Glaube

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2. Glaube in Judentum und Hellenismus

Wir haben von einer explosionsartig vermehrten Verwendung des Lexems Glaube im Vergleich mit seiner Vor- und Zeitgeschichte gesprochen. Was war im Blick, wenn im Neuen Testament von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) die Rede war? Bestanden |39|Anknüpfungspunkte für das frühe Christentum? Erfährt die Begrifflichkeit eine Neuausrichtung? Daher soll zunächst die sprachliche Vorgeschichte des Lexems knapp erarbeitet werden.

2.1. Septuaginta

In der Septuaginta sind Wörter des Stammes אמן (ʾmn) durchgehend mit πιστεύειν, πίστις (»glauben«, »Glaube«) wiedergegeben worden, auch wenn diese nicht die einzigen Begriffe waren, um das Verhältnis Israels zu Gott anzusprechen. »Die Übersetzer müssen also eine sehr starke Kongruenz zwischen den beiden Wortstämmen pist- und ʾmn gesehen haben« (Lührmann 1976: 31). Daher werden die griechischen Wörter πιστεύειν, πίστις (»glauben«, »Glaube«) zu Bedeutungslehnwörtern, die ihren Bedeutungsinhalt aus den Kontexten ziehen, in denen sie als Übersetzungswörter begegnen (Lührmann 1976: 32). Im Blick auf die Septuaginta und weitere frühjüdische Schriften folgert Lührmann: »Glaube assoziiert den Zusammenhang der Grundelemente jüdischer Theologie: Gesetz, Gerechtigkeit, Schöpfung, endzeitliche Vergeltung« (Lührmann 1976: 44f.). Diesen Zusammenhang habe das Judentum allerdings nur im internen Sprachgebrauch verwendet, nicht aber in der Mission oder in der Apologetik. Lührmann schließt folgenden Definitionsversuch an: »Glauben heißt, das Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer der Welt zusammenbringen mit der konkreten Erfahrung dieser Welt, die diesem Bekenntnis zu widersprechen scheint« (Lührmann 1976: 34).

Ich nenne diejenigen wesentlichen Stellen der Septuaginta zum Thema Glaube, die im Neuen Testament explizit und teilweise mehrfach zitiert oder angespielt und zu Grundlagen weiterer Auslegungen gemacht werden:

Gen 15,6: Röm 4,3; Gal 3,6; Jak 2,23; außerdem Hebr 11,8

Jes 28,16: Mt 21,42; Lk 20,17; Röm 5,5; 9,33; 10,11; 1Petr 2,4.6.

Hab 2,4: Röm 1,17; Gal 3,11; Hebr 10,38.

Daneben greifen neutestamentliche Schriften auf Erzählungen der LXX zurück, um in typologischer oder allegorischer Auslegung die Struktur des Glaubens zu beschreiben: Röm 4,1–25; Hebr 11,1–38; Jak 2,21–25.

