Das Mainzer Schloss

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33 S. hierzu umfassend Müller, Matthias: Das Schloss als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (1470–1618). (Historische Semantik, 6), Göttingen 2004.



34 Graf, Klaus: Retrospektive Tendenzen in der bildenden Kunst vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Kritische Überlegungen aus der Perspektive des Historikers. In: Löther, Andrea / Meier, Ulrich u. a. (Hgg.): Mundus in imagine. Bildsprache und Lebenswelten im Mittelalter. Festgabe für Klaus Schreiner. München 1996, S. 389–420; ders.: Fürstliche Erinnerungskultur. Eine Skizze zu neuen Methoden des Gedenkens in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert. In: Grell, Chantal / Paravicini, Werner / Voss, Jürgen (Hgg.): Les princes et l’histoire du XIVe au XVIIIe siècle. Bonn 1998, S. 1–11.



35 Diesen Begriff verwandte u. a. Kaiser Maximilian I. in seinem Entwurf zum ewigen Gedenken an die Taten fürstlicher Regenten (s. hierzu grundlegend Müller, Jan-Dirk: Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur, 2), München 1982; s. auch Berns, Jörg Jochen / Neuber, Wolfgang (Hgg.): Seelenmaschinen. Gattungstraditionen, Funktionen und Leistungsgrenzen der Mnemotechniken vom späten Mittelalter bis zum Beginn der Moderne. (Frühneuzeit-Studien, N. F., 2), Wien 2000).



36 S. hierzu Müller, Matthias: Schloss – Körper – Territorium. Aspekte der Visualität und Materialität legitimer Herrschaft im französischen und deutschen Schlossbau des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. In: Ganzert, Joachim / Nielsen, Inge (Hgg.): Herrschaftsverhältnisse und Herrschaftslegitimation. Bau- und Gartenkultur als historische Quellengattung hinsichtlich Manifestation und Legitimation von Herrschaft. (Sonderband von Hephaistos. Kritische Zeitschrift zu Theorie und Praxis der Archäologie und angrenzender Gebiete), Berlin 2015, S. 201–218.



37 S. hierzu auch Müller 2011. Eine weitere Vertiefung der historisch-politischen Aspekte – vor allem für die Zeit nach 1784 – findet sich bei Karn 2019, S. 357–358.



38 Zu der Verbindung von landesherrlichem Schloss bzw. Burg und landesherrlichen Rechten s. Zedler, Johann Heinrich: Großes vollständiges Universal Lexicon. Bd. 1–64. Halle / Leipzig 1732–1754, hier: Bd. 35, 1743, Art. „Schloß“, Sp. 210– 211; s. hierzu auch Müller 2015 (wie Anm. 36).



39 Die Textpassage, die mit der Überschrift

An das churfürstliche Residens

=

Hauß St. Marthins

=

Burg

 versehen ist, lautet im vollen Wortlaut:

Du steinnern Schloß / zu Mayntz ahm Rhein

=

Strom erhoben / Ich muß auch deinen Pracht und schöne Zimmer loben / Du Churfürstliches Hauß / du Außzug / Ruhm / und Zir / Das Liecht deß Ertzstifftes / das wohnt jetz und in dir / . Fahr wohl du Burg Sanct Marthin / der Rheingauer Zir / Herr Lotharius Friederich / bleibe in dir / Noch manches liebes Jahr. Dich wolle nicht verletzen / Feur / Wasser / Wetter / Krieg / und was sonst pflegt zu setzen Die Schlösser ins Verderb / Marthins

=

Burg wolst allein Ein Wohlgesegnets

=

Hauß / und Schmuck deß Landes seyn

 (Staatsarchiv Würzburg, Mainzer Regierungsarchiv , K Metternich 472/2, 1/L7). Für diesen Hinweis danke ich Dr. Christian Katschmanowski, der auf diese Quelle auch in seiner Dissertation zur barocken Mainzer Stadtplanung (s. Anm. 20) eingeht.



40 Bodmann, Franz Joseph: Rheingauische Alterthümer oder Landes= und Regiments=Verfassung des westlichen oder Niederrheingaues im mittlern Zeitalter. Bd. 1. Mainz 1819, S. 27.



