Filmgenres: Horrorfilm

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Das Phantom der Oper

Phantom of the Opera

USA 1925 s/w 72 min

R: Rupert Julian

B: Raymond Schrock, Elliott J. Clawson, nach dem Roman von Gaston Leroux

K: Virgil Miller u. a.

D: Lon Chaney (Eric / The Phantom), Mary Philbin (Christine Daee), Norman Kerry (Raoul de Chagny), Arthur Edmund Carewe (Ledoux)

Gaston Leroux’ schauerromantischer Stoff von einem Gräuel-Wesen, das unter der Pariser Oper haust und aus Liebe zu einer jungen Sängerin seine Umwelt mit Gewalt und Schrecken überzieht, ist im Lauf der Filmgeschichte gleich mehrfach adaptiert worden. Nicht zuletzt dank des gleichnamigen Bühnen-Musicals von Andrew Lloyd Webber erfreut er sich auch fast hundert Jahre nach seiner Entstehung einer medienübergreifenden Popularität. Brian de Palma setzte ihn in dem Filmmusical Phantom of the Paradise (Das Phantom im Paradies, 1974) als Satire auf das korrupte Showbusiness in Szene und griff dafür auf das Motiv des faustischen Teufelspakts sowie auf Schauerelemente in Stil der Rocky Horror Show zurück, während es Dario Argentos Il fantasma dell’ opera (Das Phantom der Oper, 1998) an Schlüssigkeit zwischen kurioser Liebesaffäre und drastischen Splatter-Szenen mangelt. Als bislang letzte Version wird Joel Schumacher 2004 Lloyd Webbers Musical auf die Leinwand bringen.

Die erste und zugleich bedeutendste Filmversion von Rupert Julian beginnt hingegen beinahe als Gruselspaß, bestückt mit slapstickhaften Intermezzi, endet aber nach Schrecknissen und Morden aller Arten sowie einer dramatischen Verfolgungsjagd gut – wenn man die brutale Exekution des Phantoms denn als guten Schluss bezeichnen mag. Wie der Glöckner von Notre Dame, den der Hauptdarsteller Lon Chaney zwei Jahre zuvor gespielt hatte, oder der kleinwüchsige Hans in Tod Brownings Freaks (1932) ist das Phantom ein ebenso verzweifelt wie unglücklich Liebender. Wegen der Entstellung seines Gesichts begegnet er der verehrten Nachwuchssopranistin Christine nur mit einer Maske, auf der die Augen aufgerissen und starr aufgemalt sind, was alleine schon unheimlich wirkt. Er leitet Christine über Treppen und Gänge in die suggestiv dargestellte Unterwelt der Oper, eine nicht kartographierbare Kerkerwelt wie in Eugène Sues Roman Die Geheimnisse von Paris, gekennzeichnet durch viele Türen, Gitter, durch irreal einfallendes Licht, aus der nur dem Kundigen ein Entkommen möglich ist. Schließlich bringt er Christine als unheimlicher Fährmann in einer Gondel über einen schwarzen unterirdischen See, der an den Fluss Styx erinnert, Assoziationen ans Totenreich auslöst, zu seiner unterirdischen Behausung, die in der viragierten Fassung rot eingefärbt ist. Dann setzt sich das Phantom wie einst Kapitän Nemo in Jules Vernes Roman 20 000 Meilen unter dem Meer an die Orgel und spielt meisterlich. Christine nähert sich von hinten und streift ihm die Maske ab – nicht nur sie, auch das Publikum sieht nun sein Gesicht, das vor allem durch das leuchtende Gebiss als hässlich zu beschreiben ist, als wären die Lippen um den Mund herum weggeätzt. Dass die Augen schwarz gerändert und weit geöffnet sind, gehört zu den typischen Zeichen des im Stummfilm üblichen Schreckensantlitzes. Das Phantom stellt eine Bedingung, die einem Pakt mit dem Teufel gleicht: Christine darf noch einmal singen, dann aber gehört sie ganz ihm und muss alle weltlichen Dinge für ihn aufgeben, auch Raoul, ihren Geliebten seit Kindertagen.

