Einführung in die Publizistikwissenschaft

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In historischer Perspektive interessiert insbesondere, ob, inwiefern und in welchen Schritten sich Medialisierung zu einem Transformationsprozess von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung entwickelte. Im Kern der medienhistorischen Forschung stehen deshalb die empirische Untersuchung der Ausdehnung medienvermittelter Kommunikation und die Analyse von Medialisierungsfolgen.

Abbildung 4: Medialisierung, Medialisierungslogiken und -folgen


Quelle: Schade 2004: 120

Medialisierung erfolgt über ganz unterschiedliche Prozesse wie Verschriftlichung, Verbildlichung (Bilderzeugung, -aufzeichnung und |88◄ ►89| -übertragung) oder Vertonung (Tonerzeugung, -aufzeichnung und -übertragung). Kommunikatoren können die Möglichkeiten der Medialisierung unterschiedlich einsetzen bzw. ihre eigene Medialisierungslogik (vgl. Abbildung 4) entwickeln. Beispielsweise entwickeln Medienorganisationen zwecks Routinebildung und Verstetigung ihrer Medialisierungslogiken praxisnahe Entscheidungsprogramme (vgl. Abbildung 1). Im Zusammenhang mit der Entwicklung und Anwendung von sekundären und tertiären Medien eröffnet sich unter Anwendung von Speichertechniken die Möglichkeit zur Entzeitlichung und mithilfe von Übertragungstechniken die Möglichkeit zur Enträumlichung von Kommunikation. Das heisst, Rezipienten müssen sich nicht mehr zwingend zeitsynchron am selben Ort wie die Kommunikatoren aufhalten. Mittels der Speicher- und Übertragungstechniken moderner Kommunikationsmedien führte die Medialisierung bis heute zu einer enormen Vervielfältigung von Kommunikation. Das bedeutet, ein Kommunikationsangebot kann–zumindest potenziell–in kurzer Zeit immer mehr Menschen erreichen.

4 Epochen der Medialisierung öffentlicher Kommunikation

Fünf Hauptepochen der Medialisierung

Die Kommunikations- und Mediengeschichte wird in Bezugnahme auf die drei eben skizzierten historischen Prozesse–Differenzierung der Gesellschaft, Technisierung von Medienkommunikation und Medialisierung –in folgende fünf historische Perioden eingeteilt:

1. Der Wandel von Kommunikationsstrukturen im Übergang von archaischen zu stratifizierten Gesellschaften und die Entwicklung von szenischen Medien, Schriften und nicht mechanisierten Druckverfahren (von der Frühgeschichte bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts).

2. Die Mechanisierung des Buchdrucks und die zögerliche Ausbreitung periodischer Publikationen in stratifizierten Gesellschaften (Mitte 15.–17. Jh.).

3. Die Beschleunigung der Medialisierung bei der Herausbildung funktional differenzierter Gesellschaften: Entstehung der Massenpresse im Zeitalter des Liberalismus und der Industrialisierung (18.–19. Jh.).

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4. Die Popularisierung tertiärer Medien: Forcierte Differenzierung des Medienangebotes durch die Rundfunkmedien Radio und Fernsehen (20. Jh.).

5. Digitalisierung der Massenmedien (ab 1980er-Jahre): Die Entzeitlichung der Rezeption von Rundfunkmedien.

4.1 Die Entwicklung von szenischen Medien und Schriftlichkeit

Die erste Phase der Kommunikations- und Mediengeschichte reicht zu den Anfängen der Kulturgeschichte zurück (ca. 37 000 v. Chr.) und führt bis an die Frühneuzeit heran. Über die Entwicklungsgeschichte archaischer Gesellschaften–von den nomadischen Kulturen der Jäger und Sammler hin zum Wechsel zu (relativer) Sesshaftigkeit mit Ackerbau und Viehzucht–liegen lediglich rudimentäre Informationen vor. Der Wandel gesellschaftlicher Kommunikationsstrukturen im Übergang von archaischen zu stratifizierten Gesellschaften kann schon deshalb hier lediglich thesenartig in Form eines stark verallgemeinernden Periodisierungsvorschlages skizziert werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Entwicklung erster Hochkulturen je nach Weltregion zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgte:

