Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie

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2. Die Dadaistische Revolte und »der Kampf um das eigene Erleben«

»Ideal, Ideal, Ideal, Erkenntnis, Erkenntnis, Erkenntnis, Bumbum, bumbum, bumbum.«

(Tristan Tzara)

Gegen das expressionistische Pathos vom neuen Menschen und der neuen Zeit trat mitten in Elend, Hunger, Revolutionsunruhen und konterrevolutionärem Terror zwischen 1918 und 1920 die europäisch zusammengesetzte Künstlergruppe »Dada Berlin«7 auf. Selbst aus der expressionistischen Bewegung kommend, erlebten die jungen Rebellen die nun spätexpressionistische messianische Utopie einer neuen Menschheit und den Glauben an die wirklichkeitsverändernde Kraft der Kunst und des Dichterwortes als absurd. Die Expressionisten standen für die Dadaisten nun im bürgerlichen Lager. Im Unterschied zum hohen Pathos, mit dem die Spätexpressionisten ihre Läuterungsbotschaft an die Menschen und die Gesellschaft richteten, zeigte sich bei den Dadaisten ein »im Wesen grundverschiedenes Weltgefühl, das von Enttäuschung, Bitterkeit, Zerstörungslust und fast nihilistischer Respektlosigkeit durchtränkt war« (Schuhmann Hg. 1991, 146). Sie wollten das Ende aller Kultur zynisch zur Schau stellen. Huelsenbeck betitelte eines seiner Bücher »Deutschland muss untergehen!« und schrieb: »Alles soll leben – aber eins muss aufhören – der Bürger, der Dicksack, der Freßsack, das Mastschwein der Geistigkeit, der Türhüter der Jämmerlichkeit.« (in Riha 1977, 14) Die Dadaisten rannten gegen die expressionistische Kunst an, die sich ihnen, inmitten all der hässlichen bürgerlich-kapitalistischen Wirklichkeit der gerade geborenen Weimarer Republik, als Ersatzreligion und Beschönigungsmittel der gesellschaftlichen Zustände darstellte. Hausmann schrieb in »Der deutsche Spießer ärgert sich« gegen das expressionistische Unbestimmte und »allgemeine Weltgedusel« des schreibenden oder malenden Spießers und den schönen Schein an. Es klingt bitter und verzweifelt und nach der Kraft und dem Willen der Realität ins Auge zu sehen, wenn es bei ihm heißt: »Und nun erhebt uns nichts mehr, nichts mehr!« (ebd., 67)

Im harten Berliner Klima, in dem sich der pazifistische Dadaismus aus der Züricher Emigration rasch politisch radikalisierte, wurde entsprechend aus dem »schöpferischen Willen« Friedlaenders der »aggressive Wille Dada Berlins« (Bergius 1993, 237), die Widersprüche zu bejahen, aufzudecken und aufeinanderprallen zu lassen. Dada Berlin verspottete und persiflierte die alten wie die neuen gesellschaftlichen Institutionen und die bürgerlichen Spießer, die sie trugen. Die Errichtung der Weimarer Republik war für sie, spätestens nach der brutalen Unterdrückung der revolutionären Massenaufstände durch reaktionäre nationalistische Truppen im Dienste der sozialdemokratischen Regierung, lediglich die Wiederkehr der alten Mächte im neuen Kleid. Dada Berlin parodierte selbst die Parolen der revolutionären Organisationen und gab seiner ersten Berliner Verlautbarung, mit Anspielung auf die Kommunisten, den Titel »Dadaistisches Manifest«. Bitter-groteske Dada-Revuen mit einer Vielzahl neuer künstlerischer Stilmittel (Simultangedicht, absurde Verkleidungen und Tänze mit Musik, gebrüllte Lautgedichte und Publikumsbeschimpfungen) führten zu regelmäßigen Saalschlachten zwischen aufgebrachtem Publikum und dadaistischen Performern und sorgten für Schlagzeilen und Popularität.

