Handbuch des Strafrechts

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II. Bewertung

130

Der Entwurf des VerbStrG ist ganz überwiegend auf scharfe Ablehnung[455] gestoßen. Der Vorstoß wurde als „heikel, untauglich und unnötig zugleich“ bewertet.[456] Schünemann[457] sprach gar von einem „kriminalpolitischen Zombie“. Geäußert wurden nicht nur dogmatische sowie rechts- und kriminalpolitische Bedenken, sondern die einzelnen Regelungen wurden z.T. sehr scharf kritisiert. Nur vereinzelt wurden positive Ansätze hervorgehoben, insb. die Berücksichtigung der Compliance,[458] die Einführung ertragsbezogener Verbandsgeldbußen[459] und die Möglichkeit, Auflagen und Weisungen anzuordnen.[460] Vom hiesigen Standpunkt (Rn. 67 ff.) erscheint bereits das Grundkonzept verfehlt,[461] da dem Verband unwiderlegbar ein „originäres“ Organisationsverschulden vorgeworfen werden sollte. Dies hätte den Übergang zu einem zivilrechtlichen Haftungskonzept und den Bruch mit dem bisherigen Verständnis von Strafe bedeutet. Damit wäre die Sanktionierung von Verbänden im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nach unterschiedlichen Grundmodellen erfolgt, da § 30 OWiG, dem das Repräsentationsmodell zugrunde liegt, unverändert fortbestehen sollte.

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Im materiell-rechtlichen Ersten Teil des VerbStrG wurde die Bestimmtheit der Strafbarkeitsvoraussetzungen kritisiert. „Zuwiderhandlungen“ und „Aufsichtsmaßnahmen“ seien unzureichend definiert.[462] Gefordert wurde die Schaffung eines Kataloges von Wirtschaftsstraftaten[463] und die Festlegung von Compliance-Mindeststandards in Anlehnung an den „Resource Guide to the U.S. Foreign Corrupt Practices Act“ bzw. den (U.K.-)Guidance „The Bribery Act 2010“.[464] Kritisiert wurde weiter der Generalverweis auf die Vorschriften des AT, die auf natürliche Personen zugeschnitten seien.[465] Unklar bleibe etwa, inwieweit die Vorschriften zu Täterschaft und Teilnahme[466] anwendbar sein sollten und ob Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe[467] in Betracht kämen. Kritisiert wurde weiter die im Vergleich zu § 30 OWiG sehr starke Erweiterung des transnationalen Geltungsbereichs durch Anwendung der §§ 3 ff. StGB.[468] Die Erfassung von Zuwiderhandlungen im Ausland erzwinge entsprechende Aufsichtspflichten, die Unternehmen lähmen könnten.[469] Sowohl die Einbeziehung ideeller Vereine[470] als auch die Privilegierung hoheitlichen Handelns wurde als fragwürdig bewertet.[471] Gegen die Etablierung der Risikoerhöhungslehre wurde eingewandt, damit werde der Grundsatz in dubio pro reo unterlaufen.[472]

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Im Zentrum der Kritik standen die Verbandsstrafen und Verbandsmaßregeln, die Unternehmen im internationalen Vergleich mit „nahezu gnadenloser Härte“[473] getroffen hätten. Die Orientierung der Anzahl der Tagessätze nicht am Verschulden, sondern am Gewicht und den Auswirkungen einer Zuwiderhandlung, statuiere eine „Haftung“.[474] Die Bemessung der Tagessatzhöhe am Ertrag bzw. weltweiten Umsatz könne zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen und eröffne erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten.[475] Die Vorteilsabschöpfung gemäß dem Bruttoprinzip könne verheerende Wirkungen haben („Overkill“).[476] Die Verbandsverwarnung mit Strafvorbehalt installiere das aus den USA bekannte „Monitoring“ und importiere damit die kompetenz- und vergütungsrechtlichen Folgefragen.[477] Die Möglichkeit der Steuerung des Unternehmens durch Auflagen und Weisungen begründe die Gefahr eines zu tiefen Eingriffs.[478] Die Bekanntgabe der Verurteilung statuiere eine „Prangerstrafe“.[479] Der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und von Subventionen hätte in manchen Branchen existenzvernichtende Wirkung.[480] Die Verbandsauflösung versetze Unternehmen den „Todesstoß“ und treffe insb. die Arbeitnehmer.[481] Die Regelungen zum Absehen von Sanktionen würden jedem Verband eine Compliance-Organisation aufzwingen, was für kleinere und mittlere Unternehmen und die rund 580 000 ideellen Vereine unverhältnismäßig sei[482] und auf ein „Arbeitsbeschaffungsprogramm“ für Anwaltskanzleien[483] hinauslaufe. Schließlich sei es verfehlt, das Absehen von Sanktionen zu gestatten, wenn nach der Tatbegehung Compliance-Programme implementiert werden, während vor der Tatbegehung vorhandene Compliance-Programme nur zu einer Verbandsverwarnung mit Strafvorbehalt führen könnten.[484]

