Geist und Leben 4/2015

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Dem Gesicht auf der Spur

Das Altertum hatte für den Sklaven einen schrecklichen Namen gefunden: Man nannte ihn aprosôpon – den Gesichtslosen. Hätte vielleicht in unserer Zeit die Unkeuschheit mit modernem Sklaventum zu tun, weil sie, besitzergreifend und dominierend, gesichtslos macht und die Person im Grunde zum Objekt degradiert? Keusch ist der Blick, der den Leib von seinem Gesicht aus wahrnimmt. So sehr der Leib auch maskieren, vielleicht sogar täuschen mag: Er ist Ausdruck der Person, zumindest Spur ihres Geheimnisses. Die Keuschheit bleibt in dieser Spur. Sie respektiert die langsamen Gesetze des Lebens, des Wachstums, durchläuft selbst diese Stufen – wohl kaum jemand wird keusch geboren –, verbietet sich den endgültigen Richterspruch über einen Menschen, der ja bis zu seinem letzten Atemzug werdend bleibt. Sie kennt ein Warten vor dem Anderen. So akzeptiert sie die Ungesichertheit, das Risiko, die Erfahrung des Mangels, vielleicht auch der Einsamkeit. Wenn sie sich etwas nimmt – dann Zeit. Dies alles nicht, wie man vorschnell meinen könnte, aus kühler Berechnung, ängstlicher Distanzwahrung oder heroischer Entsagung heraus. Niemand ist berufen, nicht zu lieben. Nur wer liebt, vermag keusch zu sein. Um ihrer selbst willen wird die Person geliebt.

Auch der glaubend Liebende nimmt das Leben des Anderen nicht in die Hand; er weiß es noch in einer anderen Hand. Wenn seine Liebe wirklich keusch ist, lässt er ihn immer wieder in diese Hand hinein los. „Das bedeutet aber“, schreibt Dietrich Bonhoeffer in seinem weisen Buch über das gemeinsame Leben, „dass ich den Andern freigeben muss von allen Versuchen, ihn mit meiner Liebe zu bestimmen, zu zwingen, zu beherrschen. In seiner Freiheit von mir will der Andere geliebt sein als der, der er ist, nämlich als der, für den Christus Mensch wurde, starb und auferstand, für den Christus die Vergebung der Sünden erwarb und ein ewiges Leben bereitet hat. Weil Christus an meinem Bruder schon längst entscheidend gehandelt hat, bevor ich anfangen konnte zu handeln, darum soll ich den Bruder freigeben für Christus, er soll mir nur noch als der begegnen, der er für Christus schon ist“8.

Auf diese Weise im tiefsten verbunden, mehr noch: an den Anderen, wer immer er auch sei, verbindlich gebunden – „was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40) –, bindet jemand, der in Keuschheit liebt nicht an sich selbst. Er gibt Raum, indem er sich den Anderen eben nicht einverleibt, seinen Lebensraum nicht annektiert, sondern selber zum Gastgebenden wie auch zum Gast des Anderen wird9. Was eine frühchristliche Schrift aus dem 2. Jh. von den ersten Christen bezeugte, lässt sich vielleicht – übertragen – auch von den ungezählt möglichen Weisen des Keuschseins sagen: „Jede Fremde ist ihnen Heimat und jede Heimat ist ihnen fremd”10. Wenn die Keuschheit im Geheimnis einander nahe sein lässt, dann öffnet sie alles, was sie berührt, ungeahnten, unendlichen Horizonten.

