Geist und Leben 4/2015

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Wenn Schätze miteinander geteilt werden

Allein beim Einbringen der Visionen der Ausschauhaltenden darf es aber nicht bleiben. Die Visionen der Einzelnen sind in einen Dialog zu bringen mit der „Vision einer Gemeinschaft“. Damit ist gemeint, eine gemeinsame Vorstellung darüber zu entwickeln, wie es möglich ist, ein Leben in der Tiefe zu führen, ausgestreckt auf diesen Gott, den wir niemals fassen können und der uns doch nahe kommen wollte (Contemplatio); ein Leben zu führen, in dem das Engagement für andere Menschen den konkreten Lebensstil prägt, für Bedürftige, für Frauen in Not, für Schüler(innen), die in ihrer Eigenart und Besonderheit wahrgenommen werden wollen etc. (Compassio) und eine Vorstellung darüber zu entwickeln, wie die Contemplatio und die Compassio in einer Gemeinschaft so gelebt werden können, dass das Miteinander zu einem Raum des Lebens wird (Communio).

Können jüngere Mitglieder ihr Potenzial des qua Neusein professionellen Ausschauhaltens in die Ordensgemeinschaften einbringen, so gilt auch für die Traditionsträgerinnen in den Ordensgemeinschaften Vergleichbares. Die Erfahrungen, die Ordensfrauen im Laufe der Jahre eines intensiven religiösen Lebens erworben haben, können für Jüngere zu einem reichen Schatz werden, um ihre Suche nach Gott und den Menschen tiefer, nüchterner und lebendiger zu gestalten. Wenn Schätze miteinander geteilt werden, wenn man lernt, einander Anteil am Leben zu geben, das Tasten nach Gott miteinander zu teilen, auch Phasen der Leere und der Abwesenheit Gottes nicht einfach zu übertünchen, sondern ehrlich miteinander auszuhalten, dann können sich Ordensgemeinschaften zu Orten entwickeln, an denen viel von der Nüchternheit der Gottsuche und einem ehrlichen Miteinander aufscheint. Damit ist nicht gemeint, die Ungleichzeitigkeiten des Lebens und der Erfahrungen einzuebnen, oder nur die Anfängerinnen oder nur die Traditionsträgerinnen zu respektieren. Hier geht es vielmehr darum, in Anerkenntnis der Unterschiedenheit der Lebensphasen und -rhythmen, der Gottes(un-)kundigkeit und des Menschenverstehens das Teilen von Schätzen als Erweis zu sehen und zu erproben, die Andersheit der Anderen wertzuschätzen und für das eigene Leben und Suchen nach Gott fruchtbar zu machen.

Wenn professionelle seekers ausbleiben

Die wohl schwierigste Frage aber stellt sich, wenn professionelle seekers ausbleiben. Wie verändern sich Ordensgemeinschaften, wenn es keine Menschen mehr gibt, die professionell, also qua Lebensphase in einer Situation sind, Ausschau zu halten nach dem, was eigentlich trägt und hält? Viele Ordensgemeinschaften erleben zur Zeit hautnah, was dies bedeutet. Dann werden in Systemen die Haltungen des Bewahrens und Siedelns eben noch ausgeprägter als es schon vorher der Fall war. Wer es nicht mehr gewohnt ist, angefragt zu werden, immer wieder auch existentiellen Verunsicherungen ausgeliefert zu sein, der steht in der Gefahr, alles für selbstverständlich zu erachten, Privilegien mit Standards zu verwechseln und zu vergessen, Ansprüche an das Leben auf das rechte Maß zurückzuschrauben. Von solchen Gebilden aber, in denen alles steril und nur noch von den eigenen Bedürfnissen aus geregelt wird, geht kein Leben mehr aus.

Insofern ist es in Gemeinschaften, in denen die professionellen seekers fehlen, umso dringlicher, sich immer wieder mit dem auseinanderzusetzen, wofür wir leben wollen, was der Grund und das Ziel des Lebens ist und ob dies auch im gelebten Alltag zur Geltung kommt. Die Versuchung, sich „festzusiedeln“, aus Gewohnheiten Gesetze werden zu lassen und das eigene Haus in einen festzementierten Bunker zu verwandeln, muss in solchen Gemeinschaften vermutlich noch deutlicher und bewusster angesprochen werden als in solchen, in denen es Mitglieder gibt, die qua Lebensphase diese Fragen immer wieder in den Mittelpunkt rücken.