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Der verfahrensrechtliche Zweite Teil unterlag ebenfalls scharfer Kritik. Der Generalverweis auf die allgemeinen, auf das Individualverfahren zugeschnittenen Vorschriften wurde als verfehlt bewertet.[485] Das Legalitätsprinzip werde die bereits überlasteten Strafverfolgungsbehörden überfordern, Folge wäre eine „Flut“ von Verständigungen.[486] Nicht nur im US-Strafverfahren, sondern auch im VbVG gelte das Opportunitätsprinzip.[487] Die Erwartung, die Mehrbelastung könnte durch Mehreinnahmen abgedeckt werden, ernte „auf Justizseite nur Spott und Hohn“.[488] Die Einstellungsmöglichkeiten der §§ 153 ff. StPO müssten an Unternehmenssachverhalte angepasst werden.[489] Durch die Auflösung der Verklammerung von Verbandstat und Tat des Entscheidungsträgers bestehe nicht mehr der Zwang, ein Urteil über die Tat des Entscheidungsträgers herbeizuführen und entlastende Gesichtspunkte zu ermitteln.[490] Die gerade in Wirtschaftsstrafverfahren sehr effiziente Telekommunikationsüberwachung könne nicht angeordnet werden, da die Verbandsstraftat keine Katalogtat des § 100a Abs. 2 StPO sei.[491] Eine Regelung der zentralen Frage fehle, ob die Strafverfolgungsbehörden auf Beweismittel zurückgreifen dürften, die im Rahmen von Internal Investigations gewonnen worden seien.[492] Die Aufgabe des Verbots der Mehrfachverteidigung könne dazu führen, dass sich Verbände „auf dem Rücken von Individualbeschuldigten“ verteidigen.[493] Der Ausschluss beschuldigter Personen von der Vertretung ermögliche es, den Verband „vertretungslos“ zu stellen, um Ermittlungsmaßnahmen durchzuführen.[494] Der vorgesehene Umfang der verfahrenssichernden Maßnahmen sei unangemessen.[495] Schließlich sei unklar, ob ein Strafbefehl gegen den Verband ergehen könne.[496]

12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 49 Strafbarkeit juristischer Personen › F. Zum Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (2020)

F. Zum Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (2020)
I. Konzept und Ausgestaltung

1. Grundsätzliches

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Der Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“, der am 16. Juni 2020 vorgestellt wurde, enthält wie bereits der erste Referentenentwurf von Mitte August 2019 (zur Entstehung der Entwürfe Rn. 18 f.) das „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz – VerSanG)“. Der Entwurf des VerSanG (VerSanG-E) greift Elemente des „Kölner Entwurfs“[497] (Rn. 18) auf, wobei er aber nur teilweise dem Repräsentationsmodell folgt; teilweise neigt er dem Vicarious liability-Modell zu (Rn. 162). In allen Entwürfen ist von „Verbandssanktionen“ die Rede, nicht wie im VerbStrG-E (Rn. 126 ff.) von „Verbandsstrafen“. Während beim Kölner Entwurf die Spezialprävention im Vordergrund stand,[498] soll das VerSanG die Ahndung von Verbänden sicherstellen und „zugleich“ Anreize für Investitionen in Compliance und die Aufklärung von Straftaten mit internen Untersuchungen setzen.[499] Die wesentlichen Unterschiede gegenüber dem ersten Referentenentwurf (VerSanG-eRefE) bestehen zum einen darin, dass nur noch Verbände erfasst werden, deren Zweck auf einen „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb“ gerichtet ist (§ 1 VerSanG-E). Die Sanktionierung von anderen Verbänden soll weiterhin § 30 OWiG unterliegen, also mittels Verbandsgeldbußen erfolgen. Zum anderen ist die „Verbandsauflösung“ (§ 14 VerSanG-eRefE), die stark kritisiert[500] wurde („Todesstrafe“), nicht mehr als Verbandssanktion vorgesehen.