In der Spur der Ewigkeit

Einer der eindrücklichsten Auferstehungsberichte im Neuen Testament ist die Begegnung Jesu am Ostermorgen mit Maria von Magdala. Auch da geht es noch um Berührung, um Nähe und Distanz. „Halte mich nicht fest!“ (Joh 20,17) – Jesus hält diese Geste auf, verweigert sich diesem Kontakt. Er, der während seines ganzen irdischen Lebens nie durch dieses vertrauliche Zeichen unangenehm berührt zu sein schien, der es sogar gegen Kritik verteidigte (vgl. Lk 7,36 ff.), hält es jetzt, nach seiner Auferstehung, offenbar für unangemessen. Es ist kaum vorstellbar, dass er nun meint, Vorsichtsmaßnahmen treffen zu müssen, die er vorher nie getroffen hat. Ebenso wenig, dass er eine spürbare Distanz zu den Seinen schaffen will, denen er doch jetzt so nahe wie nie zuvor gekommen ist. Die Auferstehung Jesu, die sich in unsere irdischen Kategorien von Raum und Zeit nicht einfangen lässt und diese dennoch verwandelnd berührt, öffnet vielmehr eine ganz neue Dimension der Wirklichkeit. Fast möchte man von einer „Keuschheit der Auferstehung“ sprechen, die die Ewigkeit von nun an untrennbar mit der Gegenwart verbindet, sie erfüllt und fruchtbar macht, ohne sich darin zu erschöpfen und ohne sich machtvoll beherrschend aufzwingen zu wollen. Ihr Modus sowie die angemessene Antwort darauf ist nicht die gierig zugreifende Bedürfnisbefriedigung, sondern die rückhaltlos liebende, unverzweckte Selbsthingabe11. Alles menschliche Sehnen und Verlangen trägt in der Tat seinen eigenen Stachel im Fleisch (vgl. 2 Kor 12,7), einen Mangel, eine Leerstelle, die keine leibliche Befriedigung auszufüllen vermag. Wo sich eine solche dies anmaßt, wird die Keuschheit zu einem störenden Fragezeichen, ja, zu einer „eschatologischen Mahnung“12.

Wer zur Jüngerschaft des auferstandenen Herrn gehören möchte, wird unablässig gedrängt, mit ihm „ans andere Ufer hinüberzufahren“ (Mk 4,35), bei nichts und niemandem zu früh stehenzubleiben, „niemand mehr nur nach menschlichen Maßstäben zu kennen“ (2 Kor 5,16). Weiter, tiefer und ehrfürchtiger soll der Blick werden. Keuscher also, das heißt dann aber auch: menschlicher und gastlicher. Denn, wie es Alfred Delp in seiner dichten Sprache ausdrücken konnte, „man verrät den Himmel, wenn man die Erde nicht liebt, und man verrät die Erde, wenn man an den Himmel nicht glaubt“13. Die Keuschheit hat ihren gut geerdeten Platz genau an dieser Schnittstelle, an der sich Himmel und Erde berühren. Sie ähnelt darin auf erstaunliche Weise der Art, wie die Kirche ihre Sakramente feiert. Alle ihre Zeichen sind ungemein demütig, substantiell, ja, keusch: ein Stück Brot, ein wenig Wein, ein bisschen Wasser oder Öl … Kaum dazu geeignet, den Magen vollzustopfen, sich maßlos zu betrinken oder verführerisch zu glänzen. Und doch verdichten sich hier in Wort und Zeichen größtmögliche Nähe, verschenktes und empfangendes Leben. Unvermischt und ungetrennt. Brennend und doch nicht verbrennend. Wie der Dornbusch in der Wüste.

Mose hatte seine Schuhe ausgezogen. Die heilige Offenbarung des Gottesnamens verlangte diese Ehrfurcht. Die Keuschheit entblößt das eigene Herz. Wahre Begegnung mit der Wirklichkeit, mit jeder Wirklichkeit, hat diesen Preis. Verwundbar und empfänglich, sich verschenkend und zutraulich, wird es menschlicher, dieses Herz. Wer einmal bei einem Anderen davon gekostet hat, ahnt, was es kostet und kann selbst nicht mehr davon lassen. Inmitten der unwirtlichen Wüsten unserer Zeit, in dem Wildwuchs unserer Gier und dem betörenden Blendwerk unserer Möglichkeiten bleibt in ihm, brennend wie heimliches Feuer unter der Asche, die Sehnsucht eingeschrieben, keusch zu sein.