Orden als Laboratorien einer erneuerten Kirchenpraxis

Damit können die Analysen in einem weiteren Schritt auf die Kirche hin befragt werden, also daraufhin, was die Ordensleute mit ihren reichen Erfahrungen der Contemplatio, Compassio und Communio in die Kirche einzubringen vermögen. Recht besehen könnten sie nämlich zu Laboratorien einer erneuerten Kirchenpraxis werden, insofern die Ordensleute die Gefahren des Festsiedelns kennen und damit in der Kirche die Aufmerksamkeit schärfen, wo wir hinkommen, wenn die Kirche über dem Siedeln das Suchen nach Gott und den Menschen vergisst: In Bezug auf die Contemplatio könnten die Ordensleute als Ausschauhaltende die Kirche erinnern, einen Gott zu verkünden, der nicht nur für die guten Zeiten des Lebens taugt. Ihre Erfahrungen könnten davon erzählen, dass Gott eher der Verborgene als der unmittelbar Zugängliche ist; einer, der sich eher auf der Seite derer finden lässt, die es nicht so leicht im Leben haben als bei denen, die schon immer über alles Bescheid wissen und nur damit beschäftigt sind, die „reine Lehre“ hochzuhalten. Dieses Wissen aus der Contemplatio könnte der Kirche helfen, Gottesdienst nicht einfach auf Eucharistiefeiern oder wortreiche Andachten zu reduzieren. Ordensleute könnten Menschen durch Meditationsübungen anbieten, selbst den Weg des Schweigens und der Leere als Möglichkeit zu entdecken, Gott im innersten Herzen aufzuspüren.

In Bezug auf die Compassio könnten Ordensgemeinschaften – und sie haben das in ihrer Geschichte schon immer getan – die Kirche ermutigen, sich noch viel deutlicher und gesellschaftlich vernehmbarer für die Menschen am Rand unserer Gesellschaft einzusetzen. Flüchtlinge werden gesellschaftlich noch immer als Zumutung und nicht selten auch als Bedrohung empfunden. Ordensleute mit ihrem Engagement, ihrer Empathie und ihrer Sensibilität für die Chancen des Siedelns und Suchens könnten die Kirche wie die Gesellschaft aufmerksam machen, die Menschen zu sehen und damit die Schwester und den Bruder, der/die als Notleidende(r) vor der Tür steht und anklopft.

Seit jeher sind die Ordensleute auch in Bezug auf die gelebte Communio ein Experimentierfeld von Kirche gewesen. Gerade heute, da sich bestimmte Gruppen in der Kirche als „der kleine heilige Rest“ definieren, andere Christen abwerten und sie als lasche Katholik(inn)en verunglimpfen, könnten Ordensgemeinschaften zeigen, welcher Reichtum sich einstellt, wenn (Lebens-)Schätze und -erfahrungen nicht eingebunkert, sondern miteinander geteilt werden.

Mehr als Hütten und Häuser ausbessern

Für die Ordensleute wie auch die Kirche insgesamt bedeutet dies, dass eine Gemeinschaft nur dann einen guten Weg in die Zukunft gehen kann, wenn sie nicht nur damit beschäftigt ist, ihre Hütten und Häuser auszubessern oder zu verschönern. Jede Gemeinschaft braucht Ausschauhaltende, die die Frage nach dem Eigentlichen und Wesentlichen, nach Gott und den Menschen stellen. Diese Suchprozesse sind nicht einfach das Metier von irgendwelchen Außenseiter(inne)n oder gerade erst Anfangenden. Die seekers müssen in das Innerste der Gemeinschaften hineinwirken, weil es das Eigentliche des Ordenslebens ausmacht, Ausschau zu halten nach dem lebendigen Gott und den Menschen, die seine Geschöpfe sind. Ordensleute sind Menschen mit der Sehnsucht nach dem anderen; und wo diese Sehnsucht nicht mehr gelebt wird, da sind auch keine Ordensleute. Eine Gemeinschaft tut deshalb gut daran, diese Suchprozesse einzufordern und ihnen einen wichtigen Platz bei Entscheidungen einzuräumen.