2.2. Judentum

Dieter Lührmann hat in verschiedenen Publikationen das Verständnis des Glaubens im Judentum untersucht (Lührmann 1973; 1976, |40|31–45; 1981: 55–64; 1990; zustimmend Lohse 1977: 90–92). Ihm ging es zunächst darum, einer These der Religionsgeschichtlichen Schule fundamental zu widersprechen. Wenn im frühen Christentum von Glaube, von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) die Rede ist, dann greife dieser Sprachgebrauch, so Lührmann, nicht auf die synkretistische Propaganda des Hellenismus zurück, die keinen religiösen Gebrauch dieses Lexems kenne. Zwar seien πίστις und πιστεύειν Wörter der griechischen Sprache, diese beziehen ihren Inhalt jedoch ausschließlich aus dem alttestamentlichen und jüdischen Bereich. Lührmann entfaltet den jüdischen Glaubensbegriff an ausgewählten Texten des hellenistischen Judentums (1Hen 61,3f; Sir 35,24–36,3; 3 Bar 57,2; 59,2–11) und erkennt, dass hier Glaube ein Kernbegriff jüdischer Theologie wird. Diese Texte zeigen, »[…] daß Glaube im Judentum einer der Begriffe ist, die das richtige Verhalten des Menschen benennen, der auf Gerechtigkeit aus ist. Dieser Glaube ist orientiert am Gesetz […]; es geht dabei weniger darum, das Gesetz zu halten, als vielmehr, sich an das Gesetz zu halten […]« (Lührmann 1976: 44; auch Hermisson/Lohse 1978: 88). Der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien stellt Glaube allerdings als ein Vertrauen dar, das sich nicht auf irdische Gegebenheiten, sondern allein auf Gott bezieht (legum allegoria II 89: πῶς ἄν τις πιστεύσαι θεῷ; ἐὰν μάθῃ, ὅτι πάντα τὰ ἄλλα τρέπεται, μόνος δὲ αὐτὸς ἄτρεπτός ἐστι/»wie soll man Gott glauben? Wenn man lernt, dass alle Dinge sich wandeln, er allein aber unveränderlich ist«).

2.3. Hellenismus

Gerhard Barth hat im Anschluss an Dieter Lührmann dessen These, dass der nichtjüdische und pagane Hellenismus einen religiösen Gebrauch von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) nicht kenne, in Frage gestellt und nach gründlicher Überprüfung und Besprechung des griechisch-hellenistischen Materials völlig andere Ergebnisse vorgelegt (Barth 1982; dann auch Schunack 1999). Vor allem bei Plutarch (ca. 45–125 n. Chr.), aber auch bei anderen Schriftstellern, finde sich der religiöse Gebrauch von πιστεύειν bezogen auf Götter, die Tyche, die Orakel, religiöse Rede, Wunder und Gottesverehrung »häufiger […] als anderswo« (181). Dies erkläre sich »am einfachsten wohl daher, daß dieser Gelehrte und Philosoph zugleich Priester in Delphi war, daß wir es hier also gewissermaßen mit einem heidnischen Theologen zu tun haben« (182). Es sei wohl nicht zu bestreiten, dass die Sprache des frühen Christentums maßgeblich vom hellenistischen Judentum |41|beeinflusst sei, allerdings sei vor allem in der Gräzität, speziell bei Plutarch, der Gebrauch von πίστις im Sinne der fides quae creditur belegt (πάτριος καὶ παλαιὰ πίστις [»der väterliche und alte Glaube«], Mor 756B, 402E) wie auch die Konstruktion des Genitivus obiectivus (πίστις τοῦ θείου [Gottesglaube«], Mor 165B). Darüber hinaus werde πιστεύειν/πίστις (»glauben«/»Glaube«) häufig mit einem Dativ konstruiert (Glaube oder Vertrauen an einen Gott), es begegne wie im Neuen Testament und im Judentum die Konstruktion πιστεύειν ὅτι (»glauben, dass«) und einmal πίστις in Verbindung mit der Präposition πρός (»auf/an«). Allein für die Verbindung πίστις περὶ θεοῦ/ (»Glaube über Gott« für eine Überzeugung, die man über Gott oder im Blick auf Gott hat) begegne im Judentum und im Neuen Testament gar nicht.

Ein wesentliches Nebenergebnis der Studie Barths ist, dass die urchristliche Missionsverkündigung an diesen Sprachgebrauch innerhalb des nichtjüdischen Hellenismus anknüpfen konnte (191). Wäre hingegen Lührmanns These korrekt, dass die Rede von πίστις und πιστεύειν ausschließlich im internen jüdischen und christlichen Sprachkontext verankert gewesen sei, dann bliebe das Aufkommen dieses Sprachgebrauchs in der frühchristlichen Mission geradezu unverständlich (192). Die Frage nach sprachlichen Anknüpfungspunkten im Bereich des Hellenismus ist zuletzt durch den wichtigen Hinweis Christian Streckers ergänzt worden, dass im Bereich der imperialen römischen Kultur fides (»Glaube«) gleichfalls ein wesentlicher Verstehenshorizont für die πίστις-Aussagen des Paulus war (Strecker 2005).

