Einführung in die Publizistikwissenschaft

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Radio und Fernsehen im Dienst nationaler Kommunikation

Politisierter Rundfunk in Europa

In Europa erfolgte die Einführung des Informations- und Unterhaltungsradios in den 1920er-Jahren meist unter strenger staatlicher Aufsicht. Das knappe Gut „Sendefrequenz“ sollte nicht nur nach marktwirtschaftlichen, sondern auch gesellschaftspolitischen und kulturellen Kriterien verteilt werden (vgl. Lersch/Schanze 2004; Schade 2000: 39–71).

Public Service der BBC

Die seit 1927 als Public Service geführte British Broadcasting Corporation (BBC) diente vielen Regierungen als Vorbild für ihre Rundfunkpolitik|101◄ ►102| –so auch dem Schweizer Bundesrat. Bei der BBC sollten die Vorteile einer gesellschaftlichen Steuerung mit dem liberalen Anspruch auf staatliche Unabhängigkeit der Massenmedien kombiniert werden. Zu den zentralen Eigenschaften des Public Service zählten: Organisation als Non-Profit-Unternehmen, möglichst grosse Unabhängigkeit gegenüber kommerziellen, politischen und staatlichen Interessen, nationale Monopolorganisation mit einer landesweiten Programmversorgung. Die BBC sollte nicht nur informieren und unterhalten, sondern auch der Weiterbildung und kulturellen Entfaltung der gesamten Bevölkerung dienen (vgl. Schade 2000: 46–59). Das Radio war dementsprechend als Einschaltmedium konzipiert. Die publizistischen Angebote der im Sinne eines Public Service aufgebauten Radiostationen waren sogenannte Vollprogramme, die möglichst viele unterschiedliche Bedürfnisse bedienten (Stuiber 1998: 33).

Konzentrationspolitik in Europa

Die europäischen Staaten einigten sich Ende der 1920er-Jahre auf eine gemeinsame Verwaltung der Sendefrequenzen, um einen möglichst störungsfreien Empfang zu erreichen. Die knappen Sendeplätze wurden 1929 gemäss Kriterien wie Bevölkerungsgrösse oder Sprach-und Kulturgruppen den einzelnen Staaten zugeteilt (vgl. Schade 2000: 206–210). In der Folge dominierten nationale Monopolorganisationen bis in die 1980er-Jahre den Rundfunk. Der Schweizer Bundesrat orientierte sich an der europäischen Entwicklung und strebte anstelle der in den 1920er-Jahren entstandenen lokalen Radioorganisationen in Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich eine Nationalisierung des Radios und den Aufbau von drei starken sprachregionalen Sendern an. Mit der Gründung der Schweizerischen Rundspruch-Gesellschaft (SRG) fand dieses Konzept 1931 seine Umsetzung.

Radiopropaganda im Zweiten Weltkrieg

Während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) erlebte die Instrumentalisierung der Massenmedien für nationalistische Kriegspropaganda eine Neuauflage. Nun wurde neben der Presse auch ein Grossteil der Radiostationen zu Propagandamaschinen degradiert. Nach dem Sieg der Alliierten fand die ausgeprägte staatliche Rundfunkregulierung in den meisten europäischen Staaten eine Fortsetzung. Seit den 1950er-Jahren erhielt die rechtliche und organisatorische Absicherung der publizistischen Unabhängigkeit der Rundfunkorganisationen gegenüber den staatlichen Behörden jedoch eine stärkere Aufmerksamkeit (vgl. zu Deutschland: Stuiber 1998: 184–227; zur Schweiz: Ehnimb-Bertini 2000: 159–162).

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Public Service auch beim Fernsehen

Bei der Einführung des Fernsehens in den 1950er-Jahren übertrugen die meisten europäischen Staaten den beim Radio erprobten Organisationstypus des öffentlichen Rundfunks auf das Fernsehen. So änderte sich vorerst wenig an der Ausrichtung des Public-Service-Rundfunks auf nationale (bzw. sprachregionale) Kommunikationsangebote. Das Fernsehen konkurrierte mit seiner Fähigkeit, Ereignisse zu visualisieren, das Radio und die Tageszeitungen. Die Presse war zudem bezüglich Geschwindigkeit dem Live-Medium Fernsehen unterlegen. Mehrere Verlage reagierten auf die neue Konkurrenzsituation mit der Gründung von Boulevardzeitungen: 1952 entstand in Deutschland BILD, 1959 in Österreich die Neue Kronen Zeitung und in der Schweiz der Blick, 1963 in Grossbritannien die Sun.

