Handbuch des Strafrechts

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II. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von der Dolustheorie des Reichsgerichts hin zu einer normativen Betrachtungsweise

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Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt kein einheitliches Bild ab, in dem zu erkennen wäre, welchen methodischen Ansatz sie verfolgt; sie ist vielmehr durch zahlreiche Schwankungen gekennzeichnet. Zu erkennen ist jedoch, dass der Bundesgerichtshof – zwar mit „Rückfällen“ in die subjektive Lehre des Handelnden und insgesamt sehr schleppend – immer mehr hin zu einer normativen Betrachtungsweise gelangt ist, ohne sich dabei aber grundsätzlich von der ursprünglichen Rechtsprechung des Reichsgerichts abzuwenden. Der Bundesgerichtshof betont vielmehr, dass sich die bisher angelegten Kriterien nicht gewandelt hätten.

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Zunächst führte der Bundesgerichtshof die vom Reichsgericht vorgenommene Linie der subjektiven Abgrenzung fort.[66] Insbesondere in den sechziger Jahren fand die subjektive Betrachtungsweise wieder größere Bedeutung. Ihren Höhepunkt bildet das Staschinskij-Urteil von 1962.[67] Hier betont der Bundesgerichtshof, dass der eigenhändigen Tatbegehung lediglich eine Indizbedeutung zukomme und daraus nicht alleine eine Täterschaft gefolgert werden könne.

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Demgegenüber hatte der Bundesgerichtshof bereits in vorhergehenden Entscheidungen der fünfziger Jahren das objektive Element der Mitbeherrschung des Geschehensablaufs jedenfalls als Anhaltspunkt für die Ermittlung der Willensrichtung zum Maßstab genommen.[68] In einer kritischen Auseinandersetzung mit der Badewannenentscheidung des Reichsgerichts[69] entfernte sich der Bundesgerichtshof hier von der extrem subjektiven Theorie und setzte den Schwerpunkt auf die Tatherrschaft, die für die Ermittlung der Willensrichtung des Handelnden von Bedeutung sein sollte.

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In den letzten Jahrzehnten ist der BGH insgesamt zu einer „wertenden Gesamtbetrachtung“ des jeweiligen Einzelfalls übergegangen und nimmt die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme in Form einer Kombination von objektiven und subjektiven Kriterien vor. Objektive Kriterien sind für täterschaftliches Handeln insbesondere der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft; als subjektive Kriterien fungieren der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg und der Wille zur Tatherrschaft. So formuliert der BGH beispielsweise in Entscheidungen im Rahmen der Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe die Abgrenzung wie folgt: „Nach stRspr. ist Mittäter, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den von seiner Vorstellung umfassten gesamten Umständen in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein, so dass Durchführung und Ausgang maßgeblich von seinem Willen abhängen.“[70]

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Mit der Methode der „wertenden Gesamtbetrachtung“ behält sich der Bundesgerichtshof eine Flexibilität für Einzelfallentscheidungen vor, die eher von Intuition denn von einer dogmatisch sauberen Begründung für die Bestimmung von Abgrenzungskriterien von Täterschaft und Teilnahme geprägt ist.[71] So zeigt sich auch, dass sich die Rechtsprechung im Rahmen der mittelbaren Täterschaft zwar scheinbar an dem Begriff der Tatherrschaft orientiert, tatsächlich aber den Vordermann als bloßen Kausalfaktor betrachtet und dabei die Tatbestandsbezogenheit des Täterschaftsbegriffs auflöst.[72] Das gilt insbesondere für die Fälle der sog. Organisationsherrschaft des Hintermanns, die nicht nur bei staatlichen Organisationsstrukturen, sondern auch bei „unternehmerischen“ oder gar „geschäftsähnlichen“ Organisationsstrukturen, insgesamt „Befehlshierarchien“ in Betracht kommen soll. Eine mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft soll dann gegeben sein, wenn ein Hintermann diese Organisationsstrukturen ausnutze und sein Tatbeitrag insofern regelhafte Abläufe auslöse. „Handelt (. . .) der Hintermann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er insbesondere auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen, aus und will der Hintermann den Erfolg als Ergebnis seines eigenen Handelns, ist er Täter in der Form mittelbarer Täterschaft.“[73]

