Handbuch des Strafrechts

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III. Beteiligung und Unterlassung

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Im Rahmen der Unterlassungsdelikte ist zwischen einer Beteiligung am Unterlassungsdelikt durch positives Tun eines Nichtgaranten (unter 1.) und einer Beteiligung durch ein Unterlassen eines Garantenpflichtigen am Begehungsdelikt (unter 2.) zu differenzieren. Schließlich besteht die Möglichkeit, dass mehrere durch Unterlassen an einem deliktischen Geschehen beteiligt sind (unter 3.).

1. Beteiligung eines Nichtgaranten durch positives Tun am Unterlassungsdelikt

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Die Beteiligung eines Nichtgaranten am Unterlassungsdelikt hat sich nach den allgemeinen Grundsätzen zu richten. Denkbar ist hier sowohl eine mittelbare Täterschaft als auch eine Teilnahme. So kann derjenige mittelbarer Täter am Unterlassungsdelikt sein, der bei einem Garanten einen Tatumstandsirrtum hervorruft oder aufrecht erhält. Beispiel: Mittelbarer Täter am Unterlassungsdelikt ist derjenige, der gegenüber dem Vater des ertrinkenden Kindes behauptet, es sei nicht sein Kind, das um Hilfe ruft. Hier nutzt der Hintermann die Fehlbarkeit der Mittelsperson für seine Unrechtszwecke aus, indem er ihr die Möglichkeit nimmt zu erkennen, dass ihr Unterlassen hinsichtlich des konkreten Rechtsverhältnisses, (im Beispiel in Bezug auf den Sohn) eine Verletzung bewirkt.

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Ebenso sind eine Anstiftung oder Beihilfe am Unterlassungsdelikt möglich. So stellt auch das Unterlassen eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat im Sinne der §§ 26 f. StGB dar. Abzulehnen ist damit insbesondere die Auffassung, die auf der Grundlage einer finalen Handlungslehre eine Teilnahme am Unterlassen deshalb verneint, weil es an einem Unterlassungsvorsatz des Haupttäters fehle, so dass auch „das Wesensmerkmal der Anstiftung nicht erfüllt“ werden könne, „nämlich einen Tatentschluss zu wecken“.[222] Im Ergebnis wird in diesen Fällen daher eine vorsätzliche Begehungstäterschaft seitens des den Tatentschluss Hervorrufenden angenommen, da die Anstiftung bzw. Beihilfe zum Unterlassen eine Handlung darstelle, die für den Erfolg unmittelbar kausal sei.[223]

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Hier zeigt sich die Schwäche der finalen Handlungslehre, da sich ein Unterlassen mit dem Kriterium der Finalität nicht erfassen lässt, denn das Unterlassen stellt gerade keine zielgerichtete Gestaltung des Geschehens durch eine Körperbewegung dar. Zudem führt die finale Handlungslehre bei Unterlassungsdelikten zu einem extensiven Täterbegriff, da sie hier auf die bloße Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolges abstellt.[224] Sie setzt sich damit den Einwänden aus, die oben gegenüber einem solchen dargelegt wurden (Rn. 46).

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Ob Garantenpflichten besondere persönliche Merkmale im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB darstellen, hängt mit ihrer Funktion zusammen. Kommt der Garantenpflicht die Funktion zu, das Unterlassen dem Tun gleichzustellen, konkretisiert sie nur das Akt- bzw. Erfolgsunrecht. Sie ist dann ein tatbezogenes Merkmal, so dass § 28 StGB nicht zur Anwendung kommt.[225] Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die Garantenstellung auf einem besonderen Verhältnis, einem Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Garanten und dem Opfer ruht. Das Opfer darf rechtlich darauf vertrauen, dass der Garantenpflichtige die Handlung in der konkreten Situation erbringt.[226] Die Rechtspflicht zu handeln, bezieht sich auf eine konkrete Person und stellt damit ein besonderes persönliches Merkmal dar, so dass § 28 Abs. 1 Anwendung finden muss und die Strafe des Teilnehmers zu mildern ist;[227] differenzierend Otto (→ AT Bd. 3: Otto, § 55 Rn. 79 f.). Die Rechtsprechung hat diese Frage bisher offen gelassen.[228]

