EINE REISE DURCH DEUTSCHLAND

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EINE REISE DURCH DEUTSCHLAND

Handelsblatt

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2013 Handelsblatt

ISBN: 978-3-8442-7237-6

EINE REISE DURCH DEUTSCHLAND

In der deutschen Wirtschaft gibt es nicht nur den Dax 30 und die Ballungsräume. Auf einer Reise durch Deutschland zeigen wir Branchen und Unternehmen, die ihre Region prägen.

Texte: Catrin Bialek, Martin Buchenau, Axel Höpner, Joachim Hofer, Thomas Jahn, Christoph Kapalschinski, Silke Kersting, Anja Müller, Christoph Schlautmann, Mark C. Schneider, Miriam Schröder, Hans-Peter Siebenhaar, Maike Telgheder, Benjamin Wagener

Inhalt

Gosch und Sansibar - Die von Sylt

Chiemgau - Die Währungsrebellen

Waren an der Müritz - Flügel für Schiffe

Berlin - Die Amerikaner in Berlin

Duisburg - Besuch im Labyrinth

Oberndorf - Mit den Waffen einer Stadt

Babelsberg - Bäbelsbörg, die Fabrik für deutsche Träume

Görlitz - Raus aus der Randlange

Wolfsburg - Volkswagens Vergnügungsstadt

Essen - Die Hauptstadt der Konzerne

Köln - Das Kreuz mit der Kathedrale

Glashütte - Wo die Zeit richtig teuer ist

Tuttlingen - Die Wiege der Medizintechnik

Holzminden - Der Duft für die große, weite Welt

Castell - Aus Liebe zu Wein und Wald

Friedrichshafen - Das Erbe des fliegenden Grafen

Gosch und Sansibar

Die von Sylt

Deutschlands nördlichste Insel ist längst eine reinrassige Marke geworden. Hinter dem Erfolg stehen nicht zuletzt zwei Sylter Unternehmen: Gosch und Sansibar.

Gastronom Jürgen Gosch starrt auf die Speisekarte auf dem Stehtisch. "Warum liegt die hier?" brummt der Gastronom. "Die ist nicht nur hässlich. Die ist auch nass." Fragend wandern seine Augen durch das Sylter Restaurant "Gosch am Kliff".

Schon ist der Betriebsleiter zur Stelle. Stimmt, erwidert dieser, die sollte nicht hier liegen. Er zerreißt die aufgeweichte Pappe. "Nicht zerreißen", stöhnt Gosch. "Die müssen Sie doch dem Abräumer zeigen." Der Restaurantmanager nickt stumm. Der 69-jährige Gosch lächelt. Nachsichtig. Im Grunde kann er es nicht so richtig fassen, dass nicht alle Menschen mit der gleichen Inbrunst, mit derselben 120-Prozentigkeit arbeiten wie er.

Gosch ist Perfektionist. Mit einem Geschirrtuch wischt er über die Stehtische, mit dem Finger prüft er, ob die Pflanzen auf dem Tisch tatsächlich gewässert wurden. Auch Sylt ist perfektionistisch. Sogar der feine Sandstrand neben dem Restaurant und auf der ganzen Insel wird täglich mit Traktoren gesäubert. Keine Frage, Gosch und Sylt passen hervorragend zusammen.

Seit 45 Jahren führt Gosch den Laden, der einst eine Imbissbude in List im Norden der Insel war und heute ein kleines Fischimperium ist - mit 36 Niederlassungen, rund 1 000 Mitarbeitern und einer eigenen Fischfabrik. Im Herzen der Marke, im Logo, führt Gosch die Silhouette der Insel Sylt. Es ist eine klassische Win-win-Situation: Der Fischspezialist zehrt vom schillernden Image der Insel, und für die Marke Sylt sind Erfolgsgeschichten wie Gosch ein Glücksfall.