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Auch wenn der BGH hier den Begriff der Tatherrschaft verwendet und damit auf den ersten Blick scheinbar ein objektives Kriterium nennt, wird dies letztlich durch den Täterwillen ersetzt, der nur verbunden sein muss mit einer irgendwie gearteten Organisationsstruktur. Bei dieser soll es unerheblich sein, ob es sich um einen staatlichen Machtapparat, wie z.B. der Nationale Verteidigungsrat der DDR[74] oder eine OHG[75], eine GmbH[76] oder eine Tierarztpraxis[77] handelt; bloße Weisungsverhältnisse sollen ausreichen, um den Hintermann zum Täter hochzustufen und den Vordermann auf einen Kausalfaktor zu reduzieren.[78]

III. Die teleologische Lehre und die formal-objektive Beteiligungslehre

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Anfang des 20. Jahrhunderts war die formal-objektive Beteiligungslehre in der Literatur vorherrschend und sie lag auch dem Amtlichen Entwurf 1925 zugrunde. Ihre Grundlage bildete ein teleologisches Verständnis; für das Recht sollten teleologische Bestimmungen auf der Basis von in der Gesellschaft liegenden Wertvorstellungen maßgeblich sein.[79] So stellte die Feststellung des Verbrechens als tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung ein bloßes Werturteil des Gesetzgebers dar.[80] Für die Beteiligungslehre hatte dies zur Folge, dass die Abgrenzungskriterien formal-objektiv zu bestimmen sind. Ausgangspunkt sollte zunächst das äußere Erscheinungsbild des Tatgeschehens sein, welches sodann in ein Verhältnis zum jeweiligen Deliktstatbestand zu setzen war.

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Die teleologische und darauf ruhend die objektiv-formale Beteiligungslehre wendete sich somit insbesondere auch gegen die Kausalitätslehren. Die Frage nach der Kausalität sei lediglich eine „strafrechtliche Arbeitshypothese“[81]. Für die strafrechtliche Beteiligungslehre sei die Äquivalenztheorie daher zwar im ersten Schritt noch von Bedeutung, da sie allein die Frage nach der naturhaften Gleichwertigkeit der Bedingungen zu klären vermöge, sie lasse aber keine Differenzierungsmöglichkeit von täterschaftlichem und teilnehmendem Verhalten zu. Die Mitverursachung des Erfolges sei insofern zwar unentbehrliche Voraussetzung für die Frage strafrechtlicher Haftung, mehr vermöge sie aber nicht zu leisten. Die unterschiedlichen Beteiligungsformen seien daher in einem weiteren Schritt aus den Wertungen des positiven Rechts und des mit ihm verfolgten Zwecks zu ermitteln. Maßgeblich für die Bestimmung des Täters sei, ob dieser die in den Tatbeständen des Besonderen Teils umschriebenen Handlungen ganz oder jedenfalls teilweise selbst ausführe. Täter sei also derjenige, wer den Tatbestand verwirkliche, während Teilnehmer den gesetzlichen Tatbestand gerade nicht realisierten.[82]

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Die formal-objektive Lehre wendet sich auch gegen die subjektive Lehre v. Buris und des Reichsgerichts. Die Schlagworte „animus auctoris“ und „animus socii“ stellten keine wirkliche Begriffsbildung dar, sondern liefen letztlich auf eine intuitive Entscheidung hinaus, wer als Täter und wer als Gehilfe zu bewerten sei. Der Gegensatz: „Wollen der Tat als eigener oder fremder aber berücksichtigt nicht, dass jeder vorsätzlich Mitwirkende den Erfolg als Ergebnis seiner eigenen Mitwirkung will und nur deshalb überhaupt strafrechtlich verantwortlich gemacht werden kann.“[83]

