Den österlichen Mehrwert im Blick

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Der Beschluss „Dienst der Kirche für Versöhnung und Frieden“ kam ebenfalls erst nach heftigen, vielleicht noch schärferen Auseinandersetzungen zustande. Entwürfe von Gemeinden und Gruppen wollten dieses Thema mit anderen Fragen in Zusammenhang bringen, wie z.B. mit dem Thema „Jugendweihe“ oder mit dem Problem über das „Verhältnis zwischen Kirche und sozialistischem Staat“. Ein erster Entwurf wurde folglich vom Präsidium der Synode abgelehnt. Daraufhin bat mich Relator Pfarrer Bruno Diefenbach um eine Textvorlage aus eigener Feder. Zunächst lehnte ich diesen Wunsch ab, ich glaubte nicht, dieses Minenfeld heil durchschreiten zu können: Die DDR behauptete, sie sei ein Friedensstaat wie kein anderer. Sie missbrauchte ständig die Enzyklika „Pacem in terris“ von Papst Johannes XXIII. zur eigenen Rechtfertigung. Außerdem ging es in der DDR–Gesellschaft oft sehr unfriedlich zu: es gab keine Gleichberechtigung der Christen, keine Reise- und Pressefreiheit, die Militarisierung der Jugend wurde vorangetrieben u.a. Diefenbach überzeugte mich dann doch mit dem Argument, nur unsere Kirche könne im Ostblock – im Vergleich zu allen anderen sozialistischen Ländern – zu diesem Thema unseren christlichen Standpunkt öffentlich darlegen, für alle Kirchen in den anderen Ländern sei dies unmöglich; wir sollten also nicht schweigen. So habe ich einen Entwurf für eine Beschlussvorlage konzipiert, die zwar Korrekturen erfuhr, wesentliche gesellschaftliche Themen aussparen musste, doch im Wesentlichen konsensfähig war und schließlich von der Synode verabschiedet wurde. Bischof Hugo Aufderbeck hat sich in hervorragender Weise als Vermittler zwischen den gegensätzlichen Strömungen bewährt. (Schumacher 1998, 194–208)

Schon damals erlebte ich Kardinal Bengsch als eine herausragende Persönlichkeit. Im Rückblick aus unserer Gegenwart heraus wird immer deutlicher, wie sehr ihn Klarsicht und Willensstärke auszeichneten. Sein übergeordnetes Ziel war die Einheit unserer Kirche. Tendenzen von einzelnen Persönlichkeiten oder Gruppen, mit dem Sozialismus damaliger Prägung zu paktieren, widersprach er mit Entschiedenheit. Sein Vertrauen in die theologische Arbeit unseres Professorenkollegiums bildete die wesentliche Grundlage unserer Lehrtätigkeit. Er holte auch während der Synode häufig den Rat der Vertreter aus der Erfurter Priesterausbildung ein und führte – bei all seinem Berliner Temperament – stets eine sachliche Diskussion. Nicht selten kam es zu Gesprächen zwischen einzelnen Kollegen von uns in seiner Berliner Wohnung. Er suchte oft unseren Rat. Unvergessen bleibt mir, wie der Kardinal vor einem Gespräch, zu dem er mich gebeten hatte, das Radio einstellte. Dieses Vorgehen hatte einen makabren Hintergrund: man hatte zuvor seine Räume mit Abhörwanzen bestückt. Alle Welt erfuhr von diesem Schurkenstück sofort nach dessen Entdeckung. Kardinal Bengsch habe ich als einen klugen Seelsorger, Hirten und Kirchenpolitiker in Erinnerung, aber auch als mitunter eigenwilligen Theologen. Das wurde besonders deutlich in seiner Ablehnung der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“. Wir Theologen fühlten uns, so glaube ich sagen zu dürfen, unter seiner Führung geborgen und in Sicherheit, besonders vor staatlichen Einmischungsversuchen und Repressionen, seien sie gegen einzelne Persönlichkeiten oder gegen unser Philosophisch-Theologisches Studium beabsichtigt gewesen.