Das psychologische Drama des Phantoms: Jemand, der wegen seines Äußeren Schrecken und Abscheu erzeugt, wird zum einsamen Außenseiter. Einen Sarg nutzt er als Bett: Ausdruck dafür, dass sich sein Bewusstsein an das außergewöhnliche Sein anpasst, das ihn konditioniert. Die völlige Isolation, verbunden mit der schöpferischen Fähigkeit, sich eine eigene Welt zu schaffen in der Dunkelzone der repräsentativen Institution Oper, die Treffpunkt der glanzvollen Gesellschaft ist und zugleich »Kraftwerk der Gefühle« (Alexander Kluge), lassen beide Komponenten im Phantom lebendig werden: die inbrünstige Liebe, die besitzergreifend Christine gilt, und die antisoziale Moral eines radikal ausgegrenzten Wesens, das keine Rücksicht auf das Leben anderer Menschen nimmt. Natürlich ist dieser Charakterentwurf in vielem an Mary Shelleys Konzept des Monsters angelehnt, das sie in ihrem Roman Frankenstein or the Modern Prometheus (1819) entwickelte: ein Wesen, das den Ekel der Menschen hervorruft, aber ausgestattet ist mit hoher Sensibilität. Erst die gesellschaftliche Ächtung seiner physischen Deformation führt zur psychischen Deformation, zu Wut und Hass und schließlich zu Gewalt und verbrecherischen Reaktionen.

Zweifellos fehlt dem Film im Vergleich zu Murnaus Nosferatu (1922) die tragische Vertiefung, der Doppelsinn. Auch gelingt es Julian und seinen verschiedenen Kameraleuten nicht, ›Originalbilder‹ des Unheimlichen zu erfinden. Die blau viragierten Gefängnisphantasien, die das Reich unter der Oper in diesem Film bestimmen, gibt es beispielsweise ähnlich in zeitgenössischen Spionagefilmen, zugleich drängen sich Erinnerungen an manche unterirdische Bauten in Filmen Fritz Langs auf.

Das Ungeheuer wird am Ende bei seiner Flucht auf nächtlicher Straße vom Mob umzingelt und gelyncht – die Masse exekutiert einen Menschen, den sie nicht als ihresgleichen versteht, der – zugegeben – durch Morde eine Blutspur gezogen hat. Kein irdisches Gericht erhält die Zeit, Beweggründe und Umstände seiner Verbrechen näher zu beurteilen und ein angemessenes Strafmaß festzulegen. Immerhin ist das Phantom der Oper aus Liebe zum Missetäter geworden – davor hat es sich offensichtlich nicht weiter aggressiv in die Geschicke der Oberwelt eingemischt, solange diese ihn in Ruhe gelassen und Loge 5 für ihn reserviert hat. Doch die Leidenschaft des Ausgegrenzten berührt wie in Freaks den Tatbestand des Verbotenen. Welches Recht soll das Monstrum haben, die Liebe einer schönen jungen Frau einzufordern? Keines, das bestätigt der Film von 1925. In dem Augenblick, in dem das Schreckensgesicht sichtbar wird, gleicht sich die Wesensart des Phantoms seiner äußeren Erscheinung an: In simpler Schwarzweißmalerei mutiert der hässliche Mensch zum hässlichen Charakter. So scheint die Wut der Masse berechtigt. Dass ihr dennoch die Legitimität fehlt, diesen Gedanken kann auch dieser Film nicht verscheuchen, genauso wenig wie James Whales Frankenstein (1930), an dessen Ende die zornige Meute den Abweichler in der flammenden Mühle vernichten will. Es mag die Erfahrung des 20. Jahrhunderts sein, dass man solchen Szenen vom Aufstand der Massen mit unüberwindlicher Skepsis gegenübersteht. Die Sympathie mit dem Ausgestoßenen führt wie bei Mary Shelley dazu, der »kochenden Volksseele« zu misstrauen, die sich zum Henkersdienst treiben lässt.

In einer seiner letzten Arbeiten bettet der englische Regisseur Tony Richardson seine für das Fernsehen produzierte Version des Phantom-Stoffes (1990) in ein Familiendrama ein. Der von den neuen Opernbesitzern entlassene Direktor entpuppt sich als Vater des entstellten jungen Mannes in den unterirdischen Räumen. Richardson betont die künstlerische Kompetenz des Phantoms, das als großer Kenner des Musiktheaters über Jahre hinweg aus dem Verborgenen den Spielplan und die Auswahl der Sänger mitbestimmt hat. Trotz seiner Entstellung ist er eine stattliche und elegante Erscheinung, empfindsam und unterhaltsam, so dass in dieser Version erstmals Christines Zuneigung für ihn plausibel wird. Seine Liebe zu ihr löst bei ihm tiefste Verstörung aus – und leitet das Ende des Status quo, des Gleichgewichts zwischen Ober- und Unterwelt ein. Auch Richardsons Film ist reich an Anspielungen: Die Welt des Phantoms ist so ausgestaltet, als herrsche hier ein Ludwig II. in den unterirdischen Grotten seiner Schlösser, bewohne sein ›Paradis artificiel‹ und gebe sich einer ganz persönlichen Kunstreligion hin. Richardson sublimiert den horrorphantastischen Stoff zum psychologisch raffinierten und melodramatischen Kammerspiel. Die Humanität seines Phantoms will der Film dadurch begreiflich machen, dass man es als den Einsamen außerhalb der menschlichen Gemeinschaft erkennt, der sich nur in der Anwandlung größten Schmerzes auch innerlich dem Schreckbild anpasst, als das ihn die anderen wahrnehmen.