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Während die formal-objektiven Theorien die Unterscheidung zwischen Beihilfe und Täterschaft allgemein befürworteten, herrschte bezüglich der Differenzierung von Anstiftung und mittelbarer Täterschaft Uneinigkeit.[84] Die Gehilfenhandlung unterscheide sich bereits objektiv sichtbar von der eines Täters, der die Tat tatsächlich ausführe. Die Verschiedenheit der Beteiligungsformen von Anstiftung und mittelbarer Täterschaft wird demgegenüber zum Teil als „doktrinär“[85] betrachtet und als eine künstliche Erweiterung der Teilnahme zu Lasten der Täterschaft begriffen. Beides seien vielmehr insgesamt Formen der „intellektuellen Täterschaft“. Das Entscheidende sei, dass die Haupttat bedingt durch den Hintermann verwirklicht werde. Auf die unterschiedliche Einwirkung des Hintermanns auf die Mittelsperson solle es demgegenüber nicht ankommen. Diese stelle nur eine Vorbereitungshandlung dar. Maßgeblich sei für die Frage der Urheberschaft zum einen die Ausführungshandlung, d.h. die Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlung, und zum anderen die Frage, ob sie durch die Mitwirkung eines hinter dem Ausführenden Stehenden erfolgt sei oder nicht.[86] Zum Teil wird aber auch eine Unterscheidung befürwortet und nur die Anstiftung als „intellektuelle Urheberschaft“ bezeichnet, während die mittelbare Täterschaft sich bereits aus der Begründung des allgemeinen Täterbegriffs ergeben soll und nur eine besondere Form desselben darstellt.[87]

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Der formal-objektiven Theorie liegt letztlich ein extensiver Täterbegriff zugrunde. Nur dadurch, dass das Gesetz zwischen Täterschaft und Teilnahme tatsächlich unterscheidet, kann eine unterschiedliche Bewertung vorgenommen werden. Die Bewertung „Täter“ und die strafrechtliche Haftung für sein Verhalten muss eigentlich auf jeden bezogen werden, „der eine Tatbestandsverwirklichung, und damit (. . .) eine Rechtsgutsverletzung rechtswidrig und schuldhaft“[88] bewirkt. Die Regelungen der Anstiftung und Beihilfe stellen dann lediglich „Strafeinschränkungsgründe“ dar, die die ansonsten aus der Kausalbeziehung gegebene Täterstrafe gesetzlich einschränken, und an deren Stelle eine andere Bestrafungsform tritt. Durch die gesetzespositivistische Geisteshaltung und die rein formale Betrachtung bleibt zudem die subjektive Seite personalen Handelns unberücksichtigt.

 

IV. Tatherrschaftslehren (materiell-objektive Beteiligungslehren)

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Die heutige Wissenschaftsdiskussion um die Frage der Täterschaft wird im Wesentlichen von der Tatherrschaftslehre geprägt, deren Grundlage zunächst die von Hans Welzel begründete finale Handlungslehre bildete.[89] Auch wenn die Tatherrschaftslehre auf verschiedenen Begründungsansätzen ruht und sich somit in ihrer näheren Ausgestaltung zu Einzelfragen unterschiedlich darstellt, wird der Täter jedenfalls als derjenige betrachtet, der die Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Geschehens „in den Händen hält“. Beteiligen sich mehrere an einer Straftat, ist derjenige Täter, der für das Geschehen die zentrale Person ist. Im Folgenden sollen für die Tatherrschaftslehre die Lehren Welzels und Roxins vorgestellt und mit ihrem methodischen Ansatz verbunden werden.

1. Die finale Handlungslehre Welzels und seine Lehre von der Tatherrschaft

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Welzel setzt sich zunächst kritisch mit dem naturalistischen Positivismus und den auf den Wertlehren basierenden teleologischen Lehren auseinander. Das „werthafte Sein“ sei der Wesensstruktur des Menschen immanent.[90] Menschliches Handeln könne nicht auf bloße Kausalvorgänge reduziert werden, sondern habe objektive und subjektive Momente in sich zu vereinigen. Denn das besondere Moment menschlicher Handlung sei ihre Zweckgerichtetheit, „d.h. Ursachfaktoren der äußeren Welt zu Mitteln zu machen, die einen bestimmten Erfolg als Ziel verwirklichen“[91]. Kausalität sei dagegen „‚eine blinde Kategorie‚“ und trage keine Zwecktätigkeit in sich.[92] Der menschliche Wille sei derjenige, der die Kausalität sehend werden lasse: „Der Wille ist nicht lediglich ein die Wirklichkeit verändernder, sondern vor allem ein sie bewußt gestaltender Faktor. Das ist keine bloß ‚subjektive‘ Eigenschaft des Willens, sondern eine objektive Funktion: Das Handlungsgeschehen ist in seiner objektiven Gestalt nicht rein blind-kausal, sondern zweckhaft ausgewählt und zielgerichtet, d.h. trotz allen kausalen Ablaufs final (sehend) vor- und überdeterminiert. Auf dieser objektiv-finalen Funktion des Willens beruht alles kulturelle, soziale und rechtliche Dasein.“[93] Auch ein Geisteskranker sei in der Lage, seine Handlung final zu steuern, demgegenüber fehle ihm aber die Fähigkeit zu „sinnvoller Wertentscheidung“, also handele er zwar tatbestandsmäßig, aber schuldlos.[94]

