Gehört der Islam zu Österreich

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2.
Islam und Politik
Ein schwieriger Umgang

Oliver Pink

Drei nach links unten zeigende Pfeile: Das ist das traditionelle Parteisymbol der SPÖ. Diese drei Pfeile richten sich gegen Faschismus, Kapitalismus und – Klerikalismus. Die Auseinandersetzung mit der Kirche, mit der Religion und ihren Regeln, das war lange Zeit ein Kulturkampf für die sozialdemokratische Arbeiterbewegung, vor allem in ihren Anfängen. Im „Lied der Arbeit“, der Hymne der österreichischen Sozialdemokratie, heißt es etwa: „Und wie einst Galilei rief, als rings die Welt im Irrtum schlief: Und sie bewegt sich doch!“ Schon Karl Marx, der Ahnherr der Linken, hatte zuvor postuliert, Religion sei das Opium des Volkes.

Und heute? Die Linke ist, könnte man meinen, unter die Religionsversteher gegangen. Vor allem, wenn es um den Islam geht. Hier hat sich die politische Welt überhaupt in ihr Gegenteil verkehrt: Die ÖVP, jene Partei, die seit jeher am meisten für Religion übrighat, ist diesbezüglich nun überaus kritisch. Die FPÖ, von ihrer Historie her antiklerikal, hat wegen des Islams das Christentum für sich entdeckt. Zugespitzt unter anderem im polemischen Kampagnenslogan „Pummerin statt Muezzin“.

Und die Vertreter linker Parteien wiederum sind auf einmal überaus verständnisvoll. Von Kulturkampf keine Spur mehr. Muslime werden in erster Linie als Minderheit gesehen, die man vor Diskriminierung beschützen müsse. Das Tragen eines Kopftuches wird von manchem gar zum feministischen Akt umgedeutet. Denn hier gehe es doch auch um die Selbstbestimmung der Frau.

Wer auf der Linken heute von diesem Denkschema abweicht, den Islam und seine politischen Auswüchse kritisch hinterfragt – wobei die Grenze zwischen Islam und Islamismus mitunter fließend ist –, handelt sich meist Schwierigkeiten mit den eigenen Gesinnungsfreunden ein. Wie etwa Efgani Dönmez und Peter Pilz, beides ehemalige Grüne. Der der Sozialdemokratie nahestehende Soziologe und Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier brachte das am 30. Juni 2017 in einem Tweet auf den Punkt: „Wenn man das Christentum ablehnt, ist man Atheist, wenn man den Islam ablehnt, Rassist. Österreich im 21. Jahrhundert.“

„Der Ton macht die Musik“, meint Omar Al-Rawi, Gemeinderat der SPÖ in Wien, über die Islamkritiker. Man könne etwa sagen, Kindergärten, die die entsprechenden Qualitätskriterien nicht erfüllen, sollten geschlossen werden. Oder man könne sagen, alle islamischen Kindergärten sollten geschlossen werden. Wieso er als gläubiger Muslim ausgerechnet der traditionell antiklerikalen SPÖ beigetreten sei? „Mich hat Bruno Kreisky geprägt, die soziale Frage hat mich interessiert – ich wollte mich um den kleinen Mann kümmern – und wegen der Anti-Diskriminierungslinie der SPÖ.“ Der Sohn eines irakischen Anwalts und einer österreichischen Ärztin, der mit 17 Jahren nach Wien kam, ist heute Betriebsratsvorsitzender des Baukonzerns Strabag.

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann hält es für möglich, dass die neue Toleranz der Linken gegenüber religiösen Phänomenen auch mit einer uneingestandenen Sehnsucht nach einer solchen Gesellschaft mit klaren Regeln und Rollenbildern zu tun haben könnte. Zudem eignen sich Muslime auch als (linke) Projektionsfläche für Anti-Rassismus, Anti-Kolonialismus und Anti-Kapitalismus. Denn der (politische) Islam ist auch eine soziale Bewegung. Vom „Wohlfahrtsausschuss“ der Französischen Revolution zur „Wohlfahrtspartei“ des Necmettin Erbakan, aus der dann auch Recep Tayyip Erdogans AKP hervorging, sozusagen.