Umgekehrt werden Ausschauhaltende, die keinen Zugang mehr zu einer Heimat haben, zu Rastlosen. Die Intuition des „anders“ muss eine Rückbindung an das „so“ haben. Die seekers müssen sich auf die dwellers verlassen und deren Wohnungen als Errungenschaften des Gottsuchens wertschätzen. Insofern tun Gemeinschaften gut daran, immer wieder auch festzulegen, was das Ihrige ist, wo und wie sie leben wollen und damit eine Verbindlichkeit zu formulieren, die auch das Maß darstellt, ab wann jemand dazu gehört und wo jemand die Grenzen überschreitet und das Trennende größer wird als das Gemeinsame. Beide Gruppen und beide Haltungen müssen in Gemeinschaften anzutreffen sein und ihre Schätze einander zur Verfügung stellen, ganz ähnlich wie das in der biblischen Erzählung von Num 13 und 14 der Fall war: Die Kundschafter sind Ausgesandte der Wartenden zu Hause. Dadurch erst werden sie, was sie sind.

Für die eigene Lebensbiographie könnte es hilfreich sein, die unterschiedlichen Lebenshaltungen der dwellers und seekers auch für sich zu erproben: Wie fühlt es sich an, mir als Anfängerin im Ordensleben vorzustellen, die nächsten 30 Jahre mit dieser konkreten Gemeinschaft meinen Weg zu gehen, mit genau diesen Menschen und deren Stärken und Schwächen, mit exakt den Visionen, die diese Gemeinschaft prägen und zu konkretisieren versucht? Oder auch: Wie fühlt es sich an, als 65-jährige mein Leben als Ordensfrau nochmals auf den Prüfstand zu stellen, zu fragen, ob ich wirklich das leben konnte, was ich leben wollte, was sich verändern müsste, damit das der Fall ist und was dies für die Gemeinschaft bedeuten würde?

Freilich, diese Erprobungen und Gedankenexperimente können auch Traurigkeit oder gar Resignation erzeugen: Wenn deutlich wird, dass auch viel vertane Lebenszeit zu verzeichnen ist und das, was an Offenheit und Ausgerichtetheit auf Gott und die Menschen da war und ist, nicht weiterwachsen konnte oder sogar erstickt wurde. Solche fiktive Szenarien könnten aber auch Einladungen sein, ungelebten, aber vorhandenen Seiten des Lebens Raum zu geben und auszuprobieren, was Gott an Möglichkeiten in uns angelegt hat. Denn Gott ist allemal für Überraschungen gut und Ordensfrauen sind nicht selten diejenigen, die diese Überraschungen auch leben.

 

1Zum ersten Mal wird die Metapher der „religious dwellers and spiritual seekers“ m.W. von R. Wuthnow, After Heaven. Berkeley 1998, ins Spiel gebracht. Später wird sie durch W.C. Roof, Spiritual marketplace. Princeton 1999, neu akzentuiert und von B.J. Zinnbauer u.a., The emerging meanings of religiousness and spirituality: Problems and prospects, in: Journal of Personality 67 (1999), 889–919 einem größeren Publikum zugänglich gemacht. Wertvolle Literaturhinweise verdanke ich hier Sr. PD Dr. Nicole Grochowina.

Ägid van Broeckhoven
N

Dominik Terstriep SJ | Stockholm

geb. 1971, Dr. theol., Master of Arts, Pfarrer, Dozent für Dogmatik am Newmaninstitut Uppsala

dominik.terstriep@jesuiten.org

Gott alles in allem
Der Mystiker Ägid van Broeckhoven

Es kann ungewöhnlich anmuten, ein Buch neu herauszugeben, das seine große Zeit in den 1970er Jahren hatte; ein Buch zudem, das der Jesuit und Arbeiterpriester Ägid van Broeckhoven nicht selbst veröffentlichte, sondern das nach seinem Tod erschien: Tagebuchaufzeichnungen in Auswahl, die ein Mitbruder zum ersten Mal 1971 herausgab. Der Johannes Verlag hat sich dazu entschieden, das von ihm erstmals 1972 publizierte und unterdessen lange vergriffene Buch Freundschaft in Gott neu aufzulegen und zeugt damit von der eigenartigen Anziehungskraft, die es weiterhin ausübt.

