Einführung in die Publizistikwissenschaft

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Felder der Medienforschung

Die Medienforschung ist zwar disparat, trotzdem lassen sich verschiedene Forschungsfelder ausgrenzen: Die medientechnische Perspektive interessiert sich vor allem für die Klassifizierung und Typologisierung der Medien nach ihren physischen bzw. technischen Merkmalen und dem entsprechenden Leistungsvermögen. In der Zeitdimension steht die Medienentwicklung im Zentrum, und zwar als Mediengeschichte im Rückblick und als Medienprognostik zukunftsorientiert. Und in der Raumperspektive geht es um die vergleichende Analyse von Medienstrukturen bzw. Medienstatistik, aber auch um die Ausgrenzung von Kommunikationsräumen. Schliesslich geht es in sozialer Hinsicht um Fragen nach der Funktionsweise, Institutionalisierung (bspw. öffentlich-rechtlich vs. privat) oder Regulierung (Medienrecht) und Steuerung von Medien.

6.2 Typologien

Medientypologien

Massenmedien können nach unterschiedlichsten Kriterien klassifiziert, positioniert und miteinander verglichen werden. Zu unterscheiden ist dabei zwischen ein-, zwei- und multidimensionalen Typologien, wobei diese wieder auf medientechnischen, zeichentheoretischen oder organisatorisch-instsitutionellen Kriterien basieren können. Im Folgenden wird je ein Beispiel gegeben (vgl. Bonfadelli 2002: 17 ff.).

In technologischer Hinsicht werden meist vier Medientypen unterschieden: |137◄ ►138|

a. Primäre Medien sind körpergebundene Darstellungsmittel im direkten zwischenmenschlichen Kontakt, und zwar ohne technische Hilfsmittel wie die mündliche Rede, Mimik und Gestik.

b. Sekundäre Medien sind solche, bei denen die wahrnehmbaren und transportierbaren Zeichen durch einen technischen Vorgang hergestellt werden; deren Aufnahme durch den Empfänger aber ohne technische Hilfsmittel erfolgt wie bei Büchern, Zeitungen oder Fotografien.

c. Tertiäre Medien wie Fernsehen und Radio bedürfen sowohl bei der Herstellung als auch bei der Übertragung und beim Empfang einer technischen Einrichtung.

d. Quartärmedien schliesslich basieren auf Digitalisierung und erlauben Interaktivität.

In zeichentheoretischer Hinsicht kann beispielsweise nach der Übertragungstechnik unterschieden werden zwischen Print-/Druckmedien, auditiven Medien (Radio und Tonträger), audiovisuellen Medien (Film, Fernsehen) und Multimedia (CD-ROM, Internet).

In organisatorisch-institutioneller Hinsicht haben Siebert/Peterson /Schramm in den 50er-Jahren zwischen autoritärer, totalitärer, liberaler und demokratisch kontrollierten Formen der Medieninstitutionalisierung unterschieden. Nach der Einführung des sog. dualen Rundfunks Mitte der 80er-Jahre in Europa wird oft typologisch das Public-Interest-Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dem Marktmodell der kommerziellen bzw. privaten Medien gegenübergestellt.

7 Fazit

Kommunikation: flüchtig, selbstbezüglich, komplex

Schwierig zu definieren, vielfältige Modelle

Obwohl Kommunikation ein alltäglicher, flüchtiger und meist nicht hinterfragter, aber selbstbezüglicher Basisprozess des menschlichen Seins ist und das Zusammenleben in der Gesellschaft erst ermöglicht, erweist es sich als schwierig, sie präzise und umfassend zu definieren. Die bestehende Vielfalt an Kommunikationsmodellen ist darum ein Beleg für die Vielschichtigkeit und Komplexität von Kommunikation als Basisphänomen, das in den meisten (sozial-)wissenschaftlichen Disziplinen aus je anderer Perspektive analysiert wird.