Kein anderer deutscher Touristenort ist so präsent wie Sylt. 850 000 Menschen machen hier jährlich Urlaub. Die Silhouette kennt fast jeder, schließlich klebten sie Millionen verliebter Inselbesucher auf ihre Autokarossen. Gosch-Restaurants in zig Fußgängerzonen, Kleidungsstücke von Sansibar, der anderen großen Sylter Marke, in vielen Geschäften. Sie alle wollen das Sylter Lebensgefühl, das manche mit einer Glaubensgemeinschaft vergleichen, in die Republik exportieren.

Einer von ihnen ist Herbert Seckler. Der Schwabe betreibt seit 35 Jahren die Sansibar in Rantum, jenem Ort, an dem sich Prominente wie Johannes B. Kerner, Günter Netzer oder Udo Lindenberg treffen. Umgeben von Lifestyle-Touristen, die die Nähe der Schönen und Reichen suchen. Dann stehen sie auf den rustikalen Holzdielen der Strandbar, vor ihnen die malerische Dünenlandschaft, in einigen Metern Entfernung die raue Brandung des Strands. Mit einem Glas Champagner in der Hand, zehn Euro das Gläschen. In der Hochsaison besuchen rund 6 000 Gäste am Tag die Sansibar. 3 500 Essen gehen dann raus. Seckler ist vor allem so erfolgreich, weil er auf Sylt ist.

"Starke Marken wie Sansibar und Gosch, die das Sylter Lebensgefühl transportieren, sind für uns vorteilhaft - und für den Tourismus ansonsten eher untypisch", sagt Peter Douven, Geschäftsführer des Insel Sylt Tourismus-Services. Nach drei verregneten Sommern und der Ankunft von großen Marktakteuren wie dem Tui-Dorfhotel oder dem Arosa-Hotel kann selbst ein so verwöhnter Urlaubsort wie Sylt ein wenig Unterstützung gebrauchen. Douven weiß: Die Belastung der Insel durch große Bauten, die sich nicht immer harmonisch in die Dünenidylle einfügen, steht in Verbindung mit der Marke Sylt.

Es ist Mittag im "Gosch am Kliff". Eine monumentale Strandbar, deren Dach die Form einer grün bewachsenen Welle hat. Ein Koloss, den Gosch 2012 in Wenningstedt errichten ließ. Damit sei zunächst nicht jeder Anwohner einverstanden gewesen, räumt er ein.

Gosch hat schon viele Schlachten geschlagen, aber nicht alle gewonnen. Neben elf Läden auf der Insel kommen 25 Standorte auf dem Festland hinzu. Die nördlichste Fischbude steht in List, die südlichste im Münchener Hauptbahnhof. Einige Restaurants wie das in der Düsseldorfer Altstadt mussten wieder schließen. Das Image passte nicht in die Umgebung. Der Gastronom weiß: Die Franchisenehmer auf dem Festland haben es schwerer als die Kollegen auf der Insel. Die Leute sind nicht in Urlaubslaune, das Geld sitzt nicht so locker.

Auf geschätzt 58 Millionen Euro Jahresumsatz kommt Gosch derzeit. Selbst auf "Mein Schiff" können Urlauber "goschen". Einer der Erfolgstreiber, das sagt Firmengründer Gosch, ist die Insel selbst.

Der Markenwächter der Insel Sylt heißt Moritz Luft. Seit sieben Jahren ist er Geschäftsführer der Sylter Marketinggesellschaft. Es ist Samstagmorgen. Der Regen hat eine kurze Pause eingelegt. Im Café Wien in Westerland liegen draußen kleine Flokatis auf den Stühlen. Aber der Manager will nichts Wärmendes.

"Die Insel polarisiert stark", sagt er und meint damit nicht nur das oft beschriebene Schickimicki-Image, sondern beispielsweise auch die pure Größe der Insel: 99 Quadratkilometer, mitunter gefüllt mit trubeligen Veranstaltungen. Einige Urlauber suchen da lieber die Abgeschiedenheit der Nachbarinseln wie Amrum oder Pellworm. "Aber wir müssen nicht, Everybody's Darling' sein", sagt Luft.