Thomas Koebner

Der Untergang des Hauses Usher

La chute de la maison Usher

F 1928 f 55 min

R: Jean Epstein

B: Jean Epstein, nach Erzählungen von Edgar Allan Poe

K: Georges Lucas, Jean Lucas

M: Gerhard Gregor (Neubearbeitung)

D: Marguerite Denis Gance (Madeline), Jean Debucourt (Roderick Usher), Charles Lamy (Freund)

Von Anfang an wurde der Horrorfilm entscheidend von literarischen Stoffen geprägt. Neben Mary Shelleys Frankenstein, Robert Louis Stevensons Erzählung Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Bram Stokers Dracula und den Erzählungen H. P. Lovecrafts ist vor allem das Œuvre Edgar Allan Poes auf die große Leinwand gelangt: Die Geschichte des Horrorfilms ist durchzogen von Adaptionen seiner Werke, wobei die meiste Aufmerksamkeit der Kurzgeschichte Der Untergang des Hauses Usher (The Fall of the House of Usher, 1839) zuteil wurde. Deren erste Adaption durch den französischen Regisseur Jean Epstein ist bislang unübertroffen: In diesem Stummfilm bewohnt Roderick Usher zusammen mit seiner Frau Madeline das alte Stammschloss seiner Familie, das als verflucht gilt. In der großen Halle arbeitet Roderick an einem Gemälde, für das ihm Madeline Modell steht. Während das Gemälde der jungen Frau immer lebensähnlicher wird, verlassen Madeline ihre Lebenskräfte mehr und mehr, bis sie beim letzten Pinselstrich leblos zu Boden sinkt. Sie wird in der Familiengruft beigesetzt, doch Roderick weigert sich, die Grabkammer zu verschließen, weil er fest davon überzeugt ist, dass Madeline noch lebt. Einige Tage später tobt ein Sturm und bei Roderick machen sich Anzeichen extremer nervöser Anspannung sichtbar. Plötzlich erscheint Madeline, die wirklich nur scheintot war und sich unter Aufbietung all ihrer Kräfte aus dem Sarg befreien konnte. Das Schloss gerät durch das Unwetter in Brand. Roderick und Madeline retten sich ins Freie, bevor das Gebäude hinter ihnen zusammenstürzt.

 

Epstein übernimmt aus der Vorlage nur den äußeren Handlungsumriss und einige zentrale Motive und verknüpft sie mit einer Vielzahl von Anlehnungen aus Poes übrigem Werk. Die Bezüge reichen von kurzen Zitaten – etwa aus Die Maske des Roten Todes (The Mask of the Red Death, 1842), Berenice (1835) und Ligeia (1839) – bis zur vollständigen Integration einer weiteren Poe-Geschichte, der Künstlererzählung Das ovale Porträt (The Oval Portrait, 1850). Er führt überdies eine Reihe von Nebenfiguren ein und bricht die Fixierung der Handlung auf das Innere des Schlosses durch verschiedene Außenaufnahmen. Infolge dieser Eingriffe löst sich die dramatische Geschlossenheit der Erzählung auf und weicht einer lyrischen Grundstimmung. Schon Béla Balázs lobte Epsteins freien Umgang mit der berühmten Vorlage als eine wesentliche Voraussetzung dafür, Poes literarischen Imaginationen auf genuin filmische Weise gerecht zu werden: »Es ist wie die Bildessenz der dunklen Ballade. Unverständlich, aber unheimlich wirkend. Nicht die Begebenheit erscheint, sondern die Reaktion einer Psyche. Nicht das Gedicht, sondern die Flut der Vorstellungen, die es entfesselt.«

Epstein ging es – im Gegensatz zu Baudelaires Poe-Interpretation – darum, das Werk des amerikanischen Schriftstellers sowohl vom Geruch des Makabren und Morbiden als auch von der Bindung an das Thema des schuldigen Bewusstseins zu befreien. Anders als in der Kurzgeschichte sind die beiden Ushers deshalb keine Geschwister, sondern Gatten. Nicht die Andeutung einer schuldbeladenen inzestuösen Beziehung, sondern die innere Verbundenheit zweier Liebender und die Intensität ihrer romantischen Empfindung füreinander bilden das zentrale Thema des Films. Das Geschehen spielt sich in bewusster Abgrenzung zur literarischen Vorlage in großen, ausladenden, kaum möblierten Räumen ab, eine klaustrophobische Atmosphäre, wie sie die Kurzgeschichte bestimmt, stellt sich nicht ein. Auf die furchteinflößenden Requisiten klassischer Schauergeschichten wird überdies ganz verzichtet.

