenwirken mit einem aktiv Handelnden Täter – und das heißt eben auch Mittäter – sein kann, wird nicht einheitlich beurteilt. Einigkeit besteht darin, dass eine Täterschaft bei eigenhändigen Delikten ebenso ausscheidet, wie in den Fällen, in denen einem Garanten eine besondere Absicht oder ein täterschaftsbegründendes Merkmal fehlt.[218] Im Übrigen aber herrscht eine kaum übersehbare Meinungsvielfalt, auch weil der Gesetzgeber eine detailliertere Regelung vermieden hat, um „nicht in den dogmatischen Streit um die Frage einzugreifen, ob bei Unterlassungsdelikten überhaupt eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme möglich ist.“[219]

91

An je einem Ende des Meinungsspektrums stehen zwei Extreme, wonach der garantenpflichtwidrig Unterlassende – abgesehen von den oben genannten Einschränkungen – stets Täter ist[220] bzw. wonach der Unterlassende stets nur Gehilfe ist.[221] Beides wird den interpersonalen Besonderheiten aufgrund seiner Pauschalität nicht gerecht. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber in § 9 Abs. 2 StGB offenbar die Möglichkeit einer Teilnahme durch ein garantenpflichtwidriges Unterlassen voraussetzt, so dass nicht die Garantenstellung für sich bereits Täterschaft begründen kann.[222] Auch die Entsprechensklausel des § 13 Abs. 1 StGB spricht dafür, die beim Begehungsdelikt gültige Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme beim Unterlassungsdelikt nicht einfach zu übergehen.[223]

92

Die Lösung muss in einer differenzierenden Betrachtung liegen. Dabei wird eine Fülle von Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Zum Teil wird versucht, auch hier das Kriterium der Tatherrschaft fruchtbar zu machen. Diese Versuche sind aber jedenfalls insoweit nicht tragfähig, als ein naturalistisch-instrumentales Verständnis von Tatherrschaft die Haftung als Unterlassungstäter nicht befriedigend zu erklären vermag.[224] Der Unterlassende kann insoweit allenfalls eine „potenzielle Tatherrschaft“ haben.[225] Aber auch Versuche, nach einer „potenziellen Tatherrschaft“ abzugrenzen und zu fragen, ob der Gehilfe problemlos (Täterschaft) oder schwer (Beihilfe) den Erfolgseintritt hätte hindern können,[226] sind abzulehnen, weil sie die Abgrenzung der Beliebigkeit preisgeben. Zu unbestimmt ist schließlich die Vorgehensweise der Rechtsprechung hier nach dem Täterwillen abzugrenzen[227] oder das Abstellen auf eine „wertende Gesamtbetrachtung“[228].

93

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, nach der Art der Garantenpflicht zu abzugrenzen: Der Beschützergarant sei stets Täter, der Überwachungsgarant stets nur Gehilfe.[229] Es wird aber auch genau umgekehrt differenziert.[230] Auf derselben Linie liegt letztlich Jakobs, der freilich schon bei den Garantenpflichten eine andere Differenzierung zugrunde legt und deshalb auch bei der Beteiligung danach differenziert, ob die Garantenpflicht kraft institutioneller Zuständigkeit oder kraft Organisationszuständigkeit bestehe.[231] Nur im ersteren Fall gehe es um ein Pflichtdelikt und sei stets Täterschaft anzunehmen, im letzteren folge die Abgrenzung denselben Regeln wie bei Begehungsdelikten, weshalb je nach Gewicht des Tatbeitrags auch Beihilfe vorliegen könne. Eine Mittäterschaft solle daher dann vorliegen, wenn der oder die Beiträge des Unterlassenden in ihrem Gewicht dem des Haupttäters gleichwertig seien.[232]

94

Eine genauere Differenzierung nach der Art der Garantenpflicht nimmt Murmann vor: Ziele die Pflicht – wie meistens beim Beschützergarant – auf die Verhinderung des Erfolgs, so sei Täterschaft gegeben. Ziele die Pflicht dagegen nur auf die Verringerung des Risikos einer Straftatbegehung (z.B. Sicherungspflichten nach dem WaffG), so liege grundsätzlich nur Beihilfe vor. Anders sei dies aber dann, wenn der dazwischentretende Haupttäter nicht eigenverantwortlich handle oder die Garantenpflicht aus einer Organisationszuständigkeit resultiere. In diesen Fällen entfalle die Haftungsbeschränkung und der Garant habe als Täter für den Erfolg einzustehen.[233]