2. Beteiligung eines Garantenpflichtigen durch Unterlassen an einem Begehungsdelikt

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Die Beteiligung eines Garantenpflichtigen durch Unterlassen an einem Begehungsdelikt betrifft die Fälle, in denen ein Garant nicht gegen die täterschaftliche Begehungstat einschreitet, obwohl er dazu verpflichtet ist. Würde die Gefahr beispielsweise von der Natur herrühren und der Garant es trotz Handlungsmöglichkeit unterlassen, den Erfolg abzuwenden, würde er als Täter bestraft. Beispiel: Der Vater verhindert nicht (obwohl er es könnte), dass sein Sohn von einem Stein erschlagen wird. Problematisch sind jedoch die Fälle, in denen ein Garantenpflichtiger es unterlässt, die bewirkte Rechtsgutsverletzung eines anderen (Nichtgaranten) zu verhindern. Im Gegensatz zu den Fällen, in denen eine Naturgefahr droht, ist hier zu berücksichtigen, dass eine verantwortliche Person als Täter die Tat begeht. Es treffen damit die Dogmatik der unechten Unterlassungsdelikte mit der Beteiligungslehre aufeinander.[229] Dabei können insbesondere vier mögliche Ansätze unterschieden werden. Die Kriterien der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme beim positiven Tun werden auf die Unterlassungsdelikte übertragen (Rn. 118 ff.). In der Literatur weden die Unterlassungsdelikte zum Teil als Pflichtdelikte angesehen, so dass jede Beteiligung durch Unterlassen als täterschaftliches zu werten ist (Rn. 122 f.). Auch besteht die Möglichkeit, nach Qualität und Inhalt der Garantestellungen zu differenzieren (Rn. 124 f.). Schließlich wird in Teilen der Literatur bei der Beteiligung an Unterlassungsdelikten grundsätzlich eine bloße Gehilfenstellung angenommen, sog. Lehre von der Einheitsbeihilfe (Rn. 126 ff.).

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a) Die Rechtsprechung grenzt in den Fällen der Beteiligung eines Garantenpflichtigen durch Unterlassen entweder nach denselben Kriterien ab wie bei den Erfolgsdelikten, nämlich in Form einer normativen Gesamtbetrachtung oder sie nimmt eine Täterschaft an.[230]. In den erstgenannten Fällen soll abgewogen werden, ob die innere Einstellung davon geprägt ist, dass sich der Unterlassende dem Handelnden im Willen unterordnet und das Geschehen ohne innere Beteiligung und ohne Interesse am drohenden Erfolg im Sinne bloßen Gehilfenwillens lediglich ablaufen lässt.[231] In anderen Fällen hat die Rechtsprechung hingegen, ohne nähere Begründung, eine Täterschaft des unterlassenden Garanten angenommen.[232] Vgl. hierzu → AT Bd. 3: Roxin, § 52 Rn. 242 ff. insbes. Rn. 245 ff.

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Der Rechtsprechung ist entgegenzuhalten, dass sie nicht einheitlich abgrenzt, sondern in manchen Fällen auf das subjektive Element abstellt, in anderen wiederum, ohne eine nähere Begründung von der Täterschaft des Garanten ausgeht. Insofern gewinnt man den Eindruck, dass sie eher intuitiv, denn nach allgemeinen Kriterien vorgeht. Auch ist ein Abstellen auf die subjektive Seite bei Unterlassungsdelikten insofern schwieriger als Begehungsdelikten, als über den Willen auf eine Tatmacht geschlossen wird, dieser sich aber in keinster Weise aufgrund des Nichthandelns in der Außenwelt in Erscheinung tritt. Vgl. auch die Kritik von Roxin unter → AT Bd. 3: Roxin, § 52 Rn. 246.

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Die Literatur hält in Teilen bei einer Beteiligung durch Unterlassen am Kriterium der Tatherrschaft fest und grenzt nach dem Grad der („potenziellen“)[233] Einflussmöglichkeiten des Garanten ab.[234] Dabei solle von indizieller Bedeutung sein, ob der Unterlassende, hätte er seine Handlungspflicht erfüllt, als Täter oder Teilnehmer einzuordnen wäre.