41 S. zu diesen vielfältigen zeremoniellen, repräsentativen und alltäglichen Raumfunktionen von Residenz- und Lustschlössern des 17./18. Jahrhunderts die beiden grundlegenden exemplarischen Studien von Beck, Marina: Macht-Räume Maria Theresias. Funktion und Zeremoniell in ihren Residenzen, Jagd- und Lustschlössern. (Kunstwissenschaftliche Studien, 189), Berlin 2017 und Herz, Silke: Königin Christiane Eberhardine – Pracht im Dienst der Staatsräson. Kunst, Raum und Zeremoniell am Hof der Frau Augusts des Starken. (Schriften zur Residenzkultur, 12), Berlin 2020.



42 S. hierzu Beck 2017 (wie Anm. 41). Zur begrenzten Übernahme des politischen Modells des französischen Absolutismus s. die Beiträge in Schilling, Lothar (Hg.): Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutsch-französische Bilanz. (Pariser historische Studien, 79), München / Oldenbourg 2008, hier besonders auch den Beitrag von Schilling, Lothar: Vom Nutzen und Nachteil eines Mythos. Ebd., S. 13–31, der mit einer Fülle an Literaturhinweisen zugleich den Forschungsstand und die unterschiedlichen Forschungspositionen resümiert.



43 S. hierzu auch am Beispiel des Wiener Stadtpalais des Prinzen Eugen die Studie von Seeger, Ulrike: Stadtpalais und Belvedere des Prinzen Eugen. Wien 2004, S. 100–108 (Ausstattung des Kabinetts im Stadtpalais des Prinzen Eugen), S. 424–426 (Nutzung für zeremonielle Anlässe). Zur zeremoniellen Nutzung höfischer Raumfolgen in der Frühen Neuzeit s. ebd., S. 417–431, sowie die grundlegende Studie zur zeremoniellen Raumnutzung in der kaiserlichen Wiener Hofburg von Beck 2017 (wie Anm. 41).



44 S. zu diesem Plan (mit einer Umzeichnung) und seiner nicht ganz sicheren und daher überwiegend auf „um 1700“ eingegrenzten Datierung auch Neeb, Ernst: Das Kurfürstliche Schloss zu Mainz. (Rheinische Kunstbücher, 1), Wiesbaden 1924, S. 12. Zur Datierung in die letzten Jahre des 17. und die ersten Jahre des 18. Jahrhunderts (d. h. in die Zeit des zwischen 1695 und 1729 regierenden Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn) s. Karn 2019, S. 358, Anm. 16; s. auch S. 81, Anm. 8 in diesem Band. Karn begründet seine Datierung mit der Einzeichnung eines Spiegelkabinetts, dessen Stuckdecke das Schönborn`sche Wappen trug, und der seit 1699 durch den Kurfürsten mit der Produktion von Spiegelglas beauftragten Glasmanufaktur in Lohr am Main.



45 StA Mz, BPSP / 1817.2 D (hier: Ausschnitt).



46 S. hierzu auch meine ausführlichen Hinweise in Anm. 20!



47 StA Mz, BPSP / 1840.2 C (hier: Ausschnitt).



48 StA Mz, BPSP / 1840.2 C (hier: Ausschnitt).



49 S. hierzu auch den Reisebericht von Gercken, Philipp Wilhelm: Reisen durch Schwaben, Baiern, die angränzende Schweiz, Franken, die Rheinischen Provinzen und an der Mosel etc. in den Jahren 1779–1785. Teil 3: von verschiedenen Ländern am Rhein, an der Mosel und an der Lahn etc. Stendal 1786. Gercken notiert hier zur Martinsburg:

Der jetzige Herr

 

hat sie

 

von neuem abputzen, und inwendig bequem einrichten lassen, so daß jetzo würkliche Wohnzimmer, Bibliothek, Schildereien, Cabinet u. darin sind

 (ebd., S. 12).







EINE

WOHNUNG … GLEICHWIE ES EINEM GROSSEN HERREN ZUKOMMET



Das Kurfürstliche Schloss und seine Innenräume



Georg Peter Karn



so Viel kann Versichern, dass ihro Churfürstl. gnadten sich zu seiner Zeit Einer wohnung zu flatieren haben, gleichwie es einem grossen herren zukommet, ich glaube dass schwerlig die in würzburg neue kostbahre gebaute besser und bequemlicher sein wird als die zukünftige hießige

.