95

Die Unterscheidung nach dem Inhalt und der Art der Garantenpflichten kann nicht überzeugen. Die Differenzierung zwischen Beschützer– und Überwachergaranten ist schon deshalb nicht einsichtig, weil hinsichtlich der Erfolgsabwendungspflicht kein Unterschied der Pflichten besteht.[234] Außerdem lässt sich diese Trennung nicht durchhalten: Ist der Bademeister Beschützergarant für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Gäste in Bezug auf das Wasser oder ist er Überwachergarant in Bezug auf die Gefahren des Wassers?[235]

96

Richtigerweise muss sich ein Kriterium finden lassen, dass eine personale (Mit-)Zurechnung des Unrechts begründen kann. Die h.M. steht hier vor dem Problem, dass das Kriterium der Tatherrschaft nicht auf das Unterlassen zu passen scheint, weil der Unterlassende nichts beherrscht. Umgekehrt kann es keine Lösung sein, die Tatherrschaft grundsätzlich schon aus der Pflichtenstellung abzuleiten. Löst man sich dagegen von einem naturalistischen Verständnis der Herrschaft und bezieht die personalen Beziehungen in die Betrachtung ein, so kann auch beim Unterlassenden von einer Herrschaft über das im Tatbestand vertypte Unrecht gesprochen werden. Deshalb ist Täterschaft anzunehmen, wenn sich der Unterlassensvorwurf auf die Nichtabwendung einer gefährlichen Situation bezieht. Das Gesetz verpflichtet den Garanten hier zum Handeln, unabhängig davon, ob die Gefahr aus dem Handeln eines Dritten oder einer Naturgewalt folgt.[236]

97

Problematischer sind die Fälle, in denen ein echtes Nebeneinander von Handlung oder Unterlassung vorliegt, wenn also die Verhinderung des Erfolgs nur durch Einflussnahme auf den Täter erfolgen konnte, während ein Beseitigen der Gefahr nach dessen Handeln nicht mehr möglich ist. Hier kommt dem Unterlassenden neben dem aktiv Handelnden die Herrschaft über den in den Tatbeständen vertypten Ausschnitt der sozialen Wirklichkeit nur dann zu, wenn er mit letzterem mittäterschaftlich zusammenwirkt. Dann nämlich kann die an sich begrenzte Tatmacht des Unterlassenden um die des aktiv Handelnden erweitert werden. Mit anderen Worten: (Mit-)Täterschaft des Unterlassenden neben dem aktiv Handelnden erfordert einen gemeinsamen Tatentschluss und ein gemeinsames Wirksamwerden im Ausführungsstadium, welches sich beim Unterlassenden in der Nichtverhinderung des herbeizuführenden Erfolgs äußert. Ohne eine Willensverbindung mit dem Begehungstäter kommt dagegen dem Unterlassenden nicht ein ausreichendes Maß an Herrschaft über das Unrecht zu und er ist nur Teilnehmer.

 

V. Fahrlässigkeit und Mittäterschaft

98

Bei Fahrlässigkeitsdelikten wird von der Rechtsprechung und großen Teilen der Literatur sowohl eine Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme als auch eine Differenzierung hinsichtlich der Täterschaftsformen aufgrund des hier geltenden Einheitstäterbegriffs abgelehnt, so dass auch eine fahrlässige Mittäterschaft nicht in Betracht kommt.[237] Eine (steigende) Zahl der Autoren in der Literatur bejaht hingegen die Möglichkeit einer Mittäterschaft bei Fahrlässigkeitsdelikten.[238] Aus dem Wortlaut und Zweck des § 25 StGB ergibt sich (anders als bei den Teilnahmeregelungen) kein zwingender Grund, die Täterschaftsformen auf vorsätzliches Verhalten zu beschränken, insoweit wäre eine fahrlässige Mittäterschaft mit dem Gesetz vereinbar.