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Massenkommunikation: medienvermittelt, sozial organisiert, gesellschaftlich institutionalisiert

Auch für die Massenkommunikation gilt, dass es sich um vielschichtige und mehrdimensionale Prozesse handelt, deren Spezifika als medienvermittelte, sozial organisierte und gesellschaftlich institutionalisierte Kommunikation sich eher schlecht visualisieren lassen. Als Folge dominieren in den visualisierten Modellen mehr oder weniger einseitige Vorstellungen der Individual- bzw. Gruppenkommunikation. Ausgeblendet werden u. U. Aspekte wie die Journalisten als Kommunikatoren, welche in soziale Handlungssysteme mit Regeln und Normen eingebunden sind, die Redaktionen als Organisationen und Rollenkontexte des journalistischen Handelns (Profession), die Medien als ökonomische Unternehmen und Organisationseinheiten, die Massenkommunikation als unterschiedlich organisierte und geregelte gesellschaftliche Institution mit ausdifferenziertem Leistungsvermögen. Eine weitere Schwäche vieler Modelle und Konzeptionen der Massenkommunikation besteht darin, dass sie sich medienzentriert einseitig nur auf den Prozess der Massenkommunikation konzentrieren und den gesellschaftlichen Kontext, in den die Massenkommunikation eingebettet ist, zu wenig oder überhaupt nicht reflektieren.

Neue medientechnische Entwicklungen als Herausforderungen für Basiskonzepte, Theorien, Methoden und Praxis

Darüber hinaus haben die technologischen Weiterentwicklungen im Bereich der Kommunikationskanäle durch Digitalisierung, Multimedia und Internet dazu geführt, dass die bis anhin relativ klaren Unterscheidungsmerkmale zwischen interpersonaler und Massenkommunikation sich aufzulösen begonnen haben. Für die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft äussern sich diese neuen Entwicklungen als Herausforderungen, und zwar für die Konzeption ihrer Basisbegriffe, die Theoriebildung und die verwendeten Methoden. Aber auch im Bereich der Medienpraxis ergeben sich als Folge ganz neue Berufsfelder, und die bestehenden Berufsbilder befinden sich in einem Prozess der Umstruktuierung (vgl. Löffelholz/Quandt 2003).

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Übungsaufgaben:

Worin unterscheiden sich Verhalten, soziales Handeln und symbolische Interaktion?

Was versteht man unter der Beziehungs- und Sachebene der Kommunikation?

Was bedeuten „Reziprozität“ und „Reflexivität“ in Bezug auf Kommunikation?

Wie lautet die sog. Lasswell-Formel? Und was sind deren Vor- bzw. Nachteile?

Wie definiert Gerhard Maletzke „Massenkommunikation“?

Welche Funktionen übt Kommunikation für Individuen und Gesellschaft aus?

Basisliteratur

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Literatur

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Patrick Donges/Martina Leonarz/Werner A. Meier

THEORIEN UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN

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1 Begriff der Theorie

Definition des Begriffs Theorie

Der Begriff der Theorie leitet sich vom griechischen Verb „theorein“ ab, was sehen, anschauen oder erkennen bedeutet. Theorien bestimmen die Perspektive, mit der soziale Phänomene betrachtet werden. Sie stellen Begriffe zur Verfügung, anhand deren diese Phänomene dann geordnet, beschrieben, verstanden und analysiert werden können. Damit strukturieren Theorien unser Denken über bestimmte soziale Phänomene grundlegend (Schülein/Reitze 2002).

Begriff der Metatheorie

Konkrete Umschreibungen des Begriffs der Theorie variieren in der Wissenschaft sehr stark. Hinter diesen unterschiedlichen Definitionen stehen unterschiedliche Auffassungen darüber, wie (wissenschaftliche) Erkenntnis möglich ist, welche Aufgaben Wissenschaft hat und wie sie im Forschungsprozess vorgehen sollte–also sehr komplexe Fragen nach dem Wesen der Wissenschaft selbst. Die unterschiedlichen Standpunkte in Bezug auf diese Fragen werden als Metatheorien (Theorien über Theorien) bezeichnet.