1. Archaische Periode (ca. 37 000–ca. 2500 v. Chr.)

2. Multiple hochkulturelle Periode (ca. 2500 v. Chr.–ca. 800 n. Chr.)

3. Zeit des christlichen Mittelalters (ca. 800–ca. 1450)

Archaische Periode

Evolution von Sprache

Der Übergang vom Gruppenleben hoch entwickelter Primaten hin zur menschlichen, archaischen Gesellschaft war verbunden mit der Evolution von Sprache. Sprachliche Kommunikation ist grundsätzlich effektiver als beispielsweise Mimik, Gesten u. a. nonverbale Kommunikationsformen. Archaische Gesellschaften waren kleine soziale Systeme, die „auf der Gemeinsamkeit der Lebensführung und des Wohnens oder auf Verwandtschaft“ beruhten (vgl. Luhmann 1993: 309). Obschon die gesellschaftliche Koordination weitgehend in Interaktion unter Anwesenden erfolgen konnte, entwickelten sich bereits Formen der Medialisierung öffentlicher Kommunikation.

Szenische Medien

Öffentliche Kommunikation im archaischen Zeitalter ist heute u. a. fassbar anhand überlieferter Verbildlichungen szenischer Medien. |90◄ ►91| Die Medialisierung öffentlicher Kommunikation konzentrierte sich demnach auf den kultischen Bereich und erfolgte durch Medien wie Opferritual, Rede, Kulttheater oder Tanz (vgl. Faulstich 1997: 294). Mit dem „Opferherrn“ bildete sich früh die Rolle des Priesters aus: Er war zugleich „Sprachrohr der Gottheit“ und „Sprachrohr für die Anliegen der Gläubigen“ und erfüllte mit „der Weltstrukturierung für alle Mitglieder der Gemeinschaft“ eine „soziale, stabilisierende Steuerungsfunktion“ (Faulstich 1998: 8).

Multiple hochkulturelle Periode

Stadtbildung und Differenzierung der Kommunikationsstrukturen

Die Entstehung von Hochkulturen (u. a. die altägyptische Kultur, die griechische Antike und das Römische Reich) ist eng verknüpft mit der Stadtbildung und der Entwicklung schriftlicher Kommunikation (Tafel, Rolle, Buch). Die sich verbreitende städtische Siedlungsform erlaubte es, die Interaktion zugleich zu verdichten und zu differenzieren: horizontal nach Funktionsbereichen (Religion, politische Ämter, arbeitsteilige Produktion und Handel usw.) und vertikal nach sozialer Schichtung. Da die Oberschichten in den Metropolen relativ klein gehalten wurden, konnte die lokale Koordination der verschiedenen gesellschaftlichen Funktionsbereiche noch weitgehend durch Interaktion erfolgen (vgl. Luhmann 1993: 309).

Schriftlichkeit

Die Schriftlichkeit breitete sich in diesen gut drei Jahrtausenden als Instrument der Eliten langsam aus und diente zunehmend der profanen Kommunikation. Schätzungen gehen davon aus, dass im 3. Jahrtausend v. Chr. in Ägypten maximal ein Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben konnte (vgl. Jochum 1993: 18). Mithilfe der Schrift liessen sich räumlich und zeitlich viel grössere Distanzen überbrücken (Enträumlichung und Entzeitlichung der Rezeption), als dies rein orale Kulturen bislang konnten. Parallel zur Verschriftlichung bildete sich der Beruf des Schreibers heraus. Nun entstanden Archive bzw. Frühformen von Bibliotheken, die eine gewisse Verbreitung gespeicherten Wissens ermöglichten (vgl. Kuckenburg 1989: 184).

Theater und politische Reden

Das griechische Theater entwickelte sich seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. zum wichtigsten szenischen Medium (Theaterbauten mit bis zu 40 000 Plätzen) und spielte auch bei der politischen Kommunikation eine gewisse Rolle, da es die „Möglichkeit des Probehandelns“ vor einer grossen Öffentlichkeit bot (vgl. Schanze 2001: 226 f.). In der Antike erfuhr neben der Schauspielerei auch die Rolle des Redners eine |91◄ ►92| gezielte Professionalisierung. Seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. erlebte die öffentliche politische Rede vor Präsenzpublikum durch systematische rhetorische Schulung (Rhetorik als Medialisierungstechnik) der Redner eine Blütezeit (vgl. Schanze 2001: 229–231).