Die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung fand in der DDR 1988/89 statt. Heute wird weithin anerkannt, dass sie wesentlich dazu beigetragen hat, Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft aufzudecken und bewusst zu machen. Die Perestroika-Politik Gorbatschows hatte bereits damit begonnen, die Versteinerungen des kommunistischen Sozialismus zu sprengen. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass dieses große, einmalige ökumenische Ereignis wesentlich zum Verschwinden der DDR beigetragen hat. Die katholische Kirche erklärte sich erst nach langem Zögern am 1. / 2. Dezember 1987 zur vollen Teilnahme bereit. Die Eröffnung fand bereits am 12. Februar 1988 statt. Das lange Zögern der Bischöfe erklärt sich aus ekklesiologischen und politischen Bedenken. (Seifert 2000, 112) Träger der Vollmitgliedschaft unserer Kirche waren 26 Delegierte, fast ausschließlich aus der Gruppe „Justitia et Pax“, die durch Joachim Kardinal Meisner eine offizielle Beauftragung erhielten. Wiederum wurde seitens unserer Bischöfe an Professoren aus dem Erfurter Studium ein wichtiger Auftrag erteilt: Sie sollten die katholische Theologie in der Ökumenischen Versammlung vertreten, ein Beweis großen Vertrauens. Lothar Ullrich urteilt wie folgt: „Es war ganz wichtig, weil die Mitglieder unserer katholischen Arbeitsgruppe ´Justitia et Pax` weithin als ein ausgleichendes Element in den Versammlungen und Kommissionen empfunden wurden. Wir haben die Mitte stark gemacht.“ (Seifert 2000, 105) Unsere Mitarbeit vollzog sich vor allem in der Arbeitsgruppe „Theologische Grundlegung“. Innerhalb der evangelischen Kirche gab es Tendenzen, den christlichen Glauben mit einem „ursprünglich idealen Verständnis von Sozialismus“ zu verknüpfen, gleichsam einen dritten Weg unter Distanz zum real existierenden Sozialismus zu beschreiten. Dieses Anliegen vertrat besonders Propst Heino Falcke, der sehr nachdrücklich das Ziel verfolgte, die DDR-Gesellschaft umzugestalten. Dadurch zog er sich den Hass der Kommunisten zu. (Seifert 2000, 107f) Ich selbst vertrat die Ansicht, unterstützt von Lothar Ullrich, dass der real existierende Sozialismus in der DDR nicht reform- und verbesserungsfähig sei, denn sein dem Christentum im innersten Kern widersprechendes Menschenbild sollte nach Ansicht der Kommunisten keinesfalls preisgegeben werden.

Unsere Bischöfe nahmen alle zwölf Beschlüsse der Ökumenischen Versammlung einhellig und ohne Widerspruch an. Eine ausführliche Beurteilung dieses Ereignisses habe ich in einem anderen Zusammenhang zu geben versucht. (Seifert 1999, 103–111) Widerstand gegen die Ökumenische Versammlung war nur bei wenigen Christen in der DDR festzustellen, hingegen aber bei engen Mitarbeitern der Berliner Bischofskonferenz. Sie lehnten die Ökumenische Versammlung bis über das Ende der DDR hinaus entschieden ab. Man scheute in diesem Kreise auch nicht vor einer Herabsetzung meiner Person vor dem Staatssekretär für Kirchenfragen zurück. Es fiel die vom Staatssekretariat dokumentierte Formulierung, die Ökumenische Versammlung wie auch meine Person hätten „Phantastereien“ verbreitet und die Bischöfe stünden nicht hinter mir. Man grenzte mich damit aus unserer Kirche aus. Solches Verhalten eines Mitbruders hat bei mir bis heute Wunden hinterlassen.

Ein anderes Erlebnis am Rande: In der Nacht zum 1. Mai 1989, nach dem feierlichen Abschluss der Ökumenischen Versammlung in der Dresdener Kreuzkirche, stellte bei der Heimfahrt ein Tankwart fest, dass die Benzinleitung an meinem Wartburg angesägt war. Zufall?

Besondere persönliche Erfahrungen

Veranstaltungen: Mitglieder unseres Kollegiums wurden häufig als Einzeldelegierte aus unserer Kirche zu internationalen Veranstaltungen entsandt. Ich selbst denke hier zunächst an das „Internationale Wissenschaftliche Kolloquium“ vom 8. bis 10. Oktober 1986 in Budapest zurück. Es wurde veranstaltet vom Päpstlichen Sekretariat für die Nichtglaubenden und der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Von katholischer Seite nahmen teil die Kardinäle König und Poupard (als neuer Präsident) und Theologen aus acht europäischen Ländern. Die marxistische Seite hatte Vertreter aus neun europäischen Ländern und aus Kuba delegiert. Es ist als das „größte und bedeutendste Dialogtreffen zwischen Vertretern der katholischen Kirche und des Kommunismus in die Geschichte eingegangen“. (Christen und Marxisten 1991, 317) Dort bin ich, der zum Konsultor des Päpstlichen Sekretariates berufen worden war, zum ersten Mal zwei marxistischen Philosophieprofessoren aus der DDR begegnet. Zwischen unserer Theologischen Fakultät und den philosophischen Lehrstühlen der Universitäten, die ja nur von Kommunisten besetzt waren, gab es zu keiner Zeit irgendeinen Kontakt. Alle Vorträge dieses Dialogtreffens sind u.a. vom Bennoverlag dokumentiert worden (Christen und Marxisten 1991, 317–374). Ich durfte einen Vortrag halten über das Thema „Zusammenleben und Kooperation von Christen und Marxisten in der Gesellschaft“. (Feiereis 1991, 357–371)