Man kann Bücher zur Unzeit lesen. Ich selbst bekam Ägids Aufzeichnungen zum ersten Mal als junger Theologiestudent Anfang der 90er Jahre in die Hände. Mein Spiritual meinte, ich solle das lesen. Und ich las es. Doch es berührte mich nicht tiefer. Als ich es zum zweiten Mal gut 15 Jahre später las, war es eine „Offenbarung“ für mich. Brot, das man kauen konnte, kein Zuckerwerk. Je mehr ich die einzelnen Abschnitte betrachtete, desto mehr ging mir der Geschmack von Ägids Mystik auf.

Es scheint, als wäre ich nicht allein mit meiner Lesegeschichte. Als man 1971 die flämische Ausgabe veröffentlicht hatte, folgten in rascher Folge Übersetzungen (mit z.T. mehreren Auflagen) ins Deutsche (1972), Italienische (1972), Spanische (1973), Portugiesische (1975), Englische (1977) und sogar Schwedische (1979). Ein theologisches Schwergewicht wie Hans Urs von Balthasar war beeindruckt von Ägids Echtheit, Klarheit und geistlich-theologischer Tiefe1. Im Blick auf diese Erfolgsgeschichte kann man sich fragen, warum es um Ägid spätestens seit Mitte der 1980er Jahre so still wurde.

Hat jedes Buch seine Zeit? In letzter Zeit jedoch zeigt sich weltweit ein neues Interesse an Ägids Mystik. Seine Aufzeichnungen werden neu herausgegeben, geistliche und theologische Artikel über ihn geschrieben2.

Ägid war ein Mystiker, ein Mann, der in tiefer Einheit und Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott lebte. Er versuchte die Einheit mit dem dreifaltigen Gott in der Freundschaft zu leben, und zwar mit den Armen im Arbeitermilieu Brüssels der 1960er Jahre. Freundschaft war für ihn ein Sakrament, ein Ort wo sich Gott den Menschen zeigt und sich ihnen schenkt; Freundschaft, die ihren Ort im Raum des dreifaltigen Gottes hat. Ägid fand Gott nicht jenseits, sondern mitten in der Wirklichkeit, nicht Gott im Allgemeinen, sondern den Dreifaltigen. Was lässt Menschen Ägid van Broeckhoven heute neu entdecken? Es ist vielleicht die einzigartige Verbindung von tiefer Gottverbundenheit und dem konkreten Leben hier und jetzt, das Erstaunen über ein kurzes Leben, das tief im Geheimnis des dreifaltigen Gottes verwurzelt war und deshalb zugleich in der Welt.

Wer war Ägid van Broeckhoven?

Schaut man äußerlich auf Ägids Leben, gibt es nicht viel zu berichten. Er war gerade 34 Jahre alt geworden, als er am 27. Dezember 1967 an den Folgen eines Arbeitsunfalls in einer Fabrik starb, und führte ansonsten ein für seine Zeit nicht ungewöhnliches Leben. Ägid wurde am 22. Dezember 1933 in Antwerpen geboren und schon am sechsten Lebenstag Halbwaise. Sein Vater gab ihn zu einer Tante und deren Mann, die ihn wie ihren Sohn großzogen. Im Alter von 16 Jahren trat er in das Jesuitennoviziat in Drongen ein und absolvierte die damals übliche Ordensausbildung. Eigentlich wollte er Mathematik und Physik studieren, schaffte allerdings die Aufnahmeprüfungen nicht. Im Sommer 1964 wurde Ägid zum Priester geweiht. Von 1965–1967 wirkte er als Arbeiterpriester in verschiedenen Fabriken im Großraum Brüssel und ließ sich mit zwei Mitbrüdern in einem Arbeiterquartier nieder.