Konstruktivismus als Erkenntnistheorie

Ein Beispiel für eine solche Metatheorie ist der Konstruktivismus. Mit diesem Begriff werden unterschiedliche Ansätze der Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften bezeichnet, die davon ausgehen, dass ein erkennendes Subjekt (etwa ein Individuum) über keinen direkten Zugang zur „objektiven“ Realität verfügt. Der Konstruktivismus ist im Kern eine Erkenntnistheorie. Fragen nach Realität „lassen sich auch mit den Mitteln der Wissenschaft nicht beantworten. Denn was ‚wirklich‘ geschah, welches das ‚richtige‘ Bild von Realität ist, das ist letztlich eine metaphysische Frage. Niemand ist in der Lage, darüber eine intersubjektiv verbindliche Auskunft zu geben“ (Schulz 1976: 27). Kommunikation wird vom Konstruktivismus als Akt der individuellen Sinnkonstruktion verstanden. Medien liefern demnach Angebote zu dieser Wirklichkeitskonstruktion, haben aber nicht die Aufgabe, Realität abzubilden (vgl. Schulz 1989, Grossmann 1999, Weber 2003a).

Unterschiedliche Tiefen und Reichweiten von Theorien

Auch unterhalb solcher metatheoretischen Fragen über Möglichkeiten und Ziele wissenschaftlicher Erkenntnis können Theorien unterschiedliche Tiefen und Reichweiten aufweisen. Je höher die Reichweite einer Theorie und ihre Komplexität, desto schwieriger lässt sie sich empirisch überprüfen. Auch hier gibt es unterschiedliche Formen der idealtypischen Differenzierung. König (1973) beispielsweise unterscheidet: |145◄ ►146|

• Beobachtung empirischer Regelmässigkeiten

• Ad-hoc-Theorien

• Theorien mittlerer Reichweite

• Theorien höherer Komplexität (König 1973: 4, vgl. auch Atteslander 2000: 36–37).

Je nach Theorieverständnis lässt sich darüber streiten, ob die Beobachtung empirischer Regelmässigkeiten oder auch Ad-hoc-Theorien ohne eine Erklärung der beobachteten Zusammenhänge bereits Theorie sind. Andere Autoren wählen den von Merton geprägten Begriff der Theorien mittlerer Reichweite als kleinste Einheit, worunter „Theorien über begrenzte soziale Verhaltensbereiche und Strukturen, die nur eine beschränkte raum-zeitliche Geltung besitzen (Wienold 1994: 679) zu verstehen sind. Beispiele wären der Uses-and-Gratifications-Approach oder die Theorie der Schweigespirale. Es sind Theorien, die Aussagen über bestimmte Epochen, Kulturen oder Organisationsformen machen, ohne Anspruch darauf, dass diese Aussagen auch in anderen Kontexten gültig sind. Genau dies ist der Anspruch von Theorien höherer Komplexität. Diese versuchen, einen Gegenstand als Ganzes zu erfassen und beanspruchen universelle Gültigkeit. Ein Beispiel wäre die Systemtheorie. Aus dieser Theorie lassen sich zwar empirisch überprüfbare Fragestellungen und Hypothesen ableiten, sie ist aber an sich empirisch nicht zu verifizieren oder falsifizieren.

Induktives und deduktives Vorgehen

Bei den Beziehungen von Theorie und Gegenstand lassen sich zwei Vorgehensweisen differenzieren: induktive und deduktive Theoriebildung.

• Beim induktiven Vorgehen wird ohne Vorstellungen über theoretische Zusammenhänge „voraussetzungslos“ mit dem Beobachten eines Gegenstandes begonnen. Die Beobachtungen werden systematisiert und in Hypothesen formuliert, bei deren Bestätigung dann Gesetze und Theorien gebildet werden können. Das wissenschaftstheoretische Problem besteht darin, dass wir nicht sicher sein können, ob wir von bestimmten Regelmässigkeiten in einem bestimmten Kontext auf andere schliessen können. Induktiv gewonnene Theorien können daher immer nur theorie-entdeckend, aber nicht theorie-prüfend sein.