Mitten in dieser unruhigen und blutigen Zeit eine Großdenkerpose einzunehmen, empfanden die Dadaisten als sinnlos, sie wollten »Geistesgegenwart im Chaos«, und nahmen immer wieder Position ein gegen die Vertreter des »Kunstblödsinns, der an der Welt vorüberschaut und sie damit zu überwinden meint« (Hausmann 1982a, 115). Hanne Bergius schrieb zur Gegenwartsorientiertheit der Berliner Dadaisten:

»Das dadaistische Individuum für das die Geschichte zu einem endlosen Hier und Jetzt, zu perpetuierter Gegenwart im individualanarchistischen Selbstverständnis zusammengeschmolzen ist … ›will seiner Weltsekunde voll Mut gegenüberstehen‹ (Hausmann), glaubt sich als ›Gott des Augenblicks‹ (Hausmann).« (Bergius 1977, 43)

Dada sagte Ja zur konkret erlebten Wirklichkeit, »um allem, was bloß ›schönes Denken‹ ist, ins Gesicht schlagen zu können« (Sloterdijk 1983b, 713). Perls hat dieses »bloß schöne Denken« später provokant »mind fucking« genannt.

Richard Huelsenbeck, der als eine der dadaistischen Zentralfiguren den Begriff Dada aus dem Züricher Exil nach Berlin brachte, war Perls spätestens Anfang der Zwanziger-Jahre bekannt, da sich ihre Interessen im Bereich Psychoanalyse und Kunst überschnitten (vgl. L. Perls in Sreckovic 1999, 28; Peters 1992, 282). Huelsenbeck, der ebenfalls Mynonas Gedanken der schöpferischen Indifferenz aufnahm, war ein Jahr jünger als Perls, schloss sein Medizinstudium 1922 in Berlin ab und arbeitete einige Zeit bei Bonhoeffer in der Charité. Er war Maler und Schriftsteller, hatte Umgang mit Karen Horney, die eine Förderin von Perls wurde, und belegte in den Zwanziger-Jahren einige Kurse am Berliner Psychoanalytischen Institut (vgl. Peters 1992, 279 f.).

Mit Friedlaender/Mynona und Huelsenbeck sind zwei persönliche Kontakte von Perls angesprochen, die darauf hinweisen, dass er sich in diesen Jahren im Umfeld der radikalsten Kräfte der Kunst-Avantgarde aufhielt, die sich in der Regel nie nur als Künstler, sondern immer auch als Lebenskünstler verstanden. Huelsenbeck hat mehrfach betont, dass Dada sich für seine Aktivitäten das kulturelle Gebiet gewählt hat, aber im Kern »eine emotionale Revolution war, deren Sinn in jedes Gebiet, Kunst, Kultur, Religion und menschliche Beziehungen projiziert werden konnte« (Huelsenbeck 1992, 109). Wenn er Verzweiflung, Zynismus und Aggression als für Dada charakteristisch benennt und von einer »Revolte der von vielen Seiten bedrängten Persönlichkeit« (ebd., 79) spricht, so trifft er hiermit auch Perls’ Gefühlslage nach dem Ersten Weltkrieg. Huelsenbeck hat dem Dadaismus eine existenzielle Deutung gegeben (vgl. ebd., 79), er war für ihn eine »Philosophie, die über die Kunst in das Leben selbst hinausschritt« (ebd. 95). Die Sehnsucht des modernen Menschen nach sich selbst, ob nun romantisch, expressionistisch, existenzialistisch oder eben dadaistisch gekleidet, tauchte in sich ähnelnden Kurzformeln immer wieder auf. Der Romantiker Schlegel forderte: »Werde, der du bist!« Und bei Johannes Baader hieß es dann: »Drum werde, was du bist, Dadaist.« (Baader in Bergius 1993, 19). Auch Raoul Hausmann beschrieb Dada als einen »Lebenszustand, mehr eine Form der inneren Beweglichkeit als eine Kunstrichtung« (Hausmann 1982a, 95). In diesem Sinn war Perls für mich Dadaist, hat Dada auf sein Gebiet »projiziert«, wie Huelsenbeck das nannte, und ist mit seiner Form der Gestalttherapie genau in dessen Sinne über die medizinische Behandlung »in das Leben selbst« hinausgetreten.