Zeit des christlichen Mittelalters

Sozial differenzierte Kommunikationsräume

Zur Zeit des christlichen Mittelalters prägten zwei gegenläufige Entwicklungsprozesse den Wandel gesellschaftlicher Kommunikationsstrukturen in Europa: Die Entstehung deutlich abgegrenzter, sozial differenzierter Kommunikationsräume (vgl. Abbildung 6) war eng verknüpft mit der Differenzierung von Medienformen und Kommunikatorrollen (vgl. Faulstich 1996: 21–29). In jedem dieser Kommunikationsräume entwickelten sich spezifische Kommunikationsstrukturen. Die Intensivierung der Kommunikation zwischen den verschiedenen Teilöffentlichkeiten führte jedoch bereits im Mittelalter zum Aufbrechen dieser Kommunikationsgrenzen.

Abbildung 6: Teilöffentlichkeiten mittelalterlicher Gesellschaften


Quelle: Faulstich 1996: 270

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Die Ausbreitung der Schriftlichkeit blieb weitgehend auf die Oberschicht begrenzt, ähnlich wie in den früheren Hochkulturen (vgl. Faulstich 1996: 269–272). Auf dem Land, wo über 90 Prozent der Bevölkerung lebten und nur eine kleine Minderheit lesen konnte, dominierten mündliche Kommunikationsformen. In den Dörfern verbreitete sich das zentral durchorganisierte Pfarrkirchensystem (vgl. Faulstich 1996: 22 f.). Mit der täglichen Frühmesse und weiteren Anlässen organisierte die Amtskirche einen wesentlichen Teil der öffentlichen Kommunikationsangebote.

4.2 Kommunikationswandel im Zeitalter der Mechanisierung des Buchdrucks

 

Rationalisierung des Buchdrucks

Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metall-Lettern Mitte des 15. Jahrhunderts bedeutete in technischer und organisatorischer Hinsicht eine epochale Innovationsleistung: Erstmals gelang es, ein komplexes Handwerk zu mechanisieren. Die Erfindung wird dem in Mainz geborenen Johannes Gutenberg (um 1397–1468) zugeschrieben. Seine besondere Leistung bestand darin, den Buchdruck als Prozess zu rationalisieren. Gleichzeitig gelang es ihm, die Qualität der Druckerzeugnisse zu steigern. Neben den beweglichen und somit mehrfach verwendbaren Lettern führte er auch die Druckerpresse ein und suchte erfolgreich nach besseren Druckfarben (vgl. Hörisch 2001: 133–138). Die Einsparung an Arbeitskräften und die Produktivitätssteigerung waren beträchtlich (vgl. Stöber 2005: 28). Die Qualitätsverbesserung bezüglich Lesbarkeit und Fehlerquote war anfänglich wichtiger als die rasche Steigerung der Reproduktionsrate.

Beschleunigte Ausbreitung von Druckschriften


Bremsende Faktoren

Als Gutenberg 1468 starb, gab es rund ein Dutzend Druckereien. Dreissig Jahre später bestanden bereits in 350 Städten Europas über tausend Druckoffizinen. Nach dem ersten halben Jahrhundert des mechanisierten Buchdrucks waren rund 30 000 Titel in 20 Millionen Exemplaren produziert worden (vgl. Wilke 2000: 16). Die Verbreitung und Nutzung von Druckschriften hatte sich beschleunigt und intensiviert. Jedoch behinderten während Generationen zahlreiche Hemmnisse die Entwicklung des Druckwesens. Die kirchliche oder staatliche Zensur mündete in Europa seit dem ausgehenden 15. bis ins 19. Jahrhundert häufig in Bücherbeschlagnahmungen oder tatsächliche Vernichtungsaktionen von Druckschriften (vgl. Guggenbühl 1996: 23 ff.). Zudem |93◄ ►94| verzögerten die relativ hohen Preise der Druckerzeugnisse und eine niedrige Alphabetisierungsrate der Bevölkerung die Entstehung eines Massenmarktes. Der Prozentsatz der Lesekundigen um 1500 wird ähnlich wie für die Antike auf rund ein Prozent der Gesamtbevölkerung geschätzt, immerhin rund fünf Prozent der Stadtbewohner konnten lesen (vgl. Schwitalla 1999: 27). Trotz bremsender Faktoren veränderte sich die Medialisierung öffentlicher Kommunikation im Zeitalter des mechanisierten Buchdrucks nachhaltig.