Genau darin, in der Gegenbewegung zu den zuvor herrschenden säkularen, aber korrupten und undemokratischen Eliten in den islamischen Ländern, sieht Omar Al-Rawi die Ursache für die heutige Wirkmächtigkeit der Religion unter Muslimen. Die Zunahme der Kopftuchträgerinnen im öffentlichen Raum erklärt er damit, dass die Anzahl der Muslime in Österreich eben zugenommen habe. Dass viele Zuwanderer oder Asylwerber aus Gesellschaften kommen, die keine Demokratie kennen, und dass es etwa auch an Sensibilität beim Thema Antisemitismus mangle, sei natürlich ein Problem, räumt Al-Rawi ein. „Aber Demokratie muss man auch lernen.“ Er selbst habe das in der Hochschülerschaft oder als Betriebsrat getan. Prinzipiell hält er Islam und Demokratie aber für vereinbar.

„Also mit dem salafistisch-wahhabitischen Islam ist die Demokratie natürlich nicht vereinbar. Das ist eine Kampfansage“, sagt Efgani Dönmez, der frühere Bundesrat der Grünen, der mittlerweile als Quereinsteiger zur ÖVP von Sebastian Kurz gewechselt ist. Und solche Strömungen gebe es mittlerweile auch bei uns. Im Frühjahr 2017 wurde ein mutmaßlicher Salafist aus der SPÖ geworfen. Und wie ist das mit islamistischen Strömungen wie jener der türkischen AKP? Dönmez hält diese nicht für so gefährlich. „Aber sie haben ihre Agenda: den öffentlichen Raum mit Religiosität zu prägen.“ Siehe die Zunahme der Kopftücher.

Spannung zwischen Staat und Religion

Die Auseinandersetzung mit Recep Tayyip Erdogans Türkei hat in den vergangenen Monaten auch die österreichische Politik maßgeblich beschäftigt. Und die Entwicklung der AKP ist symptomatisch für die zunehmende Radikalisierung im Spannungsverhältnis zwischen Staat und Religion. Am Anfang stand die schiitische Revolution im Iran 1979: Die sunnitischen Türken empfanden diese als Bedrohung. Sie fürchteten eine Ausbreitung und versuchten den nun offensichtlich zunehmenden Islamismus einzuhegen. Dies geschah zum einen durch Repression durch das Militär und die mit ihm verbundene laizistische Staatsführung. Zum anderen durch die Entstehung eines „islamischen Liberalismus“, wie der Soziologe Cihan Tugal, Autor des Buches „Das Scheitern des türkischen Modells“, das nennt.

Aus der „Wohlfahrtspartei“ Necmettin Erbakans, die in den frühen Achtzigern gegründet worden war, ging um die Jahrtausendwende eine Reformbewegung junger muslimischer Politiker hervor, die eine Verbindung aus Demokratie, freier Marktwirtschaft und moderatem konservativem Islam anstrebte – die AKP. Als Vorbild dienten unter anderem auch die USA, wo wirtschaftlicher Erfolg und Religiosität kein Widerspruch sind. In den Medien war damals auch die Rede von einer „türkischen CSU“, wenn es um Recep Tayyip Erdogans AKP in den ersten Jahren ihres Aufstiegs ging.

Und die AKP sorgte tatsächlich für Wirtschaftswachstum, ja sogar für ein Wirtschaftswunder, an dem nun breitere Bevölkerungsschichten partizipieren konnten. Gesellschaftspolitisch begann sich die Partei jedoch zusehends zu verhärten. Zum einen verlor sie das Vertrauen zum Westen, von dem sie glaubte, dass er etwa im Kurdenkonflikt zu einseitig, nämlich pro-kurdisch sei. Zum anderen standen Erdogan und seine Leute den zunehmenden Protesten gegen die AKP-Regierung, die in den Demonstrationen gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks einen ersten Höhepunkt fand, völlig verständnislos gegenüber. Sie betrachteten die Gezi-Bewegung als (linke) Gefahr, die man zum Wohle des Staates eindämmen müsse. Die Macht der linksgerichteten Gewerkschaften hatte die AKP schon in ihren Anfangszeiten gebrochen.