3. Jesus

Nicht viele Worte innerhalb der Synoptischen Tradition sprechen von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«). Das Johannesevangelium verwendet das Verb durchgehend, meidet aber das Substantiv. Unübersehbar hat die urchristliche Gemeinde ihr Glaubensverständnis in etliche dieser Worte Jesu eingetragen oder sie gänzlich geformt (z.B. Mt 18,6; 24,23; Mk 1,15; 9,42; Lk 8,12; Joh 8,24; 16,27). Allerdings sind spezifische, mit Glauben (und Bitten) zusammenhängende Themen und Wortfelder zu erkennen, die nicht direkt als Übernahme jüdischer Vorstellungen und auch nicht als von urchristlicher Theologie gezeichnet zu verstehen sind. In ihnen kommt wahrscheinlich ein eigenständiger Impuls Jesu zum Ausdruck, der im Kontext seines Gottesverständnisses erklärbar wird. Glaube begegnet als die Haltung des unbedingten |42|Vertrauens in Gottes Fürsorge, Eingreifen und Handeln. Der Glaube lebt in der Gewissheit der Gebetserhörung (Mt 7,7; Lk 11,9), weiß aber auch um Zweifel und Unglaube angesichts der Verkündigung solch unbegrenzten Vertrauens (Mt 21,21; Mk 11,23). Glaube ist jedoch nicht bezogen auf ein Gegenüber oder auf bestimmte Lehrsätze, die geglaubt oder für wahr gehalten werden.

3.1. Der Berge versetzende Glaube

Im Markusevangelium findet sich im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12–14) das Wort Jesu:

Wahrlich, ich sage euch: Wer zu diesem Berg spräche: Heb dich auf und wirf dich ins Meer! Und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, dass es geschehen werde, was er sagt, so wird’s ihm geschehen (Mk 11,23).

Im Anschluss daran hebt ein zweites Wort das vorhergehende Amen-Wort auf eine allgemeine Ebene: Darum sage ich euch: Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubt nur, dass ihr’s empfangt, so wird’s euch zuteil werden (Mk 11,24). Mt 21,21f. hat diese beiden Worte im Kern übernommen, allerdings ohne das Glaubensmotiv im Wort des Berge versetzenden Glaubens. Lukas hingegen übergeht die Vorlage des Markus.

Daneben finden sich in Mt 17,20 und Lk 17,6 weitere Worte Jesu, die in der Sache dem ersten Wort recht nahe kommen. Sie sind wahrscheinlich als Doppelüberlieferung auf die Logienquelle zurückzuführen: »Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, könnt ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: sei entwurzelt und ins Meer verpflanzt! Und er wird euch gehorchen« (Zeller 1984: 59). Matthäus, der das Glaubensmotiv in Mt 21,21f. nicht erwähnt hatte, bietet dieses nun in Mt 17,20 und bezieht den Glauben hierbei erneut auf die Kraft, einen Berg zu versetzen, nicht aber wie Lk 17,6 auf die Entwurzelung eines Maulbeerbaums. Lukas bindet dieses Wort jetzt an die Gegebenheit des schwachen Glaubens der Apostel zur Zeit Jesu (Lk 17,5). Er distanziert das Logion damit von dem möglichen Missverständnis, als sei ein Berge versetzender Glaube ein grundsätzliches Charakteristikum des Christseins (Wolter 2008: 568).