Perls’ Denken war durchdrungen von den Ereignissen und Themen seiner Zeit, und die ihn wie einen Teil seiner Generation bedrängenden Themen tauchten immer wieder in einem anderen theoretischen Gewand und Kontext auf, präzisierten sich und entwickelten sich weiter. Was sich in diesen ersten Nachkriegsjahren in ihm festgesetzt hat, ist nach meiner Vermutung das, was Sloterdijk den »kynischen Impuls« nannte. Perls war eine Art Kyniker, so wie Diogenes von Sinope und nach ihm Lukian von Samosata, den Sloterdijk im Kontext des imperialen Staatsapparates des römischen Kaiserreiches als einen Hippie und Führer einer Aussteigerbewegung ansieht. Der kynische Skandal war, dass die niedergedrückte Sinnlichkeit auf den öffentlichen Markt getragen wurde. Gegen die platonische Ideenlehre stand der Furz, gegen den feinsinnigen Eros die öffentliche Masturbation. Der Neokynismus des Dada griff »die Abspaltung und Diffamierung des Sinnlichen« (Sloterdijk 1983, 216) an und bemühte sich in der Tradition einer »grobianischen Aufklärung« (ebd., 205) darum, »aggressiv und frei (›schamlos‹) … die Wahrheit zu sagen« (ebd. 206). Im Aussprechen der Wahrheit (oder besser dessen, was der eigene Wahrnehmungsapparat als Wahrheit gerade anbietet), auch gegen die Großen, die Eltern, die Mehrheitsmeinung, die kulturelle Norm etc., liegt ein aggressives, besser produktiv-aggressives Moment. Bei der gemeinsamen Konzeption der Gestalttherapie, zusammen mit Paul Goodman, den man in diesem Zusammenhang durchaus als einen amerikanischen Kyniker bezeichnen kann, fand dann auch Aggressivität als konstruktive Kraft einen zentralen Platz.

Es geht hier um eine weit zurückreichende, selbstkritische Linie innerhalb der Aufklärung, die mit dem Schlachtruf »Natur!« bis heute gegen eine Aufklärung aufbegehrt, die sich auf das Rationale, auf die instrumentelle Vernunft im Sinne von Adorno und Habermas reduziert. Gegen das sich im schönen Reden und Schreiben erschöpfende sogenannte Geistige will diese sinnliche Aufklärung Geist und Körper wieder in einen innerlichen Bezug und in tätigen und gestaltenden Kontakt mit der Umwelt bringen. Mit diesen Bezügen will ich Perls nicht idealisieren oder ihm höhere Weihen geben. Ich halte aber eine Sichtweise, die ein Individuum aus seiner historischen Zeit und seinem konkreten Lebens- und Erfahrungsraum nimmt und lediglich eine individuelle Pathologie oder einen genialischen Zug sieht, für zu eingeschränkt und unfruchtbar. Der im hier angesprochenen Sinn rebellische Kern des Gestaltansatzes transportiert gelebte Kritik an den jeweils vorgefundenen und an den als gespalten erlebten Lebensweisen.

Beispiele für neo-kynische oder neo-dadaistische Aktionen von Fritz Perls finde ich in dem Buch von Gaines (1979). Joe Wysong erinnert sich dort an einen Kongress, auf dem Perls gebeten wurde, eine Erklärung zu geben, was denn Existenzielle Psychotherapie sei. Er tat dies anscheinend mittels eines Gedichtes:

»I’m not a lady performing her farts,

I’m a scoundrel, a lover of arts,

 

I am who I am,

I screw when I can.