Die äußeren Lebensdaten können kaum die Aufmerksamkeit erklären, die seine Tagebuchaufzeichnungen nach seinem Tod weckten. Sein inneres Leben, von dem sie zeugen, weist dagegen auf einen Reichtum, der kaum in so ein kurzes Leben zu passen scheint. Die Tagebücher umfassen 26 Hefte und den Zeitraum vom Abschluss der Philosophie (April 1958) bis zu seinem Tod. Die Hefte spiegeln Ägids geistliche Entwicklung, sein Fragen, Ringen und seine glücklichen Einsichten, seinen Alltag und mystische Erfahrungen wider. Er hatte keine literarischen Ambitionen. Die Texte waren ja nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Ihm kam es einzig darauf an, das aufzuzeichnen, was er schaute in der Kontemplation, in der Unterscheidung der Geister, im Alltag – kurz: alle Zeichen für Gottes Gegenwart.

Ägids Mystik kreist um drei große Themen: der Freund, die Armen und Gott. Sie bilden seine „Dreifaltigkeit“, sind perichoretisch ineinander verschränkt und formen so eine Einheit in Verschiedenheit. Der Freund steht für die emotionale Seite aller Beziehungen, für ein liebevolles Verhältnis. Die Armen stehen für die konkrete Welt, in der sich Ägid zu leben berufen fühlte. Gott ist beider geheimnisvoller Grund und Einheit. Der Freund, die Armen und Gott kann man mit kommunizierenden Gefäßen vergleichen. Steigt der Wasserstand in einem, steigt er auch in den anderen; sinkt er in einem, sinkt er auch in den anderen.

Der Freund

Freund und Freundschaft, diese beiden Worte stechen heraus in Ägids Tagebüchern. Er wollte Gott in der Intimität des Freundes und den Freund in der Intimität Gottes finden. Das verstand er als seine Lebensaufgabe. „Meine Berufung ist es, die Menschen in die mystischen Tiefen der Freundschaft einzuführen“ (41)3. An anderer Stelle in seinem Tagebuch äußert er den Wunsch „ein Teilhard der Freundschaft“ (Journal VII: 58, 128) zu sein, d.h. seinen Freunden zu zeigen, dass die gleiche unendliche Tiefe des Gottesgeheimnisses, die Pierre Teilhard de Chardin im Kosmos und dessen Entwicklung sah, in jeder Freundschaft gegenwärtig ist. Er wollte die Anderen in Gott und Gott in den Anderen suchen.

Immer wieder kommt er dabei auf das Wort „Intimität“ zurück, um sein Suchen und Finden zu beschreiben. Diesen Schlüsselbegriff bezieht Ägid sowohl auf Gott als auch auf den Menschen. „So wird ein Mensch in seinem eigentlichen, tiefsten Reichtum erst sichtbar, wenn man das Licht erblickt, das in seiner letzten Intimität leuchtet und alles übrige erleuchtet: Gott“ (23). „Apostolat besteht darin, dass sich die eine Intimität einer anderen Intimität öffnen muss: eine Intimität wächst auf Gott hin, das heißt auf die Intimität hin“ (25).

Spricht Ägid von Intimität, geht es ihm um das innerste Zentrum, das Persönlichste und Tiefste, das innewohnende Mysterium, das nie aufgelöst werden kann wie ein Rätsel. Jemanden um Zugang zu diesem Heiligtum zu bitten oder jemandem zu erlauben, dort einzutreten, setzt Vertrauen voraus. Hat man dieses Vertrauen, kann man sich vor jemandem entblößen ohne Scham und ohne Angst, ausgelacht, verletzt oder ausgenutzt zu werden. Man kann sich zeigen, wie man ist. Ägid selbst muss diese beglückende Intimität erfahren haben – sowohl in der Beziehung zu Gott als auch zu Freunden.