Der Schrecken der von Epstein gezeichneten Welt der Ushers liegt nicht wie bei Poe im Phantastischen und in dem Einbruch des Übernatürlichen in eine intakte Weltordnung, sondern in der Organisation der physischen Realität, die dem Individuum keinen Halt mehr bietet. Zeit und Raum erweisen sich als trügerische Kategorien. Der unvermittelte Wechsel von Slow Motion und Normalzeit signalisiert die Unverfügbarkeit der Zeit, das durchgängige Motiv der abbrennenden Kerzen und das wiederholt gezeigte Pendel einer Standuhr ihr unerbittliches Fortschreiten. Eine bewegte Kamera sorgt für beständige räumliche Desorientierung. Die langen Schwenks und Fahrten, der häufige Wechsel der Perspektive sowie die zahlreichen Überblendungen und Mehrfachbelichtungen entziehen dem Betrachter den Fluchtpunkt und erzeugen so eine tiefer greifende Verunsicherung. In dieser orientierungslos gewordenen Welt können auch die Schönen Künste und die Wissenschaften keinen Rückhalt mehr geben: In einer Laute, deren Saiten gerissen sind, in Büchern, die aus dem Schrank fallen, und in dem Vergrößerungsglas, mit dem Roderick einem Buch seine Geheimnisse abzutrotzen versucht, manifestiert sich eine aus den Fugen geratene, nicht dechiffrierbare Welt, in der alles, was Halt versprechen könnte, instabil geworden ist. Der hochphilosophische Horror von La chute de la maison Usher liegt in dem isolierten Dasein des Einzelnen, der mit der ihn umgebenden Objektwelt keine Beziehung mehr eingehen kann. Demgegenüber hat das Übernatürliche erlösende Kraft, da es die Möglichkeit einer Befreiung von den Schrecken des Alltäglichen ermöglicht. Madelines Auferstehung – in der Vorlage ein Höhepunkt des Grauens – wird bei Epstein zu einer positiven emotionalen Klimax, zu einem Zeichen für die Intensität des romantischen Bewusstseins, das der Realität zu widerstehen vermag.

Nach La chute de la maison Usher diente Poes Erzählung noch sechs Mal als Grundlage für Filme, die sich allesamt enger an ihre Vorlage anlehnten, aber die poetische Kraft von Epsteins Meisterwerk nicht erreichten. Von ihnen verdient Roger Cormans House of Usher (Die Verfluchten, 1960) als bemerkenswerter Genrefilm besondere Beachtung. Er bildete den Auftakt zu einem siebenteiligen Poe-Zyklus des Exploitation-Filmers, zu dem auch The Pit and the Pendulum (Das Pendel des Todes, 1961), Tales of Terror (Der grauenvolle Mr. X, 1962) und The Raven (Der Rabe – Duell der Zauberer, 1963) gehören. Cormans Version, die die Handlung in die USA verlegt, markiert einen Einschnitt in der Geschichte des amerikanischen Horrorfilms, nicht nur weil er in Farbe und dem genreunüblichen Scope-Format gedreht wurde, sondern auch weil er auf ein Monster als Zentralfigur verzichtet. Das damals ungewöhnliche Konzept eines monsterlosen Horrorfilms wird allerdings dadurch aufgeweicht, dass Madeline sich am Ende zu einer verrückt gewordenen Rächerin wandelt und Roderick von Beginn an mit dämonischen Zügen ausgestattet ist: Anders als in der Vorlage begräbt er seine Schwester mit voller Absicht bei lebendigem Leib. Er und seine Ahnenreihe entpuppen sich als eine Bande pathologischer Verbrecher und Irrer. Überdies wird ihm mit Madelines Verlobtem Philip Winthrop ein positiver Held gegenübergestellt, der als junger Rebell mit Traditionen brechen und Madeline aus dem Schloss holen will. Dass Roderick dennoch nicht vollends zu einem Monster gerät, ist dem überzeugenden und ungewohnt zurückhaltenden Spiel von Vincent Price zuzuschreiben, der ihn mit einer tragischen Aura und mit leichenblassem Antlitz als fatalistischen Sachwalter des Untergangs seines eigenen Geschlechts darstellt.