1Vgl. http://w2.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papa-francesco_20130328_messa-crismale.html

2πρώτη παρθένος … εστìν Τριάς: R. Palla (Hrsg.) / M. Kertsch (Übers.), Gregor von Nazianz, Carmina de virtute Ia-Ib. Graz 1985, 92.

3R. Guardini, Der Herr. Betrachtungen über die Person und das Leben Jesu Christi. Würzburg 1961, 490.

4Die alten Mönchsregeln haben diesen Zusammenhang weiter entfaltet: „Das unkeusche Auge ist Künder eines unkeuschen Herzens“ (Cäsarius von Arles, Regel für Nonnen, N° 23: Klosterregeln für Nonnen und Mönche. St. Ottilien 2008, 23).

5H. Spaemann, Er ist dein Licht. Meditationen für jeden Tag. Jahreslesebuch. Freiburg i.Br. u.a. 1992, 23.

6Nikolaus von Kues, Über die Schau Gottes, 5,8.

7Vgl. Im Herzen der Städte. Lebensbuch der Monastischen Gemeinschaften von Jerusalem. Freiburg i.Br. u.a. 2000, N° 82.

8D. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben. Gütersloh 2006, 31.

9In Anspielung auf das schöne Wort des französischen Orientalisten Louis Massignon: „Pour comprendre l'autre, il ne faut pas se l'annexer mais devenir son hôte“ - wobei hôte im Französischen sowohl „Gastgeber, Wirt“ als auch „Gast“ bedeuten kann.

10 Brief an Diognet: K. Berger u.a., Das Neue Testament und die frühchristlichen Schriften. Frankfurt 2003, 1292f.

11 „Ohne Unendliches ist das Endliche nur als Befriedigung möglich“ E. Levinas, zitiert bei: J. Wohlmuth, Jesu Weg - unser Weg. Kleine mystagogische Christologie. Würzburg 1992, 132.

12 Vgl. E. Bianchi, Wir sind nicht besser. Das Ordensleben in der Kirche und inmitten der Menschen. St. Ottilien 2011, 69.

13 A. Delp, Predigt an Christi Himmelfahrt, 3. Juni 1943: R. Bleistein (Hrsg.), A. Delp, Gesammelte Schriften, Bd. 3. Frankfurt a.M. 1985, 214.

Nachfolge
N

Mirjam Schambeck sf | Freiburg i.Br.

Dr. theol. habil., Professorin für Religionspädagogik an der Universität Freiburg

mirjam.schambeck@theol.uni-freiburg.de

 

Von Siedlern und Suchern
Ordensleben zwischen Sesshaftigkeit und Ausschauhalten

Als das Volk Israel auf seiner Wanderung durch die Wüste vor den Toren des Gelobten Landes angelangt war, herrschte Unsicherheit: War dieses neue, unbekannte Land wirklich das von Gott zugesagte Erbe und würde es den verheißenen Frieden bringen? Schien es nicht viel zu gefährlich, sicheren Boden zu verlassen und sich dem Risiko des Ungewissen zu stellen? Mose ließ also Kundschafter aussenden, die erste Schritte in das Unbekannte hinein wagen und damit dem ganzen Volk einen sicheren Weg in Gottes verheißenes Land hinein bahnen sollten (vgl. Num 13–14).