I’m Popeye the Sailor Man.« (Perls in Gaines ebd., 331)

Es wird von einer Konferenz mit einem Auditorium von über tausend Personen berichtet, wo Perls zusammen mit namhaften Psychiatern an einer Podiumsdiskussion teilnahm und dort demonstrativ einschlief (vgl. ebd., 173). Auf einer Tagung im Esalen Institut, die sich dem existenziellen Thema ›Sein‹ widmete, kroch er plötzlich auf dem Bauch über den Boden und entlockte dem ebenfalls anwesenden Abraham Maslow die durchaus nachvollziehbare Reaktion und Formulierung: »This begins to look like sickness.« (ebd., 153)

Zu den Hochzeiten der Popularität von Esalen wurde der gesamte Lehrer-Staff zu einer Hollywood-Party eingeladen, auf der zahlreiche bekannte Filmschauspieler anwesend waren. Perls »was playing havoc with Hollywood that night, and enjoying it because he did love films and he knew very well what he was doing.« (ebd., 201) Oskar Werner, Natalie Wood und andere Schauspieler bekamen Sätze zu hören wie: »You are a spoiled brat who thinks about nothing but herself« (ebd. 201), und verließen entsprechend gekränkt und empört den Swimmingpool, an dem Perls auf dieser Party seinen informellen Gestalt-Workshop abhielt. Da, wo er den Eindruck hatte, dass lediglich schönes Denken oder schöner Schein dominierten, fühlte er sich immer wieder zu direkten Aktionen provoziert und hat den kynischen, den dadaistischen Gegenpol verkörpert, für den er selbst oft das Bild des Mephisto aus Goethes Faust benutzte.

Für mich ist die Erinnerung von Jack Rosenberg als einen »established professor« (ebd., 173), der an den Esalen-Workshops von Perls teilnahm, ein gutes Beispiel für das, worum es Perls in seiner damaligen Arbeit ging. Rosenberg bekam durch die Arbeit mit Perls den Mut zu küssen und zu tanzen: »Man, it was like I had permission to be alive because he was alive!« (ebd.)

Perls war ein kluger, belesener und gebildeter deutscher Jude, der da den vernünftigen und rationalen Pol angriff, wo ihm das Zusammenspiel von Vernunft und Sinnlichkeit unter die lähmende Herrschaft der Rationalität zu geraten schien. Meine Deutung ist, dass Perls die Entstehung von sinnlicher Vernunft da provozierte, wo er instrumentelle Vernunft wahrnahm.

Kulturkritische Psychoanalyse und »Aufhebung der fremden Macht in innerste eigene Autorität«

Perls wird unweigerlich im Kontext des Mynonakreises mit den Ansichten von zwei Personen in Kontakt gekommen sein, in denen sich zentrale Positionen der damaligen Kultur-Avantgarde bündelten, die auch in der Gestalttherapie weiterleben. Dies betrifft in Bezug auf die hier behandelte Zeit in erster Linie Raoul Hausmann, »Dadasoph« und Polaritätstheoretiker, der auch eine persönliche und inhaltliche Verbindung zwischen Mynona und dem anarchistischen Psychoanalytiker Otto Gross darstellte. Dieser wiederum gab mit seiner kulturrevolutionären Anti-Introjektionstheorie der Selbst- und Welterfahrung der betroffenen sozialen Gruppe einen psychologischen Ausdruck.

Die Verbindung zwischen Friedlaender und Gross wird indirekt gewesen sein. Beide haben bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Franz Pfemferts wichtiger Avantgardezeitschrift »Die Aktion« publiziert. Die Verbindung zwischen Friedlaender und Hausmann war hingegen direkt. Hanne Bergius berichtete, dass die Berliner Dadaisten Raoul Hausmann und Johannes Baader ein »intensiveres Verhältnis« zu Friedlaender hatten und bereits 1915 mit ihm eine »vordadaistische Truppe« bildeten, die die Zeitschrift »Erde 1915« herausgeben wollte (vgl. Bergius 1993, 231). Hannah Höch, die die Geliebte des verheirateten Hausmann in diesen Jahren war, hatte eine freundschaftliche Beziehung zu Friedlaender, der ihr manchmal »um ein Viertelernst gemeinte Liebesbriefe« (Höch in Bergius 1993, 236) schrieb, während sie selber Porträtzeichnungen von Friedlaender anfertigte und Titel seiner Grotesken in ihre Collagen und Montagearbeiten einbaute (vgl. ebd.). Höch, deren wunderschöne Arbeiten im Internet angeschaut werden können, sowie Hausmann und Friedlaender haben im Februar 1921 auf einer gemeinsamen Dada-Manifestation Grotesken vorgelesen und vorgetragen (vgl. Bergius ebd., 239).