Cormans Film verdankt seine atmosphärische Dichte vor allem einer ausgefeilten und sehr dynamischen Kameraführung. Floyd Crosbys Kamera begleitet Winthrops Expeditionen durch das alte Gemäuer mit weich gleitenden Fahrten und vielen subjektiven Einstellungen und unterstreicht unvermittelte Schockmomente durch eine Kombination von schnellen Schwenks und Zooms. Den Eindruck stilistischer Geschlossenheit erzielt der Film durch eine differenzierte Farbdramaturgie: Roderick ist die Farbe Rot zugeordnet, Winthrop die Blautöne, auf Grün verzichtet Corman fast ganz. Die Nähe der intensiven Farbgebung zur Pop Art und zum psychedelischen Film wie auch die auffällige Kontrastierung der beiden männlichen Protagonisten zeigt Corman einmal mehr als Seismographen der US-amerikanischen Jugendkultur der frühen sechziger Jahre. Das imposante Domizil der Ushers wurde aus England herübergebracht und Stein für Stein jenseits des Atlantiks wieder aufgebaut. Die Botschaft ist eindeutig: Das Böse kommt aus der Alten Welt, der gegenüber Poes Vorlage deutlich gealterte Roderick Usher ist ihr letzter Repräsentant, während Philip Winthrop als positiver Gegenentwurf das junge Amerika vertritt, das den Niedergang des überkommenen Gestrigen in die Wege leitet.

Guido Bee

Literatur: David Pirie: Roger Corman’s Descent Into the Maelstrom. In: Paul Willemen [u. a.] (Hrsg.): Roger Corman. Edinburgh 1970. – Jean Epstein: Quelques notes sur Edgar A. Poe et les images douées de vie (1928). In: Jean Epstein: Écrits sur le cinéma 1921–1953. Bd. 1. Paris 1974. – Béla Balázs: Schriften zum Film. Bd. 2. Budapest 1984. – Eva-Maria Warth: The Haunted Palace. Edgar Allan Poe und der amerikanische Horrorfilm (1909–1969). Trier 1990.

Dracula

USA 1931 s/w 75 min

R: Tod Browning

B: Garrett Fort, Dudley Murphy, nach einem Bühnenstück von Hamilton Deane und John Balderstone und dem Roman von Bram Stoker

K: Karl Freund

M: Peter Tschaikowsky, Richard Wagner

D: Bela Lugosi (Graf Dracula), Helen Chandler (Mina Seward), David Manners (Jonathan Harker), Edward van Sloane (Prof. van Helsing), Dwight Frye (Renfield),

»Die ältesten Vampyre, wovon wir Nachricht haben, waren bei den Griechen zu Hause«, schrieb 1791 im Taschenbuch für Aufklärer und Nichtaufklärer Carl von Knoblauch zu Hatzbach. Die neueste Kunde vom Treiben der Wiedergänger, die Bram Stokers 1895 entstandener Roman Dracula berühmt und gesellschaftsfähig machte, stammt bis heute aus dem Kino. Mehr als vierhundert Filme haben bislang die Sage aufgegriffen, der zufolge sich in einen Vampir verwandelt, wer zu Lebzeiten als Ehebrecher, Sodomit, Blutschänder und Tyrann gegen Gottes Gesetze verstieß. Nach F. W. Murnaus Stummfilmvariante Nosferatu (1922) legte vor allem Tod Brownings Dracula den Grundstein dafür, dass der Vampirfilm bis hin zu aktuellen Produktionen wie Blade (1998, Stephen Norrington), The Wisdom of Crocodiles (Die Weisheit der Krokodile, 1998; Po-Chih Leong) und Van Helsing (2004, Stephen Sommers) zu einem der vitalsten und facettenreichsten Subgenres des Horrorfilms wurde.

Was aber macht die Ausgeburt der Finsternis so unwiderstehlich fürs Kino, dass sich schon Georges Méliès ein Jahr nach Erfindung der Siebten Kunst 1896 an einer Vampirgeschichte versuchte? Wenn man will, ein Paradox, das dem Dasein der zu ewiger Wiederholung verdammten Kreatur zugrunde liegt wie den Gesetzen des Kinos. Im Kino, das den Körper zur Erscheinung zwingt, ist der unstoffliche Wiedergänger die Idealbesetzung eines medienimmanenten Horrors: Als »Rückkehr der Geister« hat Jacques Derrida die Kunst des 20. Jahrhunderts beschrieben, die den Körper zum Leinwand-Gespenst dekonstruiert und die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit verwischt. Das Dunkel, in dem alle Geschöpfe des Kinos erst zu sich und zu uns kommen, ist das Element des Vampirs, das Licht seine Nemesis. So konnte das Kino seine Verwandtschaft mit dem Unheimlichen pflegen und sich zugleich der selbsterzeugten Schatten in den grellen Lichtblitzen des Expressionismus entledigen. Als erste Stoker-Verfilmung fiel Nosferatu 1922 nicht umsonst in die Hoch-Zeit des expressionistischen Stummfilms.