Dies bedeutet, dass sowohl im Markusevangelium als auch in der Logienquelle als den ältesten synoptischen Quellenschriften ein Wort Jesu über die Kraft des (Berge versetzenden) Glaubens enthalten ist, was auf das hohe Alter dieses Wortes hinweist und es als Wort Jesu |43|erkennen lässt (Hahn 2011: 454f.). Neben Matthäus und Lukas sind aber auch noch an die Log 48 und Log 106 des Thomasevangeliums zu erinnern, die ein ähnliches Wort über die Macht, einen Berg zu versetzen, bieten, diese Kraft aber nicht an den Glauben, sondern an den Frieden in einem Haus bzw. an die Aufhebung der Dualität von Vater und Mutter bindet (Critical Edition of Q: 492f.). Schließlich hat Joh 14,13 ein vergleichbares Wort über die Macht des Gebets. Es ist sogar nicht auszuschließen, dass 1Kor 13,2 (Wenn ich allen Glauben hätte, so dass ich Berge versetzen könnte) auf dieses Wort Jesu anspielt.

 

Eine sprichwörtliche Rede vom ›Berge versetzen‹ begegnet in der antiken Literatur häufig, jedoch stets ohne einen Bezug zum Glauben (Lindemann 2000: 284). Das Sprichwort und so auch die Worte Jesu sprechen etwas Unmögliches an: ein Berg kann nicht versetzt werden, der besonders tief und fest wurzelnde Maulbeerbaum kann nicht verpflanzt werden. Selbst einer magischen Handlung wird man dieses nicht zutrauen wollen. Dass Gott am Ende der Zeiten Berge erhöhen und erniedrigen wird (Jes 40,4; 49,11; Lk 3,5), das wurde geglaubt, aber es war Sache Gottes und nicht des Menschen. Dieses dem Menschen Unmögliche wird nun in paradoxer Weise in Beziehung gesetzt zu etwas vermeintlich verschwindend Kleinem, dem Glauben und seinen ungeahnten Möglichkeiten. Er wird verglichen mit einem Senfkorn, das aufgrund seiner Winzigkeit auch an anderen Stellen für Vergleiche herangezogen wird (Mk 4,31; Mt 13,31; Lk 13,19), dort allerdings, um den Kontrast von klein zu groß auszudrücken. Die Worte Jesu werben für eine Haltung, die nicht im Zweifel (Jak 1,6–8) oder im Kleinglauben (Mt 6,20; 8,26; 14,31; 16,8; 17,20) verbleibt, sondern im Glauben eine tiefe Kraft entdeckt. Solcher Glaube findet Gestalt im Gebet (Mt 21,22; Joh 14,13) und lebt im Vertrauen auf Gottes Fürsorge (vgl. Lk 12,22–32). In der weiteren Rezeption und Auslegung wurde betont, und zwar gerade im Angesicht der Erfahrung von Kleinglauben, ein Berge versetzender Glaube müsse stark und fest sein, wenn er die Verheißung, Berge zu versetzen, empfangen möchte. Damit wurde allerdings die spezifische Pointe des Wortes Jesu verlassen, das ja gerade dem unscheinbar kleinen Glauben (wie einem Senfkorn) eine Zusage gibt (Barth 1982: 145).

3.2. Der rettende Glaube

In Heilungsgeschichten der Evangelien begegnet des Öfteren die Formel: Dein Glaube hat dich gerettet (Mk 5,34 par. Mt 9,22; Lk 8,48; Mk |44|10,52 par. Lk 18,42; außerdem Lk 7,50; 17,19; vgl. auch Mt 9,27–31). Es ist höchst bedeutsam, dass der Glaube in diesen Geschichten nicht durch das Wunder und ein performatives Heilungswort ausgelöst wird, sondern dem Vertrauen in den Wundertäter Jesus und dem Wunder vorangeht. Dieser rettende Glaube wird als unbedingtes Vertrauen in die Macht und in die Person Jesu dargestellt. Annette Merz spricht von einem thaumaturgischen Synergismus, da Wundertäter und Empfänger des Wunders wechselseitig aufeinander angewiesen sind (Merz 2013: 122). In nachösterlicher Zeit bleibt dieser Zusammenhang von Glaube und Rettung, auch in dieser sprachlichen Form, präsent: Apg 14,9f.; 15,11; 16,31f.; Röm 10,9; 1Kor 15,2; Eph 2,8 u.a. Daher ist die Überlegung, dass sich vorösterlicher und nachösterlicher Sprachgebrauch in den Texten gegenseitig beeinflusst haben, gut möglich. Jedoch ist es nicht überzeugend, ›dein Glaube hat dich gerettet‹ als eine ausschließlich christlich exorzistische Formel zu verstehen, die nachträglich in die Jesusüberlieferung eingetragen worden sei. Vielmehr haben die synoptischen Evangelien ein Vertrauen, dass »es Änderungen unveränderlich erscheinender Gegebenheiten der Welt geben kann, als ›Glaube‹ bezeichnet« (Lührmann 1976: 30; Söding 21987), und sie haben darin wohl eine Erinnerung an die Verkündigung Jesu weitergegeben. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Grundlage der Glaubensthematik im frühen Christentum ausschließlich aus der Verkündigng Jesu abzuleiten ist.