Sondierungen in unsicherem Terrain

Diese Situation, Kundschafter(innen) vorauszuschicken, in unsicherem Terrain die Lage zu sondieren und Pläne zu schmieden, welche neuen Wege es zu gehen gilt, um Gott tiefer zu suchen und den Menschen besser zu helfen, ist von den derzeitigen Bewegungen in den Ordensgemeinschaften nicht weit entfernt. Der folgende Artikel greift deshalb das Bild von den Kundschafter(inne)n und den zu Hause Wartenden auf und differenziert es durch eine weitere Metapher, nämlich diejenige von den Sesshaften und den Ausschauhaltenden, den dwellers and seekers, den Siedler(inne)n und Sucher(inne)n.1 Diese soll helfen, das Leben als Ordensfrauen zumindest exemplarisch und konzentriert auf einzelne, wenn auch markante Lebensphasen in den Blick zu nehmen.

Es mag verwundern, im Folgenden den Blick auf diejenigen zu lenken, die sich in der Anfangsphase des Ordenslebens befinden: hier also auf Frauen, die überlegen, sich einer Ordensgemeinschaft anzuschließen, auf Frauen im Postulat, Noviziat und Juniorat. Diese Verwunderung mag sich zu einem Befremden steigern angesichts der statistischen Befunde, dass es diese Frauen kaum gibt, und des Eindrucks, dass sie nicht repräsentativ für das Ordensleben sind, insofern sie gerade erst dabei sind, in diese Lebensform hineinzuwachsen. Trotzdem lohnt dieses Unterfangen, weil es das Auge schärft für das Eigentliche des Ordenslebens, und zwar in zweierlei Hinsicht: An dieser Gruppe lässt sich erstens am leichtesten ablesen, wofür Ordensleben steht und was den innersten Feuerfunken des Ordenslebens ausmacht, denn diese Anfängerinnen müssen selbst eine Vorstellung davon haben, was Ordensleben bedeutet, sowie prüfen, inwieweit ihr Ideal mit der Realität übereinstimmt.

An dieser Gruppe lässt sich zweitens studieren, was konkret in den Ordensgemeinschaften läuft. Immer wenn jemand neu dazukommt, kann er/sie Systeme auf blinde Flecken aufmerksam machen, die sich im Laufe der Zeit eingeschlichen haben und von denen, die schon lange in einem System leben, nicht mehr wahrgenommen werden. Das ist in Betrieben, in Arbeitsteams und Familien nicht anders als in Ordensgemeinschaften. Eine Analyse dieser Gruppe der Anfängerinnen könnte also erhellen, wo sich Ordensfrauen festgesiedelt haben und es noch achtsamer zu werden gilt für Wege, die es besser erlauben, aus der Tiefe zu leben und immer offener für die Menschen zu werden, weil Gott selbst nichts anderes getan hat, als Mensch zu werden.

Professionelle seekers oder verunsicherte dwellers?

Inzwischen ist das Gros der Eintretenden um die 30 Jahre alt. Während gesellschaftlich eine 30-jährige Frau mit der Familiengründung beschäftigt ist, Sorge trägt, sich an einem Ort für länger niederzulassen, ein „Haus zu bauen“ und zugleich im Beruf Leitungsfunktionen zu übernehmen, bewegen sich 30-jährige Ordensfrauen, sofern es sie gibt, in der Kennenlernphase der Gemeinschaft, der sie sich anschließen wollen. Der in dieser Lebensphase anzutreffenden gesellschaftlichen Sesshaftigkeit steht ein Status der Unsicherheit bei 30-jährigen Ordensfrauen gegenüber.