• Beim deduktiven Vorgehen wird von einer bereits vorliegenden Theorie ausgegangen und versucht, diese empirisch zu überprüfen. Das deduktive Vorgehen bezweifelt die Möglichkeit, als reiner

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Beobachter voraussetzungslos an die Wirklichkeit heranzutreten. Schon die Auswahlkriterien, mit denen wir ein Forschungsobjekt erfassen, basieren auf bestimmten Interessen und Perspektiven. Deduktives Vorgehen bedeutet deshalb von vornherein die Aufstellung allgemeiner, generalisierter Hypothesen, die dann in überprüfbare Bestandteile umgesetzt (operationalisiert) und getestet werden können.

Abbildung 1: Induktives und deduktives Vorgehen


Makro-, Meso-und Mikroebene als Bezug

Ferner lassen sich Theorien danach differenzieren, ob sie als Bezugsebene die Makro-, Meso- oder Mikroebene wählen.

• Die Makroebene bezeichnet die Bezugsebene der Gesellschaft, ihre unterschiedlichen Teilbereiche oder -systeme. Hier geht es beispielsweise um die Rolle von Medien (oder des Mediensystems) insgesamt oder um die Frage, inwieweit eine Gesellschaft wiederum die Form „ihrer“ Medien beeinflusst.

• Mit der Mesoebene ist die Bezugsebene von Organisationen und Institutionen angesprochen. Untersuchungsgegenstand sind hierbei Organisationen als Ergebnis sozialer Handlungen, also z. B. die Medienunternehmen.

• Die Mikroebene schliesslich bezeichnet die soziale Handlungsebene. Untersuchungsgegenstand sind Individuen und Gruppen, beispielsweise einzelne Mediennutzerinnen und -nutzer, bezüglich ihrer Einstellungen, Werthaltungen oder ihres sozialen Verhaltens.

Dualismus von Handlung und Struktur

Man kann einzelne kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen auf unterschiedlichen Theorieebenen diskutieren und gelangt dadurch zu unterschiedlichen Sichtweisen. Ein Beispiel: Medien lassen sich |147◄ ►148| auf der Makroebene als System oder als Struktur begreifen, z. B. dann, wenn wir nach den strukturellen Problemen des Mediensystems in der Schweiz fragen (vgl. Beitrag Mediensystem–Medienorganisationen, i. d. B.). Ein Strukturproblem wie beispielsweise die hohe Nutzung ausländischer Medien in der Schweiz resultiert aber aus individuellen Handlungen. Dabei ist den Individuen meist nicht bewusst, dass sie durch ihr Handeln strukturelle Veränderungen auslösen können. Wir können soziale Probleme also von zwei Seiten beschreiben: von einzelnen Handlungen oder von Strukturen ausgehend. Man spricht in den Sozialwissenschaften allgemein von einem Dualismus zwischen Handlungs- und Strukturtheorien (vgl. Schimank 2006). Im Folgenden werden zunächst einzelne Handlungs-, darauf folgend dann System-und Strukturtheorien vorgestellt.

2 Handlungstheorien

Begriffe Handeln und soziales Handeln

Unter dem Begriff der Handlungstheorie werden in den Sozialwissenschaften höchst unterschiedliche Ansätze subsumiert, die die Intentionalität menschlichen Handelns zum Ausgangspunkt für Erklärungen sozialer Sachverhalte und Prozesse nehmen. Handeln kann dabei mit Max Weber definiert werden als „menschliches Verhalten (einerlei ob äusserliches oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) […], wenn und insofern der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden“ (Weber 1921: 1). Die Nutzung von Medien ist beispielsweise ein Handeln, ebenso wie bestimmte Handlungen, die Medienaussagen überhaupt erst hervorbringen. Als eine Form des Handelns kann soziales Handeln unterschieden werden, „welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“ (Weber 1921: 1). Kennzeichnend für soziales Handeln ist also, dass sein subjektiver Sinn andere Handelnde in Rechnung stellt.