In der DDR erregte dieses Treffen große Aufmerksamkeit. In katholischen und evangelischen Kirchen, z.B. in Dresden, Karl-Marx-Stadt, Leipzig, Erfurt und anderswo fand ich bei Vorträgen volle Kirchen vor. Die Christen spürten, dass die alten Verhältnisse in der Gesellschaft keine Zukunft mehr besaßen. Sie schöpften z.T. Hoffnung, dass ihre Situation sich im Alltag verbessern könnte und auch müsste.

Ein zweites Kolloquium verdient ebenfalls Erwähnung: Es fand vom 18. bis 21. Oktober 1989 zwischen dem Vatikan, unter der Leitung von Kardinal Poupard, und dem „Sowjetischen Komitee für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ in einem kleinen Kreis in der Nähe von Straßburg, statt. Zu diesem „Komitee“ gehörten u.a. der Chefredakteur der Zeitschrift „Kommunist“ und der Direktor des „Atheismus-Instituts beim Zentralkomitee der KPdSU“. Ziel dieses Treffens war die Vorbereitung des ersten Besuches von Gorbatschow bei Papst Johannes Paul II., der dann auch am 1.12.1989 stattgefunden hat. Ich erinnere mich, dass unsere sowjetischen Partner in der Nacht vom 18.10. zum 19.10. äußerst aufgeregt waren und ständig mit Moskau telefonierten. Der Grund: Honecker war an diesem Tag gestürzt worden. Auch vor diesem Gremium durfte ich, als einziger deutscher Theologe, ein Referat halten, das den Titel trug: „Das gemeinsame europäische Haus.“ (Feiereis 1990, 41–47)

Das Vertrauen unserer Bischöfe hat mich, der nicht gern im Rampenlicht stand, zu diesen wichtigen Veranstaltungen entsandt. Ich erlebte unmittelbar den Beginn des bald einsetzenden großen politischen Erdbebens, das kurz danach unsere Welt veränderte.

 

Große Verantwortung wurde mir auch in anderen Bereichen übertragen. Ich wurde für fünf Jahre zum kirchlichen Hilfswerk Renovabis delegiert, wo ich bei der ersten Tagung das Einleitungsreferat halten durfte. Ich habe ferner manche Einweihungsrede gehalten, so bei der Eröffnung der Edith-Stein-Schule Erfurt 1992 oder anlässlich der Gründung der Katholischen Fachhochschule Berlin 1991. Das in dieser Weise bezeugte Vertrauen wurde auch in gleicher Weise allen meinen damaligen Kollegen entgegengebracht.

Spannungen: Auch in unserer kleinen Kirche blieb es nicht aus, dass es Unterschiede der Ansichten und auch Auseinandersetzungen gab. Das äußerte sich besonders im Jahr 1989 als es um die Frage ging, ob sich auch unsere Kirche den Problemen der Gesellschaft mehr öffnen sollte. Sie hat es schließlich auch getan, wie die Hirtenbriefe und Predigten jenes Herbstes dokumentieren, darunter besonders auch die unvergessliche Predigt von Bischof Wanke anlässlich der Herbstwallfahrt in Erfurt am 17. September 1989. Meinungsverschiedenheiten zwischen Bischöfen und Theologen wurden nicht verleugnet, aber fair ausgetragen und nie nachgetragen.