99

Bedeutung kommt einer (möglichen) fahrlässigen Mittäterschaft insbesondere in den Fällen zu, in denen mehrere in Absprache miteinander sorgfaltswidrige Handlungen begehen, der Erfolg aber nur auf einer dieser Handlungen äquivalent-kausal beruht, und insoweit insbesondere dann, wenn sich die konkret kausale Handlung nicht aufklären lässt.[239] Danach sollen beispielsweise zwei Arbeiter, die jeweils nacheinander mehrere Balken von einem Gerüst auf die Straße werfen, von denen einer einen Passanten versehentlich tödlich trifft, beide wegen fahrlässiger Tötung haften, auch wenn nicht geklärt werden kann, welcher der Balken letztlich den Passanten tödlich getroffen hat.[240] Ob sie gemeinsam nur einen tödlichen Balken geworfen haben oder abredegemäß nacheinander, müsse unerheblich sein.

100

Fraglich ist indes bereits, ob eine wechselseitige Zurechnung bloß fahrlässigen Handelns legitimierbar ist.[241] Das setzt zwar nicht notwendig eine exakte Übertragbarkeit der Voraussetzungen vorsätzlicher Mittäterschaft voraus, erfordert aber, dass sich wenigstens entsprechende Voraussetzungen für Fahrlässigkeitsdelikte aufstellen lassen. Teilweise wird die Verabredung zu einem sorgfaltspflichtwidrigen Verhalten als gemeinsames Handlungsprojekt und sodann die gemeinsame Ausführung als für den Erfolg kausale Tatbeiträge angesehen.[242] Konstruierbar wäre eine fahrlässige Mittäterschaft insbesondere dann, wenn sich ein Handlungsprojekt ohne konkreten Erfolgsbezug denken ließe. Dieses sieht beispielsweise Schlehofer in der Verabredung zur Begehung der letztlich pflichtwidrigen Beiträge,[243] wie es auch seiner Konzeption der vorsätzlichen Mittäterschaft entspricht (dazu oben Rn. 38 f.). Einem solchen Handlungsprojekt ohne gemeinsamen Zweck fehlt aber das einende Element, und es kann daher einen gemeinsamen Tatplan nicht ersetzen.[244] Es ist nicht einmal (notwendigerweise) die Gefahrerhöhung, die Ziel des Handlungsprojekts ist, denn die Mittäter vertrauen ja gerade auf den guten Ausgang.[245]

101

Das Abstellen auf die (bewusst-gemeinsame) Verletzung derselben Sorgfaltspflicht[246] ist nicht zielführend, da die jeweils sorgfaltswidrig handelnden Täter nicht dieselbe Sorgfaltspflicht verletzen können.[247] Während beispielsweise der den letztlich unmittelbar erfolgsursächlichen Balken werfende Täter die Sorgfaltspflicht verletzt, keinen Balken vom Gerüst zu werfen, wenn er nicht erkennen kann, ob sich jemand unter dem Gerüst befindet, verletzt der andere diese Sorgfaltspflicht gerade nicht, sondern hat allenfalls zuvor eine gleichartige, aber immer noch nicht dieselbe Sorgfaltspflicht verletzt. Allein das Abstellen auf das objektive Bestehen der Pflicht kann darüber nicht hinwegtäuschen, weil grundsätzlich jedermann objektiv dieser Sorgfaltspflicht unterliegt. Und darauf, ob der andere zuvor eine gleichartige Sorgfaltspflicht auch verletzt hat, kann es ebenso wenig ankommen. Denn eine gemeinsame Vornahme der sorgfaltswidrigen Handlung liegt gerade nicht vor,[248] sondern jeder Fahrlässigkeitstäter begeht seine eigene sorgfaltswidrige Handlung. Die Frage, ob diese Handlung einem anderen zugerechnet werden kann, kann auch nicht unter Verweis auf die gemeinsame Begehung übergangen werden, denn es liegt gerade ein Handeln vor, welches nacheinander erfolgt. Auch hilft es nicht weiter, statt auf die Handlung auf die gemeinsame Gefahrschaffung abzustellen,[249] denn auch diese setzte eine gegenseitige Handlungszurechnung schon voraus – sonst läge gerade keine gemeinsame Gefahrschaffung vor, sondern die Schaffung zweier gleichartiger Gefahren.