Mit einem Jahresbudget von einer halben Million Euro macht Luft Werbung für Sylt. Gastgeberverzeichnisse, Urlaubsblog, Facebook-Seite, er nutzt alle Medienkanäle. Und weiß doch: "Man ist manchmal ein zahnloser Tiger." Dann erzählt er davon, wie 2003 das Logo der Insel verändert wurde: ein roter, ein wenig verwackelter Schriftzug.

Das Signet sollte eigentlich von allen Insulanern genutzt werden - wird es aber nicht. Sieht aus wie das Zeichen eines Chinarestaurants, hieß es stattdessen. Einige Marken gehen lieber ihren eigenen Weg. "Die beste Werbung ist ein zufriedener Kunde", sagt etwa Gosch. "Das ist für mich Marketing."

Auch Sansibar-Chef Seckler lässt sich in Sachen Vermarktung wenig vormachen. Neben der Sylt-Silhouette konkurriert seit Jahren das Sansibar-Logo mit den zwei kreuzenden Säbeln als Autoverzierung auf deutschen Heckklappen. Seckler sagt, er habe "nie einen Pfennig in Werbung" investiert. Stattdessen habe er T-Shirts verschenkt, die mit seinen Säbeln drauf. Daraus ist ein ganzes Sortiment gewachsen, mit ein paar Tausend Artikeln. "Damit mache ich mehr Gewinn als mit dem Restaurant", sagt Seckler.

Seit einigen Jahren betreibt er zusätzlich zu den 15 Verkaufsstellen auch einen Online-Shop. Viele Kunden, das weiß er aus den Bestellungen, kommen aus Süddeutschland, vor allem München, dem Ruhrgebiet, aber auch Berlin. Wenn die Sansibar-Fans auf den digitalen Kaufbutton klicken, dann spüren sie vielleicht noch die raue Brandung der Insel und die salzige Luft.

Doch der Fortschritt geht auch an der Urlaubsinsel Sylt nicht spurlos vorbei. Die nächste Generation von Unternehmern steht bereits in den Startlöchern. Eine von ihnen ist Kirstin Dobrot, die seit zehn Jahren ihr eigenes Modelabel "Inselkind" in Westerland führt. Statt auf aggressives Branding setzt sie auf Understatement. Ihr Logo ziert eine weiße Möwe, aber nicht die Sylt-Silhouette. "Das käme zum Beispiel in Berlin-Kreuzberg nicht so gut an", sagt die Designerin. Ihre Zielgruppe sind die Naturverbundenen, die jungen trendigen Familien. Dobrot trägt ein Sweatshirt aus der eigenen Kollektion, der friesische Spruch "Rüm Hart - Klaar Kiming" (Reines Herz - Klare Sicht) steht darauf. Ihr Lebensmotto, wie es scheint.

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Sylt und seine Fans: Früher hieß es im Volksmund liebevoll: Wenn im Sommer alle Urlaubsgäste angekommen sind, senkt sich die Insel um fünf Zentimeter nach unten. Tatsächlich ist die Zahl der Urlaubsgäste bis heute um ein Vielfaches höher als die Einwohnerzahl. Knapp 20 000 Sylter leben auf der Insel, und rund 850 000 Gäste machen dort jährlich Urlaub. Derzeit gibt es ein Potenzial von 58 500 Gästebetten, die zumeist von kleineren Pensionen und Hotels angeboten werden. Tagsüber finden die Urlauber Unterschlupf in schneeweißen Strandkörben, deren Gesamtzahl sich auf 12 000 beläuft.

