Gewalt gegen Frauen

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Überwachungsmechanismus

Die Istanbul-Konvention verfügt über einen Überwachungsmechanismus, mit dem die Einhaltung ihrer Bestimmungen geprüft wird. Dieser Überwachungsmechanismus basiert auf zwei Säulen: der Expertengruppe zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt GREVIO (Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence) und dem Ausschuss der Vertragsstaaten (Committee of the Parties), einem politischen Organ aus offiziellen Vertreterinnen und Vertretern der Vertragsstaaten des Übereinkommens.[17]

GREVIO besteht aus 15 Mitgliedern. Die Aufgabe von GREVIO[18] besteht im Monitoring der Umsetzung der Konvention durch die Vertragsstaaten, dabei kann sie generelle Empfehlungen zur Umsetzung der Konvention verabschieden. Sie prüft die Staatenberichte und kann auch Länderbesuche vorsehen. Der Ausschuss der Vertragsstaaten[19] ist für die Wahl der GREVIO-Mitglieder zuständig. Er kann aufgrund der Berichte und Schlussfolgerungen von GREVIO Empfehlungen an die Vertragsstaaten erlassen.

Die Schweiz gibt GREVIO in Form eines Staatenberichts Auskunft über den Stand der Umsetzung der Istanbul-Konvention. Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben die Mög­lichkeit, Schattenberichte einzureichen. Der erste Staatenbericht der Schweiz ist im Februar 2021 einzureichen.[20] Dieser erste Bericht wird als „Baseline-Report“ bezeichnet und stützt sich auf einem umfangreichen Fragebogen[21] von über 210 Fragen und Unterfragen Auskunft über den aktuellen Stand der Umsetzung geben soll.

Umsetzung der Istanbul-Konvention in der Schweiz
Gemeinsames Vorgehen von Bund und Kantonen

Die Umsetzung der Istanbul-Konvention ist eine Querschnitts- und Verbundaufgabe, die in unterschiedlichen Politikfeldern, auf unterschiedlichen föderalen Ebenen und unter Einbezug der Zivilgesellschaft erfolgt. Neben Bund und Kantonen sind es Fachpersonen aus einem breiten Spektrum von öffentlichen und privaten Stellen, die in der Schweiz mit Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Berührung kommen und in ihrem professionellen Alltag einen Beitrag zur Umsetzung der Konvention leisten – sei es in der Gewaltprävention, der Unterstützung von Gewaltopfern und von gewaltausübenden Personen oder in der Strafverfolgung. Für eine wirksame Umsetzung der Istanbul-Konvention braucht es das Engagement des Bundes, der Kantone und der Zivilgesellschaft.

Auf nationaler Ebene ist das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) für die Umsetzung und die Berichterstattung an den Europarat zuständig. Das EBG koordiniert auch die Umsetzung der Massnahmen des Bundes. Auf interkantonaler Ebene koordiniert die Schweizerische Konferenz gegen Häusliche Gewalt (SKHG) im Auftrag der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) die Umsetzung der Konvention. Bund und Kantone haben ihre Zusammenarbeit in einem Umsetzungskonzept[22] geklärt, das auch den Einbezug von Nicht­regierungsorganisationen (NGO) vorsieht. Ein gemeinsamer Ausschuss von Bund und Kantonen sichert die laufende Absprache und eine aufeinander abgestimmte Umsetzung in der Schweiz.


Abbildung 2: Koordination der Umsetzung der Istanbul-Konvention in der Schweiz

Massnahmen in Umsetzung der Istanbul-Konvention

Die Istanbul-Konvention mit ihrem umfassenden Handlungsansatz dient den zuständigen Behörden, Institutionen und Organisationen auf allen föderalen Ebenen als Orientierungsrahmen für die Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Gewaltprävention, des Opferschutzes und der Strafverfolgung. Der Bund engagiert sich in allen vier Handlungsfeldern der Istanbul-Konvention. Entsprechend seinen Aufgaben und Kompetenzen liegt das Schwergewicht im Handlungsfeld „Umfassendes und koordiniertes Vorgehen“ (integrated policies). Zudem leistet der Bund verschiedene finanzielle Beiträge an Massnahmen von Dritten zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt. In der Übersichtspublikation von November 2018 sind die Aufgaben und Massnahmen der verschiedenen Bundesstellen detailliert aufgeführt.[23]