Christus selbst hat sich entblößt (vgl. Phil 2,6–11) und Gott als den geoffenbart, der sich schenkt und intime Gemeinschaft und Freundschaft anbietet (vgl. Röm 8,32). Gott selbst ist Freundschaft, Beziehung, Gemeinschaft in Gabe und Gegengabe (vgl. Joh 17,7): Vater, Sohn und Geist, ein Gott vor dem man keine Angst zu haben braucht, weil er die Menschen bedingungslos liebt. Ägid lebte von diesem Mysterium her seine Berufung zu universell-dreieiniger Freundschaft. Der dreieinige Gott wohnt in der Intimität jedes Menschen. Gottes Liebe ermöglicht es dem Menschen, sich ihm und den anderen zu öffnen, die Intimität des anderen zu berühren und sich selbst zuinnerst berühren zu lassen. Intimität ist darum mehr als bloß das Innerste, das einen individualistischen Klang hat. Intimität drückt eine Beziehung aus. Genau dies war entscheidend für Ägid.

Er lebte diese Intimität in Treue zu Freunden und in einer Liturgie der Intimität: einen Nachbarn zur Ausländerbehörde begleiten, auf dem Fußboden mit einer marokkanischen Familie Tee trinken, eine Wohnung für einen afrikanischen Arbeiter suchen. Auf diese Weise versuchte Ägid seine Berufung zur Freundschaft zu leben: „Ich verlange nur eins: Deine Liebe, und den Menschen diese Liebe zu bringen“ (25). Diese Begegnungen waren für ihn Begegnungen mit Gott. „Herr, ich suchte die Intimität meines Freundes, ich fand die Deine“ (32).

Freundschaft ist für Ägid allerdings nicht etwas, das man festhalten kann. Versucht man es, erreicht man nicht die Tiefe der Freundschaft. Man muss bereit sein, den Freund zu verlieren, die „natürliche“ Liebe, um die „übernatürliche“ zu gewinnen. Ägid war es wichtig, die Liebe von egoistischen Beweggründen zu reinigen. Er suchte Freundschaft nicht für sich selbst, nicht um sich selbst im Anderen zu finden, sondern um dem Anderen in dessen Intimität zu begegnen. „Ich bin wiederum auf meine grundlegenden Erlebnisse gestoßen: alles zurücklassen für den geheimnisvoll anziehenden Gott – Nacht der Freundschaft, grenzenlose Erwartung, Hoffnung aus der Freundschaft, der Einmaligkeit jedes Freundes: N., NN., Ism., Abd. usf. – den Freund in Gott verlieren, um ihn in Gott vollends zu entdecken (dies ist meine eigenste Entdeckung im Existentiellen)“ (122).

Im Tod ist das Leben. Dieses Christus-Paradox erfuhr Ägid in der Freundschaft. Er kennt den Schmerz des Verlustes und die dunkle Nacht des Verlierens, lebt aber in der Hoffnung, dass darüber eine Verheißung ruht. „Ich besaß eine kostbare Perle, / Und Gott sprach: / Wirf sie ins Tiefste meines Herzens./ Und ich tat es / und fühlte mich elend; / denn die Tiefe des Herzens Gottes kannte ich nicht: / Mir war, ich würfe alles ins Finstere. / Oh noche amable más que el alborada!4“ (22).

Durch die Freunde bekam Ägid ein tieferes Verständnis für den dreifaltigen Gott und umgekehrt. Es ist nicht irgendein Gott, der in dem Freund wohnt, sondern der Dreifaltige. „Mein Freund ist wie eine Stadt auf dem Gipfel eines Vulkans. Als Pilger steige ich auf zu ihm. Im Herzen der Stadt steht ein Tempel, in dem Gott wohnt, die Dreieinigkeit der Personen. Herr, hilf mir, mein Zelt niemals am Rand der Stadt aufzuschlagen.“ (Journal VII: 41, 119)

Am 21. Januar 1965 fasste Ägid einige seiner wichtigste Einsichten über Gott und die Freundschaft zusammen: „1. Je mehr ich mich Gott nähere, desto mehr nähere ich mich meinem Freund (…) 4. Je mehr ich mich ausschließlich Gott hingebe, desto mehr gebe mich meinen Freunden hin. 5. Wenn ich den Einen vollkommen liebe, liebe ich auch den Anderen vollkommen (…) 6. Je kontemplativer man ist, desto aktiver ist man, und umgekehrt.“ (Journal XIII: 57-58, 197f.) Das Verständnis für den dreifaltigen Gott und die Freunde vertiefen sich aneinander und miteinander, lebt man in intimer Gemeinschaft mit beiden.

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