Was bedeutet das nun für Österreich? Wichtig sei es, diesen ausländischen Einfluss – ob durch ATIB (der österreichische Arm der türkischen Religionsbehörde Diyanet), Millî Görüs (eine türkisch-islamistische Bewegung) oder die Muslimbruderschaft – zurückzudrängen, meint Efgani Dönmez. „Das sind lauter Reaktionäre, die die Uhren zurückdrehen, den Islam nicht vorwärtsentwickeln, sondern Freiheiten demontieren wollen.“

Auch Asdin El Habbassi, den muslimischen Nationalratsabgeordneten der ÖVP, stört, dass die politische Führung der Türkei ständig versuche, Kritik an der Türkei mit Kritik an der muslimischen Welt insgesamt gleichzusetzen. Grundsätzlich hält er – wenn man von radikalen Strömungen absieht – den Islam mit der Demokratie für vereinbar: „FDP-Chef Christian Lindner hat einmal gesagt: ,Die Verfassung eines Landes ist heilig – egal an was man glaubt.‘“ Wichtig sei auch für ihn die Trennung von Staat und Religion.

El Habbassi ist Sohn eines gebürtigen Marokkaners und einer Salzburgerin. Diskriminierung habe er selbst nie erlebt, sagt der Betriebswirt und stellvertretende JVP-Chef. „Aber die Einstellung gegenüber der muslimischen Bevölkerung hat sich in den vergangenen Jahren schon verschlechtert.“ Die Zunahme der Kopftücher im öffentlichen Raum sieht er gelassen: „Ich halte Freiheit und Selbstbestimmung für sehr wichtig. Wenn kein Zwang dahintersteht und nicht in die Freiheit anderer eingegriffen wird, soll in einer freien Gesellschaft jeder tragen dürfen, was er möchte.“ Und was hat ihn, den gläubigen Muslim, in die christlich geprägte, katholisch dominierte ÖVP geführt? „Das politische Programm. Ich teile die christlich-sozialen Werte wie Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung.“

Der Islam ist in Österreich seit 1912 als Religionsgemeinschaft anerkannt. Der Grund dafür war die Annexion Bosnien-Herzegowinas im Jahre 1908. Das Gebiet wurde aus dem zusehends geschwächten Osmanischen Reich herausgelöst, das zuvor Jahrhunderte über den Balkan geherrscht hatte. Mit ihm gab es immer wieder Berührungspunkte und Konfliktfelder. Beide Reiche, das der Habsburger und das der Osmanen, grenzten aneinander, der Gebietsgewinn des einen war der Gebietsverlust des anderen. Im kollektiven historischen Bewusstsein Österreichs sind die beiden Türkenbelagerungen noch immer fest verankert. 1529 und 1683 wollten die Osmanen Wien erobern, konnten die Stadt jedoch letztlich nicht einnehmen. Im Ersten Weltkrieg waren Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich dann Verbündete. Danach gingen beide Reiche unter.

Das Thema lange der FPÖ überlassen

Mit dem Islam mussten sich die Österreicher erst wieder auseinandersetzen, als in Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg türkische Gastarbeiter, vorzugsweise aus Anatolien, nach Österreich kamen. Die zweite große islamische Zuwanderungsgruppe waren Muslime aus Bosnien-Herzegowina, die ebenfalls als Gastarbeiter, später dann als Flüchtlinge der Zerfallskriege im früheren Jugoslawien nach Österreich gekommen waren. Vor allem die FPÖ machte die Zuwanderung in den 1990er-Jahren zum großen Thema. Später versuchte die Freiheitliche Partei zu trennen: in die „anpassungsfähigen“ Zuwanderer, also die christlich Geprägten aus Südost- und Osteuropa, und in die „schwer integrierbaren“ muslimischen Zuwanderer, vor allem jene aus der Türkei. Es gäbe kein Ausländerproblem, es gebe ein Türkenproblem, hieß es dann.

