Handbuch des Strafrechts

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f) Strafrechtliches Risiko und gesellschaftliche Verantwortung

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Schließlich trifft es zu, wenn die Befürworter eines Verbandsstrafrechts angeben, das „Strafrechtsrisiko“ für juristische Personen bzw. Personenvereinigungen sei gegenwärtig nur ein individuelles und kein institutionelles Risiko ist, da nur den Leitungspersonen Strafe droht.[401] Die gesellschaftliche Verantwortung der Verbände ist mindestens ebenso groß, wenn nicht gar größer als die natürlicher Personen. Verbände nehmen in großem Umfang am Wirtschaftsleben teil. Durch die Globalisierung ist die Tendenz zu Zusammenschlüssen und damit zur Bildung von „Global Players“, die ökonomisch und gesellschaftlich ein großes Machtpotential haben, erheblich gewachsen.[402] In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit werden Wirtschaftsstraftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden, häufig weniger Individualtätern, sondern dem Unternehmen insgesamt zugeordnet.[403] Es ist deshalb unangemessen, ausschließlich Individualtäter strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, nicht aber Unternehmen, die als juristische Personen bzw. Personenvereinigungen verfasst sind.[404] Diese Unternehmen haben dadurch gegenüber Einzelunternehmern einen (Wettbewerbs-)Vorteil.[405] Hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortung dürfen sie nicht besser gestellt sein als andere Unternehmensträger.[406] Die Einführung eines Verbandsstrafrechts ist damit auch eine Frage der (System-)Gerechtigkeit.

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Da eine Kriminalstrafe die stärkste präventive und repressive Wirkung hat, darf die Öffentlichkeit erwarten, dass der Staat die Unternehmenskriminalität auf die effektivste Art und Weise bekämpft.[407] Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass zwar gegen Individualtäter rigoros vorgegangen wird, nicht aber gegen verbandsmäßig organisierte Unternehmen. Die Existenz eines Unternehmensstrafrechts würde das Vertrauen der Allgemeinheit in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung fördern,[408] könnte die Funktion eines „Ventils“ erfüllen, durch das sich die sozialethische Missbilligung der Rechtsgemeinschaft Geltung verschaffen und der Rechtsfrieden gesichert werden kann.[409] Wenn die Gegner eines Verbandsstrafrechts anführen, das Strafrecht müsse als ultima ratio eingesetzt und auf den Schutz der wichtigsten Grundregeln für das soziale Verhalten beschränkt bleiben, sei keine „politische Allzweckwaffe“, dürfe nicht zu einem „willkürlich einsetzbaren Instrument staatlicher Machtausübung ausarten“,[410] so ist ihnen in vollem Umfang zuzustimmen – ein künftiges Verbandsstrafrecht würde aber gerade nicht gegen den ultima ratio-Grundsatz verstoßen.

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Zutreffend hat Vogel[411] darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten ist, eine „Mindestparallelität“ mit dem Strafrecht für Menschen sicherzustellen, so dass die Nichtbestrafung von juristischen Personen und Personenvereinigungen einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG[412] darstellen könnte. Diese „Mindestparallelität“ ist allerdings bereits im bisherigen System gewahrt, da schon lange umstritten ist, ob ein Verbandsstrafrecht dogmatisch möglich sowie rechts- und kriminalpolitisch erforderlich ist. Diesbezüglich steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu, von der er mit der Einführung der Verbandsgeldbuße vor Jahrzehnten Gebrauch gemacht hatte. Damit ist ein „Verbandsstrafrecht im weiteren Sinne“ entstanden, das eine hinreichende kriminalitätsdämpfende Wirkung entfaltet. Defizite bei Anwendung und Vollzug stellen dieses System, das ausgebaut werden kann, nicht grds. in Frage, selbst wenn ein Verbandsstrafrecht eine gleichmäßigere und stärkere Wirkung hätte und angemessener (Rn. 116) erscheint.