1



Mit diesen Worten warb der Mainzer Oberbaudirektor Anselm Franz Reichsfreiherr von Ritter zu Groenesteyn in einem Schreiben vom zweiten Weihnachtstag 1749 an Franz Wolfgang von Ostein, Oberamtmann von Amorbach und Bruder seines Dienstherrn, des Kurfürsten Johann Friedrich Carl von Ostein, für seine Erweiterungsplanung zum Kurfürstlichen Schloss. Mag auch Ritters Einschätzung allzu euphorisch wirken und das Ergebnis dem Vergleich mit der Residenz in Würzburg als dem Schön born‘schen Hauptwerk doch nicht ganz standhalten, so weist sie darauf hin, dass die Mainzer Residenz den Ansprüchen einer kurfürstlichen Hofhaltung im 18. Jahrhundert gerecht zu werden hatte.



Betrachtet man heute die bürgerlich bescheidenen, im derzeitigen Zustand fast ein wenig tristen Innenräume der Nachkriegszeit, fällt es schwer, sich die kurfürstlichen Wohnverhältnisse auszumalen. Die Zerstörung 1942, aber auch die wechselnden Nutzungen im 19. Jahrhundert haben vom Glanz der Residenz nichts mehr übriggelassen (

Abb. 1

). Bei der Belagerung 1793 hatte man das Schloss als Lazarett genutzt und dabei so verwüstet, dass der Kurfürst bei seiner vorläufigen Rückkehr nicht mehr einziehen konnte. Das kostbare Mobiliar sowie die wertvollen Wandbekleidungen waren schon ab 1792 nach Aschaffenburg geflüchtet worden und wurden später nicht mehr zurückgebracht.

2

 In der folgenden französischen Zeit verschwand neben der mittelalterlichen Martinsburg auch das repräsentative Haupttreppenhaus im rheinseitigen Ostflügel. Nach der Nutzung als Zolllager unter Napoleon wurde das Schloss ab den 1840er Jahren durch die Stadt zwar wieder hergerichtet, doch zugleich umgebaut, sodass bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Nordflügel bis auf die beiden Hauptsäle keine Innenräume der kurfürstlichen Zeit mehr vorhanden waren.

3

 Dagegen hatte sich im Ostflügel eine Reihe von Stuckdecken erhalten, die – ebenso wie die Festsäle – im Rahmen der großen Instandsetzung zwischen 1903 und 1925 eine Restaurierung erfuhren. Von ihnen sind heute – bis auf ein paar klägliche Stuckreste in den Fensternischen – nur noch Fotos geblieben, die sich bisher nicht einmal eindeutig in den Grundrissen verorten ließen.










Abb. 1: Kurfürstliches Schloss, Rheinflügel, Innenansicht nach der Zerstörung 1942 mit ehem. Spiegelzimmer (unten)

 










Abb. 2: Kurfürstliches Schloss, Grundriss des 1. und 2. Obergeschosses im Rheinflügel nach den Planaufnahmen von 1803 (vgl. Taf. 34, 35 und Abb. 16) mit Ergänzung der barocken Hauptstiege und Nummerierung der Innenräume (Umzeichnung Bernd Klotz/Marco Heeg (2007/2020), GDKE, Landesdenkmalpflege)



Die eingehendere Beschäftigung mit den Innenräumen erscheint dennoch lohnenswert, sogar unerlässlich, da sie nicht nur Zeugnis von der Bau- und Ausstattungsgeschichte geben, sondern in ihrer Abfolge und ihrem Aufwand auch den zeremoniellen Anspruch sowie die höfische Selbstinszenierung eines der führenden deutschen Reichsfürsten spiegeln (

Abb. 2

; die Raumnummern entsprechen der Nennung im Text und in den Bildunterschriften).