Kommerzialisierung des Rundfunks und Ausdifferenzierung spezifischer Zielpublika

Ökonomisierung des Rundfunks

Neupositionierung des Radios als Begleitmedium

Das Konzept des Public Service als „angebotsorientierte Bedarfsdeckung gemäss öffentlicher Aufgabe“ (Kiefer 1996: 9) verlor bereits ab den 1960er-Jahren innerhalb der Public-Service-Organisationen deutlich an Gestaltungskraft. Die schrittweise Abwendung von der ursprünglichen „Rundfunk-Anspruchskultur“ des angebotsorientierten Public Service, mit der regelmässig grössere Publikumssegmente be- und entfremdet wurden, und die Hinwendung zu einer nachfrageorientierten „Rundfunk-Akzeptanzkultur“ (vgl. Saxer 1999b: 33 f.) wird insbesondere bei folgenden historischen Entwicklungen beobachtbar (zur Entwicklung in der Schweiz vgl. Mäusli/Steigmeier 2006):

• Umbau des Radios weg vom Einschalt- hin zum Begleitmedium in der Folge der Popularisierung des Fernsehens (1960er- bis 1980er-Jahre): Die europäischen Public-Service-Organisationen orientierten sich bei der Neupositionierung ihrer Radioangebote am kommerziellen Rundfunk in den USA (und teilweise an der BBC) (vgl. Kursawe 2004: 30–55). Dort hatte sich das Radio schon in den 1950er-Jahren erfolgreich als Begleitmedium profiliert und neben dem Fernsehen neu positioniert. Mitte der 1950er-Jahre entstand in den USA das Konzept des Formatradios, mit dem mittels einer spezifischen, durchgängigen Gestaltung der Musikprogramme bestimmte Zielgruppen–möglichst grosse, für die Werbewirtschaft besonders attraktive Publika–dauerhaft angesprochen werden sollten (vgl. Holznagel/Vesting 1999: 14 f.). Das Prinzip |103◄ ►104| der Formatierung findet seit den 1980er-Jahren vermehrt auch im Fernsehsektor Anwendung.

• Start der Fernsehwerbung (z. T. auch Radiowerbung) und Auf-und Ausbau der Publikums- und Programmforschung (1960er-und 1970er-Jahre): Die Einführung von Rundfunkwerbung war stets mit dem Auf- und Ausbau von Publikums- und Programmforschung verbunden. In den USA sind Publikumsbefragungen zu Sender- und Programmpräferenzen seit den 1930er-Jahren Routine. Der kommerzielle Rundfunk richtete schon damals seine Programmgestaltung stark auf die Erfordernisse der Werbewirtschaft aus, wozu er aktuellste Daten zu den Publikumspräferenzen benötigte (vgl. Lichty/Topping 1975: 453 ff.). In Europa erfolgte in den 1960er-Jahren ein erster Entwicklungsschub der Publikums- und Programmforschung (vgl. Kiefer 1999: 711–726), ein zweiter setzte in den 1980er-Jahren mit der Zulassung privater und kommerzieller Konkurrenzsender ein (vgl. Krüger 2001: 50 f.).

Kommerzielle Fernsehwerbung

• Zulassung privater kommerzieller Konkurrenzsender (ab 1980er-Jahre): Seit der partiellen Liberalisierung und Deregulierung des Rundfunks beschleunigt sich die Kommerzialisierung des Rundfunks in Europa (vgl. Meier/Jarren 2001). Die Zulassung zahlreicher privater und kommerzieller Radio- und Fernsehveranstalter seit den 1980er-Jahren förderte bis heute vor allem ein Wachstum im Bereich nachfrageorientierter, zielgruppenspezifischer Angebote (vgl. Dussel 2004: 283). Die Entwicklung verlief und verläuft in Europa jedoch nicht zeitsynchron: So kennt Grossbritannien schon seit 1954 einen privaten kommerziellen Fernsehbereich, während Österreich erst 1993 Privatrundfunk zuliess.