g) Prozessuale Regelungen

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Schließlich müssten mit der Einführung eines Verbandsstrafrechts spezielle Verfahrensvorschriften geschaffen werden, etwa zur Verfahrensführung, zur Prozessvertretung, zur Anwesenheit, zum Schweigerecht und zu Verständigungen.[413] Hinzuzufügen ist, dass bislang vor allem angemessene Regelungen für verbandsinterne Untersuchungen fehlen, welche die Compliance stärken. Das Fehlen gesetzlicher Regelungen hat dazu geführt, dass in der Praxis nicht nur die Frage des Umfangs der Beschlagnahmefähigkeit von Dokumenten aus internen Untersuchungen uneinheitlich beantwortet wurde und wird, sondern auch die Verwertbarkeit der Aussagen von Unternehmensmitarbeitern durch Zivil- und Arbeitsgerichte unterschiedlich beurteilt wurde[414] (siehe auch Rn. 173 ff.). Die mit dem Verfahrensrecht verbundenen Fragen sind jedoch grds. lösbar, wie nicht nur der Blick auf die Auslandsrechte nahelegt, und stehen einer Normierung eines Verbandsstrafrechts nicht entgegen. Etwaige Unsicherheiten des neuen Rechts würden im Laufe der Zeit durch das Wechselspiel von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft hinreichend gelöst werden.

III. Konzeptionelle Aspekte

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Hinsichtlich der konzeptionellen Ausgestaltung eines künftigen deutschen Verbandsstrafrechts sind im Wesentlichen vier Grundmodelle denkbar. Sie spiegeln im Ausgangspunkt die jeweilige Antwort auf die Frage der Schuldfähigkeit von juristischen Personen wider:

1. Vicarious liability-Modell

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In den USA[415] wurde die Anerkennung eines Unternehmensstrafrechts dadurch begünstigt, dass dort Straftatbestände existieren, die kein Verschulden voraussetzen (absolute/strict liability), und durch die Übertragung der zivilrechtlichen „respondeat-superior-Doktrin“ auf das Strafrecht vollzogen. Danach „haftet“ das Unternehmen „strafrechtlich“ – unabhängig von einem Verbandsvorsatz oder Verbandsverschulden – für jede von einem Mitarbeiter im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses und im Interesse des Unternehmens begangene Straftat (vicarious liability). Die notwendige Restriktion dieser enorm weiten und auch in den USA nicht unumstrittenen[416] Verantwortlichkeit, die einer „Zufallshaftung“[417] gleichkommt, erfolgt erst bei der Strafverfolgung, da den Staatsanwaltschaften ein sehr weites Verfolgungsermessen zusteht.[418] Mit Blick auf dieses Modell dürfte Jäger[419] für die Einführung einer „handlungs- und schuldunabhängigen Unternehmensstrafe“ im Rahmen einer zu schaffenden „dritten Spur“ des Strafrechts plädiert haben. Grundlage soll eine „an den Grundsätzen der Spezial- und Generalprävention orientierte Zuschreibung von Verantwortung für fremdes Handeln und fremde Schuld“ sein, eine „fiktive Gesamtverantwortung“, die daraus resultiert, „dass die Straftat dem Organisationskreis des Unternehmens“ entspringt. Auch Ransiek[420] hat sich für eine „Haftung“ des Unternehmens für das Verhalten aller Arbeitnehmer in Form einer „Unternehmenssanktion“ ausgesprochen, die er aber als „nicht strafrechtlich“ bezeichnet. Für diese Ansätze spricht, dass die Einführung schuldunabhängiger „Strafen“ bzw. „Sanktionen“ denkbar ist, wenn das jeweilige Verfassungsrecht und Rechtssystem nicht entgegensteht. Im deutschen Recht wird jedoch (bislang) streng zwischen (repressiven und präventiven) „Strafen“, für die der Schuldgrundsatz gilt, und (rein präventiven) schuldunabhängigen „Maßregeln“ unterschieden. Diese grundlegende Differenzierung, die im Hinblick auf die unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen überzeugt, würde durch eine „dritte Spur“ verwischt und der Schuldgrundsatz ausgehebelt.