4. Die Pistis-Formel

In den Briefen des Paulus als der ältesten christlichen Literatur begegnen Traditionsstücke, die in die Anfänge der Christenheit (30er und 40er Jahre) zurückreichen. Der Wortlaut dieser Stücke ist nicht mehr präzise zu rekonstruieren, auch sind Entstehungszeit und -ort nicht klar zu benennen. Doch deutet eine Vielzahl von Indizien auf älteres geprägtes Traditionsgut hin. In der formgeschichtlich orientierten Exegese sprach man im Blick auf eine Reihe von Formeln, in denen stets in geradezu technischer Verwendung πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) begegnen, von Pistis-, Glaubens-, Credoformeln oder gar von Glaubensbekenntnissen (Vielhauer 1975: 9–22; Hahn 2011: 459f.). Weitere Formeln, verfestigte, bisweilen hymnisch anmutende Texte wären hier zu nennen. In diesen formelhaften Sätzen hat die frühe Christenheit ihre spezifische Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daher treffen wir hier auf Anfänge christlicher Theologie.

|45|In der ältesten christlichen Schrift, dem 1. Thessalonicherbrief (ca. 50 n. Chr.), begegnet erstmals folgende Pistis-Formel: »Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die entschlafen sind, durch Jesus mit ihm einherführen« (1Thess 4,14). Gegenstand des Glaubens ist im engeren Sinn, dass Jesus gestorben und auferstanden ist. Nicht mehr zur eigentlichen Formel gehört der Nachsatz, der Folgerungen aus diesem Geschehen im Blick auf die Glaubenden zieht. Dieser Gegenstand des Glaubens wiederum begegnet in etlichen Varianten, die in unterschiedlicher Weise den Tod und die Auferstehung/Auferweckung Jesu ansprechen (Röm 4,24; 10,9; 14,9; 1Kor 15,3–5; 2Kor 5,15 u.a.) und die wie in 1Kor 15,3 betont als ältere Tradition eingeführt werden. Der Blick richtet sich auf ein spezifisches Handeln Gottes, der den Gekreuzigten auferweckt hat. Es ist jedoch abwegig, den Glauben ausschließlich auf das Fürwahrhalten dieser Aussage zu reduzieren. Vielmehr wird wie in 1Thess 4,14 der Bezug auf Tod und Auferstehung Jesu verknüpft mit dem Glauben an die Auferstehung der verstorbenen Christen, mit der Vergebung der Sünden (1Kor 15,3), mit der Taufe und dem neuen Leben (Röm 6,3f.) oder mit der Rettung der Glaubenden (Röm 10,9).