Mir persönlich bleibt schmerzlich in Erinnerung, dass einige meiner Publikationen, die bereits im Westen Deutschlands (Herderkorrespondenz), aber auch in Italien und in der Slowakei erschienen waren (darunter u.a. mein Budapester Vortrag), nicht nur vom Staat, sondern auch von kirchlichen Dienststellen von vornherein für den Druck abgelehnt worden sind. Man unternahm nicht einmal den Versuch, die staatliche Genehmigung für eine Veröffentlichung einzuholen. Die Begründung lautete, die Zeit sei dafür noch nicht reif. (Jahrbuch 1991, 15, vgl. 307–371)

Begegnungen: Unsere Bischöfe pflegten ein ständiges, oft freundschaftliches Verhältnis zu den Mitgliedern unserer Professorenkonferenz. Sie zogen uns heran bei der Abfassung von gesellschaftlich relevanten Hirtenbriefen (besonders über Erziehung, über Frieden u.a.) Unvergesslich in Erinnerung bleibt mir Bischof Hugo Aufderbeck, dem die Situation der Christen bei uns ein Herzensanliegen war. Er suchte stets unsere Mitarbeit in der Seelsorge. Auf seinem Sterbebett rief er uns Priester zu sich und bat um die Zelebration der hl. Messe und um das gemeinsame Gebet.

Kardinal Meisner, mit welchem ich einmal einen größeren Disput hatte, der aber fair beigelegt wurde, zog mich heran zu einem wichtigen Dienst anlässlich des Katholikentreffens in Dresden am 12. Juli 1987. Dort sprach er auch das Wort, das in die Geschichte eingegangen ist: „Die Kirche, die Christen in unserem Land möchten ihre Begabungen und Fähigkeiten in unsere Gesellschaft einbringen, ohne dabei einem anderen Stern folgen zu sollen als dem von Bethlehem.“

Natürlich stand und steht unsere Erfurter Fakultät in einer besonderen und engen Beziehung zu unserem Jubilar Bischof Wanke. Er ist nicht nur unser Ortsbischof und Kanzler der Fakultät, er war ja ehemals auch Professor in unserem Kollegium. Seine freundliche, gewinnende Art, seine für die gesamte deutsche Kirche richtungweisenden pastoralen Anstöße sind hochgeschätzt und geachtet. Er verfolgt wachen Geistes die Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft. Er ist stets Theologe und Seelsorger zugleich geblieben. Das Vertrauen, das er den Menschen allgemein und unserem Kollegium besonders entgegengebracht hat, trug von Anfang an reiche Frucht und wird seiner Person gegenüber in Dankbarkeit erwidert.

Zurück zum Ausgangspunkt: Im Blick auf die heutige Situation der Kirche in der Bundesrepublik lassen sich einige Analogien zu unserer damaligen Situation herstellen, auch wenn die äußeren Bedingungen völlig verschiedenartig waren und sind. Angesichts einer sich ausbreitenden Kirchenferne und atheistischer Strömungen sollten partikuläre Interessen einzelner Gruppen zweitrangig sein. Bischöfe und Theologen sind auf einander angewiesen. Will sich ein einzelner oder eine Gruppe abseits der Gemeinschaft der Kirche profilieren, so gereicht es dieser unausweichlich zum Schaden. Bischöfe und Theologen haben ein gemeinsames und höheres Ziel, das sie verbindet. Das Fundament dafür ist ein Grundvertrauen zueinander.

Literatur

Ebner-Eschenbach, M. v., Aphorismen, Schriften Bd. 1, Berlin 1893, 3.

Feiereis, K., Das gemeinsame europäische Haus. Bereiche der Zusammenarbeit zwischen Ost- und Westeuropa, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 5. 1990, 411–421 (vgl. mein Literaturverzeichnis: http://www2.unierfurt.de/tiefensee/feiereis.htm).

Feiereis, K., Zusammenleben und Kooperation von Christen und Marxisten in der Gesellschaft, in: Theologisches Jahrbuch 33, 1991, 357–371.

Hübner, S., Das Theologische Jahrbuch des St. Benno-Verlags. Vergessene Seiten im Überleben der katholischen Kirche in der ehemaligen DDR, in: Theologie der Gegenwart 53, 2010, 294–304.

Theologisches Jahrbuch 1991. Unter kommunistischer Zensur. Hg. v. Wilhelm Ernst u. a. Leipzig 1992.

„Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“. Argumente zum Memorandum. Hg. v. Marianne Heimbach-Steins [u. a.], Freiburg i. Br. 2011.

Schumacher, R., Kirche und sozialistische Welt. Eine Untersuchung zur Frage der Rezeption von „Gaudium et spes“ durch die Pastoralsynode der katholischen Kirche in der DDR, Leipzig 1998 (Erfurter Theologische Studien 76).

Seifert, K., Glaube und Politik. Die Ökumenische Versammlung in der DDR 1988/89, Leipzig 2000 (Erfurter Theologische Studien 78).