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Diese Lehre vermag deswegen nicht zu überzeugen, weil sie keine klaren Kriterien benennen kann. Unbestimmt bleibt hier insbesondere die Frage, wie sich der Grad bemessen soll, wonach die Einflussmöglichkeit gegenüber dem Handelnden als besonders schwierig oder einfach eingestuft werden kann.[235]

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b) In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass die unechten Unterlassungsdelikte Pflichtdelikte sind. Das führt dazu, dass bereits die Verletzung der rechtlichen Sonderpflicht (die Erfolgsabwendungspflicht) Täterschaft begründet. Täter ist dann derjenige, der „in einer sozialen Pflichtenstellung als Garant für die Nichtabwendung des Erfolges einzustehen hat“. Unterlässt der Garant die Abwendung des Erfolges ist er Täter, auch wenn ein anderer den Tatbestand durch aktives Tun realisiert.[236]

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Gegen diese Lehre greifen die bereits oben gegenüber den Sonderdelikten dargelegten Einwände (vgl. Rn. 46). Zudem führt dieser Ansatz dazu, dass dadurch, dass allein die Garantenstellung über die Form der Beteiligung bestimmt, die Regelungen über Täterschaft und Teilnahme (§§ 25 ff. StGB) nicht zur Anwendung kommen. Das hat zur Folge, dass auch die im Rahmen der Beihilfe vorgesehene Strafmilderung ebenso wenig zur Anwendung kommen kann, wie die grundsätzliche Straflosigkeit der versuchten Beihilfe. Insgesamt unterliegt so die Beteiligung durch Unterlassen strengeren Kriterien als die Beteiligung durch aktives Tun.[237]

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c) Teilweise wird eine Differenzierung nach Inhalt und Qualität der Garantenstellung vorgenommen. So weise der Beschützergarant im Verhältnis zum Überwachergarant einen anderen Pflichtigkeitsgrad auf. Er sei dem Rechtsgut unmittelbar verpflichtet mit der Folge, dass er stets Täter sei. Der Überwachergarant habe demgegenüber nur eine mittelbare Pflicht hinsichtlich des Rechtsguts, da er nur bestimmte Gefahrenquellen zu überwachen habe. Er sei daher bloßer Gehilfe durch Unterlassen, wenn er die Verletzung eines Dritten nicht verhindere.[238]

 

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Diese Lehre nimmt die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte auf und verbindet sie mit der Beteiligungsdogmatik. Problematisch ist jedoch, dass die vorgenommene Differenzierung in Beschützer- und Überwachergaranten in § 13 StGB keine Entsprechung findet, sondern jeder Garant zur Erfolgsabwendung verpflichtet ist. Ferner ist die Unterscheidung zwischen Beschützergarant und Überwachergarant nicht immer klar zu treffen, so können insbesondere auch beide zusammentreffen.[239]

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d) Die sog. Lehre von der Einheitsbeihilfe geht davon aus, dass neben der Tatherrschaft eines Begehungstäters dem nicht hindernden Garanten an der Erfolgsherbeiführung nur die Rolle eines Gehilfen zukommen könne.[240] Der Unterlassende sei gerade, anders als der aktiv Handelnde, nicht „Zentralgestalt“ des Geschehens (vgl. auch → AT Bd. 2: Horst Schlehofer, Einwilligung, § 40 Rn. 41). Täterschaftliches Unterlassen sei erst dann anzunehmen, wenn der Handelnde das Geschehen nicht mehr beherrsche, also der Garant z.B. das schwer verletzte Opfer finde und nicht handle.[241]

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Die Annahme bloßer Beihilfe verbunden mit einer obligatorischen Strafmilderung nach § 27 StGB werde, so wird gegen die Lehre eingewendet, dem Unwertgehalt des Unterlassens nicht gerecht.[242] Es sei nicht nachvollziehbar, dass der untätige Garant bei menschlichen Angriffen besser gestellt würde, als bei Naturereignissen.[243] Die Beihilfelösung komme zu willkürlichen Ergebnissen, wenn sie eine Unterscheidung nach „naturalistischen“ Maßstäben (menschliche oder natürliche Wirkungen) treffe, da die Möglichkeit der Erfolgsabwendung in beiden Fällen die gleiche sei.[244]