Inspiriert von literarischen Vampir-Geschichten wie John William Polidoris Der Vampyr (1819) oder der klassischen ›Gothic Novel‹ Melmoth der Wanderer (1820) von Charles Robert Maturin fand und überhöhte der Ire Stoker Ende des 19. Jahrhunderts die Figur, die zum Inbegriff des Vampirismus werden sollte. Dracula nimmt nicht nur die in ganz Europa, vor allem aber in Serbien weit verbreitete Überlieferung von blutsaugenden Untoten auf, sondern vermischt damit das historisch verbürgte Leben des in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in der rumänischen Walachei herrschenden Fürsten Vlad Ţepeş (gesprochen ›Zepesch‹). Dessen Vater Vlad war seit 1431 Ritter des christlichen Drachenordens, dem Kaiser Sigismund vorstand; sein Beiname »Dracul« geht auf das rumänische Wort für den Drachen zurück, das aber auch ›Teufel‹ bedeutet. Als »Dracula« ging die zusätzliche Bezeichnung auch auf seinen Sohn Vlad junior über. Dieser verdiente sich seinen Beinamen Ţepeş« (›der Pfähler‹) als grausamer Kriegsherr im Winter 1461, im Kampf gegen den Eroberer von Konstantinopel Sultan Mehmed II. Die Verstümmelung von Sexualorganen, die puritanische Abstrafung junger Frauen, die vorehelichen Geschlechtsverkehr hatten, fügen sich ebenso ins Bild eines impotenten Sadisten, der den Körper als prinzipiell strafwürdig und den Menschen als Folterbank wahrnimmt, wie seine Vorliebe, die Mahlzeiten zwischen den von ihm Gefolterten einzunehmen.

Viele der Motivstränge, die Stoker mit den balkanischen Sagen über blutrünstige Untote verband, finden sich im narrativen Fundus des Kinos: beispielsweise ›Boy meets Girl‹, nur dass der Junge hier »ein besonders unreifes Wesen« (Seeßlen) aufweist. Zwei grundlegende Merkmale sind dem Subgenre eigen und kommen in den verschiedenen Verfilmungen und Bearbeitungen in unterschiedlicher Ausprägung und Stärke zum Tragen: Erlösungsbedürftigkeit und der Thrill einer angstbesetzten, einer tabuisierten Sexualität. Das Blut, das ihm gegeben wird, erlöst den Vampir, der verdammt ist, ewig zu nehmen – die Anklänge ans christliche Abendmahl sind nicht zu übersehen. Nicht umsonst steht in einem Buch über Vampire, das in Nosferatu die Runde macht, »es bedürfe einer Frau reinen Herzens, um den Vampir bis zum Morgengrauen festzuhalten«. Und eben dieses Buch ist Murnaus Mina-Figur Ellen verboten wie für Eva die Frucht vom Baum der Erkenntnis. Natürlich liest sie es dennoch. Ohne Sündenfall keine Erlösung, Blut und Leib gibt sie fort. Bei Browning erfüllt dieses Selbstopfer »in seiner doppeldeutigen Zuwendung zum Tiermann zugleich die dem Vampirmythos eingeschriebene Formel von der todbringenden, dem Tode ähnelnden Sexualität« (Seeßlen). Der Horror manifestiert sich in der Erkenntnis, dass man auf Lust oder Leben verzichten muss, wo der Vampir als Verkörperung uneingestandener Begierden umgeht.