Auch auf Ebene der Kantone zeigt eine Bestandesaufnahme die Schwerpunkte in der Umsetzung der Istanbul-Konvention auf und den damit zusammenhängenden Handlungsbedarf, darunter die Förderung der Arbeit mit gewaltausübenden Personen, die Erhöhung der Bekanntheit der Opferhilfe oder die Berücksichtigung von familiärer Gewalt in Besuchs- und Sorgerechtsentscheiden.[24]

NGOs, die Unterstützungs- und Schutzangebote im Bereich Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt gewährleisten, haben sich im „Netzwerk Istanbul-Konvention“ zusammengeschlossen und die aus ihrer Sicht notwendigen Massnahmen formuliert.[25] Die Koordination und Zusammenarbeit zwischen NGOs und staatlichen Institutionen erfolgt beispielsweise über eine direkte, projektbezogene bilaterale Zusammenarbeit, den Einsitz in Begleitgruppen oder den Beizug als Expertinnen und Experten.[26]

Literaturverzeichnis

Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), Kosten von Gewalt in Paarbeziehungen, Bern 2013 (zit. EBG Kostenstudie 2013).

Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (SR 0.311.35) – Umsetzungskonzept in Erfüllung eines Zieles des Bundesrates 2018, Band II: Eidgenössisches Departement des Innern EDI, Ziel 7, Bern 2018 (zit. EBG Umsetzungskonzept 2018).

Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – Aufgaben und Massnahmen des Bundes zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarates (Istanbul-Konvention), Bern 2018 (zit. EBG Umsetzung Istanbul-Konvention 2018).

Lempen Karin/Marfurt Anita/Heegaard-Schroeter Sophie, Convention d’Istanbul: tour d’horizon, Jusletter, 7. September 2015.

Ott Rahel/Schwarzenegger Christian, Erste Ergebnisse der Studie „Polizeirechtliche und strafrechtliche Massnahmen gegen häusliche Gewalt – Praxis und Wirkungsevaluation“, in: Schwarzenegger/Brunner (Hrsg.), Bedrohungsmanagement – Gewaltprävention, Zürich 2017, 87–114.

Schweizerische Konferenz gegen Häusliche Gewalt (SKHG), Umsetzung Istanbul-Konvention Ebene Kantone – Bestandesaufnahme und Handlungsbedarf, 2018 (zit. SKHG Bestandesaufnahme 2018).

Materialienverzeichnis

Botschaft des Bundesrates zur Genehmigung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) vom 2. Dezember 2016, BBl 2016, 2225.

Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration vom 16. Dezember 2005 (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG; SR 142.20).

Erläuternder Bericht zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention, CETS-Nr. 210), abrufbar unter <https://rm.coe.int/1680462535>.

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0).

Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention; SR 0.311.35).

1 Ott/Schwarzenegger 2017, 89. ↵

2 Die statistischen Angaben zu häuslicher Gewalt entstammen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2018 sowie den Internetseiten zu häuslicher Gewalt des Bundesamts für Statistik unter <https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht/polizei/haeusliche-gewalt.html>. ↵

3 EBG Kostenstudie 2013. ↵

4 SR 0.311.35. ↵

5 Stand der Unterzeichnungen und Ratifikationen abrufbar unter <http://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/210/signatures>. ↵

6 Für eine ausführliche Darstellung siehe auch Lempen/Marfurt/Heegaard-Schröter.↵

7 Botschaft des Bundesrates zur Genehmigung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) vom 2. Dezember 2016, BBl 2016, 2225, Kap. 1.2. ↵

8 BBl 2016, 2225, Übersicht. ↵

9 BBl 2016, 2225, Übersicht. ↵

10 BBl 2016, 2225, Kap. 2.5.16. ↵

11 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0). ↵

12 BBl 2016, 2225, Kap. 2.5.16. ↵

 