Flugblätter und Flugschriften als Kampfmittel

Flugschriften als Medium von Reformbewegungen

Die Ausbreitung des mechanisierten Buchdrucks fiel in eine kultur-und gesellschaftspolitisch bewegte Zeit. Mit kleinen und relativ billigen Massendruckschriften wurden nun neue Nutzungsformen für Schriftmedien gezielt entwickelt und eingesetzt. Die seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert aufkommenden sporadisch produzierten Einblattdrucke, Flugblätter oder sogenannten „Neuen Zeitungen“ (vgl. Koszyk 1999: 896) dienten gerade den Exponenten der damals zahlreichen Reformbestrebungen (Humanismus, Renaissance, Reformation u. a.) bei Bedarf der Verbreitung aktueller Nachrichten und transportierten dementsprechend auch spezifisch religiöse, amtliche, naturkundliche und literarische Inhalte (vgl. Wilke 2000: 21 f.).

Reformation

Die Reformation, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der Bildung des protestantischen Christentums das Ende der kirchlichen Einheit des Abendlandes herbeiführte, nutzte die Form billiger Kleinschriften besonders intensiv. Reformatoren wie Martin Luther oder Ulrich Zwingli hielten ihre Gedanken bewusst nicht nur in teuren Büchern fest, sondern verbreiteten sie auf pamphletartigen Flugblättern, Flugschriften und anderen massenhaft verteilten Kleinschriften. Die Auflage betrug vielfach mehrere Tausend Exemplare, aber nur selten mehrere Zehntausend (vgl. Faulstich 1998: 162 f.).

Entstehung überregionaler Kommunikationsräume

Dass während der Reformation ein erster Höhepunkt in der Produktion von Flugschriften erreicht wurde, zeigt, wie eng der Wandel von Gesellschaft und Kommunikationsstrukturen verknüpft sein kann. Ohne das neue „Medium massenhafter Flugschriften“ hätte sich die Reformation kaum in so rascher Zeit zu einer weiträumigen Massenbewegung entwickeln können, die die bisherigen Grenzen traditioneller Dorfgenossenschaften oder städtischer Bürgergemeinden überwand (vgl. Mörke 2001: 15, 30).

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Zögerliche Entwicklung periodischer Druckschriften

Erste Monats-und Wochenschriften

Obschon die Verschriftlichung öffentlicher Kommunikation vom 15. bis zum 17. Jahrhundert von unregelmässig, nur bei Bedarf gedruckten und vertriebenen Publikationen geprägt war, gilt die Frühneuzeit als Wiege periodischer Druckschriften. Die Herausgabe der nach ihrem Druckort benannten „Rorschacher Monatsschrift“, die 1557 unter dem Titel „Annus Christi“ erstmals erschien, gilt als Meilenstein der Pressegeschichte. Mit ihren zwölf Ausgaben im ersten Jahrgang zählt sie zu den ältesten bekannten deutschsprachigen Serien-Zeitungen (vgl. Wilke 2000: 34). Als Geburtsdatum regelmässig erscheinender Wochen-Zeitungen gilt das Jahr 1609, für das die Ur-Zeitungen „Aviso“ (Druckort: Wolfenbüttel) und „Relation“ (Druckort: Strassburg) erstmals nachgewiesen werden können. Die Auflage der rasch steigenden Anzahl deutschsprachiger Zeitungen betrug im 17. Jahrhundert meist nur wenige Hundert Exemplare (vgl. Wilke 2000: 64). Die nur zögerliche Entwicklung periodischer Druckschriften im 16. und 17. Jahrhundert weist darauf hin, dass die Erfüllung der technischen Voraussetzungen eben nicht für die Entwicklung einer Massenpresse genügte.