 

Minas Opfer steht in der Tradition des »Anti-Vampirs Christus« (Seeßlen). In seinem Gothic-Western Vampires (John Carpenters Vampire, 1998) erzählt John Carpenter, berüchtigt dafür, seine Gangster- und Horrorfilme wie Western aussehen zu lassen, aber noch nie einen Western gedreht zu haben, den Ex-Priester und Vampir Valek als stark sexuell konnotierte Christusfigur unter umgekehrten Vorzeichen: Begleitet von zwölf Vampir-Aposteln, verspricht diese charismatische Gestalt, der selbst Kardinäle erliegen, ihren Anhängern im Namen des Kreuzes Unsterblichkeit und das Anbrechen eines neuen Reiches. Der Film ist eine Bagatellisierung aller Genres, aber aufschlussreich in seiner antifreudianischen Fremden-, Lust- und Frauenfeindlichkeit und zelebriert im Breitwandformat Jagdszenen aus John-Wayne-Country in einer von Vampiren buchstäblich unterminierten Wüste. Die Vampire ersetzen dabei die Indianer. Carpenters Film ist der peinliche Versuch, einem von europäischen Spitzfindigkeiten ausgelaugten Kino den Mann als Helden zurückzugeben. Unter der homophoben Kraftmeierei des obersten Vampirjägers Crow kommt jedoch die Angst vor der tabuisierten Sexualität ans Licht: Vampires krankt an der unfreiwilligen Komik eines unterdrückten Coming-out.

Im Horrorgenre ist der Vampir der mit Abstand am stärksten sexuell konnotierte Protagonist, wie es ja auch bei Carpenter der Fall ist. Seine Angriffe sind ins Negative, ins Zerstörerische gewendete Zärtlichkeiten – Bisse wie Küsse. Sein Image als gefürchteter Liebhaber wurde den Zeiten und Gesellschaften angepasst, in denen es wiederbelebt wurde. Unter der Herrschaft viktorianischer Prüderie hatte der Blutsauger aus Leidenschaft beispielsweise den Ruf eines verbrecherischen Don Juans, ebenso elegant wie stilbildend verkörpert von Bela Lugosi in Dracula. Ein Unhold, ein Europäer eben. Aber auch ein Gentleman. Bei aller Lust und Gier verschmäht der Vampir die Geschlechtsteile der Frau – von denen die Sexualwissenschaftlerin Marielouise Janssen-Jureit in ihrem Buch Sexismus notiert, sie seien in der Menschheitsgeschichte so gefährlich besetzt wie ein offenes Grab – und schafft sich am Hals den Durchbruch zu verbotenen Gefühlen. Das weibliche Geschlecht, das Männerphantasien zur Wunde verunglimpft haben, ist selbst dem Vampir unheimlich. Im Vampirismus ist nicht das Geschlecht die Wunde, sondern die Wunde das Geschlecht. Um ein Publikum zu erreichen, das mit viktorianischen Tabuisierungen nichts zu tun haben wollte, entstaubte die englische Hammer Production, die sich seit Ende der fünfziger Jahre um die Verjüngung des Vampirfilms bemühte, den Nimbus des Gentleman-Monsters und präsentierte mit Christopher Lee eine deutlich stärker triebgeleitete Variante des tödlichen Liebhabers. Nach Terence Fishers Dracula (1958), der für sich genommen nichts Besonderes darstellte, aber als Auftakt der Hammer-Serie berühmt wurde, arbeitete sich Hammer Production bis in die siebziger Jahre daran ab, den blutsaugenden Grafen jeglicher Subtilität zu entkleiden. Der Mythos tritt in den Hintergrund und wird bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Sex & Crime, Blut und Gewalt füllen die Leinwand mit den Vorboten eines Horrors, der keinen Mut hat, Pornographie zu sein, und es darum bei feuchtfröhlichen Anspielungen der schlichteren Art belässt. Dracula jagt Minimädchen (Dracula A.D., 1972) lautet der deutsche Filmtitel, der diese dröge Mischung aus Verklemmtheit und im Gefolge der ›sexuellen Revolution‹ verordnetem Selbstenthüllungszwang auf den Punkt bringt. Der letzte Film aus der Produktionsreihe Dracula braucht frisches Blut (The Satanic Rites of Dracula, 1973) benannte unfreiwillig das Problem der Serie und verlagerte Draculas persönliche Obsession auf die Ebene der globalen Weltvernichtung. Korrupte Politiker und die Pest, die Dracula verbreitet, drohen der Welt den ultimativen Aderlass zu bereiten. Als Opfer blieb das Vampir-Genre geschändet und geplündert zurück. Wie der Western, der den Italo-Western hervorbrachte, verfiel das Genre in eine Phase der Dekadenz. Die Persiflage hatte es bereits 1967 mit Polanskis unschlagbar komischem Film Dance of the Vampires (Tanz der Vampire) unterwandert. Edouard Molinaris Dracula Père et Fils (Die Herren Dracula, 1976) knüpfte an die Figur des zum lachhaften Stehaufmännchen und Quartalssäufer verkommenen Untoten an. Der Sohn des erneut von Cristopher Lee gespielten Vampirs weigert sich, die Tradition fortzusetzen, arbeitet lieber als Nachtwächter und ernährt sich von Schweineblut. Die Komik des zeitgemäßen Generationskonflikts, hier gedämpft durch eine Liebesgeschichte, die den Sohn des Vampirs in einen Menschen zurückverwandelt, wird in späteren Filmen wie Blade für drastische Kriegsszenen zwischen den Vampiren des Ursprungs und ihren Sonnenbrillen tragenden, mit hohem Lichtschutzfaktor eingecremten Nachkömmlingen sorgen.