 

Das Thema Zuwanderung und Integration wurde lange der FPÖ allein überlassen. SPÖ und ÖVP erkannten recht spät, dass sie sich dessen auch annehmen sollten. „Offenbar hat die Integration nicht so gut funktioniert, wie man es lang erhofft hat“, sagte Christian Kern, nachdem er Bundeskanzler geworden war, in einem „Presse“-Interview. „Da müssen wir heute feststellen, dass es da tatsächlich zu Parallelwelten gekommen ist.“ Parteifreund Omar Al-Rawi will nur bedingt von Parallelgesellschaften sprechen und sieht dahinter auch Community Building. „In Favoriten haben sie Leben in die Stadt zurückgebracht.“ Viele neue Lokale seien entstanden, in der Anmutung auch modernere als früher. Und die Wiener Märkte seien ohne Zuwanderer ohnehin nicht vorstellbar.

Der Umgang mit dem Islam ist dennoch ein schwieriger. Das Christentum ist heute politisch mehr oder weniger domestiziert, doch im Islam gibt es Richtungen, die das religiöse Gesetz über das weltliche stellen. Der säkulare Staat Österreich versucht hier einen Mittelweg. Auch weil die Erfahrungen aus explizit laizistischen Ländern wie Frankreich oder früher der Türkei zeigen, dass etwa ein Kopftuchverbot in Schulen oder Universitäten zu noch mehr Religiosität führen kann. So verbietet Österreich nur die Vollverschleierung im öffentlichen Raum und Kopftücher nur bei Berufen, die strikte Neutralität voraussetzen.

Im neuen Islamgesetz ist zum Beispiel das Recht der Muslime auf religiöse Betreuung, beim Bundesheer, in Haftanstalten oder Krankenhäusern, festgeschrieben. Auch islamische Speisevorschriften werden anerkannt. Dafür dürfen Imame und Interessenvertretungen der Muslime nicht mehr vom Ausland finanziert werden. Das ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil etwa die IGGiÖ heute als von der türkischen AKP nahestehenden Organisationen unterwandert gilt.

Immerhin, attestiert Efgani Dönmez, habe bei den österreichischen Parteien mittlerweile ein „Erwachen“ eingesetzt. Zuvor seien die reaktionären Islam-Vertreter unter dem Deckmantel von Antirassismus und interreligiösem Dialog hofiert wurden. Natürlich auch, um Stimmen zu gewinnen. Denn habe man den Chef einer dieser straff organisierten Gruppen auf seiner Seite, dann habe man auch den Großteil der Gruppe selbst. Geschehen sei dies vor allem über die Wirtschaftsflügel von SPÖ und ÖVP. „Aber da gibt es nun ein Umdenken.“ Nicht zuletzt auch bei der SPÖ.

3.
Islam und katholische Kirche
Mehr Neben- als Miteinander

Dietmar Neuwirth

Die Personen und die Handlung sind nicht frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder Personen wären nicht rein zufällig. Also: Es war einmal eine katholische Pfarre, die ihre Türen weit aufgemacht hat. Viele Mitglieder, vom örtlichen Priester wurden bei Weitem nicht alle regelmäßig in der Kirche bei der Messe gesehen, haben aber nicht wenigen muslimischen Flüchtlingen unter nicht wenigen Anstrengungen zunächst ein Dach über dem Kopf, ein Bett, dann auch Verköstigung und andere Hilfestellungen geboten, um ein Leben unter den Rahmenbedingungen der Flucht möglichst erträglich zu gestalten.

Als besonders engagiert haben sich dabei Jugendliche erwiesen, im üblicherweise eher schwierigen Alter so um die 14 Jahre. Sie haben schon am Morgen, noch vor dem Gang in die Schule, „ihre“ Flüchtlinge besucht, Gebäck mitgebracht und ihnen beim Zubereiten des Frühstücks geholfen. Die Jungen waren das, was man wohl hoch motiviert nennen darf. Und nach der Schule führte ihr Weg oft nicht gleich nach Hause zum Mittagessen, Fernsehen oder zu You Tube, sondern wieder zu den Gästen von weit her, zum Fußballspielen, Plaudern oder, wie man altersgerecht sagen würde, Chillen. So sind rasch gute Bekanntschaften entstanden, aus Flüchtlingen wurden schließlich Freunde, zumindest scheinbar.