4.3 Liberalisierung und Industrialisierung als Wegbereiter der Massenpresse

Ausdehnung der Öffentlichkeit

Liberalisierung, Industrialisierung, Proletarisierung, Alphabetisierung, Steigerung der Mobilität (Post, Eisenbahn), Verstädterung und Medialisierung öffentlicher Kommunikation sowie Pressefreiheit sind nur einige zentrale Stichworte zum epochalen gesellschaftlichen Wandel, der sich in Europa während des 18. und 19. Jahrhunderts vollzog. Das beginnende Zeitalter „technisch-industriell fundierter Gesellschaftssysteme“ (Luhmann 1993: 309) ist geprägt von einer radikalen Entfesselung politischer und wirtschaftlicher Kräfte. Das Aufbrechen der ständischen Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen und der Aufstieg des Bürgertums zur neuen Wirtschafts- und Machtelite waren begleitet von einer schubweisen Expansion öffentlicher, medialisierter Kommunikation (vgl. Imhof/Schulz 1998: 11). Das Prinzip der geheimen Staatsverwaltung, Stützpfeiler aristokratischer Herrschaft, wich nun der Einrichtung öffentlicher Parlaments- und Gerichtsverhandlungen (vgl. Habermas 2006: 412). Diese Ausdehnung der Öffentlichkeit und |95◄ ►96| die Lockerung der Pressekontrolle gaben dem Journalismus starke Entwicklungsimpulse. So bildete die Berichterstattung über parlamentarische Geschäfte vielfach den Ausgangspunkt für eine Verstetigung und Professionalisierung journalistischer Unternehmen wie Tageszeitungen oder Zeitschriften (vgl. Mörke 2001: 22–25).

Ausdehnung der Medienkommunikation


Pluralisierung


Funktionale Differenzierung


Neue Publika

Die Ausdehnung und Differenzierung medialisierter Kommunikation erfolgte in drei Hauptrichtungen:

1. Gesellschaftspolitische Pluralisierung: Der Siegeszug der Pressefreiheit begünstigte die Herausbildung konkurrierender Teilöffentlichkeiten. Die gesellschaftspolitische Pluralisierung widerspiegelt sich besonders in der damaligen Titelvielfalt der Gesinnungspresse.

2. Funktionale Differenzierung: Der Übergang von einer stratifizierten hin zu einer funktional differenzierten Gesellschaftsordnung fand seinen publizistischen Niederschlag u. a. im Aufblühen des Zeitschriftenwesens, das sich zunehmend nach Themen und Fachbereichen auffächerte.

3. Neue Lesergruppen: Mit der Alphabetisierung immer grösserer Bevölkerungskreise stieg die potenzielle Leserschaft seit Ende des 18. Jahrhunderts stark an und erreichte in Europa gegen Ende des 19. Jahrhunderts rund 90 Prozent (vgl. Kogler 2002: 2 f.).

Der Kampf um die Pressefreiheit

Pressefreiheit als politische Forderung


Pionierrolle Englands

Der politische Kampf um eine liberale Regelung öffentlicher Kommunikation lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen (vgl. Bauer 1930: 132 f.). Die Forderung nach Pressefreiheit entwickelte sich aber erst mit der aufkommenden Kritik am Absolutismus bzw. der ständischen Gesellschaftsordnung zu einer zentralen politischen Idee. Als Pionier bei der Durchsetzung der Pressefreiheit gilt England, wo 1695 eine dauerhafte Liberalisierung erfolgte, als das Parlament zahlreiche kommunikationspolitische Restriktionen aufhob: Ein Ende fanden u. a. die regierungsamtliche Vorzensur, die zahlenmässige Beschränkung der Druckereien und die Inspektion der aus dem Ausland eingeführten Drucksachen (vgl. Wilke 1984: 11 f.). Der Staat nahm jedoch über wirtschaftliche Massnahmen wie die Steuergesetzgebung weiterhin starken Einfluss auf die Ausgestaltung der Presselandschaft.

Siegeszug des Liberalismus

Erst ein Jahrhundert später fand das Prinzip der Pressefreiheit Nachahmung: 1791 setzte sich die Pressefreiheit in Amerika nach der Unabhängigkeit und der Gründung der Vereinigten Staaten verfassungsrechtlich|96◄ ►97| durch. Zur selben Zeit bahnten sich in Kontinentaleuropa ähnliche Liberalisierungsschritte an. Die Pressefreiheit zählte zu den Kernpunkten der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 und erfuhr Schutz durch die französische Verfassung von 1791 (vgl. Wilke 1984: 15). Die von Frankreich aufoktroyierte 1. helvetische Verfassung von 1798 brachte der Schweiz u. a. die Pressefreiheit (vgl. Guggenbühl 1996: 91), die seit der Bundesverfassung von 1848 in allen Kantonen das Grundprinzip eines demokratischen Öffentlichkeitsideals bildet. Die Liberalisierung führte hier wie andernorts zum raschen Anstieg der Titelzahl von Zeitungen und Zeitschriften, insbesondere durch die Neugründung politischer Zeitungen (vgl. Markus 1909: 18 f., 70).