Stets ruft die Freigeisterei des Vampirs, die den spirituellen wie den menschlichen Zeugungsakt pervertiert, reaktionäre Kräfte auf den Plan. Das bürgerlich-christliche Imperium schlägt zurück, denn das Uralte – schließlich ist Dracula ein adeliger Ruinenbesitzer – will nicht sterben und bedroht die (erotischen) Besitzverhältnisse der Moderne. Die Waffen der selbsternannten Erlöser sind Phallus-Attribute der zurückschlagenden ›guten‹ Macht, der Macht der Männer über die gebissene Frau. Nicht umsonst müssen Vampire gepfählt werden, und zwar von Männern, die mit dem Vampir den Konkurrenten wie zugleich die homosexuelle Versuchung erschlagen. Der verquälte Sexus sollte vom Kino der Aids-Ära wieder ausgegraben werden. In vielen neueren Vampirfilmen finden sich Anklänge an die Verbreitung von Aids. Coppola lässt in Bram Stoker’s Dracula (1992) während der zersetzenden Liebesräusche des Vampirs mikroskopische Blutblasen aufsteigen, in denen eine höchst ungesunde Zellteilung stattfindet. Den Vampir verklärt er zum unerlöst Liebenden, der nicht das Eine, sondern dem ›Safer Sex‹ gemäß die Eine sucht. Robert Rodriguez und sein Drehbuchautor Quentin Tarantino bestrafen in From Dusk till Dawn (1996) die Geilheit, die Trucker in die Falle des Bums- und Amüsierlokals »Titty Twister« lockt, mit tödlichen Bissen. Blade trieb die Racheorgien des halb menschlichen, halb draculesken Vampirjägers und ›Daywalkers‹ Blade in einer Begegnung mit seiner verstorbenen, aber als Konsumentin fremder Säfte ansehnlich konservierten Mutter auf die Spitze. Der zwittrige Exterminator muss vor dem Sieg über die dunklen Mächte erst einmal seine ödipalen Begierden bekämpfen.

Zu den Grundregeln des Vampirismus gehört eine dem Unbewussten angelastete Übereinkunft zwischen Blutsauger und Opfer. In der Einverleibung durch den Vampir durfte die Dame von Stand gewiss sein, die quälende Unschuld loszuwerden, ohne schuldig gesprochen zu werden. Bei Stoker ist es die wohlhabende Lucy Westenra, Minas wissensdurstige Freundin, an der sich das exemplarisch nachvollziehen lässt. Nicht alle Dracula-Verfilmungen widmen sich ihr. Spielt sie bei Murnau keine Rolle, so ist sie bei Coppola der bloße Körper, an dem sich der Vampir abrackert, um bis zur Vereinigung mit der begehrten Reinkarnation seiner Braut Elisabeth in Form zu bleiben. Tod Browning hat der psychohygienischen Bedeutung dieser Lucy nachgespürt, die als laszives Alter Ego der asexuellen Mina die heimliche Hauptrolle spielt. Der allseits umschwärmten höheren Tochter gesteht er angesichts der Qual der Wahl eine geradezu komische Verzweiflung zu. Wen soll sie nehmen? Den Arzt, den Banker, den amerikanischen Selfmademan, den Dichterling? Alle, ist die Antwort in Lucys blitzenden Augen, und diese Unbescheidenheit macht sie reif für den Vampir. Der Casanova-Vampir, als der Bela Lugosi aus heutiger Sicht wenig gruselig im Frack daherkommt, hat von allen Männern etwas. Die abgewiesenen Verehrer werden sich für das Ius primae noctis rächen, das der Graf als adeliger Schmarotzer wahrgenommen hat. Aus der schmollenden Schnute der untoten Lucy rinnt Blut. Es erinnert ihren Verlobten an die Defloration, die nach der von dem todbringenden Rivalen verpatzten Hochzeitsnacht nachgeholt werden muss. Der Pflock, mit dem der enttäuschte Lover Lucys Herz durchbohrt, sitzt nur aus Anstandsgründen nicht tiefer. Die Strafe folgt der Lust, das ist gewiss. Der Horror versteht sich als Lustangst, als Phantasie der eigenen Enthemmung.