Seifert, K., Durch Umkehr zur Wende. Zehn Jahre „Ökumenische Versammlung in der DDR“ – Eine Bilanz, Leipzig 1999.

WACHSENDE BEDEUTUNG DER LAIEN FÜR DIE KIRCHE

Josef Freitag

Bischof Joachim Wanke hat eine unnachahmliche Art, mit wenigen Sätzen Dinge anzusprechen und selbst Schwieriges, Umstrittenes und Hochempfindliches so zur Sprache zu bringen, dass man sich darauf einlässt, bereit hinhört und Neues entdeckt:

Wie geht es weiter für die katholische Kirche in Deutschland?

Die Nöte nennt er ohne Scheu beim Namen, aber ebenso unter den möglichen Schritten zur Lösung als zweiten: „Das Handeln von Laien in der Kirche fördern und profilieren.“ (Wanke 16; vgl. den Beitrag von Bischof Wanke in diesem Band) „Ich schlage vor, den Ausbau und die ‚Ermächtigung‘ laikaler Beauftragungen weiter voranzubringen. Wenn das Weiheamt bei seinen spezifischen Diensten bleiben soll, wird den Getauften und Gefirmten vermehrt neue, eigenständige aber nicht unbegleitete Verantwortung in der Verkündigung, der Liturgie, der Leitung und ‚ekklesialer Vernetzung‘ zuwachsen.

Ich weiß um die Unersetzbarkeit des Weiheamtes. Aber diese Unersetzbarkeit darf sich nicht so absolut setzen, als ob ohne das Weiheamt vor Ort Glaube, Hoffnung und Liebe unmöglich würden. Das demütige Selbstbewusstsein aller Getauften und Gefirmten sollte gestärkt werden. Das wird auf Dauer auch positive Auswirkungen haben für ein neu akzentuiertes Dienstprofil der weniger werdenden Kleriker. Wir haben mehr und mehr Gläubige, die in Glaubensdingen wieder neu für andere auskunftsfähig und auskunftswillig sind. Das macht mich zuversichtlich für die Kirche von morgen – übrigens auch für die Weckung geistlicher Berufungen.

Hier gälte es Strategien der Weckung, der Akzeptanz und der Vernetzung solcher Kompetenzen zu entwickeln. Die Kirche von morgen wird sich weniger auf Institutionen verlassen können, sondern sich mehr durch Gesichter ausweisen.

Wie sehen heutige Formen an verbindlicher, vielleicht zeitlich begrenzter Laienermächtigung (‚Beauftragungen‘) aus, auch in der Pastoral? Was bewirkt Freude am Mitmachen? Was stärkt in übernommener Eigenverantwortung? Manche Möglichkeiten kirchlicher Communio-Formen sind noch lange nicht ausprobiert.“ (Wanke 17)

Es kann hier nicht um fertige Vorschläge oder Lösungen gehen. Aber eine Grunddynamik möchte ich hier freilegen und näher anschauen: In dem Maße, als die Kirche wirklich Kirche in dieser Welt und für diese Welt wird, d. h. das Programm des Konzils der „Kirche in der Welt von heute” verwirklicht, nicht nur allgemein, sondern konkret lokal, situativ und profiliert, muss die Rolle und Bedeutung der Laien, also der Christen „in der Welt”, in der Kirche und für die Kirche wachsen.

Wachsende, doppelte Bedeutung der Laien in der sich pluralisierenden Gesellschaft

Hier ist nicht nur an die Verantwortung der Laien als Christen in ihren jeweiligen Berufen zu denken, vielmehr gilt die wachsende Bedeutung darüber hinaus in einem doppelten Sinn, nämlich einer doppelten Vermittlung. Zunächst ist in und für unsere heutige plurale und sich weiter pluralisierende Gesellschaft der christliche Glaube und die Kirche vor allem durch die Laien präsent und zugänglich (abgesehen von der medialen Vermittlung der Kirche als Institution), da die Laien in ihrem Beruf, ihren Aufgaben, ihren Lebenssituationen in unmittelbarem Kontakt mit der „Welt” und ihren Mitmenschen leben und dort erreichbar wie ansprechbar sind. Nicht die Geistlichen, sondern die Laien werden zuerst von Kollegen und Nachbarinnen angesprochen und gefragt, wenn Kirche öffentlich zum Thema wird. Sie bekommen Nachfragen, Kritik und Zuspruch, aber auch Gleichgültigkeit und Widerspruch als erste zu hören und zu spüren. Umgekehrt können sie ihre Lebens-, Berufs- und fachlichen Erfahrungen mit der jeweils zugehörigen „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen” (GS 1), deren Anliegen, Erwartungen und Nöten in das Leben der Gemeinden und Kirche am direktesten einbringen. In dieser „feed-back Funktion” und entsprechendem Engagement werden sie für die Kirche je wichtiger, weil diese Erfahrungen der Menschen und ihre Reaktionen und Erwartungen zuerst und vorrangig durch die Laien – vielleicht sogar als deren eigene – der Kirche zukommen und in ihr Gehör und gegebenenfalls Antwort finden können. Diese Erfahrungen aus Alltag und Gegenwart sind weder aus der Offenbarung noch aus der Theologie ableitbar; sie sind auch nicht schon biblisch berichtet, sondern kommen auf die gegenwärtige Kirche als Herausforderung, als Erprobung und als Wachstums- und Entwicklungschance zu. An ihnen kann von Nichtchristen Haltung und Inhalt des Glaubens erfahren, erkannt und gelernt werden.