Ich gehe davon aus, dass Perls als Teil der »Mynonagemeinde« die Grundgedanken Hausmanns kannte oder Diskussionen zwischen den beiden mitbekommen hat. Hannah Höch hat ja berichtet, wie anregend sie die Diskussionen zwischen Friedlaender und Baader und Hausmann fand und Jahrzehnte später noch im Gespräch mit Hanne Bergius erwähnt, dass es Gedankengänge waren, »bei denen das Gehirn knackte« (Höch in Bergius 1993, 133).

In Hausmanns »Pamphlet gegen die Weimarische Lebensauffassung« ist zu lesen:

»Der Club Dada war die Fronde gegen den ›geistigen Arbeiten‹, gegen den ›intellektuellen‹! Der Dadaist ist gegen den Humanismus, gegen die historische Bildung! Er ist: Für das eigene Erleben!!!« (Hausmann in Schuhmann 1991, 249)

Hier ist das Programm des »Dadasophen« Hausmann auf einen Nenner gebracht. Perls hat nach vielen Jahren ernsthafter Mühe, ein »geistiger Arbeiter« innerhalb der organisierten freudianischen Psychoanalyse zu werden, ernüchtert diese Position eingenommen. Er hat sie dann radikal und persönlich verkörpert, bis in alle Einseitigkeit und Missverständlichkeit hinein. Er hat Intellektualisieren und Theoretisieren oft als ein Ausweichen vor den Fakten der augenblicklichen Lebens- und Beziehungsrealität erkannt oder begriffen und andere auf unfreundliche und oft auch auf verletzende Art und Weise konfrontiert. Perls wusste aus eigener Erfahrung, was die reduzierte Sprachpersönlichkeit entbehrt. Er hat sich selbst in Bezug auf seine psychoanalytische Zeit als »Wisdomshitter« bezeichnet, was wohl die Amerikanisierung des im Deutschen gebräuchlichen Wortes ›Klugscheißer‹ ist (vgl. Perls 1993, 6).

Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren für die jungen Rebellen nicht die Zeit der Mitte, nicht die Zeit der Synthese und Integration, auch wenn diese Themen, mit Bezugnahme auf Mynonas Konzept der schöpferischen Indifferenz, in der Diskussion präsent waren. Für Raoul Hausmann war »die Gegenläufigkeit (Ambivalenz, Polarität, Dialektik) … das Primäre« (Hausmann 1982b, 172). Es ging ihm darum, »die ungelösten Widersprüche ›zu bejahen‹, d. h. aufzudecken, zu benennen, zu zitieren, sie aufeinanderprallen zu lassen« (Bergius 1993, 237). Im neuartigen Konzept der künstlerischen Fotomontage, als deren Pioniere Raoul Hausmann, Hannah Höch und der »Monteurdada« John Heartfield gelten, wird diese Haltung sinnlich präsent (vgl. ebd., 236). In der Montage wird Realität polar vorgeführt. »Der Entstehungsprozess – das Zerschneiden, Trennen, Teilen eines bestehenden Ganzen, und dann das Montieren der Teile zu einem beliebigen Ganzen in all seinen Widersprüchen«(Nobs in Desch et al. 1991, 194) – ist ein sinnlicher Akt, der die Brüchigkeit der Realität auch im künstlerischen Akt selber erfahrbar macht.