Aus dem 17. Jahrhundert und der Frühzeit des Schlosses ist leider kaum etwas über die Innenausstattung der Residenz überliefert. Über den Dreißigjährigen Krieg hinweg war der 1628 unter Georg Friedrich von Greiffenclau (reg. 1626–1629) begonnene Neubau unvollendet liegengeblieben. Dass die Ausstattung der herrschaftlichen Wohnung damals eher bescheiden blieb, belegt eine von Friedrich Carl von Moser 1755 im

Teutschen Hof-Recht

 überlieferte Anekdote über den ersten Schönborn-Kurfürsten (reg. 1647–1673):

Von Chur-Fürst Johann Philippen zu Mayntz, einem Herrn von ausnehmenden Verdiensten, aus dem Patrioten-Stamm der Schönborne, erzehlt man, daß ein Schwedischer General ihn befragt: warum die Chur-Fürstliche Zimmer nicht besser tapezirt seyen? worauf er ihm aber geantwortet: Seyne Tapezereyen wären seine Unterthanen.

4

 Moser schließt mit der resignierten Erkenntnis:

Mit Landes-Gravaminibus und Seufzern seiner Unterthanen würde mancher Fürst, wann es möglich zu machen wäre, mehr als ein Schloß tapezieren können.

 Johann Philipps Nachfolger Kurfürst Damian Hartard von der Leyen (reg. 1675–1678), der den Rheinflügel vollendet, eingerichtet und auf der Hofseite erweitert hatte, ließ – obwohl er für seine Sparsamkeit und Bescheidenheit bekannt war – der Überlieferung nach den Neubau möblieren und durch Wandteppiche ausschmücken.

5

 Ernst Neeb erwähnt 1924, dass sich bei den zurückliegenden Restaurierungsarbeiten noch wenige Reste von Wandmalereien sowie Bruchstücke von farbigen Wandfliesen aus dieser Bauphase gefunden hätten.

6

 Einen Hinweis gibt auch ein 1780 aufgestelltes Inventar, das die

auf dem Speicher des alten Schloßflügels in dasiger Meubles-Kammer

 gelagerten Einrichtungsgegenstände aufführt, darunter mehrere Tapisserien aus der Leyen-Zeit

in nemlichem Dessein, wie selbige im Taffelzimmer des alten Baus sind

.

7





DER OSTFLÜGEL UND DAS ERSTE KURFÜRSTLICHE APPARTEMENT



Die ältesten überlieferten Grundrisse des Schlosses entstammen wohl dem späten 17. oder frühen 18. Jahrhundert, vermutlich aus der Regierungszeit von Lothar Franz von Schönborn (reg. 1695–1729) (

Abb. 3

; Taf. 23, 24).

8

 Sie bestehen zwar nur aus schematischen Umrisszeichnungen, doch geben die Eintragungen der Planlegende wesentliche Hinweise auf die damalige Funktion der Räume. Neben der spätgotischen Martinsburg und der Hofkanzlei mit der Schlosskirche St. Gangolph wird der Rheinflügel des Schlosses wiedergegeben, der in zwei Bauabschnitten errichtet wurde: dem aus acht Fensterachsen bestehenden, unter Greiffenclau begonnenen Kopfbau, der unmittelbar an die Burg stieß, und den anschließenden acht Achsen, die Damian Hartard von der Leyen anstelle der westlichen Teile der Martinsburg dem von ihm fertiggestellten Bauteil anfügte. Wie die innere Aufteilung des ersten Bauabschnitts aussehen sollte, der unter Greiffenclau als in sich geschlossener, palastartiger Baukörper geplant war, ist nicht bekannt.



Die beiden Grundrisse zeigen einerseits, dass die im 16. Jahrhundert unter Daniel Brendel von Homburg wiederaufgebaute Martinsburg nach wie vor in die repräsentative Nutzung eingeschlossen war und andererseits, dass die wesentlichen kurfürstlichen Repräsentations- und Wohnräume mittlerweile in das erste Obergeschoss des neuen Flügels verlegt worden waren. Dabei lässt sich nicht eindeutig entscheiden, ob die wiedergegebene Raumdisposition in ihren Grundzügen bereits unter Kurfürst von der Leyen entstanden war oder erst unter seinen Nachfolgern. Vermutlich war es jedoch gerade die Erweiterung des Raumprogramms gewesen, die von der Leyen zur Verlängerung des Ursprungsbaus von 1628 veranlasst hatte.