Ohne diese Rückmeldungen „aus der Welt”, ohne deren Wahrnehmung und die Antworten darauf, kann die Kirche ihrer Sendung in die Welt (Joh 3,16f. 20,21; Mt 28,19f) überhaupt nicht gerecht werden. Die Laien, nicht die Bischöfe, scheinen mir das erste und weitgespannteste (nicht das einzige!) „Wahrnehmungsorgan“ der Kirche zu sein. Vielleicht sind sie so etwas wie die Haut, die anders als Auge, Ohr und Nase, aber wie der Geschmacks- und Tastsinn aus unmittelbarer Betroffenheit und Kontakt wahrnimmt. Auch wenn Paulus (oder heute die Amtsträger) auf dem Areopag herumgeht und den Anknüpfungspunkt für seine Verkündigung, für das Gespräch und die Auseinandersetzung sucht und findet, so bleiben doch die Erfahrungen der Gemeindemitglieder (mit Dritten und untereinander) für seine Verkündigung unersetzlich (vgl. die Korintherbriefe). Sie bilden für Paulus den Ausgangs- und Ansatzpunkt für seine Darlegung des Evangeliums – so sehr es darin das Evangelium Jesu Christi ist und bleibt. Als Antwort auf die Erfahrungen der Gemeindeglieder und in ihre Situation hinein ist die Botschaft des Paulus – in seinen Briefen – auf uns gekommen. Er nimmt die Herausforderungen auf, die sich für die Christen und unter den Christen ergeben. Er erhellt und deutet sie im Licht des Glaubens, der auf diese Weise sehr konkret wird. Umgekehrt wird dieser Glaube für die Glaubenden praktisch und lebensbestimmend erst in solchen Herausforderungen und durch sie, nicht schon im abstrakten, richtigen Bekenntnis (das ja den Auseinandersetzungen als gemeinsame Basis voraus- und zugrunde liegt).

Unabdingbarkeit der Kompetenz und Beteiligung von Laien für viele Entscheidungen der Hierarchie / Kirche

Dies Grundgesetz der Verkündigung und des Glaubenslebens, dass Glaube sich in konkreten Herausforderungen und durch sie entfaltet wie realisiert, wird akuter, dringlicher und vertiefter in unserer pluralistischen und sich immer weiter pluralisierenden Gesellschaft. Die heutige Pluralisierung ist keine bloße Ausdifferenzierung mehr, die ja immer noch von einem gemeinsamen ursprünglichen Ausgangspunkt her erfolgt, daher wenigstens prinzipiell auf Gemeinsames rückführbar ist; im gegenwärtigen Prozess der Globalisierung, die vor Ort als „Glokalisierung” durchschlägt, also als Bestimmtwerden von weltweiten Prozessen, die lokal neue, unvorhersehbare Folgen haben und Ungeahntes, Neues bewirken und freisetzen (neue Unübersichtlichkeit, Postmoderne), reicht die eine Zentralperspektive nicht mehr.

 

Wir erleben die Begegnung mit ganz anderen und die Auseinandersetzung mit wirklich fremden, (von uns) unabhängigen Kulturen, Religionen, Mentalitäten und Reaktionen, die nicht auf einen Nenner zu bringen, nicht auf eine gemeinsame Quelle rückführbar, nicht unter einer Perspektive subsummierbar sind.