Florierendes Zeitschriftenwesen

Vielfalt beim Zeitschriftenwesen

Die funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft und die Bildung entsprechender Teilöffentlichkeiten beschleunigten sich im 18. Jahrhundert. Der damit verbundene Wandel von Medienstrukturen zeigt sich besonders beim stark expandierenden Zeitschriftenwesen, wie Jürgen Wilke aufzeigt: „Die Zeitschrift erwies sich als genuines Medium, das der fortschreitenden sozialen Differenzierung und Arbeitsteilung Ausdruck verlieh, sie zugleich aber öffentlich sichtbar machte und weiter vorantrieb“ (Wilke 2000: 95). Können im deutschsprachigen Raum um 1700 rund 70 Zeitschriftentitel nachgewiesen werden, so waren es um 1750 bereits zwischen 300 bis 400 Titel, und in den 1780er-Jahren wurde die 1000er-Marke überschritten (vgl. Wilke 2000: 94 f.). Ein grosser Teil der Zeitschriftentitel verweist auf die Ausdifferenzierung universitärer Fächer, zahlreich waren ebenfalls die Blattgründungen im kulturellen und politischen Bereich, aber viele Periodika bezogen sich auch auf Alltagsfragen wie Mode oder Moral.

Anbrechendes Zeitalter der Massenmedien

- Verdichtung des internationalen Nachrichtenverkehrs

Die Geschichte der modernen Massenpresse ist eng mit der Industrialisierung verbunden. Der weltweite Informationsfluss verdichtete sich, und die Nachrichtenbeschaffung wurde einfacher. Neue elektrische Kommunikationsmittel wie die Telegrafie (ab 1844) halfen, weite Distanzen in kürzester Zeit zu überwinden. Nun entstanden nationale Nachrichtenagenturen, welche die internationalen Nachrichtenflüsse während Jahrzehnten weitgehend steuerten: die französische Havas |97◄ ►98| (1835), die amerikanische Associated Press (AP, 1848), das deutsche Wolffsche Telegraphenbüro (WTB, 1849) und die britische Reuters (1851) (vgl. Blum 1995: 13 f.).

Innovationen im Druckgewerbe

Bahnbrechende Innovationen bei der Druck- und Satztechnik erlaubten einen Quantensprung bei der Mengenproduktion (vgl. Hiebel et al. [1999]: 153–155, 178, 200, 211). Das Druckgewerbe erlebte einen Visualisierungsschub u. a. mit der technischen Ausreifung der Lithografie (Anfang 19. Jh.) und später der Fotografie, deren massenhafter Druck durch neue Reproduktionstechniken (Autotypie) Ende des 19. Jahrhunderts möglich wurde (vgl. Hiebel et al. 1999: 143–148; 213). All dies schuf die Grundlage für einen Attraktivitätsgewinn der aktualitätsbezogenen Presse. Dazu waren jedoch umfangreiche Investitionen nötig, was eine verstärkte Kapitalisierung und Ökonomisierung der Presse erforderlich machte (vgl. Wilke 2000: 267; Hamilton 2004: 70).

 

Presse als Massenprodukt

Der Wandel der Presse hin zum modernen Massenprodukt war nur möglich, da die allgemeine Lesefähigkeit rasch zunahm, die städtische Bevölkerung stark wuchs und in der Folge Massenmärkte für Presseerzeugnisse entstanden. Neben der Parteipresse bildeten sich im Zuge der Ökonomisierung zwei neue, stark auf das Anzeigengeschäft ausgerichtete Zeitungstypen heraus: der Generalanzeiger mit seiner universellen Berichterstattung und die auf breiteste Leserschaften ausgerichtete Boulevardpresse (vgl. Requate 1995: 19, 358–365; Pürer/Raabe 2002: 414).