Größe: Sylt ist nicht nur ein Schwergewicht in Sachen Markenführung, sondern beeindruckt auch durch die schiere Größe. Mit einer Fläche von 99 Quadratkilometern ist es die größte deutsche Nordseeinsel und - nach Rügen, Usedom und Fehmarn - die viertgrößte deutsche Insel. Der Sandstrand auf der Westseite der Insel reicht vom nördlichsten Ort List bis zum südlichsten Ort Hörnum - die gesamte Länge beträgt knapp 40 Kilometer. Ein elf Kilometer langer Damm, der Hindenburgdamm, verbindet die Insel mit dem Festland. Pro Jahr passieren etwa 900 000 Fahrzeuge den Damm in beide Richtungen.

 

Naturschutz: Eines der wichtigsten Merkmale der Marke Sylt ist die naturbelassene Landschaft. Fast ein Drittel der Insel ist mit Dünen bedeckt. Der größte Teil der Dünenidylle steht unter Naturschutz. Außerdem: Die Sylter Heide stellt mit einer Fläche von rund 2 900 Hektar fast die Hälfte aller Heidegebiete in Schleswig-Holstein dar.

Chiemgau

Die Währungsrebellen

Im idyllischen Chiemgau ganz im Süden der Republik hat sich die erfolgreichste deutsche Regionalwährung etabliert.

Die Euro-Krise ist gerade weit weg, ganz weit weg. In Prien legt die "Berta" am Dampfersteg an, eine Schulklasse kommt von einem Ausflug zum Schloss Herrenchiemsee zurück. Im Hintergrund blitzt das mächtige Gipfelkreuz auf der Kampenwand im Sonnenlicht.

Am Ortsrand steht Julia Kollmansberger bestens gelaunt hinter der Ladentheke ihres "Regional- und Biomarktes", ein lichtes Holzhaus, und begrüßt ihre Stammkundin Helga Würmser. Etwas Bio-Lammfleisch möchte diese. Kein Problem, 21 Chiemgauer kostet das Kilo Koteletts. Die Kundin zahlt mit Karte in Chiemgauern - die Euro-Scheine kann sie hier stecken lassen.

Während in Brüssel und anderswo um die Rettung des Euros gerungen wird, floriert hier in einer der schönsten Ecken Bayerns seit zehn Jahren eine Parallelwährung: der Chiemgauer. Was als Projekt der nahe dem See gelegenen Waldorfschule begann, ist heute eine breite Initiative zur Förderung der regionalen Wirtschaft. 6,5 Millionen Euro setzten Hotels und Handwerksbetriebe, Supermärkte und Rechtsanwälte 2012 in Chiemgauern um.

"Mia san koa Payback-System", sagt Geschäftsfrau Kollmansberger in gepflegtem Bayerisch. Die Nutzer des Chiemgauers unterstützten die örtlichen Betriebe und Vereine. "Immer mehr Leute kriegen den Hintern hoch und zahlen damit."

Es war Christian Gelleri, der die kleine Währungsrevolution einst anzettelte. Der bedächtige Intellektuelle sitzt im Büro der "Regios eG", die das System betreibt, in einem Rosenheimer Gewerbegebiet und erinnert sich, wie alles begann. Schon während des Studiums in München begeisterte sich der Ökonom für Geldpolitik und Währungen. Er fragte sich: "Wie kann man ein nachhaltiges Geldsystem schaffen, das ohne große Schwankungen und Blasen funktioniert?" Seine Antwort: Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, nicht nur die Geldmenge, sei entscheidend. Ähnlich habe das schon John Maynard Keynes gesehen. Nur zog der andere Schlüsse daraus.

Gelleri sah den Königsweg in einer regionalen Parallelwährung. Viele dachten damals über eine solche Alternative nach, in Bremen gab es bereits einen ersten Versuch. Als Gelleri, Lehrer der Priener Waldorfschule, seinen Schülern ein entsprechendes Pilotprojekt vorstellte, waren die sofort Feuer und Flamme.