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Das entscheidende Moment menschlichen Handelns und damit des Unrechtshandelns sei die Finalität: „Der primäre Ausgangspunkt strafrechtlicher Dogmatik sei die finale (vorsätzliche) Handlung“.[95] Verbunden sei mit der Finalität die soziale und werthafte Bedeutung des Handelns. Begrenzung erfahre der Unrechtsbegriff aber insofern, als sozial-adäquate Handlungen von ihm nicht erfasst würden, da sie insoweit nicht sozial bedeutsam seien.[96] Um den gesamten sozialen Bedeutungsgehalt der täterschaftlichen Handlung zu erfassen, müssten zudem neben der Finalität auch die persönlichen Voraussetzungen der Täterschaft gegeben sein, wie z.B. eine besondere Pflichtenstellung des Täters oder Absichten oder Tendenzen, soweit „der besondere sozialethische Bedeutungsgehalt der Handlung tatbestandsmäßig von ihnen abhängt“.[97]

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Auf der Grundlage der Finalität menschlichen Handelns könnten nun auch Täterschaft und Teilnahme voneinander abgrenzt werden, da sie strukturell verschiedene Erscheinungsformen finalen Handelns darstellten: Täter sei derjenige, der die finale Tatherrschaft über das Geschehen innehat, d.h. der „Herr über seinen Entschluß und dessen Durchführung ist und damit Herr über ‚seine‘ Tat (ist), die er in seinem Dasein und Sosein zweckbewußt gestaltet“[98]. Dem Teilnehmer komme zwar auch eine „Tat“-Herrschaft zu, diese sei jedoch nicht in der Ausführungstat selbst begründet, sondern liege allein in der Beteiligungshandlung.[99]

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Welzel erfasst mit dem Moment der Finalität bereits auf der Seite der personalen Handlung ein wesentliches Element des Unrechts. Die Zweckgerichtetheit ist es, die die rechtliche Werthaftigkeit des Handelns mitprägen muss. Unberücksichtigt bleibt dabei aber ein anderes bedeutendes Moment menschlichen Wirkens: Das Element der freien, inhaltsbestimmten Entscheidung. Neben der Fähigkeit der Person, Kausalprozesse in ihrem Denken und Verhalten zu antizipieren und so die Naturkausalität final zu steuern, ist die autonome – im Einzelnen selbst gegründete – Entschließung, einen bestimmten Zweck als von ihr hervorzubringenden zu wählen und umzusetzen, zu beachten. Bei einem rein instrumental verstandenen Handlungsbegriff bleibt diese Seite als „finale Vor- oder Überdetermination des Naturkausalverlaufs“ außer Betracht. Der Mensch als reflexives Wesen handelt nicht nur mit der Intention, bestimmte Erfolge in der Außenwelt herbeizuführen, sondern er steht auch in einem besonderen Verhältnis zu ihnen. Der Einzelne kann erkennen, dass es ein durch seine Entschließung und seine Handlung begründeter Erfolg ist.[100] Das hat auch Auswirkungen auf den Begriff der Täterschaft und seine Abgrenzung zur Teilnahme. Der Begriff der Finalität vermag für sich genommen eine Differenzierung nicht zu leisten, da das Zusammenwirken mehrerer Personen mit dem finalen Moment des Handelns nur unzureichend begriffen wird. So handelt nicht nur der Täter final bezogen auf die Rechtsverletzung, sondern der Teilnehmer ebenso.[101] Auch fahrlässiges Verhalten kann der finale Handlungsbegriff nicht klären, da es hier an der Zweckgerichtetheit der Handlung gerade fehlt.[102] Zudem ist ein Unterlassen auf der Grundlage der finalen Handlungslehre nicht erfassbar, da es hier gerade an einer zielgerichteten Körperbewegung fehlt.[103] Es bedarf daher einer über den Begriff der Finalität hinaus gehenden Bestimmung menschlichen Handelns und damit auch des Zusammenwirkens mehrerer bezogen auf eine Rechtsverletzung.