Überdies bekommen wir es mit Fragen und Problemen zu tun, die tatsächlich neu sind, die nicht aus bisherigen Erfahrungen und mit bisherigen Mitteln und Methode zu lösen sind. Man denke nur an die Atomkraft, an die reale Fähigkeit, die Welt zu vernichten, die Dimensionen und Dynamiken des Umweltschutzes, die Fragen an den Grenzen des Lebens und in der Reproduktionsmedizin. All diese neuen Fragen, Probleme und Aufgaben sind mit üblicher theologischer und moraltheologischer Kompetenz allein nicht zu beantworten, sondern nur unter Voraussetzung des zugehörigen Sachwissens und Verstehens der dahinter stehenden Interessen, Dynamiken und neuen Forschungen. Theologie und Kirche, besonders Amt und Hierarchie, können aus bloß eigener Kompetenz in diesen Fragen nicht mehr hinreichend Antwort geben. Auch richtige Prinzipien allein reichen nicht mehr zur Lösung wichtiger Fragen (noch abgesehen von der Unersetzbarkeit des Gewissens der einzelnen für eine Entscheidung).

In politischen, gesellschaftlichen, sozialen Fragen, in Biologie und Medizin und praktisch allen Bereichen des modernen Lebens kommt man für tragfähige Antworten ohne die Erfahrung, den Sachverstand und die Beteiligung der je kompetenten Laien nicht mehr aus. Selbst ein Zweitstudium einzelner Priesteroder Ordensleute wird heute nicht reichen, um über allgemeine Auskünfte hinauszukommen.

Es reicht wahrscheinlich auch nicht mehr die – selbst exzellente – Kompetenz eines einzelnen. Die Komplexität heutiger Fragen ist (wohl wegen der Wechselwirkung der Probleme) nur noch aus mehreren Perspektiven und Kompetenzen, also im Team, zu erfassen und darzustellen. Ein einzelnen dürfte überfordert sein (für die Beurteilung wissen wir das schon lange: vgl. Richterkollegien und Kommissionen, die entscheiden). Hier tut sich vielleicht oder wahrscheinlich ein neuer Sinn, eine neue Chance von Kirche als communio, von Lehren der Kirche „in communione“, also nicht nur von Amtsträgern, sondern von Amtsträgern und Laien (hier Fachleuten!), auf. Ist das vielleicht eine neue Erfahrung des Lehramtes und der Kirche, die die Kirche und ihr Lehramt (auch in der Kirche) glaubwürdiger, freier, machen kann? (Ganz unbekannt ist der Kirche die Beteiligung von „Laien“ an ihren Entscheidungen nicht; man denke nur an die Fürsten und ihre Rolle auf den Konzilien des Mittelalters und des Altertums. So verständlich ihr späterer Ausschluss ist, er macht weder die vorherige Praxis falsch noch verhindert er, in neuen Konstellationen zu neuen Beteiligungen zu kommen. Die Orthodoxie zeigt das in der Praxis ihrer Synoden, deren Zusammensetzung noch nach anderen Regeln läuft als die evangelischer Kirchen).

Unabdingbar sind die Laien auch in der Politik, die den Rahmen für das konkrete Leben bestimmt. Das gilt nicht nur de facto, sondern programmatisch und vom kirchlichen Selbstverständnis her. Diese neue Sicht ist der Kirche nicht aufgezwungen worden, sondern sie selbst hat entschieden, dass Priester nicht mehr als Parlamentarier und Regierungsmitglieder arbeiten sollten, dass das nicht ihre Aufgabe, sondern die der Laien sei (in Deutschland spätestens seit dem Reichskonkordat 1933); das gilt inzwischen weltweit. Die direkte politische Verantwortung und Gestaltung ist definitiv in die Hände der Laien gelegt. Deswegen hat die Kirche oder die Hierarchie der Politik durchaus noch etwas zu sagen, aber sie hat nicht „das Sagen“.

Auch in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen geht es – gerade wegen der kirchlichen Soziallehre – für die Kirche nicht ohne die Laien. Das gilt grundlegend für die Wahrnehmung der Probleme, die Amtsträger einfach nicht wie die Laien direkt erfahren, auch wenn sie sie durchaus analysieren, reflektieren und ein fachliches Urteil dazu haben können. Ohne Laien ließe sich darüber hinaus in Wirtschaft und Gesellschaft weder theoretisch noch praktisch eine Idee oder Lehre vermitteln oder durchsetzen. Auch die meisten Beiträge zur Soziallehre stammen heute von Laien. Das ist nicht nur eine quantitative Frage. Vielmehr bleibt die Rolle der Laien wesentlich, weil die Methodik des „Sehen – Urteilen – Handeln“ gilt. Die Erarbeitung und Wirkung des Wirtschaftshirtenbriefes der deutschen Bischöfe, in ökumenischer Zusammenarbeit mit den evangelischen Mitchristen durchgeführt, hat diese Unabdingbarkeit der Laienbeteiligung paradigmatisch gezeigt.