Erst gegen Ende der Dadaphase orientierte sich Hausmann stärker an den konstruktiven und synthetischen Möglichkeiten und forderte »in der mitteleuropäischen Flachheit endlich den Aspekt einer Welt die real ist, eine Synthese des Geistes und der Materie« (Hausmann 1982b, 25), wobei er sich auf Mynonas Begriff »Présentismus« (ebd., 24) bezog. Das Konzept des Présentismus war bei Hausmann verbunden mit seiner Forderung nach der »Erweiterung und Eroberung all unserer Sinne! (ebd. b., 28). […] Damit uns bewusst sei, dass wir leben, heute leben!!« (ebd., 26 f.). Damit wurde nach Erlhoff dem Künstler die politische Funktion zugeschrieben,

»die Menschen zu enttäuschen, ihnen selber dadurch die präzise Wahrnehmung ihrer Realität zu ermöglichen und gleichsam darauffolgend sie in die Lage zu versetzen, ihren Wahrnehmungsapparat zu verbessern, ihre Sinne (Hausmann nahm das ganz physiologisch) zu qualifizieren, so dass sie sich und die Gegenstände wirklich in die Hand hätten bekommen können« (Erlhoff in Hausmann, 225).

Im Kampf gegen die aufgeblasene deutsche Geistigkeit, gegen »die bürgerliche Geschichte des Kopfes« (ebd., 230) bestand Hausmann auf dem sinnlichkonkreten Menschen. Er kämpfte, und das scheint mir als Bestandteil des Gestaltansatzes heute noch wichtig, gegen »die Idealität der Ware, die Vorstellungswelt der Performanz der Ware und deren Schein […]. Die Dinge sollten für die Menschen wieder handhabbar sein, auch transparent, deutlich, einfach – eben wahrnehmbar und begreifbar« (Erlhoff, 231). Was Erlhoff hier als Anliegen Hausmanns benennt, das nannte Perls später: »Lose your mind and come to your senses.« Durch die Ausdrucksexperimente Hausmanns und anderer Dadaisten, etwa mit Lautgedichten, sollten erstarrte bürgerliche Haltungen aufgelöst und die Sinnesempfindungen zurück gewonnen werden. In den inhaltlich sinnlosen Lautgedichten kann man durchaus das expressionistische »Verlöschen des Inhalts zu Gunsten der Expression« (Benn in Korte 1994, 21) erkennen, denn den Expressionisten wie den Dadaisten ging es um die Rückbindung der Kunst an die »Urkräfte des Lebens« (Hausmann). Diese Haltung kennzeichnete auch das Verhältnis von Perls und Goodman zum Phänomen Sprache (vgl. Bocian 2000, 52 f.). Bei ihnen geht es gegen die isolierte Sprachpersönlichkeit, gegen Sprechen als Vermeiden von Fühlen und gegen Intellektualisieren als Abwehr. Bewirkt werden soll eine »Reorganisation des Denkens« (Perls 1991, 229), damit der Mensch wieder zu Sinnen kommt, anstatt nur in Kontakt mit seinen Projektionen, Übertragungen und Maya zu sein. Im besten Falle kommt der Mensch »wieder zu Sinnen, indem er seine Vernunft anwendet« (ebd., 54), die nun eine ganzheitliche, eine sinnliche Vernunft ist. Der alte Perls hat manche seiner Workshopteilnehmer – oft akademische Lehrkräfte mit langjähriger Erfahrung auf der Couch eines freudianischen Psychoanalytikers (vgl. Gaines 1979) – aufgefordert, ihr Sprechen und Fragen zu unterbrechen und inhaltlich sinnlos loszubrabbeln. Dies waren dadaistische Lautexperimente, die die habituellen Sprech- und Denkgewohnheiten aufbrechen und den sprachlichen Ausdruck wieder mit der persönlich-leiblichen Erfahrung verbinden sollten.

Perls ist mit den Dadaisten vor dem Hintergrund der gemeinsamen Krisenerfahrung auch noch auf einer tieferen Ebene verbunden. Huelsenbeck hat betont, dass »Dada seine tiefste Verzweiflung lebte, sie in der Kunst ausdrückte und in dieser schöpferischen Teilnahme seine eigene Therapie in sich selbst fand« (Huelsenbeck 1994, 224). Dies gilt meiner Ansicht nach auch für Perls und seine persönliche Form der Gestalttherapie. Bis an sein Lebensende hat er immer wieder davor gewarnt, in Schnelltherapien die Konfrontation mit Leid und Schmerz zu umgehen, und die Notwendigkeit betont, durch das »Höllentor des Seelensumpfes, diese äußersten Leiden, hindurchzugehen« (Perls 1986, 237).