Dann kam er schließlich doch, der zwar lang verdrängte, aber doch zu erwarten gewesene Tag des Abschieds. Den Flüchtlingen wurde von Behörden und Hilfsorganisationen anderswo ein Quartier zugewiesen, sie mussten weiterziehen. Als die Österreicher, wie das eben üblich und durchaus naheliegend ist, die Smartphones in die Hand nahmen, um Telefonnummern mit ihren neuen, ungefähr gleichaltrigen muslimischen Freunden auszutauschen, reagierten die plötzlich ganz anders, als zu erwarten war – irgendwie verstört und distanziert. Warum nur? Ihre Entschuldigung, die sie für die staunenden katholischen Österreicher parat hatten: „Wir dürfen mit Christen nicht befreundet sein, nur mit Muslimen.“

Diese Geschichte hat sich in Österreich tatsächlich ereignet. Der Ort tut nichts zur Sache. Sehr wohl etwas zur Sache tut hingegen die Erkenntnis, die daraus gewonnen werden kann: Der Islam, wie er zumindest außerhalb Europas offenbar breitflächig verstanden, gelehrt und gelebt wird, hat noch großen Nachholbedarf, was die Implementierung in eine säkulare, pluralistische Gesellschaft betrifft. Darin kommt nun dieser Religionsgemeinschaft kein Alleinstellungsmerkmal zu. Denn auch die katholische Kirche hatte jahrzehntelang ihre Probleme mit einer Anpassung an eine sich grundlegend verändernde Gesellschaft – und hat sie im Grunde noch heute dann und wann. Auch das Verständnis von Religionsfreiheit und die Akzeptanz, dass es Heil auch außerhalb der katholischen Kirche gibt, musste in einem schwierigen Prozess reifen. Selbst hohe und höchste katholische Würdenträger sind gelegentlich auch heute noch nicht davor gefeit, zu Missverständnissen zu provozieren.

Entrüstung über den Kardinal

Wir erinnern uns an die Wellen, die eine unglückliche Aussage Kardinal Christoph Schönborns national wie international und bis tief in die muslimische Welt geschlagen hat. Ausgerechnet jenes Schönborn, der zur Islamischen Glaubensgemeinschaft gute Kontakte pflegt, der Reisen in muslimisch geprägte Länder absolviert, mit den Sternsingern Wiens erste Moschee in Floridsdorf besucht hat und als erster Kardinal überhaupt mit den weltlichen und religiösen Spitzen der Islamischen Republik Iran zusammengetroffen ist. Eben dieser sorgte für gehörige Irritationen. Schönborn, der sich in Österreich mit Verweis auf das Recht der freien Religionsausübung trotz Gegenwinds klar für den Bau von Moscheen und Minaretten ausgesprochen hat, meinte bei der Maria-Namen-Feier an jenem 11. September 2016 wörtlich: „Heute vor 333 Jahren ist Wien gerettet worden. Wird es jetzt einen dritten Versuch einer islamischen Eroberung Europas geben? Viele Muslime denken und wünschen sich das und sagen: Dieses Europa ist am Ende.“

Nach einem Sturm der Entrüstung von islamischer Seite und vielen besorgten Anfragen im Wiener Erzbischöflichen Palais aus der halben Welt sah sich der Kardinal zu einer Klarstellung genötigt. Er habe in seiner Predigt ein glaubwürdiges, lebendiges Christentum eingemahnt, dieses brauche den Islam nicht zu fürchten. Und, so Schönborn weiter: Dass der Islam als Religion immer mehr Einfluss in Österreich gewinne, bereite vielen Menschen Sorge. Aber, wie er sich hinzuzufügen beeilte, das sei eben nicht als ein Vorwurf an Muslime zu verstehen, sondern als eine ernste Anfrage an Österreich.