2. Der methodische Ansatz Roxins und seine Lehre von der Tatherrschaft

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Roxin wendet sich (insbesondere im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit der finalen Handlungslehre) gegen einen Rekurs auf einen dem (Straf-)Recht allgemein vorgelagerten Handlungsbegriff, dem er lediglich einen „architektonisch-ästhetische(n) Wert“ bescheinigt.[104] Für die Bestimmung der Tatherrschaft komme dem Handlungsbegriffs nur eine negative Funktion zu, indem nicht finale Verhaltensweisen bereits keine Berücksichtigung finden könnten. Aber schon der Inhalt finalen Handelns bedürfe einer teleologischen Interpretation des positiven Rechts. Zwar könne der Einzelne sein Verhalten zweckmäßig steuern und sich des Kausalgesetzes gestaltend bemächtigen („anthropologische Grundkategorie“[105]), was aber final sei und was nicht, hänge allein von den „Zwecksetzungen der Rechtsordnung“ ab.[106] Die Finalität gebe auch keine Kriterien dafür, wie die unterschiedlichen Beteiligungsformen untereinander abzugrenzen seien, da der Teilnehmer ebenso final handele. Der Begriff der Tatherrschaft sei daher das „Produkt einer mehrschichtigen Synthese von ontologischer und teleologischer Betrachtungsweise“.[107] Zwar verwende der Tatherrschaftsbegriff auch unabhängig von der Handlungsstruktur ein vorrechtliches Material, eine Präzisierung erfahre er aber erst durch die rechtlichen Wertungen des Gesetzgebers und des Richters.[108] Auch die Anforderungen, die an die Haupttat bei einer Teilnahme zu stellen seien, könnten nicht aus dem Wesen der Handlung selbst abgeleitet, sondern nur durch den Zweck der Teilnahmevorschriften und aus den Besonderheiten der jeweiligen Deliktstatbestände ermittelt werden.[109]

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Das Gesetz stelle nun denjenigen, der die Tat ausführe, in den Mittelpunkt des Geschehens und begreife ihn daher als „Schlüsselfigur“, als „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens“[110], während es den Teilnehmer außerhalb des zentralen Geschehens stelle, dieser gruppiere sich „um (den Täter) herum“.[111] Der Begriff der „Zentralgestalt“ bezeichne, so Roxin, damit einerseits den für die Abgrenzung zur Teilnahme maßgebenden gesetzlichen Wertungsgesichtspunkt, bezeichne andererseits aber auch einen deutlich erfassbaren vorrechtlichen Differenzierungsmaßstab.[112] Der Begriff der Tatherrschaft als „offener“, „beschreibender“ Begriff[113] sei flexibel genug, um den unterschiedlichen Einzelfällen gerecht werden zu können. Zwar ließen sich aus ihm nicht konkrete Abgrenzungskriterien zur Teilnahme ableiten, es handele sich aber um einen „wertenden Differenzierungsmaßstab“, der im Rahmen der realen Gegebenheiten deliktischen Handelns im Einzelnen entfaltet und konkretisiert werden könne.[114] Der Gesetzgeber habe dazu den ersten Schritt getan, indem er in § 25 StGB drei Formen der Täterschaft unterscheide, die den drei Arten der Tatherrschaft entsprächen: Die Handlungsherrschaft, die die unmittelbare Täterschaft, die Willensherrschaft (z.B. aufgrund von Zwang der Täuschung), die die mittelbare Täterschaft und die funktionelle Tatherrschaft, die die Mittäterschaft kennzeichne.[115]