2. Maßregelmodelle

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Mit den Maßregelmodellen[421] wird der Versuch unternommen, die Zweispurigkeit des deutschen Strafrechts zu nutzen und ein „Verbandsstrafrecht“ einzuführen, das kein Verschulden voraussetzt. Danach wäre zwar nicht die Anordnung von „Strafen“, aber von (rein präventiven) schuldunabhängigen Maßregeln möglich, um weiteren Straftaten entgegenzuwirken. So hat Schünemann[422] die Einführung einer Unternehmenskuratel als „Ei des Kolumbus“ bezeichnet. Hierbei wird ein Unternehmen unter die Aufsicht eines Kurators gestellt, der „durch seine umfassende Ausgestaltung mit bloßen Informationsrechten jenen gestörten Informationsfluss im Unternehmen optimieren [soll], dessen Mängel eine ganz wesentliche Ursache der Unternehmenskriminalität sind“, und dessen Bestellung öffentlich zu kommunizieren ist.[423] Maßregelmodelle haben den Vorteil, dass sie sich in das deutsche Strafrechtssystem ohne Konflikte mit dem Schuldgrundsatz integrieren lassen. Nachteil ist, dass nur ein spezielles Maßregelrecht geschaffen würde und die bisherigen Maßregeln Sachverhalte betreffen, die mit einem potentiellen Unternehmensunrecht kaum vergleichbar sind.[424] Weiter müssten sich die Maßregeln am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientieren, wären also nur in sehr engen Grenzen zulässig.[425] So wäre beim Austausch der Unternehmensführung die Anordnung von Maßregeln regelmäßig hinfällig. Weiter wird eingewandt, die Erfahrungen in Frankreich und Italien hätten gezeigt, dass es an geeigneten Personen fehlt, die als Sequester oder Kurator fungieren könnten.[426] Und schließlich müsste, wenn ein Verschulden von Verbänden ausgeschlossen ist, die Verbandsgeldbuße des § 30 OWiG abgeschafft werden.[427] Dann würden aber die europäischen und internationalen Vorgaben (Rn. 86 ff.), soweit sie Geldsanktionen fordern, nicht mehr eingehalten.

 

3. Modell originärer Verbandsverantwortlichkeit

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Das Modell der originären Verbandsverantwortlichkeit knüpft an ein „eigenes“ Verschulden des Verbands in Form eines Organisationsverschuldens an (single-crime-approach). Entsprechende Modelle, die eine „zweite Spurder Strafe für Verbände eröffnen, haben Heine[428] und Kohlhof[429] entworfen. An ein Organisationsverschulden knüpfen im Kern sowohl das schweizerische Recht[430] als auch der Entwurf eines deutschen Verbandsstrafgesetzbuchs an (Rn. 126 ff.). Das Modell der originären Verbandsverantwortlichkeit hat den Vorteil, dass das Konfliktpotential mit dem Schuldgrundsatz des Individualstrafrechts gering ist, da das Verbandsstrafrecht die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eigenständig festlegen, also etwa ein „Strafgeld“[431] statt einer Geldstrafe vorsehen kann. Außerdem ist die Strafbarkeit gerade dann begründbar, wenn klare Organisationsstrukturen fehlen. Nachteil ist jedoch, dass eine „originäre“ Verbandsschuld anerkannt werden müsste, ein „originäres“ Verschulden aber nur Menschen vorgeworfen werden kann (Rn. 67). Zudem darf im deutschen Strafrecht die Schuld nicht unwiderlegbar fingiert werden, es muss der Nachweis fehlenden Organisationsverschuldens möglich sein (Rn. 68). Damit könnten aber die Fälle nicht erfasst werden, in denen von Leitungspersonen Straftaten begangen, angeordnet bzw. geduldet werden, die durch eine grds. hinreichende Compliance-Organisation nicht hätten verhindert bzw. erschwert werden können. Insgesamt betrachtet wäre die Verbandsverantwortlichkeit durch die Anknüpfung an ein Organisationsverschulden zu „eng“ und bliebe hinter der durch § 30 OWiG normierten Verbandsverantwortlichkeit zurück. Im Übrigen erscheint es fraglich, dass es zur Sanktionierung einer mangelhaften Organisation tatsächlich des Einsatzes des Strafrechts bedarf.[432]