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Art. 1 des geplanten „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ enthält mit dem VerSanG ein umfangreiches neues Stammgesetz, das die Sanktionierung von Verbänden regelt und in sieben Teile mit 69 Paragraphen untergliedert ist: 1: Allgemeine Vorschriften; 2: Voraussetzungen der Sanktionierung und Ausfallhaftung; 3: Rechtsfolgen; 4: Verjährung; 5: Zuständigkeit und Verfahrensvorschriften; 6: Verbandssanktionenregister; 7: Schlussbestimmungen. Art. 214 enthalten ergänzende Bestimmungen zur Änderung bestehender Gesetzen (insb. GVG, InsO, StPO, GKG, RVG, StGB, OWiG, AO, GWB, WRegG, EnWG). Art. 15 sieht vor, dass das Gesetz erst zwei Jahre nach Verkündung, die Regelungen zum Verbandssanktionenregister sogar erst vier Jahre danach, jeweils am ersten Tag des folgenden Quartals in Kraft treten. Für Taten, die vor Inkrafttreten begangen wurden, über die aber erst nach Inkrafttreten zu entscheiden ist (Altfälle), werden die bisherigen Vorschriften, insbesondere § 30 OWiG, in ihrer bisherigen Fassung fortgelten (§ 68 VerSanG-E).

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Die Begründung des Entwurfs „akzentuiert“ die Defizite des geltenden Rechts und stellt die Einführung des Gesetzes als „alternativlos“ (siehe Rn. 137) dar. Straftaten, die aus Verbänden heraus begangen werden, könnten bislang nur mit einer Verbandsgeldbuße geahndet werden, womit eine angemessene Reaktion auf Unternehmenskriminalität „nicht möglich“ sei; die Höchstgrenze des Ahndungsteils von 10 Mio. Euro lasse insb. gegenüber finanzkräftigen multinationalen Konzernen „keine empfindliche Sanktion“ zu; „konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln“ für Verbandsgeldbußen würden ebenso fehlen wie „rechtssichere Anreize“ für Investitionen in Compliance; die Verfolgung stehe allein im Ermessen der zuständigen Behörden, was zu einer „uneinheitlichen und unzureichenden Ahndung“ geführt habe; Verbandstaten im Ausland könnten „vielfach nicht verfolgt“ werden.[501] Das OWiG und sein Verfahrensrecht seien „insgesamt keine zeitgemäße Grundlage mehr für die Verfolgung und Ahndung kriminellen Unternehmensverhaltens“.[502]

 

137

Der Entwurf verfolgt (nur noch, Rn. 134) das Ziel, die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, eigenständig gesetzlich zu regeln.[503] Damit soll der Kritik[504] Rechnung getragen werden, es sei unverhältnismäßig, alle Verbände denselben Sanktionen zu unterwerfen. Das bislang im OWiG nur rudimentär geregelte Verbandsverfahren wird neu geordnet, wobei nicht nur das Legalitätsprinzip eingeführt werden soll, sondern auch verbandsspezifische Einstellungsvorschriften geschaffen werden, um Compliance-Maßnahmen zu fördern und Anreize zu geben, dass Unternehmen mit internen Untersuchungen dazu beitragen, Straftaten aufzuklären; darüber hinaus soll ein Verbandssanktionenregister geschaffen werden.[505] Gegenüber dem ersten Referentenentwurf wird – wohl im Hinblick auf die neue Bezeichnung als „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ – hervorgehoben, Rechtsbrüche einzelner Unternehmen gingen auf Kosten der rechtstreuen Unternehmen und deren Inhaber- und Arbeitnehmerschaft, würden den Ruf der Wirtschaft „insgesamt“ und bei Ausbleiben einer angemessenen Reaktion zugleich das Vertrauen in den Rechtsstaat schädigen.[506] Das VerSanG soll ein Instrumentarium zur Verfügung stellen, „mit dem angemessener, wirksamer und flexibler der Tat und ihren Ursachen Rechnung getragen werden kann“.[507] (Keine) Alternativen seien die Beibehaltung der „unzureichenden Rechtslage“, Änderungen des OWiG, die wegen der Vielzahl der erforderlichen Sonderregelungen mit „erheblichen systematischen Verwerfungen“ einhergehen würden, und die derzeit „nicht zwingend erscheinende Einführung eines Unternehmensstrafrechts“.[508] Mehrkosten, die den Bundesländern entstehen, würden durch Synergieeffekte und Mehreinnahmen relativiert.[509]