Deregulierung und Kommerzialisierung

4.5 Ausblick: Veränderungspotenzial der Digitalisierung

Leistungssteigerung durch Digitalisierung

Die Digitalisierung führte bis heute zu einer weiteren Expansion medialisierter Kommunikation. Die gesamte Medienbranche veränderte sich durch den Einsatz von Computern im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts in praktisch allen Bereichen stark. Die Digitalisierung ermöglicht enorme Rationalisierungsschritte, beispielsweise bei der Zeitungsproduktion (Bildschirmsatz) oder den Rundfunkmedien (digitale Schnittplätze für Bild und Ton, computergestützte Musikprogrammierung|104◄ ►105| u. a.), und bildet die Grundlage für neue, leistungsfähige Übertragungskanäle (Internet). Damit zeichnet sich auch das Ende oder zumindest eine Relativierung der Frequenzknappheit im Rundfunkbereich ab (vgl. den Beitrag Medienpolitik, i. d. B.).

Innovative Angebots- und Nutzungsformen

Neue digitale Verbreitungskanäle schaffen tatsächlich die technische und organisatorische Möglichkeit, auf das Individuum zugeschnittene Massenprodukte anzubieten und mithilfe von Rückmeldungen des Konsumenten (interaktiv) laufend anzupassen. Noch offen ist, ob und wann sich solche Angebote in grösserem Umfang auch wirtschaftlich rechnen.

Entwicklungschancen für Radio und Fernsehen

Im Zeitalter der nachfrageorientierten Angebotsplanung und -entwicklung könnte sich mittel- oder längerfristig als entscheidend erweisen, dass Radio und Fernsehen dank digitaler Kommunikationsnetze und Speicher eine gewisse Entzeitlichung der Rezeption ihrer rundfunkartigen Kommunikationsangebote organisatorisch umsetzen können. Eine solche Flexibilisierung der Rezeptionsmöglichkeiten steigert die Attraktivität, aber auch Effizienz von Radio und Fernsehen weiter.

Übungsfragen:

Welche Relevanz hat Kommunikations- und Mediengeschichte?

Welche Epochen der Medialisierung öffentlicher Kommunikation lassen sich identifizieren?

An welchen historischen Entwicklungen lässt sich der Bedeutungsverlust des öffentlichen Rundfunks als medienpolitisches Konzept seit den 1960er-Jahren beobachten?

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Heinz Bonfadelli

WAS IST ÖFFENTLICHE KOMMUNIKATION? GRUNDBEGRIFFE UND MODELLE

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1 Grundbegriffe: (soziales) Handeln, symbolische Interaktion, Kommunikation

Handeln, Interaktion, Kommunikation als Grundphänomene menschlichen Seins

Soziales Handeln, symbolische Interaktion und Kommunikation sind für das Leben jedes einzelnen Individuums und für das Funktionieren der Gesellschaft dermassen grundsätzliche wie selbstverständliche Prozesse, dass man sich mit ihnen kaum je bewusst auseinandersetzt. Sie werden quasi als naturwüchsig und unverbrüchlich gegeben hingenommen. Watzlawick/Beavin/Jackson (1969: 53) haben vor diesem Hintergrund das metakommunikative Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren“ postuliert. Höchstens sich gelegentlich einstellende Kommunikationsprobleme, wie etwa Missverständnisse, lassen uns die Komplexität der ihnen zugrunde liegenden mentalen, psychischen und sozialen Prozesse erahnen.–Es erstaunt darum vielleicht, welche Schwierigkeiten diese Grundkategorien menschlichen Verhaltens einer wissenschaftlichen Analyse bereiten. So weist Merten (1977) beispielsweise in seiner klassischen Meta-Analyse auf 160 Definitionsversuche des Begriffs „Kommunikation“ hin, und zwar von Autoren aus zwölf Wissenschaften.

1.1 Verhalten–(soziales) Handeln–symbolische Interaktion

Handeln: Sinnhaftigkeit

Soziales Handeln: wechselseitiger Bezug

Äusserliches menschliches „Verhalten“ wird nach dem Soziologen Max Weber (vgl. Krallmann/Ziemann 2001: 151 ff.) zu „Handeln“, wenn und insofern der Handelnde mit ihm einen subjektiven Sinn verbindet. Und Handeln wiederum wird zu „sozialem Handeln“, wenn Menschen ihr Handeln und die damit verbundenen Ziele und Erwartungen aufeinander beziehen. Diese Form des sinnhaften wechselseitig aufeinander bezogenen Handelns und die daraus resultierende gegenseitige Abstimmung und Beeinflussung wird auch als „symbolische Interaktion“ bezeichnet (vgl. Beitrag Theorien und theoretische Perspektiven, i. d. B.).