4. Zurechnungs- oder Repräsentationsmodell

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Das Zurechnungsmodell rechnet die Schuld einer Leitungsperson dem Verband als „eigene“ Verbandsschuld zu und wird auch als Repräsentationsmodell oder Identifikationsmodell bezeichnet (zur Zurechnung des schuldhaften Verhaltens weiterer Verbandsangehöriger gemäß einem „gemischten Modell“ Rn. 73). Die kumulative Strafbarkeit des Verbands hängt hier davon ab, dass eine Leitungsperson schuldhaft gehandelt bzw. unterlassen hat und ist damit akzessorisch an das Individualstrafrecht geknüpft. Erfasst werden können alle verbandsbezogenen Straftaten (all-crimes-approach),[433] die eine Leitungsperson entweder selbst verwirklicht hat oder – sofern ein diesbezügliches Überwachungsverschulden einer Leitungsperson vorliegt – eine unterstellte Person begangen hat. Am Repräsentationsmodell orientieren sich nicht nur die europäischen Vorgaben („Standardmodell“[434]; Rn. 88 f.) und somit viele Auslandsrechte, wie das österreichische VbVG (Rn. 17), sondern ebenso basierte hierauf der Entwurf des Bundesjustizministeriums[435], welcher der „Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems“ vorlag (Rn. 15). Auch im Schrifttum wird das Repräsentationsmodell favorisiert,[436] so dass es nicht überrascht, dass ihm auch der Kölner Entwurf (Rn. 18) folgt. Der Regierungsentwurf eines Verbandssanktionengesetzes tendiert dagegen zum Vicarious liability-Modell, da an das schuldhafte Verhalten einer Nicht-Leitungsperson angeknüpft wird, sofern Leitungspersonen das Treffen angemessener Vorkehrungen (nicht zwingend schuldhaft) unterlassen haben (Rn. 162). Das Repräsentationsmodell hat den Vorteil, dass es bereits der Verbandsgeldbuße des § 30 OWiG zugrunde liegt, womit auf Basis des bisherigen Systems ein Verbandsstrafrecht geschaffen werden könnte. § 30 OWiG müsste auf Ordnungswidrigkeiten beschränkt und – durch sinngemäße Übertragung der §§ 30, 130 OWiG ins Strafrecht[437] – ein Verbandsstrafrecht geschaffen werden. Nachteil ist, dass begründet werden muss, warum das schuldhafte Handeln einer Leitungsperson dem Verband als „eigenes“ zuzurechnen ist (hierzu Rn. 70 ff.). Zudem greift das Modell nur dann, wenn eine Individualschuld auch festgestellt werden kann, was in der Praxis scheitern kann.[438] Daher muss, insb. durch die Förderung von Compliance-Programmen, dafür gesorgt werden, dass klare Organisationsstrukturen vorhanden sind.

IV. Zusammenfassung

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Es lässt sich zusammenfassen, dass der Einführung eines Verbandsstrafrechts dogmatisch keine unüberwindbaren Hindernisse entgegenstehen. Die Handlungs– und Schuldfähigkeit von Verbänden lässt sich über die Zurechnung des schuldhaften Verhaltens ihrer Leitungspersonen konstituieren. Die Straffähigkeit folgt aus der Wirkung der Verbandsstrafe auf die Mitglieder des Verbands. Wegen der eigenen Rechtspersönlichkeit des Verbands ist weder eine Doppel- noch eine Kollektivbestrafung zu befürchten. Rechts- und kriminalpolitisch besteht allerdings kein zwingendes Bedürfnis für die Einführung. Weder fordern bislang die europäischen und internationalen Vorgaben die Einführung, noch drängen hierzu die uneinheitlichen Auslandsrechte. Zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität ist das bestehende System grds. ausreichend. Fortschritte könnten durch den Ausbau des bisherigen Systems, die Beseitigung von Anwendungs- und Vollzugsdefiziten sowie die Stärkung von Präventionsmaßnahmen, insb. der Compliance, erreicht werden. Ein Verbandsstrafrecht hätte freilich den Vorteil, dass hiervon eine gleichmäßigere und stärkere kriminalitätsdämpfende Wirkung ausgehen sollte, da eine Verfolgung gemäß dem Legalitätsprinzip stattfinden und die Verbandsstrafe in einem öffentlichen Strafprozess verhängt würde. Zudem spiegeln nur Verbandsstrafen den Unrechts- und Schuldgehalt verbandsbezogener Straftaten und die gesellschaftliche Verantwortung der Verbände angemessen wider. Konzeptionell sollte sich ein künftiges deutsches Verbandsstrafrecht am Repräsentationsmodell orientieren, da es stringenter als das Modell der originären Verbandsverantwortlichkeit erscheint und bereits dem bisherigen System zugrunde liegt.