Im Mittelpunkt handlungstheoretischer Ansätze stehen Akteure sowie die Bedingungen, Formen und Folgen ihres Handelns. In den vielfältigen Ansätzen, die das Handeln einzelner Individuen oder Gruppen zu erklären versuchen–und von denen hier nur ein kleiner Teil thematisiert werden kann–stehen sich grob vereinfacht zwei Paradigmen gegenüber: Ökonomische Modelle, die das Handeln vorrangig |148◄ ►149| aus individueller Nutzenmaximierung heraus erklären, und soziologische, die auf Rollen und Normen als Ursache von Handlungen verweisen. Ferner wird mit dem Symbolischen Interaktionismus kurz ein interpretativer Ansatz thematisiert.

2.1 Der Begriff des Akteurs

Der Begriff des Akteurs bezeichnet eine handelnde Einheit, die sowohl eine Person (individuelle Akteure), ein Netzwerk aus Personen (kollektive Akteure) oder eine formale Organisation (korporative Akteure) sein kann. Gemeinsam ist solchen Akteuren, dass sie bestimmte Präferenzen haben, die sie erreichen wollen. Sie handeln nach bestimmten Orientierungen (Normen, Regeln etc.), sind in der Lage, ihre Umwelt wahrzunehmen und verfügen über Fähigkeiten und Ressourcen. Ferner verstehen Akteure sich selbst als solche und werden auch von anderen anerkannt (Selbst- und Fremdwahrnehmung als Akteure) (vgl. Geser 1990: 402–403, Scharpf 2000, Schimank 2006). Individuelle Akteure, also Personen, können aus persönlichen Motiven heraus handeln, aber auch im Namen oder in Vertretung anderer. Kollektive Akteure bestehen aus Individuen oder Organisationen, streben aber eine kollektive Handlungsfähigkeit ohne formale Organisation an (vgl. auch Mayntz/Scharpf 1995: 49–51). Sie haben daher in der Regel auch keine Mitgliedschaften, sondern kennen informelle Formen der Zugehörigkeit. Die Umweltschutzbewegung beispielsweise wäre ein kollektiver Akteur, der wiederum aus korporativen Akteuren (wie etwa WWF oder Greenpeace) besteht. Korporative Akteure sind „handlungsfähige, formal organisierte Personen-Mehrheiten, die über zentralisierte, also nicht mehr den Mitgliedern individuell zustehende Handlungsressourcen verfügen, über deren Einsatz hierarchisch (zum Beispiel in Unternehmen oder Behörden) oder majoritär (zum Beispiel in Parteien oder Verbänden) entschieden werden kann“ (Mayntz/Scharpf 1995: 49–50, Esser 2000: 241, vgl. auch Schimank 2006: 310). Korporative Akteure sind Organisationen, die über Formen der Mitgliedschaft verfügen–wie beispielsweise ein Medienunternehmen oder eine Universität.

 

Nicht mit kollektiven oder korporativen Akteuren verwechselt werden dürfen Akteur-Aggregate. Das Publikum von Medienangeboten beispielsweise ist kein Akteur, sondern ein Aggregat individueller |149◄ ►150| Akteure, die ihre auf individueller Ebene existierenden Präferenzen und Ressourcen nicht zusammenlegen und daher keine kollektive Handlungsfähigkeit erreichen können. D. h. Gruppen individueller Akteure, die bestimmte Merkmale teilen oder deren Nutzenfunktionen voneinander abhängig sind (vgl. Scharpf 2000: 99).