2. Materiell-rechtliche Vorschriften

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Die Teile 1–4 enthalten mit §§ 1–22 VerSanG-E im Wesentlichen materiell-rechtliche Regelungen. Regelungsbereich (§ 1 VerSanG-E) bildet „die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, wegen Straftaten, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte“. Die Abgrenzung soll anhand der Kriterien erfolgen, die zu §§ 21, 22 BGB für die Abgrenzung zwischen ideellen und wirtschaftlichen Vereinen entwickelt wurden.[510] Enthalten sind drei Begriffsbestimmungen (§ 2 Abs. 1 VerSanG-E). Für den „Verband“ (Nr. 1) wird klargestellt, dass auch juristische Personen des öffentlichen Rechts grds. sanktionsfähig sind.[511] Die Definition der „Leitungsperson“ (Nr. 2 lit. a–e) greift den Täterkreis des § 30 OWiG auf. Eine „Verbandstat“ (Nr. 3) kann grds. jede tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft begangene Straftat sein.[512] Die Regelung für Auslandstaten (§ 2 Abs. 2 VerSanG-E) soll eine Lücke bei der Ahndung von Auslandstaten schließen, die es bislang insb. multinationalen Konzernen mit Sitz in Deutschland ermöglicht habe, sich bei Auslandstaten durch den Einsatz ausländischer Mitarbeiter der Bebußung zu entziehen.[513]

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Die Verbandsverantwortlichkeit (§ 3 VerSanG-E) besteht nach dem Entwurf sowohl für die Begehung einer Verbandstat durch eine Leitungsperson des Verbands (Abs. 1 Nr. 1) als auch dann, wenn „jemand“ „sonst in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes eine Verbandsstraftat begangen hat“ und „Leitungspersonen des Verbands die Straftat durch angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten wie insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht hätten verhindern oder wesentlich erschweren können“ (Abs. 1 Nr. 2). Möglich ist weiter die Feststellung eines besonders schweren Falls (§ 3 Abs. 2 S. 1 VerSanG-E), der in der Regel vorliegen soll, wenn in der Verbandstat „besondere gegen den Verband sprechende Umstände zum Ausdruck kommen“ und die Verbandstat ein von einer Leitungsperson begangenes Verbrechen ist (Abs. 2 S. 2 Nr. 1). Dasselbe soll gelten, wenn die Verbandstat mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe bedroht ist und von einer „hochrangigen Leitungsperson“ begangen wird oder an ihr mehrere Leitungspersonen beteiligt sind und ihr Verbandstaten von Leitungspersonen vorausgegangen sind (Abs. 2 S. 2 Nr. 2 lit. a und b). Für die Verhängung von Verbandssanktionen sollen die allgemeinen Vorschriften der § 1 StGB (Gesetzlichkeitsprinzip), § 2 StGB (Zeitliche Geltung) und § 8 StGB (Zeit der Tat) entsprechend gelten.

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Für die Verbandsverantwortlichkeit gilt das Legalitätsprinzip (§ 3 Abs. 1 VerSanG-E: „wird“ verhängt), um in Verbindung mit den Verfahrensvorschriften der StPO eine gleichmäßige und regelmäßige Anwendung sicherzustellen.[514] Nach den Regelungen für Antrag, Ermächtigung und Strafverlangen (§ 4 VerSanG-E) erfordert die Verfolgung das Stellen eines Antrags, die Erteilung einer Ermächtigung oder ein Strafverlangen, sofern die Verbandstat nur unter diesen Voraussetzungen verfolgt werden kann (Abs. 1). Für den Antrag gelten die Regelungen des § 158 Abs. 2 StPO zu Strafanzeige und Strafantrag sowie der §§ 77–77e StGB zum Strafantrag entsprechend (Abs. 2). Der Ausschluss von Verbandssanktionen (§ 5 VerSanG-E) ist vorgesehen, wenn eine Verbandstat wegen Ausschlusses oder Aufhebung der Strafe nicht verfolgt werden kann (Nr. 1), solange Vorschriften über die Immunität entgegenstehen (Nr. 2) oder wenn die Verbandstat „in Vornahme hoheitlichen Handelns“ begangen wird (Nr. 3). Letzteres soll die „Selbstsanktionierung“ des Staates verhindern.[515]