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§ 13 StGB setzt neben der Garantenstellung voraus, dass das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes entspricht. Besonderer Bedeutung kommt daher auch der Art des Tatbeitrags zu. Entscheidend ist daher, inwieweit dem Unterlassenden eine Wirkmacht über das konkrete Geschehen zukommt. Solange ein aktiv Handelnder das Geschehen beherrscht, ist dem untätig bleibenden Garanten jedenfalls der unmittelbare Zugang zum strafbaren Erfolg „verstellt“.[245] Insofern macht es einen bedeutenden Unterschied, ob es um ein menschliches Handeln oder um ein Naturereignis/Unglück geht. Interpersonales Handeln vollzieht sich gerade nicht nach Naturkausalitäten (näher oben unter Rn. 51 ff.). Im Falle menschlichen Handelns muss der Garant auf den Willen eines Handelnden Einfluss nehmen und diesen überwinden. Dieser Einfluss kann aber keine Täterschaft, sondern nur eine Teilnahme begründen, solange der Handelnde volldeliktisch handelt. Fraglich ist allerdings, ob dies notwendig eine Beihilfe darstellt oder ob nicht möglicherweise auch eine Anstiftung denkbar wäre. Diese käme zumindest dann in Betracht, wenn der Unterlassende gegenüber dem Handelnden in einem Abhängigkeitsverhältnis steht und ihm insofern eine willensbestimmende Macht zukommt, so dass er durch Einwirkung auf den Willen des Haupttäters den Erfolg abwenden könnte.[246]

3. Beteiligung mehrerer durch Unterlassen

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Eine Beteiligung mehrer Garanten durch Unterlassen ist in unterschiedlichen Konstellationen möglich. Bleiben mehrere Garanten untätig, ohne dass ein gemeinsamer Willensentschluss vorliegt, kommt eine Nebentäterschaft in Betracht. Eine Mittäterschaft ist nur in solchen Fällen denkbar, in denen neben einem gemeinsamen Tatentschluss auch die Notwendigkeit besteht, dass zur Erfolgsabwendung mehrere Garanten gemeinsam tätig werden, um den Erfolg zu verhindern, also ein Zusammenwirken der Handelnden erforderlich ist. Eine mittelbare Täterschaft kommt beispielsweise in Betracht, wenn ein Garantenpflichtiger es unterlässt, einen Irrtum des unmittlebar Handelnden aufzuklären.[247]

IV. Möglichkeit fahrlässiger Beteiligung

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Eine Teilnahme am Fahrlässigkeitsdelikt ist nach den Regelungen der §§ 26 f. StGB nicht vorgesehen, vielmehr setzen – wie dargelegt – Anstiftung und Beihilfe eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat voraus. Zudem muss der Teilnehmer seinerseits vorsätzlich handeln. Das Gesetz kennt hingegen die fahrlässige Täterschaft, so dass für Fahrlässigkeitstaten nach bisher herrschender Lehre der Einheitstäterbegriff gelten soll. Jegliche fahrlässige Beteiligung an einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Straftat soll daher als fahrlässige (Neben-)Täterschaft erfassbar sein.[248]

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Die Frage, ob es gerechtfertigt ist, dem fahrlässig Handelnden fremdes vorsätzlich oder fahrlässig verwirklichtes Unrecht zuzurechnen, wird dabei primär als Frage nach dem Umfang der Sorgfaltspflicht gesehen.[249] Auf diese Weise lassen sich Fälle ausscheiden, in denen Schutzzweck der Sorgfaltspflicht nicht die Verhinderung der fremden Tat ist. Verletzt jemand dagegen eine Sorgfaltspflicht, die auch der Verhinderung von Rechtsverletzungen durch Dritte dient, soll dagegen fahrlässige Täterschaft möglich sein. Die Notwendigkeit, den Umfang der Sorgfaltspflicht festzustellen, ist durchaus zu betonen. Denn sonst kann dem Betroffenen die fremde Rechtsverletzung schon nach allgemeinen Maßstäben nicht zugerechnet werden.