13 BBl 2016, 2225, Kap. 2.6.7. ↵

14 Erläuternder Bericht zur Istanbul-Konvention, Ziff. 302. ↵

15 Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration vom 16. Dezember 2005 (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG; SR 142.20). ↵

16 BBl 2016, 2225, Kap. 2.7.1. ↵

17 Mehr zu Überwachungsmechanismus unter <https://www.coe.int/en/web/istanbul-convention/about-monitoring1>. ↵

18 Mehr zu GREVIO unter <https://www.coe.int/en/web/istanbul-convention/grevio>. ↵

19 Mehr zum Ausschuss der Vertragsstaaten unter <https://www.coe.int/en/web/istanbul-convention/committee-of-the-parties>. ↵

20 Vgl. Zeitplan von GREVIO, abrufbar unter <https://www.coe.int/en/web/istanbul-convention/timetable>. ↵

21 Questionnaire on legislative and other measures giving effect to the provisions of the Council of Europe Convention on Preventing and Combating Violence against Women and Domestic Violence (Istanbul Convention), abrufbar unter <https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?documentId=09000016805c95b0>. ↵

22 EBG Umsetzungskonzept 2018. ↵

23 EBG Umsetzung Istanbul-Konvention 2018. ↵

24 SKHG Bestandesaufnahme 2018. ↵

25 Die Massnahmen sind abrufbar unter <https://istanbulkonvention.ch/html/blog/massnahmen.html>. ↵

26 EBG Umsetzungskonzept 2018, Kap. 7. ↵

Bedrohungsmanagement als Forderung der Istanbul-Konvention:
Eine Übersicht zu den Entwicklungen in der Schweiz
Hptm Reinhard Brunner, Chef Präventionsabteilung, Kantonspolizei Zürich
Reinhard Brunner

Chef Präventionsabteilung, Kantonspolizei Zürich.

Inhalt

1  Vorwort

2  Politischer Vorstoss auf Bundesebene

3  Häusliche Gewalt – ein Überblick zum Phänomen

4  Istanbul-Konvention – Orientierungsrahmen für die Gewaltprävention Prävention (Kapitel III) Schutz und Unterstützung (Kapitel IV) Ermittlungen, Strafverfolgung, Verfahrensrechte, Schutzmassnahmen (Kapitel VI)

5  Bedrohungsmanagement – Situation im Kanton Zürich

6  Bedrohungsmanagement – Entwicklungen in der Schweiz Erfahrungsaustausch Bedrohungsmanagement Umfrage 2014/2015: Stand der Aufbauarbeiten in den Kantonen Umfrage 2019: Stand der Aufbauarbeiten in den Kantonen

7  Ausbildung Bedrohungsmanagement

8  Risiko-Instrument OCTAGON

9  Ausblick: Schwerpunkt des Regierungsrates im Kanton Zürich

10  Literatur

Vorwort

Gewalt gegen Frauen und insbesondere häusliche Gewalt sind in der Schweiz nach wie vor ein verbreitetes Phänomen. Die Folgen für die Betroffenen können gravierend sein. Die Beeinträchtigungen wirken sich oft auch auf deren Familienangehörige und ihr Umfeld aus. Es betrifft schliesslich die Gesellschaft als Ganzes.

Im Verlauf der letzten Jahre haben die Behörden und viele Institutionen grosse Anstrengungen zur Verhinderung und Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und häuslichen Gewalt unternommen. Etliche Kantone haben ein Kantonales Bedrohungsmanagement (KBM)[1] eingeführt oder sind mit dem Aufbau solcher Strukturen befasst. Dennoch ist es eine traurige Tatsache, dass vor allem im Bereich häuslicher Gewalt schweizweit stetig hohe Fallzahlen zu verzeichnen sind. Der vermeintlich sicherste und bestgeschützte Ort der Familie – das Zuhause – ist entgegen dieser (Wunsch)Vorstellung für viele der gefährlichste Ort. Die Gründe dafür sind vielfältig und oft komplex. Grosses Eskalationspotential liegt in Überforderungen im beruflichen und/oder familiären Alltag, finanziellen Engpässen, schwierigen Wohnverhältnissen, Suchtproblemen, ungleichen Machtverhältnissen, patriarchalischen Strukturen, emotionalen und/oder sexuellen Übergriffen, Kränkungen und vielem mehr. Oft entsteht in solchen Konstellationen ein ganz schmaler Grat zwischen einst „grosser Liebe” und „Todhass“. Und hier liegt eine der grossen Herausforderungen: Nicht in jedem Fall werden Anzeichen, sogenannte Warnsignale, nach aussenhin sichtbar, die auf eine Krise oder die Gefahr einer Gewalttat hindeuteten.