2.2 Nutzenorientierte Handlungstheorien (Rational Choice)

Grundannahme des Methodologischen Individualismus

Ausgangspunkt vor allem ökonomischer Handlungstheorien ist der Methodologische Individualismus, wonach das Individuum die zentrale Analyseeinheit bildet und alle zu erklärenden Phänomene einer Gesellschaft letztlich auf individuelle Entscheidungen zurückgeführt werden können. Die konkrete Entscheidungssituation wird dabei von zwei Faktoren bestimmt: den Präferenzen des Individuums und den Restriktionen, die seinen Handlungsspielraum begrenzen.

Rationales Handeln, Rational Choice

Grundlage der Rational-Choice-Theorie ist, dass das Individuum unter den ihm zur Verfügung stehenden Alternativen jeweils diejenige auswählt, die seinen eigenen Präferenzen am ehesten entspricht (rationale Nutzenverfolgung). Allerdings gibt es unterschiedliche Definitionen des Begriffs der Rationalität. Die häufigste Variante ist das Prinzip der Nutzenmaximierung (vgl. Etzrodt 2003: 15): Danach wählt der „Homo Oeconomicus“

• anhand subjektiver Kosten-/Nutzen-Einschätzungen

• bei knappen Ressourcen

• abnehmendem Grenznutzen (je mehr ich von etwas habe, umso weniger nützt es mir, d. h., der Zusatznutzen wird immer kleiner)

• Opportunitätskosten (Kosten der Zielverfolgung)

• und einer Diskontierung der Zukunft (ein Nutzen in ferner Zukunft wird als weniger erstrebenswert erachtet als ein naheliegender) rational (Schimank 2006: 72–81).

Kritik an der Hypothese der Nutzenmaximierung

Die ökonomische Handlungstheorie geht nicht davon aus, dass unterschiedliche Akteure in einer konkreten Handlungssituation gleich handeln, sondern davon, dass die Situation von den Handelnden subjektiv und möglicherweise unterschiedlich bewertet wird. Dabei spielen auch die subjektiven Erwartungen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines bestimmten Nutzens eine Rolle, die sowohl über- als |150◄ ►151| auch unterschätzt werden können. Es wird in der Regel nicht davon ausgegangen, dass Akteure in der Lage sind, sowohl ihre Handlungsalternativen als auch deren Folgen korrekt wahrzunehmen (Annahme vollständiger Informationen). Akteure handeln vielmehr unter Unsicherheit und sind bestrebt, diese zu reduzieren. Nach dem Modell der begrenzten Rationalität („bounded rationality“) versuchen Akteure auch nicht, ihren Nutzen zu maximieren, sondern geben sich mit den bestmöglichen oder befriedigenden Alternativen zufrieden („satisfy rather than maximize“, Simon 1997: 119).

In der Kommunikationswissenschaft sind nutzenorientierte Handlungsmodelle etwa in der Medienökonomie relevant. Sie werden beispielsweise herangezogen, um das Verhalten von Unternehmen auf Medienmärkten zu erklären: Warum wählt ein Medienunternehmen angesichts einer bestimmten Marktstruktur eine bestimmte Strategie? Wie versuchen Unternehmen, die Unsicherheit über ihre Wahlmöglichkeiten zu reduzieren? Wie verändern sich Märkte durch das nutzenorientierte Handeln von Unternehmen?

2.3 Rollen- und normenorientierte Handlungsmodelle

Bedeutung von Rollen und Normen

Im Unterschied zu den oben genannten Modellen, die Handeln aus der Verfolgung individueller und rationaler Nutzenkalküle heraus deuten, spielen bei soziologischen Erklärungsansätzen Begriffe wie Werte, Normen, Rollen sowie die daran geknüpften Erwartungen eine zentrale Rolle. Der Handelnde trifft dabei seine Handlungsentscheidungen zumeist nicht freiwillig, wie Durkheim bereits 1895 in seiner klassischen Definition soziologischer Tatbestände zum Ausdruck brachte: „Sie bestehen in besonderen Arten des Handelns, Denkens und Fühlens, die ausserhalb der Einzelnen stehen und mit zwingender Gewalt ausgestattet sind, kraft deren sie sich ihnen aufdrängen“ (Durkheim 1999: 107).