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Die Regelung zur Rechtsnachfolge (§ 6 VerSanG-E), die an § 30 Abs. 2a OWiG anknüpft, soll Umgehungen vermeiden. Danach können die Verbandssanktionen im Fall einer (auch partiellen) Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung gegen den oder die Rechtsnachfolger verhängt werden. Darüber hinaus ist nach dem Vorbild des § 81a GWB eine sog. Ausfallhaftung vorgesehen (§ 7 VerSanG-E), die eine Umgehung durch konzerninterne Umstrukturierung bzw. Übertragung wesentlicher Wirtschaftsgüter auf einen anderen Verband, der die Tätigkeit im Wesentlichen fortsetzt, verhindern soll.[516] Damit wird die berühmte „Wurstlücke“[517] geschlossen.

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§§ 8–15 VerSanG-E regeln Art und Ausgestaltung der Verbandssanktionen (§ 8 VerSanG-E), d.h. der Verbandsgeldsanktion (Nr. 1) und der Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (Nr. 2). Vorgesehen ist aber auch die Möglichkeit der Einstellung unter Auflagen und Weisungen (§ 36 VerSanG-E). Damit soll eine flexiblere und angemessenere Antwort auf Straftaten als mit dem Ordnungswidrigkeitenrecht gegeben werden, das nur die Wahl zwischen (folgenloser) Einstellung und Bebußung lasse.[518]

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Die Höhe der Verbandsgeldsanktion (§ 9 VerSanG-E) richtet sich künftig teilweise nach dem durchschnittlichen (Konzern-)Jahresumsatz, um bei Großunternehmen und multinationalen Konzernen eine an der Wirtschaftskraft orientierte angemessene Sanktionierung zu ermöglichen und die Belastungsgleichheit herzustellen.[519] Die Verbandsgeldsanktion wird, anders die Verbandsgeldbuße, nicht zugleich der Vermögensabschöpfung dienen, vielmehr erfolgt die Einziehung von Taterträgen gesondert nach §§ 73 ff. StGB.[520] Für Unternehmen mit einem (Konzern-)Jahresumsatz bis zu 100 Mio. Euro bleibt es bei den im OWiG vorgesehenen (starren) Höchstgrenzen. Bei vorsätzlichen Verbandstaten beträgt die Verbandsgeldsanktion mindestens 1000 und höchstens 10 Mio. Euro, bei fahrlässigen Verbandstaten mindestens 500 und höchstens 5 Mio. Euro (Abs. 1 Nr. 1 und 2). Bei einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Mio. Euro wird die Verbandsgeldsanktion dagegen mindestens 10 000 Euro und – in Anlehnung an § 81 Abs. 4 S. 2 GWB – höchstens 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes bzw. bei Fahrlässigkeit mindestens 5000 Euro und höchstens 5 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen. Der Kölner Entwurf hatte als Höchstmaß sogar 15 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes vorgesehen. Zugrunde zu legen ist der „weltweite Umsatz aller natürlichen Personen und Verbände der letzten drei Geschäftsjahre“, soweit sie mit dem Verband „als wirtschaftliche Einheit operieren“ und auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet sind. Diese Regelung soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Ahndungsempfindlichkeit und der daraus resultierende Abschreckungseffekt sich nicht aus den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verbandes, sondern aus denjenigen der wirtschaftlichen Einheit ergeben; zudem sollen mögliche Verzerrungen durch Sondereffekte vermieden werden.[521] Die Schätzung ist zulässig (Abs. 2). Bei Mischtaten bestimmt sich das Höchstmaß nach dem für die Ordnungswidrigkeit angedrohten Höchstmaß der Geldbuße, wenn es das ansonsten anwendbare Höchstmaß übersteigt (Abs. 3). Zahlungserleichterungen sind möglich (Abs. 4).