Der Chiemgau war als Versuchsregion nicht schlecht gewählt. Vor der Alpenkette breiten sich sanfte grüne Kuppen und Hügel aus, an schönen Tagen formen die Segelboote bunte Muster auf dem 80 Quadratkilometer großen Chiemsee. Die Bewohner hier - ob Zugereiste oder Einheimische - sind stolz auf diesen Flecken Erde. "Wir leben, wo andere Urlaub machen", sagt Geschäftsfrau Kollmansberger, und ihre Augen blitzen auf. Da sei auch die Bereitschaft größer, gemeinsam etwas anzupacken und die Region zu unterstützen.

Zudem sind Experimentierbereitschaft und Toleranz in der Gegend ausgeprägt. Hier haben sich schon immer Zugereiste, Künstler und Exoten niedergelassen. Auch auf esoterische Ansätze treffe man hier oft, sagt der Wissenschaftler und Lehrer Gelleri.

Anfangs wurde das Projekt dennoch belächelt. Von der "Waldorf-Währung" sprachen sie in Prien, als sich die Schüler aufmachten und die ersten Mitstreiter suchten. Doch die vielen Kontakte der Schule halfen, die Währung rasch in der Region zu verbreiten. Der große Edeka in Frasdorf ist heute ebenso dabei wie der kleine Geschenkeladen "Herzibopperl" gegenüber der Kirche in Prien oder das Haarstudio "Schnipp-Schnapp" in Traunstein. An dem Schild "Wir nehmen Chiemgauer an" an der Ladentür sind die Mitmacher zu erkennen.

Die Grundidee der Regionalwährung: Die Kunden werden motiviert, im Verhältnis 1:1 eingetauschte Chiemgauer rasch auszugeben - Gelleri will ja die Umlaufgeschwindigkeit hoch halten. Das Geld soll Tauschmittel sein, nicht gehortet werden. Ist das Geld - offiziell sind es Gutscheine - nicht ausgegeben, wird daher nach zwei Monaten eine Gebühr von zwei Prozent fällig, die der Besitzer spendet. Für die Gewerbetreibenden wiederum ist es günstiger, die eingenommenen Chiemgauer für eigene Besorgungen einzusetzen und sie nicht gleich in Euro zu tauschen - denn dabei wird eine Gebühr von fünf Prozent fällig.

Der Effekt: Die Kunden suchen bevorzugt Läden und Handwerker auf, die Chiemgauer akzeptieren. Diese wiederum kaufen dann mit diesem Geld ebenfalls bevorzugt in der Region ein, zum Beispiel bei Zulieferern. So bezieht Kollmansberger vom Priener Regional- und Biomarkt ihren Schafskäse beim Anderlbauer im benachbarten Frasdorf, auch er ein Chiemgauer-Partner. 75 Prozent der umgesetzten Chiemgauer verbleiben so im System und werden nicht zurückgetauscht.

Die Idee verbreitet sich vor allem über die Vereine. Denn drei Prozent des Umsatzes gehen an einen Verein, jeder Kunde kann selbst entscheiden, an welchen. An die Waldorfschule flossen so im Laufe der Jahre mehr als 40 000 Euro, auch ein Waldkindergarten, Pfadfinder, Musikschulen und Trachtenvereine profitieren regelmäßig.

Die fünf Prozent, die sie beim Rücktausch in Euro zahlen muss, sind für Ladenbesitzerin Kollmansberger kein Problem. "Das verbuche ich als günstige Werbeausgabe", sagt sie. Denn die Regionalwährung beschert ihr neue Stammkunden. "Ich gehe in keinen Supermarkt mehr", erklärt Kundin Würmser, die gerade ihren Wocheneinkauf erledigt.

Als die Bäuerin Kollmansberger vor zehn Jahren einen Bioladen mit regionalen Produkten und Bewirtung eröffnete und als Gelleri im selben Jahr die Regionalwährung auf den Weg brachte, waren beide noch Exoten. Inzwischen gibt es in vielen Lebensbereichen eine Rückbesinnung auf die Heimatregion, die auch eine Reaktion auf die unüberschaubare Globalisierung ist. Von diesem Trend profitiert nicht nur der Bioladen in Prien. "Die Leute wollen heute nicht mehr Hummer, sondern den besten Käse aus dem Allgäu", sagte Edelgastronom Michael Käfer.