Anfangsphase, Noviziat, erste Jahre als Juniorin – all das bedeutet, sich auf Lebensrhythmen einzulassen, die neu und anders sind. Postulat und Noviziat bringen es mit sich, das Leben mit Menschen zu teilen, die meist älter sind und von anderen Umgangsformen, Denkweisen und Vorstellungen geprägt wurden als man selbst. In nicht wenigen Ordensgemeinschaften in Deutschland zieht ein Eintritt ins Noviziat zudem nach sich, die eigene Stelle aufzugeben, nicht selten auch aus dem bisherigen Beruf auszusteigen, dort gewonnenes Prestige hinter sich zu lassen und sich in der Gemeinschaft auf neue, oft nicht erlernte Aufgabenfelder einzulassen. Das alles verunsichert allein schon deshalb, weil es fremd und ungewohnt ist. Auch insofern sind diese Phasen Zeiten des Suchens und Ausschauhaltens: Die Einzelnen müssen erst ergründen, was gilt, was in den Ordensgemeinschaften üblich ist, was es bedeutet, den Tag aus dem Gebet zu leben, diesen Gott nochmals tiefer kennenzulernen, indem nicht nur spezielle Zeiten und die guten Seiten in einem selbst von ihm her buchstabiert, sondern der ganze Alltag und alle Lebensmuster von Gott her gelebt werden. Qua Eintritt werden Frauen, auch wenn sie gesellschaftlich eher in der Phase des „Sesshaftwerdens“ sind, wieder zu Ausschauhaltenden, und zwar zu professionellen seekers, insofern sich das Ausschauhalten qua Status und Phase einstellt und damit die Profession der Anfangenden bezeichnet.

(Professionelle) Verunsicherungen und deren Unterscheidung

Menschen, die in Unsicherheit leben, reagieren unterschiedlich. Die einen verstärken in sich den Zug des Bewahrens. Vorgefundene Traditionen werden noch treuer eingehalten als das diejenigen tun, die die Traditionen „erfunden“ und ins Spiel gebracht haben. Dann darf beispielsweise die gemeinschaftlich gebetete Laudes um 6:00 Uhr morgens auf keinen Fall ausfallen, auch wenn Ausflugstag ist oder die Schwestern wegen der Erkältungszeit ein bisschen mehr Schlaf gebrauchen könnten.

Andere Menschen aktivieren gerade in Zeiten der Unsicherheit die Fragen nach Lebensziel und Lebenssinn und halten damit Ausschau, was eigentlich trägt und was sie im Grunde leben wollen. Sie werden zu Ausschauhaltenden, während andere zu Sesshaften oder sogar starren Persönlichkeiten mutieren, für die sich jede Veränderung als Fundamentalbedrohung anfühlt.

Hier gilt es, gut zu unterscheiden. Sind die ausgelösten Reaktionen stimmig? Sind sie auf eine bestimmte Phase begrenzt, oder werden sie zum neuen Gewand, in dem jemand einherschreitet und ist das gut so? Verstärken sie in einer Gemeinschaft Reaktionen, die gewollt sind? Oder bringen sie etwas zur Geltung, das eigentlich überwunden werden müsste, weil es die Gemeinschaft als Ganze sowie die Einzelnen am Leben hindert?

Damit ist das Phänomen gemeint, dass nicht selten in Gemeinschaften, in denen viele alte Frauen leben, plötzlich junge Frauen eintreten. Für die einen ist das ein Wunder und wird nach außen und nach innen auch so interpretiert. Wenn man genauer hinsieht, zeigt sich aber, dass diese jüngeren Frauen in dem festen Setting einer Gemeinschaft so etwas wie eine Stabilisierung ihrer eigenen fragilen psychischen Verfasstheit suchen. Die Discretio anzulegen würde heißen, der Gemeinschaft zu empfehlen, ihre eigenen Begrenztheiten innerlich wie äußerlich anzuerkennen; für die junge Frau bedeutete dies, nicht von außen her eine Stabilisierung zu erwarten, sondern diese selbst zu erarbeiten.

Solche neuen Mitglieder sind von daher eher als verunsicherte dwellers denn als professionelle seekers zu bezeichnen. Sie suchen nach festen Ordnungen und stabilen „Behausungen“, durch die von außen her ein Gerüst vorgegeben wird, an dem sich das eigene, oft zerbrechliche Lebensgefühl orientieren kann. Das gilt es bewusst zu halten, wenn von der Gruppe der Anfängerinnen im Ordensleben die Rede ist. Nicht alle sind und werden wirklich zu Ausschauhaltenden. Nicht wenige suchen als bereits schon verunsicherte dwellers nach Ordensgemeinschaften und entwickeln sich dort zu ausgeprägten „Hausverteidigerinnen“.