Täter suchen in ihren Konfliktsituationen selten das Gespräch und machen Dinge vermehrt mit sich selbst aus. Eines Tages stehen sie dann an diesem „Alles-oder-Nichts-Punkt“[2].

Vor diesem Hintergrund gilt es, alles daran zu setzen und Möglichkeiten zu suchen, um Informationen über gefährliche Entwicklungen zu erhalten; eben diese Warnsignale als solche erkennbar zu machen. Dies zu ermöglichen, ist nie ein Alleingang. Zum einen sind alle Mitarbeitenden in öffentlichen Diensten, Ämtern und Institutionen aufgefordert, im Bewusstsein ihrer Anzeigepflichten und Melderechte Informationen über ernstzunehmende Anzeichen auszutauschen und abgestimmte Massnahmen zu ergreifen. Zum andern kommt der Prävention durch die Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit – und damit auch potenzieller Opfer – über die verschiedenen Gewaltformen sowie Beratungs- und Schutzangebote grösste Bedeutung zu. Durch die Förderung des Bewusstseins in der Gesellschaft, dass Gewalt nicht akzeptabel ist, wird die Zivilcourage[3] jedes Einzelnen gestärkt, um Beobachtungen über Gewaltvorkommnisse zu melden. Auch Opfer von Gewalt werden dadurch ermutigt, ihre Situation nicht länger zu erdulden und ihr Schweigen bspw. mit einer Anzeige bei der Polizei zu brechen, bevor etwas Schlimmeres passiert. Nur so können Gefahren rechtzeitig erkannt, das Risiko fundiert eingeschätzt und interdisziplinär abgestimmte Massnahmen der Prävention und Strafverfolgung ergriffen werden. Wichtig ist, dass alle Beteiligten über ein gemeinsames Verständnis zum Bedrohungsmanagement verfügen.

Politischer Vorstoss auf Bundesebene

Exakt diesen Ansatz verfolgte das Postulat 13.341 (2013)[4] von Frau Nationalrätin Yvonne Feri. Das Postulat, betitelt mit „Bedrohungsmanagement bei häuslicher Gewalt. Überblick über die rechtliche Situation und Schaffen eines nationalen Verständnisses“ forderte zusammengefasst, dass für die Umsetzung des Bedrohungsmanagements

1 möglichst schweizweit ein einheitliches Verständnis zum Begriff Bedrohungsmanagements zu schaffen ist;

2 die involvierten Institutionen und Zielgruppen unter spezieller Klärung der Rolle des Opfers häuslicher Gewalt definiert werden müssen;

3 das Wissen über validierte Instrumente zur Gefährlichkeitseinschätzung zu generieren ist;

4 das Vorhandensein von rechtlichen Grundlagen zur Durchführung von multiinstitutionellen Risikoeinschätzungs- und Bedrohungsmanagement-Konferenzen inklusive des Datenaustauschs abzuklären ist.

In Erfüllung dieses parlamentarischen Vorstosses hielt der Bundesrat in seinem Bericht (2017)[5] im Wesentlichen fest: […], dass das Konzept eines Bedrohungsmanagements sich zu etablieren beginnt. Die Mehrheit der Kantone hat ein Bedrohungsmanagement eingerichtet oder arbeitet an dessen Einführung. Die Koordination auf polizeilicher Ebene durch das Erfahrungsteam[6] der Kantone Zürich, Solothurn und Bern, in welchem auch die Schweizerische Kriminalprävention über ein Einsitzrecht verfügt, hat sich bewährt.