Die österreichischen Bischöfe haben mittlerweile, von der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbemerkt, zuletzt auch insgesamt eine interessante Korrektur vorgenommen. Man soll derartige strukturelle Dinge nicht überbewerten, aber ein bemerkenswertes Faktum ist es schon, dass die Österreichische Bischofskonferenz eine „Kommission Weltreligionen“ gegründet hat. Vor allem dann, wenn man weiß, dass es gar noch nicht so lange her ist, dass die Kontaktstelle für Weltreligionen der Bischofskonferenz aus Kostengründen eingestellt wurde. Bischof Werner Freistetter – Chef von Österreichs zehnter Diözese, jener für das Bundesheer nämlich, und im Episkopat referatsmäßig für den Dialog mit den Weltreligionen zuständig – wurde mit der Leitung der neuen Kommission beauftragt. Sie setzt sich aus den in den einzelnen Diözesen dafür abgestellten Spezialisten und aus anderen Experten zusammen. Dabei sollen an der Basis gemachte Erfahrungen auf der Österreich-Ebene ausgetauscht, überregionale Initiativen gefördert und, nicht zu vergessen, Rückmeldungen über Erfolge und Probleme an die Bischöfe gegeben werden, die dadurch eine zusätzliche Sensibilisierung für das Thema erfahren. Durch die Etablierung dieser neuen Kommission sind zwar im Dialog zwischen Christen und Muslimen jetzt auch keine Wunder zu erwarten, sie zeugt aber wenigstens von einem Bewusstseinswandel in der katholischen Hierarchie.

Einer, der diesen Dialog seit mehr als zehn Jahren in Österreich wohl am intensivsten pflegt, ist der Wiener Martin Rupprecht. Er ist – angesichts der nationalen Verteilung der Muslime in Österreich durchaus hilfreich –, der türkischen Sprache mächtig, katholischer Pfarrer im 15. Wiener Bezirk und nach vieljähriger Tätigkeit als Islambeauftragter der Erzdiözese Wien nun offiziell persönlicher Islamberater Kardinal Schönborns. Er erinnert sich: „Als wir im Jahr 2001 im Vikariatsausschuss Weltreligionen über Möglichkeiten des Dialoges nachdachten, da stellten wir fest, dass uns deutsch sprechende, theologisch kompetente Ansprechpartner in Wien fehlen. 15 Jahre später hat sich das komplett gewandelt. Es ist also ein großer Reifeprozess im Gange. Es gibt einen unglaublichen Lernprozess auch in der Community.“

Aber Rupprecht sieht und benennt gleichzeitig auch Schwächen, indem er an die Community appelliert: „Eine echte Suche nach den Ursachen des Islamismus ist unbedingt erforderlich. Man muss sich fragen: Wo sind die Wurzeln, was hat sich in der Theologie zu ändern, um nicht zu diesen faulen Früchten zu kommen. Wenn immer gegen Ungläubige gehetzt wird, dann gehören auch die faulen Früchte zu mir.“ Er verweist selbstkritisch auf die Geschichte der katholischen Kirche, die 1.800 Jahre gebraucht habe, eine positive Linie zum Judentum zu finden. Rupprecht: „Sie hat sich jahrhundertelang antisemitisch geäußert, da war es logisch, dass es grausame Folgen gibt.“ Da Christen wie Muslime, sinnbildlich wie höchst real, im selben Haus lebten, gebe es auch nur eine gemeinsame Zukunft. Der Islamexperte schlussfolgert daraus: „Da braucht es die Ehrlichkeit in dieser Suche und nicht automatisch die Abwehr und das Einnehmen der Opferrolle. Damit tut sich die islamische Community noch schwer.“ Die Rede über Islamophobie halte er in diesem Zusammenhang für alles andere als hilfreich.

Muslime in einer säkularen Welt

Gehört der Islam also nun zu Österreich? Rupprechts Antwort: „Ja, wenn 600.000 oder 700.000 Muslime in Österreich leben und hier ihre Religion in Ruhe ausüben wollen, dann gilt das genauso wie für die Beantwortung der Frage, ob die Sikhs zu Österreich gehören.“ Andere Theologen wiederum sehen diese Frage an sich falsch gestellt. Österreich verfüge zweifellos über eine seit Jahrhunderten gebildete starke christliche Prägung, habe aber keine Staatsreligion, sondern ein kooperatives Verhältnis zu allen Religionsgemeinschaften. Selbstverständlich gehörten daher alle hier lebenden Menschen zu Österreich, völlig unabhängig davon, woran sie glauben – oder auch nicht glauben.