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Die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (§ 10 VerSanG-E) wurde der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) nachgebildet.[522] Eine Verwarnung ist möglich, wenn sie ausreichend erscheint, um Verbandstaten in Zukunft zu vermeiden, bei Gesamtwürdigung „besondere Umstände“ vorliegen, welche die Verbandsgeldsanktion entbehrlich machen, und die Verteidigung der Rechtsordnung die Verhängung nicht gebietet (Abs. 1). Die Vorbehaltszeit beträgt zwischen einem Jahr und fünf Jahren (Abs. 2), beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung und kann nachträglich verkürzt oder verlängert werden (Abs. 3). Die Verbindung mit Auflagen und Weisungen ist möglich (Abs. 4). Die Verurteilung erfolgt, wenn in der Vorbehaltszeit eine Verbandstat begangen wird, die zeigt, dass die Erwartung sich nicht erfüllt hat, oder der Verband gegen Auflagen oder Weisungen „gröblich oder beharrlich“ verstößt (Abs. 5). Sind die Voraussetzungen der Verwarnung nicht erfüllt, ist der Vorbehalt eines Teils der Verbandsgeldsanktion von bis zu 50 % möglich, wenn zu erwarten ist, dass dies ausreichend ist, um Verbandstaten in Zukunft zu vermeiden; auch insoweit können Auflagen und Weisungen erteilt werden (§ 11 VerSanG-E). Auflagen (§ 12 VerSanG-E) sind namentlich die Wiedergutmachung des verursachten Schadens nach Kräften (Abs. 2 Nr. 1) und – soweit die Wiedergutmachung nicht entgegensteht – die Zahlung eines Geldbetrages zugunsten der Staatskasse (Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3). Anders als bei § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB sind Zahlungen an gemeinnützige Einrichtungen nicht vorgesehen, um der „Kritik an der intransparenten Zuweisung von Geldauflagen durch die Justiz“ Rechnung zu tragen.[523] Als Weisungen (§ 13 VerSanG-E) ist namentlich das (präventive) Treffen von Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten vorgesehen, die durch Bescheinigung einer sachkundigen Stelle – z.B. vom Verband beauftragte und vom Gericht gebilligte Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Unternehmensberater[524] – nachzuweisen sind (Abs. 2). Die Weisungen dürfen nicht unzumutbar in den Betrieb oder das Unternehmen eingreifen (Abs. 3).

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Die öffentliche Bekanntmachung (§ 14 VerSanG-E) der Verurteilung des Verbandes wird gestattet, wenn eine „große Zahl von Geschädigten“ vorhanden ist (S. 1), wobei das Gericht Art und Umfang der Bekanntmachung im Urteil festlegt (S. 2). Erfolgt sie im Internet, so ist sie spätestens nach einem Jahr zu entfernen (S. 3). Die Bekanntmachung soll den Verband „nicht an den Pranger stellen“, sondern die Verletzten informieren, damit sie über die Geltendmachung von Ansprüchen entscheiden können.[525] Regelmäßig soll es genügen, wenn ein reduzierter und anonymisierter Tatbestand sowie der Entscheidungstenor veröffentlicht werden.[526]

 

146

Die Bemessung der Verbandsgeldsanktion (§ 15 VerSanG-E) orientiert sich an der Bemessung der Verbandsgeldbuße.[527] Maßgebend sind die Bedeutung der Verbandstat und in den Fällen der Begehung der Verbandstat durch eine untergeordnete Person auch Schwere und Ausmaß des Unterlassens angemessener Vorkehrungen durch eine Leitungsperson (Abs. 1). Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verbandes sind zu berücksichtigen, nicht aber der bereits bei der Bestimmung des Sanktionsrahmens berücksichtigte Umsatz (Abs. 2), um eine Doppelverwertung auszuschließen.[528] Die Orientierung an der Wirtschaftskraft soll eine angemessene Zumessung der Sanktion gestatten. Die Umstände, die für und gegen den Verband sprechen, sind gegeneinander abzuwägen, wobei in Anlehnung an § 46 Abs. 2 StGB ein Katalog einschlägiger Umstände (Abs. 3 Nr. 1–8) aufgeführt wird. Die Anrechnung früherer Straftaten erfolgt nach § 51 Abs. 2 StGB (Abs. 4).

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Regelungen zur Milderung der Verbandssanktion bei verbandsinternen Untersuchungen enthalten die §§ 16–18 VerSanG-E, um Rechtssicherheit für die Unternehmen und ihre Berater zu schaffen und die Mitarbeiter zu schützen. Die Regeln sollen das Verhältnis zwischen der staatlichen Sachverhaltsaufklärung durch die Strafverfolgungsbehörden und der privatrechtlichen Untersuchung durch das Unternehmen klären sowie ein abgestuftes Anreizsystem schaffen.[529] Ergänzend soll der Umfang zulässiger Beschlagnahmen festgelegt und das Verhältnis von § 97 StPO zu § 160a StPO klargestellt werden, um „bestehende Unsicherheiten“ zu beseitigen.[530] Vorgesehen ist allerdings – entgegen den Erwartungen der Praxis (Rn. 174) –, dass die Reichweite der Beschlagnahmeverbote nunmehr in allen Fällen ausdrücklich auf diejenigen Fälle beschränkt wird, in denen ein Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Zeugnisverweigerungsberechtigtem besteht.