Boulevardpresse

In den städtischen Zentren der Frühindustrialisierung–besonders in den Grossstädten der USA, in Frankreich und England–entfaltete sich eine billige Massenpresse, die in einigen Punkten bereits der heutigen Boulevardpresse glich. Die sogenannten „Penny Papers“, die sich zu einem grossen Teil über kommerzielle Anzeigen (Werbung für Industrieprodukte) finanzierten, wandten sich gezielt an ein breites urbanes Publikum und gewichteten Sensationsmeldungen viel stärker als politische Berichte (vgl. Schirmer 2001: 15–17). Die moderne Boulevardpresse entstand Anfang des 20. Jahrhunderts als gezielte Abgrenzung gegenüber den Elitezeitungen und der parteipolitisch geprägten Tagespresse. Sie funktionierte nach eigenen ökonomischen Konzepten, gewichtete die Nachrichtenwerte nach neuen Kriterien und führte innovative ästhetische und gestalterische Prinzipien ein (vgl. Bruck/ Stocker 1996: 15–32). Der ökonomische Erfolg von Publikationen wie der Kronen Zeitung (1900 in Wien gegründet), der B.Z. am Mittag |98◄ ►99| (1904 in Berlin) oder des Daily Mirror (1904 in London) bewog zahlreiche Verleger traditioneller Tageszeitungen zur Nachahmung (vgl. Hennig 1999).

Kritische Reflexion der Massenpresse

Professionalisierung des Journalismus

Die Expansion des Pressewesens führte seit Mitte des 19. Jahrhunderts vielerorts zum Auf- und Ausbau von Redaktionen, die immer häufiger mit hauptberuflichen Journalisten besetzt waren (vgl. Pürer/Raabe 2002: 412–414). Die gesellschaftliche Bedeutung des Journalisten bzw. dessen Kommunikatorrolle gewann mit dem Aufstieg der Massenpresse weiter an Bedeutung, was von zeitgenössischen Beobachtern vermehrt kritisch reflektiert wurde. Die Bemühungen um eine Verwissenschaftlichung des Pressewesens und Akademisierung der Journalistenausbildung reichen denn auch zurück ins späte 19. Jahrhundert (vgl. Schade 2005).

Medien in der Kritik

Das im 19. Jahrhundert gängige Bild der Presse als Instrument der Aufklärung wurde während des Ersten Weltkriegs (1914–1918) insbesondere in Europa erschüttert. Die nationalistisch geprägte Pressearbeit der kriegführenden Staaten führte den Zeitgenossen vor Augen, wie sehr sie bei der Wahrnehmung und Interpretation der Welt von den publizistischen Leistungen der Presse abhängig waren (vgl. Bauer 1930: 13, 372–395). Das Bild von der zum Propagandainstrument degradierten Presse führte zu einer intensiveren, oft skeptischen Reflexion der gesellschaftlichen Funktion von Massenmedien und begünstigte nach Kriegsende auch die universitäre Institutionalisierung der Zeitungs- und Publizistikwissenschaft (vgl. Pürer/Raabe 2002: 124–127).

4.4 Intensive Medienpolitik im Rundfunkzeitalter

Expansion der Medienkommunikation durch Radio und Fernsehen

Radio und Fernsehen prägten im 20. Jahrhundert den Wandel und die starke Expansion von Medienkommunikation. Mit der Rundfunktechnik eröffneten sich für die Medialisierung öffentlicher Kommunikation grundlegend neue Wege: Das Radio (Hauptmedium von den 1930er- bis 1950er-Jahren) bot als erstes Kommunikationsmedium technisch und organisatorisch die Möglichkeit, von einem zentralen Ort aus ein theoretisch unbegrenzt grosses Publikum mit akustisch vermittelten Informationen zu erreichen. Mit dem Fernsehen (Leitmedium|99◄ ►100| seit den 1960er-Jahren) dehnte sich die Rundfunkkommunikation auf den Bereich visueller Informationsvermittlung aus.

Politische und wirtschaftliche Interessen

Die potenziell schier unbegrenzte Reichweite als Massenmedium erklärt zumindest ein Stück weit, weshalb der Rundfunk schon wiederholt zum Objekt heftiger medienpolitischer Kämpfe wurde. Radio und Fernsehen sind aber auch wirtschaftlich von grosser Bedeutung. Für das Zustandekommen von Radio- und Fernsehkommunikation ist–wie schon bei der drahtgebundenen Telegrafie und Telefonie–sowohl auf Kommunikator- wie Rezipientenseite der Einsatz technischer Geräte erforderlich. Die Einführung und Popularisierung des Rundfunks war an den massenhaften Absatz von Empfangsgeräten gebunden.