Symbolische Interaktion

Symbolische Interaktion zwischen Menschen als Basis von sozialer Wirklichkeit und Gesellschaft überhaupt ist somit nicht selbstverständlich gegeben, sondern anspruchsvoll und basiert auf wechselseitigen Beziehungen in konkreten Situationen. Damit ist gemeint, dass Verhaltenspläne und aktualisierte Verhaltensweisen jedes Interaktionspartners|113◄ ►114| auf die Intentionen und das Verhalten des Gegenübers bezogen sind und man Reaktionsmöglichkeiten des anderen bereits als Erwartungen für das eigene Verhalten in Rechnung stellt: wechselseitige Beziehung und gegenseitige Beeinflussung.

 

Eine solche Auffassung von sozialem Handeln und symbolischer Interaktion weist darauf hin, dass die Orientierung an Normen und Konventionen sowie ein geteiltes Symbolsystem als Basis von Kommunikation untrennbar mit der Interaktion zwischen Menschen verknüpft ist. Erst dadurch werden die Bildung und Aufrechterhaltung von sozialen Beziehungen zwischen Individuen als wechselseitige Verschränkung der Perspektiven, die je schon auf Informationsaustausch beruhen, möglich: Ohne Kommunikation keine Interaktion–ohne Interaktion keine Kommunikation.

Beziehungs- vs. Inhaltsebene

Die beiden Begriffe bezeichnen darum nicht unterschiedliche Dinge, sondern sind wie die beiden Seiten einer Münze: Es sind je andere Sichtweisen oder Perspektiven desselben Phänomens (Abb. 1): Mit Interaktion bezieht man sich mehr auf die Beziehungsebene zwischen zwei Personen A und B, mit Kommunikation meint man die Inhaltsebene.

Abbildung 1: Beziehungs- und Sachebene von Kommunikation


Quelle: Newcomb 1953: 394

Beispiel: A befiehlt B, etwas Bestimmtes zu tun. Wird dieser Fall aus einer Interaktionsperspektive betrachtet, dann interessiert die spezifische Beziehung zwischen A und B (A ↔ B), d. h. in diesem Fall, dass A das Verhalten von B u. U. zu beeinflussen vermag. Im Zentrum stehen dabei Fragen nach Macht, Kontrolle und Sanktionsmöglichkeiten einerseits, andererseits nach Belohnungs- und Austauschprozessen zwischen A und B. Interessiert jedoch der Inhaltsbezug A → X und B → X , dann steht die Analyse dessen, was A in Form eines Befehls B mitteilt, im |114◄ ►115| Zentrum. Fragen des gegenseitigen Informationsaustausches und der gegenseitigen Verständigung müssen dann analysiert werden.

Definition von Kommunikation ist schwierig


Kommunikation als einseitiger vs. zweiseitigen Prozess


Technisches, kognitives, soziales oder kulturelles Verständnis von Kommunikation

Diese komplexe Verschränktheit von Beziehungs- und Inhaltsebene macht eine knappe und einfache Definition von Kommunikation unmöglich. Die meisten Definitionen rücken darum vereinfacht als Modell nur einen mehr oder weniger zentralen Aspekt des Phänomens „Kommunikation“ ins Zentrum. Diskutiert wurden verschiedenste Fragen (Rusch 2002): Findet in der Kommunikation eine Übertragung von Informationen oder Bedeutungen von einem Sender zu einem Empfänger statt? Konstruieren Gesprächspartner oder Mediennutzer das Gelesene, Gehörte oder Gesehene erst selbst in ihrer Wahrnehmung und ihrem Bewusstsein? Oder muss Kommunikation als wechselseitger Austausch bzw. Teilhabe an gemeinsamem Sinn verstanden werden? Ist Kommunikation ein kognitiver Prozess der Bedeutungsvermittlung, ein sozialer Prozess der Beeinflussung oder ein Prozess des kulturellen Miteinanders?–Die verschiedenen Verständnisse von Kommunikation können prinzipiell in zwei Gruppen unterteilt werden, und zwar insofern Kommunikation eher als einseitiger oder mehr als zweiseitiger Prozess aufgefasst wird. Darüber hinaus unterscheiden sie sich dahin gehend, ob eher von einem technischen, kognitiven, sozialen oder kulturellen Verständnis von Kommunikation ausgegangen wird. Kommunikation wird so auf der Basis der wissenschaftlichen Fachperspektive und des theoretischen Zugriffs vorab als Prozess der Signal- bzw. Informationsübermittlung, der Bedeutungskonstruktion, der Beeinflussung oder der Teilhabe thematisiert und analysiert:

1.2 Kommunikation als einseitiger Prozess

Eine erste Gruppe begreift Kommunikation als einseitigen bzw. unidirektionalen Prozess, wobei je nach Definition Kommunikation als Informationsübermittlung, als Interpretation von Zeichen oder vorab als sozialer Einflussprozess im Zentrum steht (vgl. die Definitionen in Merten 1977):

• Transmission: Kommunikation heisst Transport von Mitteilungen (Maser 1971).