5. Paulus

Paulus schließt sich an den Sprachgebrauch seiner Zeit und an den der jüdischen, durch die LXX vermittelten, und frühen christlichen Tradition an. Jedoch erhält das Lexem Glaube in allen Briefen des Paulus eine grundlegende zentrale Bedeutung, da die Inhalte des sich ausbildenden christlichen Denkens nicht ohne dieses Lexem angesprochen werden. Die Inhalte des Glaubens und des Evangeliums entsprechen sich. Glaube wird zur »umfassenden Bestimmung des Christseins« (Söding 1995: 671), zu einer »den ganzen Menschen erfassenden Lebensform« (Hahn 2011: 462). Überdies bezieht sich Glauben nicht mehr vornehmlich, wie in den πίστις-Formeln, auf einen Glaubensgegenstand, sondern umgreift Christsein in unterschiedlichen Beziehungen und Dimensionen. Paulus hat, wie Bultmann feststellt, »[…] den Begriff der πίστις in den Mittelpunkt der Theologie gestellt […]« (Bultmann 1959: 218). ›Euer Glaube‹ wird daher geradezu eine Bezeichnung der neuen Ausrichtung in den Gemeinden (Röm 1,8; 1Kor 2,5; 15,14; 2 Kor 10,15; 1Thess 1,8 u.a.), die Christen sind ›Glaubende‹ (1Kor 1,21; Gal 3,22; 1Thess 1,7) oder ›Christusglaubende‹ (Gal 2,16) und der Glaube ist das, |46|was die Identität der Christen ausmacht und sie zusammenschließt, ganz gleich ob sie einen jüdischen oder einen paganen Hintergrund haben. Glaube wird zur Signatur der Selbstdefinition (Lührmann 1992: 752). Im frühesten Brief des Paulus, dem 1. Thessalonicherbrief, wird Glaube durchgehend ohne nähere Ausführung oder Abgrenzung zu der Signatur der Christen (1Thess 1,3.7.8; 2,10.13; 3,2.5.6.7.10). Der Glaube ist in späteren Briefen zugleich wie ein Fluidum, in dem die Christen leben (Röm 1,17), sich bewegen (2 Kor 5,7) und wachsen (2 Kor 10,15), standfest (1Kor 15,58), schwach oder stark im Glauben sein können (Röm 14,1) oder aber wie eine Größe, auf die sie vielfältig zugeordnet sind, was die vielen, auf πίστις (»Glaube«) bezogenen präpositionalen Verbindungen und die Genitivverbindungen anzeigen. Überraschenderweise fehlt πιστεύω (1. Person Sing.) (zum Ganzen von Dobbeler 1987).

Es ist unangemessen, diesen Glauben auf einen freien Entschluss oder auf eine Entscheidung des Menschen zu reduzieren. Paulus legt Wert darauf, dass der Glaube eine Gabe Gottes ist und dass diese Gabe der Entscheidung des Einzelnen vorausgeht (Röm 4,16; Phil 1,29). Auch kann der Glaube als Wirkung des Geistes angesprochen werden (Gal 5,22; 1Kor 12,9). Der Glaube ist bezogen auf die Verkündigung des Evangeliums und er ist daher ganz wesentlich ein auf Sprache, auf Reden und Hören bezogenes Geschehen (Röm 10,17; 1Kor 1,21) (Hofius 1990). Die Inhalte des Glaubens und die Inhalte des Evangeliums entsprechen sich. Es steht Jesus Christus im Mittelpunkt, was in dem Ausdruck ›Christusglaube‹ (Röm 3,22.26; Gal 2,16.20; 3,22; Phil 3,9) ebenso zum Ausdruck kommt wie in verbalen Formulierungen, in denen Jesus Christus das Objekt ist (Röm 9,33; 10,11.14; Gal 2,16; Phil 1,29). Demgegenüber treten solche Aussagen, in denen Gott das Objekt des Glaubens ist, deutlich zurück (Röm 4,5.17.24; 1Thess 1,8). Allerdings sind Christusglaube und Gottesglaube bei Paulus in der Gestalt verknüpft, dass es ja um den Glauben an den Gott geht, der Jesus von den Toten auferweckt hat (Röm 4,24). Nach Schumacher ist »die entscheidende Voraussetzung für die weitere sprachliche Entwicklung des Wortes πίστις darin zu sehen, dass Paulus diesen Begriff zur Beschreibung der wechselseitigen Christusbeziehung verwendet und ihn damit in einen neuen Bezugsrahmen einführt« (Schumacher 2012: 473).