Völlig unabhängig davon bleibt die Grundfrage, die sich besonders für den Islam stellt: Wie nun als Gläubiger in einer multikulturellen, pluralistischen, säkularen Welt leben? Für die Mehrheit der Muslime stellt das ganz offensichtlich kein großes Problem dar. Dennoch: Studien, die dann und wann erscheinen, alarmieren. Als Beispiel sei die Studie „Muslimische Milieus in Österreich“ des Instituts für Islamische Studien der Universität Wien unter Leitung von Ednan Aslan aus dem Jahr 2017 genannt, wonach jeder dritte nicht in einem Moscheeverein organisierte Muslim über – laut den Autoren – „hoch fundamentalistische“ Einstellungen verfüge. Das legt den Verdacht nahe, dass da noch einiges zu tun bleibt, theologisch zu reflektieren, danach Seelsorger entsprechend auszubilden und schließlich in die Praxis umzusetzen.

Seit Beginn des Studienjahres 2017 bietet die Universität Wien nach längeren Vorbereitungen und unter Auswertung der wenigen diesbezüglichen europäischen Modelle das Fach Islamisch-Theologische Studien an, das mit dem Bachelor abgeschlossen werden kann. Auch die zu Beginn 2017 eingerichtete Professur für klassische und moderne Koranexegese ist dem Bemühen geschuldet, als Universität – bei Respektierung der Grenzen zwischen Staat und einer Religionsgemeinschaft – für die bestmögliche Heranbildung von Pädagogen zu sorgen. Und auch zur Herausbildung einer europäischen Spielart des Islam, der zum Role Model oder Motor für die gesamte islamische Welt werden könnte. Auch hinsichtlich des Dialogs der katholischen Kirche mit dem Islam gibt es einige institutionalisierte Angebote. So bieten die „Theologischen Kurse“ seit Jahren einschlägige Module an. Und in Salzburg ist der Lehrgang „Interreligiöse Spiritualität“ entstanden.

 

Das war nicht immer so. Eingeleitet hat die Wende im Verhältnis der katholischen Kirche zum Islam das Zweite Vatikanische Konzil. Knapp vor dessen Ende, nur eineinhalb Monate vor dem Abschluss dieser Versammlung, wurde 1965 die Erklärung „Nostra aetate: Über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ mit 2.221 Ja- bei 88 Nein-Stimmen angenommen und feierlich verkündet. Besondere Bedeutung erhielt dieser vergleichsweise kurze, in fünf Kapiteln gegliederte Text (zunächst) wegen seiner klaren Absage an jede Form von Antisemitismus und seiner völligen Neudefinition des Verhältnisses der katholischen Kirche zum Judentum, die Papst Johannes XXIII., der das Konzil initiiert hatte, dessen Ende allerdings nicht mehr erlebte, ein großes Anliegen war. Gleichsam als Nebenprodukt drückten die Konzilsväter auch in zwei Absätzen ihre „Hochachtung“ gegenüber den Muslimen aus. Und sie riefen dazu auf, „das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“.

Das Dokument blieb nicht ohne Folgen. Papst Johannes Paul II. hat 2001, ein halbes Jahr vor den Anschlägen auf das World Trade Center in New York, als erster Papst in der Kirchengeschichte seine langsamen Schritte in eine Moschee gesetzt. In Österreich galt Kardinal Franz König diskret im Hintergrund als Befürworter des Baus der bis heute größten Moschee Österreichs in Wien und öffentlich als Rufer in der Wüste, dass sich der Islam zu einer Herausforderung für Europa entwickeln werde. Nach-Nachfolger Christoph Schönborn ist nun genau damit konfrontiert.

Fazit der Situation in Österreich: Es ist nicht so, dass das Verhältnis zwischen Islam und Kirche nur mit einem Nebeneinanderher-Leben umschrieben werden kann. Es existiert zumindest auf der Ebene der Hierarchie gegenseitiger Respekt und das Bewusstsein, dass es ein Miteinander, das diesen Namen auch verdient, geben und dass jedenfalls ein Rückfall in ein Gegeneinander verhindert werden muss. Nüchtern betrachtet bleibt dieses Miteinander von Muslimen und Christen im Einsatz für eine Mitgestaltung der Gesellschaft im Grunde aber auch mehr als fünf Jahrzehnte nach dem bahnbrechenden Dokument über das Verhältnis von Katholiken zu Muslimen ein Desiderat. Oder, knapper ausgedrückt: Es gibt noch Luft nach oben.

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