Damit aber ist zweierlei zu klären: Zum einen stellt sich die Frage, ob das Ordensleben überhaupt die richtige Lebensform für diese Frauen ist. Zum anderen gilt es in den Blick zu nehmen, was diese verunsicherten dwellers über die konkrete Ordensgemeinschaft zumindest implizit aussagen. Nicht selten sind diese Ankommenden ein Spiegel dafür, dass die gewählte Ordensgemeinschaft nach außen das Bild der festen, unverrückbaren Burg vermittelt, das gerade deshalb attraktiv ist, weil man sich davon Sicherheit erhofft. Ordensleben ist von seiner Idee her aber das Gegenteil von Sicherheit. Es ist eine Lebensform, die riskiert, sich ganz und gar von einem Gott her zu verstehen, der nicht fassbar ist, sondern immer neu dazu provoziert, sich auf den Weg zu den Menschen zu machen, auch an die Ränder, wo sich keiner so gerne aufhält. Darauf aber kann sich niemand einlassen, für den Veränderungen und Risiken (Lebens-)Bedrohungen sind. In der Anfangszeit des Ordenslebens ist darum zu prüfen, ob jemand die Entwicklungsfähigkeit besitzt, in das Ausschauhalten nach diesem Gott und den Menschen hineinzuwachsen. Wo sich jemand nur festsiedeln will, kann Ordensleben nicht die passende Lebensform sein.

Die Chance (professioneller) Verunsicherungen

Zeiten der Verunsicherung sind aber nicht an und für sich schlecht. Sie bergen die Chance, die angeeigneten Lebensmuster auf den Prüfstand zu stellen und auf die tiefere Lebensmelodie hin abzusuchen, die in ihnen enthalten ist. Gerade in der Anfangsphase des Ordenslebens geht es darum, nicht im Alltäglichen zu versinken, sondern Ausschau zu halten, was die Einzelne in ihrem Leben und in dieser konkreten Gemeinschaft leben will: Das kann freilich nicht jenseits des alltäglichen Spannungsfeldes von Contemplatio, Compassio und Communio, also den Grundmomenten von Ordensleben und deren Konkretionen in der jeweiligen Ordensgemeinschaft, erfolgen, sondern nur in ihm. Was lebt die Gemeinschaft faktisch und nicht nur idealiter? Kann dies ein Raum sein, in dem die eigene Lebendigkeit wächst?

Für die Einzelne können diese Suchprozesse wirkliche Menschwerdungsprozesse werden. Der Lebenssinn kann sich tiefen und Gott kann in diesen Zeiten nochmals mehr als Gott mitten in den eigenen Lebensvollzügen erfahren werden. Die professionell ausgelösten Verunsicherungen sind Möglichkeiten, das Leben noch mehr auf seinen Grund hin zu befragen und Gott noch intensiver als Gott allen Lebens zu begreifen. Das braucht freilich Räume und Zeiten, Wachstumsprozesse zuzulassen und zu fördern.

Wenn Häuser zu unverrückbaren Burgen werden

Diese auf die Einzelnen konzentrierten Analysen sollen nun systemisch weitergedacht werden. Das heißt, dass das Augenmerk darauf liegt, was die Gruppe der Anfängerinnen für die Ordensgemeinschaften qua Gemeinschaften einbringen, und was die Siedlerinnen und Sucherinnen im Ordensleben an Impulsen für die Kirche zu geben vermögen.