148

Klargestellt wird, dass verbandsinterne Untersuchungen (§ 16 VerSanG-E) sowohl durch den Verband selbst als auch durch beauftragte Dritte durchgeführt werden dürfen, da gerade bei kleinen und mittelständischen Betrieben das Bedürfnis bestehen könne, die Untersuchungen selbst durchzuführen.[531] Eine Milderung (§ 17 VerSanG-E) „soll“ erfolgen (gebundenes Ermessen), wenn fünf (qualitative) Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind (Abs. 1), damit ausschließlich „gesetzestreues Verhalten“ honoriert wird[532]:


„Wesentlicher“ Beitrag zur Aufklärung der Verbandstat und der Verbandsverantwortlichkeit (Nr. 1).
„Ununterbrochene und uneingeschränkte“ Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden (Nr. 3).
Den Verfolgungsbehörden wurde „das Ergebnis der verbandsinternen Untersuchung einschließlich aller für die verbandsinterne Untersuchung wesentlichen Dokumente, auf denen dieses Ergebnis beruht, sowie des Abschlussberichts“ zur Verfügung gestellt (Nr. 4).
Durchführung der internen Untersuchungen unter „Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens“ (Nr. 5); hierbei geht es „insbesondere“ bei Befragungen um den Hinweis auf die mögliche Verwendung der Auskünfte in einem Strafverfahren (lit. a), um das Recht, einen anwaltlichen Beistand oder ein Mitglied des Betriebsrats hinzuzuziehen (lit. b), und um ein Auskunftsverweigerungsrecht, das besteht, wenn durch Auskunft auf einzelne Fragen die Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit droht (lit. c).

149

Bei der Entscheidung über die Milderung hat das Gericht insbesondere Art und Umfang der offenbarten Tatsachen und deren Bedeutung für die Aufklärung der Tat, den Zeitpunkt der Offenbarung und das Ausmaß der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden durch den Verband zu berücksichtigen (Abs. 3 S. 1). Eine Milderung ist ausgeschlossen, wenn die Ergebnisse der verbandsinternen Untersuchung erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens offenbart werden (Abs. 3 S. 2). Der Umfang der Milderung (§ 18 VerSanG-E) ist vertypt: Das Höchstmaß wird um die Hälfte reduziert und das Mindestmaß entfällt (S. 1). Zudem ist die Anordnung der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes ausgeschlossen (S. 2), da dies nicht angemessen ist, wenn der Verband selbst zur Aufklärung der Straftat umfassend beigetragen hat.[534]

150

Die Regelungen zu Tateinheit und Tatmehrheit (§§ 19, 20 VerSanG-E) orientieren sich an den §§ 52 ff. StGB und sollen sicherstellen, dass der Verband für eine Tat im materiellen Sinne nur einmal sanktioniert wird; für die Fälle der Tatmehrheit wird die „Gesamtsanktion“ eingeführt.[535] Die Regelungen zur Verfolgungsverjährung und Vollstreckungsverjährung (§§ 21, 22 VerSanG-E) greifen die §§ 78 ff. StGB auf. Wie bei § 30 OWiG soll zwischen der Organtat und der Festsetzung der Verbandsgeldbuße verjährungsrechtlich Akzessorietät bestehen.[536] Die Frist der Vollstreckungsverjährung soll grds. zehn Jahre betragen, in besonders schweren Fällen sogar 20 Jahre (§ 22 Abs. 2 VerSanG-E). Die Verjährungsfrist kann einmalig um die Hälfte der gesetzlichen Verjährungsfrist verlängert werden, wenn der sanktionierte Verband oder sein Rechtsnachfolger seinen Verwaltungssitz in einen Staat außerhalb der EU verlegt und Rechts- oder Amtshilfe nicht gewährt wird (§ 22 Abs. 5 VerSanG-E). Damit soll verhindert werden, dass sich ein verurteilter Verband der Vollstreckung entzieht.[537]