Vollprogramme vs. Zielgruppen-/ Spartenprogramme

Inwiefern sich die öffentliche Kommunikation im Zeitalter von Radio und Fernsehen veränderte, zeigt sich besonders im Wandel der Angebotsstruktur von Rundfunkmedien, aber auch beim Rezeptionsverhalten.

• Wandel der Angebotsstruktur: Die Differenzierung des Angebotes von Radio und Fernsehen lässt sich anhand der Zunahme von Sendern und anderen Distributionskanälen beobachten, aber auch in Form unterschiedlicher Angebotskonzepte. Die Geschichte des Rundfunks ist geprägt von der Rivalität zweier Grundkonzepte. Während in Europa das Modell des Public Service forciert wurde, dominierte in den USA schon früh der kommerziell ausgerichtete Privatrundfunk. Zugespitzt lässt sich folgendes Gegensatzpaar skizzieren: Vollprogramme für alle Bürger versus Zielgruppen-/ Spartenprogramme für jene Kunden, die von der Werbewirtschaft bevorzugt umworben werden (vgl. Kiefer 1996; Stuiber 1998: 1010–1023).

• Wandel der Rezeption von Rundfunkkommunikation: Beim Rezeptionsverhalten sind Variationen bezüglich Nutzungsdauer, aber auch Nutzungsform beobachtbar. Zwei Nutzungstypen lassen sich gegenüberstellen: Einschaltmedium versus Begleit- oder Nebenbeimedium (vgl. Hickethier 1999; Kuhlmann/Wolling 2004).

Einschalt- vs. Begleit-/Nebenbeimedium

Die historische Entwicklung von Angebotsstrukturen und Nutzungsformen sind eng verflochten. So haben Rundfunkveranstalter ihre Angebotsstrukturen immer wieder dem vermuteten oder beobachteten Rezeptionswandel angepasst. Die Geschichte des Rundfunks in Europa lässt sich in folgende zwei Hauptepochen unterteilen:

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1. Radio und Fernsehen im Dienst nationaler Kommunikation: Public Service für Bürger (1920er- bis 1960er-/1970er-Jahre);

2. Kommerzialisierung des Rundfunks und Ausdifferenzierung unterschiedlicher Zielpublika: Publizistische Angebote für Konsumenten (ab 1970er-/1980er-Jahre).

Der Siegeszug des kommerziellen Rundfunks in den USA

Pionierrolle der USA beim kommerziellen Rundfunk

Das Radio startete seinen weltweiten Siegeszug als Informations- und Unterhaltungsmedium Anfang der 1920er-Jahre in den USA. Dort hatten die Behörden die Radiokommunikation nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend liberalisiert und für zivile und kommerzielle Nutzung freigegeben. Mitte der 1920er-Jahre drohte das Radio in den USA am eigenen Erfolg zu scheitern: In den für den kommerziellen Rundfunk interessanten städtischen Ballungszentren entstanden ständig neue Sendestationen, weshalb schon bald ein „Chaos im Äther“ herrschte, während die weiten ländlichen Gebiete mit einer geringen Bevölkerungsdichte unterversorgt blieben. Die amerikanischen Behörden griffen nun stärker ordnend ein und begünstigten einen Konzentrationsprozess. In der Folge bildeten sich jene drei grossen nationalen Radio-Networks–National Broadcasting Company (NBC), Columbia Broadcasting System (CBS) und American Broadcasting Company (ABC), welche die Radiobranche seit den späten 1920er-Jahren und seit den 1940er-Jahren auch das Fernsehen bis in die 1980er-Jahre dominierten: Die im Grundsatz marktwirtschaftlich orientierte Rundfunkpolitik führte nur begrenzt zu einer Vielfalt unter den Veranstaltern, aber sicherte eine landesweite Versorgung. Neuen Grossveranstaltern gelang der Markteintritt erst mit der Verbreitung des Kabelfernsehens seit den 1970er-Jahren (vgl. Schade 2000: 39–46; Kleinsteuber 2004: 1084–1091).