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Doch ebenso wenig wie sich die Unterlassungstäterschaft allein auf die Garantenstellung stützen lässt, kann sich die fahrlässige Täterschaft allein auf die Sorgfaltspflicht stützen. Auch der Gesetzgeber agiert bei der Aufstellung fahrlässiger Straftaten nicht im luftleeren Raum, sondern hat die interpersonalen Verhältnisse zu beachten. Derjenige aber, welcher die Rechtsverletzung nicht selbst, sondern nur vermittelt durch vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten eines Dritten bewirkt, ist aber im Fahrlässigkeitsbereich genauso wenig wie bei den vorsätzlichen Delikten als Bewirker der Rechtsverletzung zu erfassen. Täterschaft erfordert über die kausale und den Erfolg zurechenbar verursachende Sorgfaltspflichtverletzung hinaus ein Element personalisierter Zuschreibung. Die materiellen Differenzierungen der §§ 25 ff. StGB müssen also auch bei den Fahrlässigkeitsdelikten gelten, freilich mit der Einschränkung, dass der Gesetzgeber auf die Kodifizierung fahrlässiger Teilnahme verzichetet hat. Das Fehlen einer fahrlässigen Teilnahmeregelung kann nicht dazu führen, die sorgfaltswidrige Randfigur nun als Täter des Fahrlässigkeitsdelikts zu bezeichnen, ohne dass sich die zur Verletzung führende soziale Wirklichkeit als von ihr beherrscht darstellt.[250]

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Fragen nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme stellen sich dabei immer dann, wenn jemand entweder fahrlässig an der Vorsatztat einer anderen Person mitwirkt und wenn mehrere Personen fahrlässig zusammen einen Erfolg bewirken, sei es nebeneinander oder gestaffelt. Konstruktiv denkbar ist auch eine vorsätzliche Beteiligung am Fahrlässigkeitsdelikt.

1. Fahrlässige Beteiligung an fremder Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstat

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Die fahrlässige Beteiligung an fremder Vorsatztat ist konstruktiv nur als Selbsttäterschaft oder Beihilfe möglich.[251] Eine mittelbare Täterschaft sowie eine Anstiftung scheitern daran, dass der selbst nur fahrlässig Handelnde es nicht unternehmen kann, in rechtsgutsfeindlicher Weise auf den Willen des anderen einzuwirken. Demgegenüber bewirkt das Überreden zu einer gefährlichen Tat noch keine anstiftergleiche Macht über den die gefährliche Tat Ausführenden. Auch eine fahrlässige Mittäterschaft muss aus vorpositiven Gründen ausscheiden, weil die sorgfaltswidrige Gefahrschaffung allein keine wechselseitige Zurechnung zu legitimieren vermag (näher → AT Bd. 3: Bettina Noltenius, Mittäterschaft § 51 Rn. 98, inbes. Rn. 100 ff.).

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Übrig bleibt damit nur die Möglichkeit einer fahrlässigen Täterschaft und einer fahrlässigen Beihilfe. Dabei gilt: Die fahrlässige täterschaftliche Beteiligung an fremder Tat setzt voraus, dass der Beteiligte Macht über das im Fahrlässigkeitsdelikt vertypte Unrecht hat. Diese Macht ergibt sich nicht allein daraus, dass der Täter fahrlässig ein späteres Tatmittel (z.B. eine Waffe) liegen lässt. Wohl aber kann eine täterschaftsbegründende Beherrschung des Geschehensablaufs vorliegen, wenn der Täter eine Einwirkung auf einen anderen in fahrlässiger Verkennung der Folgen unterlässt, so wenn der Überwachergarant es fahrlässig versäumt, auf die von ihm überwachte Person tathindernd einzuwirken. Ohne eine solche Beherrschung des Unrechtssachverhalts ist der Beteiligte nicht als Täter erfassbar, sondern nur fahrlässiger Gehilfe fremder Tat und damit de lege lata nicht strafbar.

2. Vorsätzliche Beteiligung an fremder Fahrlässigkeit

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Die vorsätzliche Beteiligung an fremder Fahrlässigkeitstat stellt sich oft als mittelbare Täterschaft des Beteiligten dar. Dies gilt allerdings nur dann, wenn dem Tatmittler die Einsicht in das Unrecht fehlt und der Hintermann die Fehlbarkeit der Mittelsperson für die Verwirklichung seines Unrechtswillens ausnutzt (s.o. Rn. 58 ff.). Eine Zurechnung als Mittäter scheitert demgegenüber am Fehlen eines gemeinsamen Tatplans mit dem fahrlässigen Tatmittler. (Vorsätzliche) Anstiftung und Beihilfe an der fremden Fahrlässigkeitstat sind konstruktiv möglich, scheitern aber de lege lata an der fehlenden Erfassung in § 26 f. StGB.