Das „Zwanghafte“ der Rollen liegt in den mit ihnen verbundenen normativen Erwartungen begründet, und diese Erwartungen sind in erster Linie sozial begründet. Normative Erwartungen reichen von rechtlichen Regeln, die bestimmte Handlungen verbieten oder begrenzen, bis hin zu informellen Normen, bei deren Übertretung gleichwohl eine soziale Missbilligung erfolgt. Der Mensch wird hier nicht als Individuum, sondern stärker als Teil einer Gruppe gesehen.

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„Role making“ und „role taking“

Soziales Handeln darf nun aber nicht mit einem passiven Befolgen sozialer Normen und Erwartungen gleichgesetzt werden. Von diesem „role taking“ ist das „role making“ zu unterscheiden, die kreative Bewältigung von Konflikten des Rollenhandelns. Wenn etwa die Erwartungen, die von unterschiedlichen Bezugsgruppen an eine Rolle herangetragen werden, in sich widersprüchlich oder nicht klar definiert sind, wenn die zur Ausübung einer Rolle notwendigen Ressourcen nicht vorhanden sind, kurzum: wann immer es bei der Ausübung einer Rolle innerhalb einer bestimmten Handlungssituation zu Konflikten kommt, muss der Handelnde seine Rolle selbst gestalten und modifizieren (vgl. Schimank 2006: 55–67). Gerade in modernen Gesellschaften dürfte das findige „role making“ die häufigste Form der Rollenorientierung darstellen.

In der Kommunikationswissenschaft sind Rollen und Normen beispielsweise in der Kommunikatorforschung von Interesse. Mit welchen Rollen- und Normenerwartungen werden etwa Journalistinnen und Journalisten konfrontiert? Wie verstehen und interpretieren sie ihre Rolle selbst? Inwieweit strukturieren Organisationen, etwa eine Zeitungsredaktion, durch die Vorgabe von Rollen und Normen das Handeln ihrer Mitglieder? Was passiert, wenn es zu Konflikten zwischen Rollenerwartungen und Ressourcen kommt–beispielsweise dann, wenn Journalistinnen und Journalisten keine Zeit mehr für die Recherche haben oder medienethische Fragen kommerziellen Erwägungen unterwerfen?

2.4 Bedeutungsorientierte Handlungsmodelle

Symbolischer Interaktionismus

Eine Theorie, die die Verständigung von Individuen innerhalb einer Gruppe zum Gegenstand hat, ist der symbolische Interaktionismus. Er fragt danach, wie soziale Wirklichkeit durch interaktiv aufeinander bezogene Handlungsabläufe und den Austausch von Symbolen hergestellt wird. Dabei werden drei zentrale Annahmen getroffen:

• Menschen handeln „Dingen“ gegenüber aufgrund der Bedeutung, die diese Dinge für sie besitzen, wobei „Dinge“ auch Menschen, Situationen etc. sein können. Grundlegend ist hier das sog. Thomas-Theorem: „If men define situations as real, they are real in their consequences“, d. h., es gibt keine Realität an sich, sondern diese entsteht erst durch die Zuschreibung von Bedeutungen. |152◄ ►153|

• Die Bedeutungen der Dinge sind aus der sozialen Interaktion, die man mit seinen Mitmenschen eingeht, abgeleitet oder entstehen aus ihr.

• Die Bedeutungen werden in einem interpretativen Prozess der Auseinandersetzung gehandhabt und geändert (vgl. Treibel 2000: 118).

Bei der Zuschreibung von Bedeutungen, der sozialen Interaktion und den interpretativen Prozessen spielen in der modernen Gesellschaft Medien eine zentrale Rolle (vgl. Krotz 2008). Wie nutzen Menschen die Medien zur Generierung und Verbreitung von Bedeutungen? Welche Symbole lassen sich in Medieninhalten finden, wie werden diese Symbole von einzelnen sozialen Gruppen interpretiert?