Im Weiteren begrüsst der Bundesrat die Bestrebungen in den Kantonen, die Zusammenarbeit verschiedener Stellen zur Abwehr von Gewalttaten zu institutionalisieren. Er empfiehlt den Kantonen, zu prüfen, ob die Ausbildung der beteiligten Fachkräfte zu Risikoanalysen und Bedrohungsmanagement vermehrt interkantonal erfolgen könnte, um auch auf diese Weise ein einheitlicheres Verständnis zu schaffen. Er verweist darauf, dass dazu bereits erste Schritte an die Hand genommen worden sind[7].

Zur Rollenklärung der Opfer von häuslicher Gewalt macht der Bundesrat darauf aufmerksam, dass nach dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention[8] sich die Schweiz an deren Definition der häuslichen Gewalt orientieren kann. Diese berücksichtigt Paarbeziehungen, Familien und Haushaltsgemeinschaften – auch nach deren Auflösung – und schliesst auch die ökonomische Gewalt mit ein. Der Bundesrat hält zudem fest, dass zur Verhinderung der häuslichen Gewalt nicht nur ein Bedrohungsmanagement für Hochrisikofälle wichtig ist, sondern auch die Weiterführung von bestehenden Massnahmen und das Monitoring bei weniger gravierenden Fällen.

Zur Klärung der rechtlichen Grundlagen wurde im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG[9] durch Prof. Dr. iur. Marianne Schwander ein Gutachten zu den rechtlichen Vorbedingungen für ein Bedrohungsmanagement bei Häuslicher Gewalt in der Schweiz erstellt[10]. Ihre Ausführungen hat sie im Rahmen eines Referates an der Fachtagung „Bedrohungsmanagement – Gewaltprävention“ im November 2016 in Dübendorf ZH aktualisiert bzw. erweitert und entsprechend publiziert[11]. In ihrer Publikation sind insbesondere die Grundrechte betroffener Personen sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit – namentlich Mitteilungsrechte/-pflichten und Koordinationsrechte/-pflichten – verständlich und praxisnah dargelegt. Hilfreiche Ausführungen zu Fragen betreffend die Durchführung von Fallkonferenzen sind ebenso darin enthalten.

Schwander: Nur durch die Zusammenarbeit verschiedener Stellen ist in einer Gefährdungssituation ein koordiniertes Vorgehen möglich, was insbesondere widersprüchliche Massnahmen und Eingriffe vermeidet. Das liegt auch im direkten Interesse der betroffenen Personen, sei dies der Person, von der Gewaltdrohungen ausgehen, oder der Person, die von Gewaltdrohungen betroffen ist.

Im Sinne eines persönlichen Statements schliesse ich mich diesem Zitat zur weiteren Stärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit und somit des Bedrohungsmanagements in den Kantonen an. Mit dem Beitritt zur Istanbul-Konvention per 1. April 2018 hat sich die Schweiz zu umfassenden Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verpflichtet.

 

Häusliche Gewalt – ein Überblick zum Phänomen

Im Kanton Zürich waren im Verlauf der letzten Jahre immer wieder schwere Gewalttaten im Kontext von häuslicher Gewalt zu verzeichnen. Insbesondere im Verlauf des Jahres 2019 mussten wir eine Zunahme von schweren Körperverletzungen und tragischen vollendeten Tötungsdelikten hinnehmen. Bis zum Zeitpunkt der Fachtagung (5. November 2019) hatten acht von insgesamt 14 Opfern ihr Leben als Folge eines Tötungsdeliktes wegen häuslicher Gewalt verloren. Ende 2019 waren es dann sogar zehn von insgesamt 16 Todesopfern, die wegen häuslicher Gewalt getötet wurden.