Was professionelle seekers für die Ordensgemeinschaften bedeuten

So sehr sich Ordensgemeinschaften freuen, wenn jüngere Frauen eintreten, so kommt es nicht selten, bald nachdem die jüngeren Frauen dazu gekommen sind, zu Irritationen. Neue Mitglieder sind nämlich nicht einfach so wie die Bilder, die in den Köpfen älterer Mitglieder von ihnen bestehen. Meist stellt sich ziemlich schnell die Frage, ob die einzelne Gemeinschaft es zulassen kann, dass es da Leute gibt – noch dazu welche, die gerade erst am Anfang stehen –, die ihr professionelles, also qua Eintritt erforderliches Ausschauhalten in die Gemeinschaft einbringen. Es kann auch bedrohlich wirken, dass jüngere Frauen nicht in bisher angestammten Arbeitsfeldern und auch nicht in eigenen Einrichtungen tätig sein wollen; oder dass andere Formen des Gebets geschätzt werden und freie Zeiten sowie Freizeitbeschäftigungen von den Ankommenden ganz anders gelebt werden als dies dem Stil der 60- und 70-Jährigen entspricht.

Obwohl es eher Relikte aus der Vergangenheit zu sein scheinen, ist es aber auch heute noch in vielen Gemeinschaften schmerzlich erlebter Alltag, dass jüngere Frauen sich überfrachtet empfinden von einem Lebensrhythmus, der nicht der ihre sein kann und auch nicht sein soll, weil er derjenige von 70- und 80-jährigen Frauen ist. Leider ist es auch heute noch so, dass Frauen Ordensgemeinschaften ganz anders kennenlernen, solange sie noch nicht selbst dazu gehören, und sich dann von der Kontrolle, dem sozialen Zwang, der de facto herrscht, ausgehebelt fühlen. Hier müssten Ordensgemeinschaften noch viel dazulernen und den Mut aufbringen, auch nach außen zu dem zu stehen, was im Inneren gelebt wird.

 

Im besten Fall könnten Ankommende ihre Visionen von einem lebendigen, gott- und menschenverbundenen Leben in die Ordensgemeinschaften einbringen, die aus den Kontexten entwickelt sind, in denen sie bislang lebten. Damit wäre automatisch das Lebensgefühl, das Menschen heute prägt, auch in den Ordensgemeinschaften explizit präsent und könnte zum Anknüpfungspunkt werden, sich mit den Lebensbedürfnissen und -erwartungen der Menschen von heute aktiv und kritisch-produktiv auseinanderzusetzen.

Manchmal aber stellt sich eher der Eindruck ein, dass die Ausschauhaltenden von den Siedlerinnen in ihrem ruhigen Trott als störend empfunden werden, so dass sie gar nicht mehr eingelassen werden. Im eingerichteten Heim ist es einfach zu gemütlich, als dass man sich nochmals aufmachen würde, Zimmer anzubauen oder sogar das jahrhundertelang geschaffene Heim zu verlassen. Wenn dies allerdings zur Dauerhaltung verkommt, wenn die Tür nicht mehr aufgemacht wird, dann braucht man sich auch nicht zu wundern, dass die Luft innen immer dicker und es aufgrund des Muffs der alten Gemäuer schließlich ganz unmöglich wird, frei und ausgiebig zu atmen.

Hier ist es lebens-notwendig, dass sich Ordensgemeinschaften auf einen ehrlichen Weg einlassen, wenn sie für heute und auch morgen Orte des lebendigen Gottsuchens und der Menschwerdung bleiben wollen. Es kann und darf nicht darum gehen, die Fragen des konkreten Lebens durch Macht zu entscheiden. Vielmehr gilt es, einen ehrlichen Prozess der Unterscheidung anzustellen, der seine Kriterien vom Evangelium bezieht: Dieses aber hebt darauf ab, je den Lebensstil zu fördern, der den Menschen hilft, tiefer aus Gott und offener für die Menschen zu leben. Insofern müssten dwellers, egal ob sie alt oder jung sind, lernen, ihre zementierten Behausungen nicht mit dem Reich Gottes zu verwechseln, genauso wie seekers anerkennen müssten, dass man nur dann Kundschaft von der Ferne bringen kann, wenn es ein Zuhause gibt.