102

Es bedarf daher einer Begründung, warum dem Einzelnen nicht nur den Erfolg seiner eigenen Sorgfaltspflicht, sondern die Sorgfaltspflichtwidrigkeit eines anderen und der dadurch herbeigeführten Erfolg zugerechnet werden kann. Einen solchen Grund kann die Lehre von der fahrlässigen Mittäterschaft jedoch nicht benennen. Anders als bei vorsätzlichem Handeln ist bei fahrlässigem Handeln eine Verletzung gerade nicht intendiert. Es existiert daher kein gemeinsamer Tatentschluss als Grundlage und Grenze der gemeinschaftlichen Tatbegehung. Umgekehrt bestärken sich die Betroffenen nicht allein durch gleichförmiges Verhalten in ihrem Unrechtsentschluss. Damit fehlt es an einem Zurechnungsgrund.[250] Der Verweis auf die Möglichkeit der Mittäterschaft bei erfolgsqualifizierten Delikten[251] hilft insoweit nicht weiter, weil bei jenen wegen der Vorsätzlichkeit des Grunddelikts ein Anknüpfungspunkt für die Handlungszurechnung besteht, welcher bei einer bloß sorgfaltswidrigen Handlung fehlt. Vgl. zur Mittäterschaft bei erfolgsqualifizierten Delikten Rn. 69.

103

Die Annahme einer fahrlässigen Mittäterschaft würde daher letztlich dazu führen, dass auf eine individuelle Mitwirkung und auch auf eine individuelle Sorgfaltspflichtverletzung verzichtet und nur noch auf die kausal werdende, sorgfaltswidrige Handlung eines Beteiligten an dem Geschehen abgestellt wird. Ohne Benennung eines Grundes, warum die anderen Beteiligten sich gerade diese Handlung zurechnen lassen müssen, führt diese Konzeption letztlich zum Grundsatz des versari in re illicita: Jedem an einer unerlaubten Gefahrschaffung Beteiligten werden alle aus dieser Gefahrschaffung entstehenden Erfolge allein qua seiner Beteiligung an dem nicht auf eine Rechtsgutsverletzung gerichteten vorherigen Handeln zugerechnet.[252] Mit einem auf individuellen Verschulden aufbauenden Strafrecht und der Voraussetzung, dass sich der Täter selbst als mitwirkend an der Rechtsgutsverletzung auszeichnet, ist das nicht vereinbar.

104

Denkbar wäre eine fahrlässige Mittäterschaft dort, wo sich die Beteiligten tatsächlich gegenseitig in ihrem Entschluss zu sorgfaltswidrigem Verhalten bestärken und gemeinschaftlich die Tat ausführen, also im Beispiel, dass beide Arbeiter gemeinsam den Balken werfen, von dem der Passant tödlich getroffen wird. In diesem Fall fehlt allerdings die Notwendigkeit einer fahrlässigen Mittäterschaft, da es sich hier um eine Form der Nebentäterschaft handelt:[253] Jeder Beteiligte ist nur für sein eigenes sorgfaltspflichtwidriges Handeln verantwortlich.

VI. Alternative und additive Mittäterschaft

1. Alternative Mittäterschaft

105

Bei der sog. alternativen Mittäterschaft wirken zwei oder mehr Beteiligte in einer Weise zusammen, die mehrere als unsicher vorhergesehene Kausalverläufe abdecken und so in allen Fällen ein Gelingen der Tat sichern soll. Die Beteiligten wissen aber vorab, dass nur einer von ihnen den letztlich wirksamen Akt vornehmen wird. Deutlich wird das Problem an einem von Rudolphi gebildeten „Isar-Fall“:[254] A und B lauern O auf zwei Seiten des Flusses auf, weil sie wissen, dass O entweder auf der einen oder auf der anderen Seite vorbeikommen wird. Derjenige bei dem O vorbeikommt, soll O töten. Fraglich ist, ob A und B die Tat gemeinsam ausgeführt haben, so dass auch B als Mittäter strafbar ist, wenn nur A den O tatsächlich tötet.