12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 49 Strafbarkeit juristischer Personen › E. Zum Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs (2013)

E. Zum Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs (2013)

I. Konzept und Ausgestaltung

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Der im September 2013 vom nordrhein-westfälischen Justizminister Kutschaty vorgestellte „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“ (Rn. 15) sollte die „Haftung“ von Verbänden in einem Verbandsstrafgesetzbuch (VerbStrG) regeln. Als Vorbild fungierte das österreichische VbVG (Rn. 17),[439] aufgegriffen wurden aber auch Elemente des italienischen und US-amerikanischen Unternehmensstrafrechts.[440] Dogmatisch lag dem Entwurf – abweichend vom VbVG – das „Modell der originären Verbandsverantwortlichkeit“ (Rn. 123) zugrunde. Der Erste Teil (§§ 1–12 VerbStrG-E) enthielt materiell-rechtliche Regelungen, der Zweite Teil (§§ 13–22 VerbStrG-E) Verfahrensvorschriften.

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Der Anwendungsbereich (§ 1 VerbStrG) sollte juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften umfassen, und zwar des „privaten und öffentlichen Rechts“ (Abs. 1), um den diesbezüglich bei § 30 OWiG bestehenden Streit zu entscheiden.[441] Bei den „Zuwiderhandlungen“ (Abs. 2) wurde einerseits die Ausübung hoheitlicher Befugnisse ausgenommen, um klarzustellen, dass die „Bestrafung des Staates durch den Staat“ ausscheidet,[442] und andererseits Verbandsbezogenheit vorausgesetzt, um aus rein privaten Interessen begangene Taten auszuschließen.[443] Der Kreis der „Entscheidungsträger“ (Abs. 3 lit. a bis d) deckte sich mit dem Kreis der Leitungspersonen des § 30 OWiG. Die Allgemeinen Bestimmungen (§ 3 VerbStrG-E) sahen grds. die sinngemäße Anwendung der Vorschriften des AT vor (Abs. 1). Für Verjährung und Strafantrag sollte die Zuwiderhandlung maßgebend sein (Abs. 2 und 3), womit die Verklammerung der Verbandsstraftat mit der Tat der natürlichen Person aufgegeben worden wäre.[444] Die Verbandsstraftaten (§ 2 VerbStrG-E) sollten zum einen an die vorsätzliche oder fahrlässige Begehung einer verbandsbezogenen Zuwiderhandlung durch einen Entscheidungsträger anknüpfen (Abs. 1), wobei dem Verband – abweichend von § 30 OWiG und dem VbVG – stets ein Auswahlverschulden vorgeworfen worden wäre.[445] Zum anderen sollte ein Entscheidungsträger bei Begehung einer verbandsbezogenen Zuwiderhandlung durch eine untergeordnete Person für eine vorsätzlich oder fahrlässig begangene Aufsichtspflichtverletzung verantwortlich sein, womit – analog zu § 130 OWiG – die Risikoerhöhungslehre im Strafrecht etabliert worden wäre.[446] Um einer Verlagerung von Aufsichts- und Kontrollzuständigkeiten zu begegnen, sollten Auslandstaten erfasst werden, wenn der Verband seinen Sitz in Deutschland hat (Abs. 3).[447] Verhängte Sanktionen sollten auch gegen Rechtsnachfolger wirken (Abs. 4).