Paulus hat als Verfolger derjenigen Mitglieder der jüdischen Synagoge, die Jesus als den Christus bekannten, die ersten Umrisse der neuen Richtung innerhalb des Judentums kennengelernt. Im Rückblick hält er in Gal 1,23 eine umlaufende Bewertung fest:

|47|Der uns früher verfolgte, der predigt jetzt den Glauben, den er früher zu zerstören suchte (Gal 1,23).

Die Berufung zum Heidenapostel spricht Paulus rückblickend als Beauftragung zur Aufrichtung des Glaubens unter den Heiden an (Röm 1,5; 16,26; vgl. auch Gal 2,7). Glaube ist ab jetzt wesenhaft auf das Wort und auf die Verkündigung bezogen (Röm 10,17; 1Kor 15,14). Einen prägenden Einfluss auf die sich ausbildende Theologie des Paulus hatten dann diejenigen christlichen Gemeinden, in denen Paulus lebte, bevor er als Missionar und Briefschreiber bekannt wurde: Damaskus, Jerusalem, Caesarea, Tarsus, vor allem aber Antiochia. Der Glaube, von dem Paulus ab jetzt sprechen wird, ist mit Jesus Christus so eng verknüpft, dass einerseits die vorhergehende Zeit geradezu als Zeit vor dem Glauben angesprochen wird (Gal 3,23.25), andererseits aber ein Glaube, der sich nicht auf den auferweckten Christus bezieht, als wertlos oder nichtig deklariert wird (1Kor 15,17). Sogar die Rede vom Glauben an Gott (neben etlichen trad. Verweisen in Röm 4 nur noch in 1Thess 1,8) tritt bei Paulus in den Hintergrund gegenüber dem Christusglauben. Dieser allerdings bestimmt bis auf Phlm 5 (κύριος/»Herr«) und Gal 2,20 (υἱός θεοῦ/»Sohn Gottes«) nahezu durchgehend in Formulierungen von πιστεύειν (»glauben«) bzw. πίστις (»Glaube«) mit Χριστός (»Christus«) die Diktion.

In welchem Verhältnis steht der Christusglaube zum jüdischen Glauben an Gott? Es ist auffällig, dass Paulus die Rede über den Glauben im 1. Thessalonicherbrief noch in keiner Weise abgrenzt von einer jüdischen Glaubenshaltung, die auf Gesetz, Gerechtigkeit, Schöpfung und endzeitliche Vergeltung bezogen ist. Auch werden noch Ausführungen dazu vermisst, wie sich christlicher Glaube zu den sog. Identitätsmerkmalen jüdischen Glaubens wie Sabbat, Beschneidung, Reinheits- und Speisegebote verhält. Zunehmende Auseinandersetzungen mit judenchristlichen Missionaren, jüdischen Gegnern, aber auch die Verarbeitung der eigenen Lebensgeschichte führen bald dazu, die Gestalt des christlichen Glaubens in teilweise polemischen Abgrenzungen zu beschreiben, um ihn als Christusglaube zu bewahren.

Michael Wolter beschreibt das paulinische Glaubensverständnis ganz im Gegensatz zu einem doxastischen Fürwahrhalten als Wirklichkeitsgewissheit: »Demgegenüber besteht die Eigenart des Glaubens nach paulinischem Verständnis darin, dass er bestimmte Sachverhalte als wirklich gegeben ansieht, weil sie – und allererst diese Begründung macht seine Wirklichkeitsannahme zu einer Glaubensgewissheit – mit der Wirklichkeit Gottes übereinstimmen. Aus diesem Grunde |48|bezeichnen wir den Glauben als eine Wirklichkeitsgewissheit.« (Wolter 2011: 86).

 

Um die wesentlichen Strukturelemente der paulinischen Glaubensvorstellung nachzuzeichnen, beschränke ich mich auf vier Gedankenkreise, in denen Paulus Glaube profiliert hat.