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Entgegen der überwiegenden Ansicht in der Literatur und der Rspr. ist auch bei Fahrlässigkeitsdelikten keine Einheitstäterschaft anzunehmen, sondern es sind die interpersonalen Besonderheiten in der Interaktion freier Subjekte zu berücksichtigen. An diese Besonderheiten ist auch der Gesetzgeber gebunden und hat diese nicht einfach durch die Schaffung einer fahrlässigen Einheitstäterschaft überwunden. Die Betrachtung zeigt, dass auch der sorgfaltswidrig Handelnde nur dann als Täter des Fahrlässigkeitsdelikts erscheint, wenn ihm die Macht über die Unrechtsrealisierung zukommt. Lässt sich die Rechtsverletzung dagegen nicht als von ihm bewirkt ansehen, bleibt allein übrig, ihn als fahrlässigen Teilnehmer am fremden Delikt zu erfassen.

V. Strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen, Personenverbänden usw.

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In Deutschland können sich bisher allein natürliche Personen strafbar machen. Verbände können bisher nur im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts zur Verantwortung gezogen werden (§§ 30, 130 OWiG).[252] Bei einem delinquenten Verhalten mehrerer ist die Frage der Zurechnung gem. §§ 25 ff. StGB von enormer Bedeutung. In anderen Ländern gibt es hingegen die Strafbarkeit von juristischen Personen bzw. von Organisationen.[253] Allein in der EU besteht diese Möglichkeit in Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Kroatien, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, dem Vereinigten Königreich und Zypern.[254] In den USA gibt es die Strafbarkeit von Kapitalgesellschaften.[255]

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Anknüpfend an die oben genannten ausländischen Rechtsordnungen wird gegenwärtig überlegt, eine Verbandsstrafe gegenüber juristischen Personen bzw. gegenüber Personenverbänden einzuführen. Konkret hat die Debatte um ein Unternehmensstrafrecht der 2013 vorgelegte Geseztesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen zur Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden (Verbandsstrafgesetzbuch, VerbStrG-E) angestoßen.[256] Ziel des Gesetzesantrages war es, mit der Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen dafür Sorge zu tragen, dass nicht nur die einzelnen Mitarbeiter eines Unternehmens strafrechtlich belangt werden können, sondern das Unternehmen als Ganzes in den Fokus der Strafverfolgung gerückt wird. Denn das Unternehmen profitiere letztlich auch von den Taten. Demgegenüber, so der Entwurf weiter, werde das bisherige Ordnungswidrigkeitenrecht den Anforderungen der heutigen Organisationsgesellschaft nicht mehr gerecht. Die bloße Verhängung von Bußgeldern erzeuge keine hinreichende Präventivwirkung. Sie blieben gerade für große Wirtschaftsunternehmen ein kalkulierbares Risiko. Aufgrund komplexer organisatorischer Unternehmensstrukturen sei es häufig weder möglich, die Tat einem einzelnen Täter zuzuordnen, noch das schuldhafte Versagen entsprechender Aufsichtsstrukturen zu belegen. In diesen Fällen der sog. „organisierten Unverantwortlichkeit“ könne die Verbandsstraftat im Ergebnis überhaupt nicht sanktioniert werden. Das sei aber unbefriedigend.[257]

 

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Der Entwurf sieht Verbandssanktionen in Form von Verbandsstrafen einerseits und Verbandsmaßregeln andererseits vor. Als Verbandsstrafen sind die Verbandsgeldstrafe, die Verbandsverwarnung mit Strafvorbehalt und die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung vorgesehen (§ 4 Abs. 1 VerbStrG-E). Verbandsmaßregeln umfassen den Ausschluss von Subventionen oder von der Vergabe öffentlicher Aufträge sowie als letztes Mittel die Verbandsauflösung (§ 4 Abs. 2 VerbStrG-E), also gewissermaßen eine Todesstrafe für das Unternehmen als ultima ratio.

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Die Diskussion um ein eigenständiges Unternehmensstrafrecht ist nun nicht neu. Schon seit Jahrzehnten wird das Thema immer wieder von Neuem diskutiert. Beispielsweise hat sich schon 1953 die strafrechtliche Abteilung des Deutschen Juristentages mit der Frage beschäftigt, ob es sich empfiehlt, die Strafbarkeit von juristischen Personen gesetzlich vorzusehen und dies im Ergebnis verneint. Denn Strafe dürfe nur wegen einer rechtswidrig-schuldhaften Handlung verhängt werden und juristische Personen seien weder handlungs- noch schuldfähig.[258]