Abbildung 1: Tötungsdelikte/Tötungsversuche – Anteil Häusliche Gewalt; Quelle: PKS Kanton Zürich

Die Polizei rückte 2019 im ganzen Kantonsgebiet durchschnittlich knapp 15 Mal täglich im Kontext von häuslicher Gewalt aus. Nebst den strafrechtlich relevanten Fällen waren viele Ereignisse wegen familiärer Streitereien oder Differenzen zu verzeichnen. Rund 1’100 Schutzverfügungen gemäss dem kantonalen Gewaltschutzgesetz[12] wurden angeordnet. In vielen Fällen wurde das Bedrohungsmanagement aktiv; heikle Situationen konnten in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen entschärft werden. Dennoch gelang es trotz aller intensiven Bemühungen nicht, diese schweren Delikte zu verhindern. Besondere Herausforderungen stehen vor allem dann im Raum, wenn ein polizeilich bekannter Täter seine Partnerin und Mutter der Kinder tötet, wie das am 26. August 2019 in Dietikon ZH der Fall war. Ein 37-jähriger Mann erstach seine 34-jährige Ehefrau nach Ablauf des angeordneten Betret-/Kontaktverbots. Wie konnte das passieren? Hätte die Gewalttat verhindert werden können? Wurden Risiken übersehen? Blieben Interventionsmöglichkeiten ungenutzt? All diese wichtigen und berechtigten Fragen wurden in den Medien breit diskutiert. Als verantwortungsvolle, für die präventive Gefahrenabwehr zuständige Polizei, haben wir die Geschehnisse minuziös untersucht, um innerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen den Schutz von (potenziellen) Opfern weiter zu verbessern. Ansätze waren und sind fortlaufend in folgenden Bereichen zu prüfen (Würgler 2019)[13]:

 Nachbetreuung von Opfern verstärken

 Informationen von Dritten gewinnen

 Gefährderansprachen rasch durchführen

 Ausführungsgefahr (Haftgrund) immer prüfen

 Stalking als relevantes Risikoverhalten ernstnehmen

 Erfahrungsaustausch stärken

Die Anzahl Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt ist auch schweizweit weiterhin auf hohem Niveau. Zum Zeitpunkt der Fachtagung (5. November 2019) zeigte der Vorjahresvergleich 2017/2018 einen Anstieg der Straftaten von 17’024 auf 18’522 (9%). Im Jahr 2018 wurden 27 vollendete Tötungsdelikte im Kontext von häuslicher Gewalt registriert, was gegenüber dem Vorjahr (2017: 21) einer Zunahme um 29% entspricht. Die Tötungsversuche sowie die schweren und einfachen Körperverletzungen stagnierten in etwa bei gleichbleibender Anzahl.


Abbildung 2: Auszug Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS); Quelle: BFS

Im Jahr 2018 wurden schweizweit insgesamt 50 vollendete Tötungsdelikte verzeichnet. Die erwähnten 27 Tötungsdelikte wegen häuslicher Gewalt entsprechen somit anteilig mehr als der Hälfte aller Fälle (54%). Bei den Tötungsversuchen liegt der Anteil häuslicher Gewalt mit 52 von insgesamt 149 Fällen etwas tiefer (35%).

Weiteren Aufschluss zum Phänomen der häuslichen Gewalt geben folgende Fakten[14]:

 24 der 27 Opfer von vollendeten Tötungsdelikten waren weiblich.

 Mehr als die Hälfte (59%) der 27 vollendeten Tötungsdelikte ereigneten sich in einer bestehenden Partnerschaft.

 Die 27 vollendeten Tötungsdelikte wurden von 25 beschuldigten Personen verübt, davon 22 Männer (88%).

Die Entwicklungen im Bereich der weiteren Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt sind der oben eingefügten Tabelle zu entnehmen.

Das über Jahre dauernde Ausmass der Gewalt gegen Frauen, insbesondere der häuslichen Gewalt, ist erschreckend. Die Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung dieser Formen von Gewalt müssen mit aller Konsequenz vorangetrieben werden. Es gilt deshalb, die Bestrebungen im Ausbau von Bedrohungsmanagement-Strukturen in der gesamten Kette der Strafverfolgung in den Kantonen weiter voranzutreiben und damit auch die Prävention von nicht akzeptabler Gewalt gegen Frauen wirksamer auszugestalten.

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