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Ein abgestuftes, stark präventiv ausgerichtetes Reaktions- und Sanktionsinstrumentarium hätte dem Verband die Möglichkeit eröffnet, fehlerhafte Strukturen selbst zu korrigieren.[448] Vorgesehen war das Absehen von Sanktionen (§ 5 VerbStrG-E), wenn ausreichende organisatorische Maßnahmen getroffen wurden, um vergleichbare Straftaten künftig zu vermeiden, und ein bedeutender Schaden nicht entstanden war oder überwiegend wieder gut gemacht (Abs. 1) bzw. freiwillig Aufklärungshilfe geleistet wurde (Abs. 2, 4). Dies sollte die Einführung von Compliance-Systemen und die Offenlegung unternehmensinterner Erkenntnisse begünstigen.[449] Die Verbandsgeldstrafe (§ 6 VerbStrG-E) wäre nach Tagessätzen bemessen worden (Abs. 1), die sich nach der Ertragslage richten. Die Geldstrafe hätte höchstens 10 % des durchschnittlichen (Jahres-)Gesamtumsatzes betragen dürfen (Abs. 4), wobei der weltweite Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre zugrundegelegt worden wäre (Abs. 5). Die Zumessung (Abs. 3) sollte an § 46 StGB und § 17 Abs. 3 OWiG anknüpfen, wobei Art, Schwere und Dauer des Organisationsmangels, die Auswirkungen der Zuwiderhandlung und das Nachtatverhalten im Vordergrund gestanden hätten.[450] Die Verbandsverwarnung (§ 7 VerbStrG-E) sollte zulässig sein. Bei den Regelungen zu Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen (§ 8 VerbStrG-E) hätte das Gericht u.a. den Verband mit dessen Einwilligung „nach Art einer Therapieweisung“[451] anweisen können, organisatorische und personelle Maßnahmen zu treffen und hierüber regelmäßig Bericht zu erstatten (Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3). Die Bekanntgabe der Verurteilung (§ 9 VerbStrG-E) sollte in Anlehnung an § 200 StGB und § 12 Abs. 3 UWG[452] bei der Schädigung einer „großen Zahl von Personen“ möglich sein. Als Verbandsmaßregeln waren der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge (§ 10 VerbStrG-E) und von Subventionen (§ 11 VerbStrG-E), jeweils mindestens für die Dauer eines Jahres, vorgesehen. Darüber hinaus sollte die Verbandsauflösung (§ 12 VerbStrG-E) möglich sein, wenn eine Straftat „beharrlich wiederholt“ wird und „erhebliche rechtswidrige Zuwiderhandlungen“ drohen.

 

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Hinsichtlich des Verbandsverfahrens war die sinngemäße Anwendung der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren vorgesehen (§ 13 VerbStrG-E). Der Legalitätsgrundsatz (§ 14 VerbStrG-E) sollte Anwendung finden, wobei bei Auslandstaten von der Verfolgung hätte abgesehen werden können, wenn dort bereits eine hinreichende Strafe rechtskräftig verhängt wurde oder zu erwarten wäre. Vorgesehen waren umfangreiche Verfahrensregelungen (§§ 15–21 VerbStrG-E) zur gerichtlichen Zuständigkeit und Ausschließung von Richtern, zu Vertretung und Zustellung, Beschuldigtenrechten, Verteidigung und Pflichtverteidigung, verfahrenssichernden Maßnahmen und zur Hauptverhandlung. Die gemeinsame Verfahrensführung sollte möglich sein (§ 15 Abs. 2 VerbStrG-E). Im Verbandsverfahren hätten nicht nur die Vertreter des Verbands[453] als Beschuldigte gegolten, sondern auch untergeordnete Personen, die einer Zuwiderhandlung verdächtigt werden (§ 18 Abs. 1 VerbStrG-E). Die gemeinschaftliche Verteidigung von Verband und natürlicher Person wäre zulässig gewesen (§ 18 Abs. 2 VerbStrG-E).[454] Als verfahrenssichernde Maßnahme (§ 20 VerbStrG-E) war die Anordnung des dinglichen Arrests bis zur Höhe von 10 % des Durchschnittsumsatzes der vorausgegangenen drei Geschäftsjahre vorgesehen, also des Höchstbetrages der Verbandsgeldstrafe. Für die Vollstreckung (§ 22 VerbStrG-E) war im Fall der Nichteinbringlichkeit der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgesehen. Schließlich waren Regelungen zum Eintrag von Strafen und Maßregeln ins Bundeszentralregister, zur Erstreckung der Entschädigungsvorschriften des StrEG und zur steuerlichen Nichtabzugsfähigkeit der Verbandsgeldstrafe enthalten.