Auch in der Kulturszene ist der Trend zu beobachten. Die Band LaBrassBanda aus dem Chiemgau, die Blasmusik vom Reggae bis zum Techno spielt, tritt barfuß und in Lederhosen auf und füllt die Hallen. "Globalisierung braucht immer eine regionale Verwurzelung", bemerkt Gelleri. Und so gibt es heute nach Angaben des Vereins Regiogeld mehr als drei Dutzend Regionalwährungen in Deutschland, vom Zschopautaler im Erzgebirge bis zum Freitaler im Breisgau.

Nicht überall ist das Experiment geglückt, einige Regionalwährungen wurden wieder eingestellt oder dümpeln vor sich hin. "Man muss eine kritische Größe überschreiten", sagt Gelleri. Der Chiemgauer ist mit mehr als 2500 Verbrauchern und 633 Akzeptanzstellen weiterhin die größte Regionalwährung.

Gelleri hofft nicht nur in Deutschland auf einen Siegeszug der Idee. Für Griechenland etwa könnte der Chiemgauer nach seiner Einschätzung Vorbild sein. Eine Parallelwährung, die dazu ansporne, das Geld im Land zu investieren, bringe Dynamik in die Wirtschaft.

Und auch für den Fall, dass der Euro eines Tages scheitert, fühlen sich im Chiemgau viele gewappnet. "Vielleicht kommt der Tag", sagt Geschäftsfrau Kollmansberger schmunzelnd, "an dem wir froh sind, dass wir auch noch diese Parallelwährung haben."

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Die Lage: Der Chiemgau ist ein Stück Bilderbuch-Bayern ganz im Süden von Deutschland. Die Region liegt zwischen Rosenheim, Traunstein und den Chiemgauer Alpen. Der Chiemgau umfasst eine Fläche von 784 Quadratkilometern. Im Herzen der Gegend liegt der Chiemsee, auch "das bayerische Meer" genannt. Er ist mit einer Fläche von knapp 80 Quadratkilometern der drittgrößte See Deutschlands. Der Chiemsee ist bis zu 73 Meter tief und liegt 518 Meter über dem Meeresspiegel.

Der Tourismus: Der Fremdenverkehr spielt eine zentrale Rolle. Der Chiemsee lockt Badegäste und Segler. Touristen können mit dem Dampfer zur Herreninsel mit dem Schloss Herrenchiemsee fahren, das Ludwig II. errichten ließ. Als beliebtes Wanderziel gelten die Chiemgauer Alpen. Markantester Gipfel ist die 1 669 Meter hohe Kampenwand. Auch auf die Hochries am Samerberg und den Hochfelln fahren Seilbahnen.

Die Wirtschaft: Neben dem Tourismus spielt auch die Landwirtschaft eine wichtige Rolle. Es dominieren kleinere Betriebe, im Sommer wird das Jungvieh vielerorts noch auf die Almen getrieben. Nicht nur wegen der guten Anbindung durch die Salzburger Autobahn ist die Lage aber auch für mittelständische Betriebe attraktiv. So lässt zum Beispiel die Outdoor-Firma Meindl am Stammsitz in Kirchanschöring noch immer ihre Bergstiefel fertigen.

Die Währung: Die Regionalwährung Chiemgauer ging im Jahr 2003 als Projekt der zehnten Klasse der Waldorfschule an den Start. Heute machen 655 Unternehmen mit - vom Industriebetrieb über das Handwerk bis zum regionalen Einzelhandel. Verbreitet wird die Idee über 254 Vereine. Im Startjahr 2003 wurden gut 75 000 Euro mit Chiemgauern umgesetzt, 2012 waren es bereits mehr als 6,4 Millionen Euro.

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