• Interpretation: Unter Kommunikation werde die Aufnahme und Verarbeitung von physikalisch und chemisch nachweisbaren Signalen durch ein Lebewesen verstanden (Meyer-Eppler 1969).

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• Reiz-Reaktion: „To define communication as the process by which an individual transmits stimuli to modify the behavior of another individual“ (Hovland 1948).

1.3 Kommunikation als zweiseitiger Prozess

Eine zweite Gruppe geht von der Vorstellung aus, dass Kommunikation prinzipiell ein zweiseitiger Prozess zwischen Gesprächspartnern ist, und zwar als:

• Austausch: Die Interaktion oder Kommunikation zwischen Personen kann als Austausch von materiellen oder immateriellen Gütern verstanden werden (Homans 1958).

• Teilhabe: „Communication comes from the Latin communis, commun. When we communicate, we are trying to establish a ‘commonness’ with someone. That is, we are trying to share information, an idea, or attitude“ (Schramm 1954).

• Verständigung: Im engeren Sinn versteht man unter Kommunikation einen Vorgang der Verständigung, der Bedeutungsvermittlung zwischen Individuen (Noelle-Neumann/Schulz 1971).

• Ritual: „A ritual view conceives communication as a process through which a shared culture is created, modified, and transformed. The archetypal case of communication is ritual and mythology […]“ (Carey 1989).

Grundmetaphern: Technische Informationsübertragung vs. symbolische Konstruktion

Zusammenfassend betrachtet, unterliegen den verschiedenen Konzeptionen von Kommunikation zwei Grundmetaphern (vgl. Krippendorf 1994): Kommunikation als medientechnisch vermittelter einseitiger Prozess der Übertragung von Information im Unterschied zu Kommunikation als wechselseitiger Prozess der symbolischen Bedeutungskonstruktion. –Sie sollen trotz der oben diskutierten Schwierigkeiten definiert werden:

Information:

Information–lat. „informare“: „formen, bilden, mitteilen“–ist in der Publizistikwissenschaft im Unterschied etwa zur Informatik keine ausschliesslich technische Signalübertragung, sondern ein sinnhaftes soziales Handeln. In der Individualkommunikation bezieht sich die Information auf einen bekannten und in der Massenkommunikation |116◄ ►117| meist auf gegenseitig unbekannte Empfänger (Rezipienten). Dementsprechend ist nach Luhmann (1996: 36) der Code des Systems der Massenmedien die Unterscheidung von Information und Nichtinformation. Information kann so definiert werden als Reduktion von Ungewissheit.

Kommunikation:

Kommunikation–lat. „communis“: „gemeinsam“–zwischen Menschen kann beispielhaft definiert werden als eine Form des sozialen Handelns, das mit subjektivem Sinn verbunden ist und auf das Denken, Fühlen und Handeln anderer Menschen bezogen stattfindet. Es handelt sich also um ein verbales und/oder nonverbales Miteinander-in-Beziehung-Treten von Menschen zum Austausch von Informationen (Kunczik/Zipfel 2005: 26 ff.).

Massenkommunikation:

Massenkommunikation, vom amerikanischen Begriff „mass communication“ übernommen, bezieht sich auf die Verbreitung von Informationen über ein technisches Vermittlungssystem, nämlich die Massenmedien. Meist wird damit auch eine soziologische Theorie der Massengesellschaft verknüpft. Beispielhafte Definition von Massenkommunikation: Informationsverbreitung bzw. Verbreitung symbolischer Inhalte durch spezialisierte soziale Gruppen (Kommunikatoren) mittels technischer Systeme (Medien) an ein grosses, heterogenes und weit verstreutes Publikum (Rezipienten).

2 Dimensionen des Kommunikationsprozesses

Die Definitionsanalyse macht deutlich, dass das Grundphänomen „Kommunikation“ alltäglich und flüchtig, aber gleichzeitig umfassend und komplex ist, und sich darum verschiedenste Dimensionen ausgrenzen und näher beleuchten lassen. Auf einige davon soll nachfolgend kurz eingegangen werden.