106

Nach der subjektiven Theorie der Rechtsprechung kann hier der Täterwille des B ohne Probleme angenommen und seine Mittäterschaft bejaht werden. Rudolphi selbst will dagegen eine Mittäterschaft nur dann bejahen, wenn beide ihre Tatbeiträge im Ausführungsstadium gegenseitig beherrschen. Mittäterschaft erfordere ein kumulatives und nicht bloß alternatives Zusammenwirken bei der Begehung der Tat selbst. Gerade bei örtlich auseinanderliegenden und nur optionalen Ausführungshandlungen fehle der täterschaftsbegründende Einfluss auf die Verwirklichung des Tatbestands.[255]

107

Das ist jedoch auf den ersten Blick nicht zwingend. Denn nach dem gemeinsamen Tatentschluss, d.h. aus subjektiver ex-ante-Sicht, war der Beitrag jedes Einzelnen für das absolute Gelingen erforderlich. Nachträglich ist der Beitrag der einen Person zwar überhaupt nicht erforderlich gewesen, doch ergibt sich dies für die Beteiligten erst während der unmittelbaren Ausführung. Zur Sicherstellung der Erfolgsrealisierung sind aus der Planungsperspektive beide Tatbeiträge erforderlich und nur der Zufall entscheidet, wer von den beiden den Erfolg herbeiführt.

108

Daher wird gegen die Lösung Rudolphis eingewendet, dieser Zufall könne nicht darüber entscheiden, ob die Person als Täter oder Teilnehmer zu bewerten sei. Die klassische Tatherrschaftslehre lässt daher auch den nicht im Erfolg wirksam gewordenen Beitrag des anderen genügen und erfasst die Mitwirkung des B im Beispiel als Mitwirkung im Ausführungsstadium. Das arbeitsteilige Zusammenwirken im Ausführungsstadium liege danach gerade im Abschneiden des alternativen Weges. Roxin will den Fall aber u.a. dann anders entscheiden, wenn die alternativen Tatorte örtlich weit auseinanderfallen, z.B. in verschiedenen Städten liegen. Dann begehe nur der tatsächliche unmittelbare Täter die Tat, dem anderen fehle es an einem Beitrag, weil er bei der konkreten Ausführung gar nicht in Aktion getreten ist.[256] Dagegen spricht, dass die Gruppen kaum voneinander abzugrenzen sind, wie der Fall des Flusses deutlich zeigt: Soll es von der Breite des Flusses oder der Entfernung zwischen den Brücken abhängen?[257]

109

Die Lösung liegt in einer genauen Bestimmung des Begriffs „Tat“. Der Erkenntnis, dass Tatherrschaft eine (Mit-)Beherrschung während der konkreten Tatausführung erfordert, muss auf der zweiten Ebene die richtige Bestimmung der Tat korrespondieren. Die Tat, deren Ausführung der Mittäter mitbeherrschen muss, ist die im Tatbestand umschriebene. Das verbietet es, die Herrschaft über eine vom Gesetz losgelöste, wie auch immer zu bestimmende „Gesamttat“ ausreichen zu lassen.[258] Die steuernde Beherrschung kann sich nicht auf ein vom jeweiligen Unrechtstatbestand abstrahiertes Geschehen beziehen, sondern muss sich allein als Herrschaft über den tatbestandlichen Erfolg darstellen. Die Beteiligten planen gerade keine gemeinsame Tatbegehung, sondern jeder für sich die Begehung einer gleichartigen Straftat als Einzeltäter.[259] Entsprechend wird auch die Handlung jedes Beteiligten (wie geplant) nur dann für den Erfolg wirksam, wenn das Opfer letztlich in seinen Wirkbereich eintritt.[260] Für den „Isar-Fall“ heißt das: Weil B das tatbestandlich beschriebene Verhalten, die Tötung des O, nicht beherrscht, sondern es allein dem A überlässt, ob dieser die Tat selbstständig ausführt, scheidet eine Mittäterschaft aus.[261]