Analoges müsste man von Recht, Rechtsstaat und Rechtsstaatlichkeit sagen.

Wachsende Bedeutung der Laien auch in ekklesiologischen Fragen

Die wachsende Bedeutung der Laien gilt auch in genuin theologischen, sogar in ekklesiologischen Fragen, und zwar in dem Maße, wie der sensus fidelium, der Glaubenssinn der Gläubigen ernst genommen und nicht übergangen oder gar überspielt wird. Der Glaubenssinn der Gläubigen trägt grundlegend die Infallibilität der Kirche. Er ist auch unentbehrlich und bestimmend im Bereich der Rezeption lehramtlicher Entscheidungen, also für die konkrete Umsetzung und Prägung des christlichen Lebens. Denn von den Gläubigen und ihrem Glaubenssinn werden diese Entscheidungen realisiert und ausgestaltet oder nicht wirklich wahrgenommen und angenommen. Gilt das Letztere, kommen diese Entscheidungen nicht wirklich zur Geltung, werden nicht praktiziert, prägen das Leben der Kirche nicht, obwohl ihre Gültigkeit nicht bestritten wird. Sie werden einfach nicht wirksam, laufen ins Leere. Welche Formen und Gestalten christlichen Lebens also wirklich als praktikabel, anziehend, überzeugend und hilfreich angenommen und so wirksam werden, erspüren, entdecken und bestimmen die Laien. Erst wenn es bei ihnen „zündet“, gibt es Bewegung und Bewegungen (movimenti) in der Kirche, werden Konzilsentscheidungen umgesetzt, statt auf dem Papier zu bleiben, kommt es im Falle von vorbildlichen Christen zu Informativprozessen, Selig- und Heiligsprechungen. Natürlich geht es in diesen Prozessen nicht ohne Lobbyarbeit in Rom, aber ohne die Basis im Volk und im Gebet der Vielen reicht keine Lobbyarbeit hin. Und selbst wo man einen als Heiligen in den Kalender gebracht hat, entscheiden die Gläubigen weiterhin Jahr um Jahr, welche Gestalten für sie wirklich Gestaltungskraft haben. Der Glaubenssinn der Gläubigen unterscheidet und bestimmt auch auf Dauer, welche Optionen, Orientierungen und Erkenntnisse der Theologie und Theologen sich für das Leben der Christen bewähren oder eben nicht. Die Laien wirken viel prägender als sie selbst meinen. Ohne sie und ihr Engagement lebt keine Gemeinde und keine Kirche.

Für das reale Leben der Kirche, für dessen Erneuerung und langfristige Entwicklung werden m.E. die Laien entscheidend. Jedenfalls kommen fast immer von ihnen die wichtigen und langfristigen, nachhaltigen Anstöße. (Als Ausnahme fällt mir nur die Gregorianische Reform und unter den Ordensgründern der Domherr Dominikus ein). Man denke nur an die Gründerinnen und Gründer von Orden und Kongregationen oder movimenti wie Benedikt, Franziskus, Ignatius von Loyola, Chiara Lubich (Focolarini), Mutter Teresa (Missionaries of Charity), Andrea Riccardi (Sant’ Egidio), die alle als Laien angefangen haben (Mutter Teresa hat für ihren Neuanfang ihren Orden verlassen). Seine grundlegende Bekehrung hat Charles de Foucauld als Laie durch den Islam und ihn überzeugende christliche Laien erfahren. Die nähere Gestaltung und Ausformung seiner Berufung geschah unter Begleitung durch Amtsträger. Foucauld selbst wurde schließlich Priester, um das Evangelium in Gemeinschaft leben und Jesus zu den Verlassensten bringen zu können. Auch Ignatius von Loyola begann als Laie und mit Gesprächen mit Laien. Erst die Inquisitionsverhöre brachten ihm bei, um kirchlich-öffentlich anerkannt Sünden unterscheiden zu dürfen, Theologe werden zu müssen, und führten ihn dazu, Theologie zu studieren, um Priester zu werden und so „den Seelen helfen“ zu können. Seinen geistlichen Weg und die Exerzitien durchlebte und entdeckte er als Laie. Die Säkularinstitute und die „movimenti“ sind weitere Beispiele, wie Laien (-initiativen) nicht nur das Leben, sondern auch die Struktur von Kirche beeinflussen.

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