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Berechtigt ist die Kritik Roxins am finalen Handlungsbegriff, der menschliches Verhalten nicht hinreichend zu erfassen vermag, da ihm ein bloß instrumentales Handlungsverständnis zugrunde liegt und er damit personales Handeln nur unzureichend erfasst. Nicht hingegen kann – wie Roxin meint – daraus geschlossen werden, dass damit für das (Straf-)Recht allgemein und für die Bestimmung von Täterschaft und Teilnahme im Besonderen dem Handlungsbegriff nur ein „architektonisch-ästhetischer Wert“ zukommt. Vielmehr bleibt die nähere Bestimmung menschlichen Handelns für das Recht ebenso wie für das Unrecht konstitutiv. Es ist daher nicht ausreichend, die Tatherrschaft nur in ihrer Phänomenologie zu beschreiben, sondern sie bedarf auch einer Begründung. Das soll am Beispiel der mittelbaren Täterschaft deutlich gemacht werden. Diese wird von Roxin als „Willensherrschaft“ gekennzeichnet. Während der Alleintäter Inhaber der Handlungsherrschaft sei und er durch eigenhändige Verwirklichung der Tatbestandshandlung die Täterschaft begründe, fehle dem mittelbaren Täter eine solche. Seine Tatherrschaft konstituiere sich vielmehr aufgrund „der Macht des steuernden Willens“[116]. Diese Willensherrschaft des Hintermanns soll in drei Formen vorkommen: der Irrtumsherrschaft („Wissensherrschaft“), der Nötigungsherrschaft und der Organisationsherrschaft.[117]

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Nicht näher dargelegt wird jedoch, was „Willensherrschaft“ meint, sie wird auch nicht begründet. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass die Maßstäbe vornehmlich den Wertungen dem Gesetz entnommen werden sollten (deutlich wird dies insbesondere auch bei den Sonderpflichtdelikten, s. dazu Rn. 109 ff.) Die Frage, warum es überhaupt möglich ist, eine fremde Handlung zuzurechnen und woraus sich diese Möglichkeit ergibt, wenn man davon ausgeht, dass der Einzelne grundsätzlich für sein Handeln selbst verantwortlich ist, wird nicht thematisiert. Die Antwort auf diese Frage ist aber entscheidender Wegweiser für die Bestimmung der weiteren Kriterien von Täterschaft und Teilnahme. Zudem ist der Begriff der Willensherrschaft jedenfalls ungenau, denn eine solche kann es aufgrund der Selbstbestimmung des Einzelnen genau genommen nicht geben. Der Wille an sich ist nicht beherrschbar, man kann ihn nur zum eigenen Nutzen missbrauchen. Denn auch der unmittelbar Handelnde (der Tatmittler) wird aufgrund eines Irrtums oder auch eines Nötigungsdrucks nicht automatisch zum „Werkzeug“ des Hintermanns, so könnte er sich auch besinnen oder dem Druck des Hintermannes standhalten. Der Vordermann bleibt Subjekt und ist aufgrund seiner Autonomie nicht in gleicher Weise beherrschbar wie ein Kausalprozess. Dies wird auch deutlich, wenn man sich die Perspektive des Opfers vergegenwärtigt. Dieses begreift die Verletzung nicht als ein hinzunehmendes Naturereignis, sondern zunächst unmittelbar als die von einer bestimmten handelnden Person (dem Vordermann) bewirkten Freiheitsverletzung. Damit wird nicht die Figur der mittelbaren Täterschaft insgesamt abgelehnt, denn auch wenn ein sich im Irrtum befindendes Subjekt grundsätzlich ein selbstreflektiertes Subjekt bleibt, wird damit nicht geleugnet, dass ein anderer sich den Irrtum für seine Zwecke zunutze machen kann. Zwar könnte sich die vom Hintermann eingesetzte Mittelsperson besinnen, aber dies überlässt jener eben dem Zufall.[118] Der Einzelne kann damit Erfahrungsregeln im handelnden Umgang mit Menschen einsetzen, ebenso, wie er sich Gesetze der Natur zunutze machen kann. Bedingt durch die Eigenständigkeit der jeweils handelnden Person sind diese aber von strukturell anderer und insbesondere auch von unsicherer Art als mechanische Abläufe. Vor diesem Hintergrund sind daher insbesondere die Fälle der sog. Nötigungsherrschaft und der sog. Organisationsherrschaft als Formen mittelbarer Täterschaft kritisch zu überdenken.[119]