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Der Begriff des Rechts ist, wie dargelegt wurde, mit dem Begriff des personalen Unrechts verbunden. Unabhängig davon, welchen Handlungsbegriff oder welche Handlungslehre man zugrunde legt, gehen jedenfalls alle davon aus, dass es um menschliches Handeln geht. Selbst die kausale Handlungslehre nach der Formulierung von Listzs begreift die Handlung als „die auf menschliches Wollen zurückführbare Bewirkung einer Veränderung in der Außenwelt“.[259] Schon nach einem solchen naturalistisch-reduzierten, den Willensinhalt nicht berücksichtigenden Handlungsbegriff kann ein Unternehmen als bloße Sachmittel- und Personeneinheit nicht handeln. Denn vorausgesetzt wird jedenfalls eine auf „menschliches Wollen zurückführbare Bewirkung“ einer Außenweltveränderung. Handeln können danach nur die einzelnen, für das Unternehmen tätigen Personen. Die Einführung einer Verbandsstrafbarkeit würde daher voraussetzen, dass ein Handeln der einzelnen Personen des Verbandes diesen als Ganzes treffen kann, wenn ihm das Handeln seiner Mitarbeiter zugerechnet werden könnte. Dem Recht sind nun solche Zurechnungsnormen nicht fremd. Sowohl in der zivilrechtlichen Deliktshaftung als auch im Rahmen der Haftung innerhalb des Ordnungswidrigkeitenrechts ist eine solche Zurechnung vorgesehen. So ist nach § 31 BGB der Verein für den Schaden verantwortlich, den beispielsweise der Vorstand einem Dritten zufügt, wenn der Vorstand dabei in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen gehandelt hat. Eine solche Haftung im Zivilrecht kann jedoch nicht einfach auf das Strafrecht übertragen werden. Im Zivilrecht geht es um die Frage der Haftungsübernahme für einen eingetretenen Vermögensschaden, nicht um Sanktionen. Es soll eine gerechte Schadensverteilung erfolgen, der geldwerte Schaden ist vom Verursacher auszugleichen.[260] Im Strafrecht geht es demgegenüber gerade nicht um einen monetären Schadensausgleich, sondern um die Verhängung von Strafe zur Wiederherstellung des Rechts.[261] Dies setzt aber gerade voraus, dass Strafe genau die Person trifft, die selbstbestimmt zur Unrechtstat übergegangen ist. Schon von Savigny stellte daher 1840 zutreffend fest: Das reale Dasein der juristischen Person „beruht auf dem vertretenen Willen bestimmter einzelner Menschen, der ihr, in Folge einer Fiction, als ihr eigener Wille angerechnet wird. Eine solche Vertretung aber, ohne eigenes Wollen, kann überall nur im Civilrecht, nie im Criminalrecht beachtet werden.“[262]

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Strafe setzt zudem schuldhaftes Handeln voraus („nulla poena sine culpa“). Die Voraussetzung der Schuld für die Verhängung von Strafe ist nun keine Erfindung des Gesetzgebers, sondern hat ihren Grund in der beschriebenen freiheitlichen Konstitution des Menschen. Denn – wie bereits gesagt wurde – ist der freie Einzelne notwendig Mitkonstituent des Rechts und zwar in einem grundlegenden Sinne. Der Täter rückt als Person nicht erst durch seine Tat ins Recht, sondern konstituiert es mit. Daher kann ihm auch im Falle der tätigen Verletzung des Rechts diese vorgeworfen werden. Der Verletzungserfolg ist kein Zufall, ist kein Unglück, sondern er ist zurückzuführen, auf ein schuldhaft begangenes personales Unrecht. Das strafrechtliche Schuldprinzip ist – wenn auch nicht ausdrücklich – im Grundgesetz verankert. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurzelt der Schuldgrundsatz in der „vom Grundgesetz vorausgesetzten und in Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG verfassungskräftig geschützten Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen, die von dem Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung des Strafrechts zu achten und respektieren sind.“[263] Insofern ist auch die Verhängung von Verbandsanktionen nach §§ 30, 130 OWiG nach dem vorliegenden Begründungszusammenhang fragwürdig. Denn diesen kommt jedenfalls auch eine repressive Aufgabe zu, wenn auch im Gewande des Ordnungsunrechts.[264]

12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 50 Die Lehre von der Beteiligung › F. Zusammentreffen mehrerer Beteiligungsformen