9



Im Erdgeschoss des neuen Flügels befanden sich Verwaltungsräume wie die Registratur, das Rechnungszimmer, das Zahlamt und die Kanzlei, die durch einen Gang mit der benachbarten Hofkanzlei kommunizierte, während in der Martinsburg die Küchen, Speisekammern und Lagergewölbe untergebracht waren. Einziger repräsentativer Raum war dort die ursprünglich möglicherweise als Empfangsraum und öffentliche Tafelstube genutzte Ritterstube, von der sich bis heute innerhalb des Schlossflügels das im Grundriss ausdrücklich vermerkte

gewölb

 mit seiner aufwendigen, wappengeschmückten Fenstergruppe erhalten hat.

10

 Eine über Pfeilern gewölbte Durchfahrt mit drei Toren schuf die Verbindung zwischen dem Schlosshof sowie dem engen Hof der Martinsburg.



Ausgangspunkt der neuen kurfürstlichen Raumfolge im Obergeschoss war die Treppe, die wohl im Rahmen der Erweiterungsarbeiten unter Kurfürst von der Leyen ab 1675 entstanden war. Sie ging von der dreitorigen Durchfahrt im Schlosshof aus und bestand aus drei Läufen mit geschlossenen Treppenschächten und gewölbten Podesten um einen – wie spätere Pläne belegen

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 – massiven Mauerkern. Von hier aus gelangte man in den Gardesaal, der nahezu durch die gesamte Flügeltiefe reichte und damit – nach dem Martinus-Saal in der Martinsburg – der größte repräsentative Raum des Schlosses war.

12

 Er gewährte Zugang in das noch zur Martinsburg gehörige

Cavalier-Speis-Zimmer

 und in das kurfürstliche

Tafell-Zimmer

, das im Bereich des ersten Bauabschnitts des Schlossflügels lag und ebenfalls die Flügeltiefe ausnutzte. Position und Größe des Tafelzimmers, welches in der Regel zugleich als erstes Vorzimmer diente, entsprachen seiner zeremoniellen Bedeutung im Rahmen der öffentlichen Tafeln. Die eigentlichen kurfürstlichen Wohngemächer gruppierten sich im Kopfbau des Rheinflügels in zwei parallelen Fluchten: Auf der Hofseite reihten sich die Räume des Paradeappartements, bestehend aus der

Anti-Chambre

 als Vorzimmer sowie dem

Audienz-Zimmer

. Den Abschluss der

Enfilade

 bildete das geräumige

Oratorium

, zu dem auch der stadtseitige Eckerker gehörte. Auf der Rheinseite schloss sich das Privatappartement an, beginnend mit dem

Spiegel-Zimmer

, einem kleinen

Cabinet

 sowie dem kurfürstlichen Schlafzimmer. Diesem war wie üblich das

Kammer-Diener-Zimmer

 zugeordnet.










Abb. 3: Kurfürstliches Schloss mit Martinsburg und Hofkanzlei, Grundriss des 1. Obergeschosses (

der zweite Stock

), Raumnutzung um 1700 (Ausschnitt)



Bis auf das für einen Betraum oder eine Privatkapelle ungewöhnlich geräumige und prominent gelegene Oratorium entspricht die Raumfolge ganz dem zu dieser Zeit im Heiligen Römischen Reich verbreiteten Schema fürstlicher Appartements. So schreibt Friedrich Carl von Moser im

Teutschen Hof-Recht

:

Die Herrschafftliche Personen haben ihre eigene

 Apartemens

. Manchmal wird hierunter nur das zur eigentlichen Wohnung gewidmete Zimmer verstanden, richtig und Hof-mäßig aber davon zu reden, besteht ein

 Apartement

aus einem oder zwey Anti-Chambres, einem

 Praesenz

- oder Audienz-Gemach, dem Cabinet, dem Schlaf-Gemach und der Garderobbe.

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 Anders als in Frankreich wurde – dem Vorbild des kaiserlichen Zeremoniells in der Wiener Hofburg folgend – das Schlafzimmer nicht als Teil des Paradeappartements verstanden, sondern hinter das ins Privatappartement überleitende Kabinett verlegt. Im Kabinett wurden, jenseits des offiziellen Audienz-Gemaches, die Privataudienzen abgehalten.

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Die Raumfolge dieses Appartements blieb bis zur Zerstörung 1942 ablesbar. Einen Eindruck vom Aufwand, der unter Lothar Franz von Schönborn die Ausstattung der Räume mit Deckengemälden und Tapisserien beherrschte, gewährt der Reisebericht des niederländischen Gesandtschaftssekretärs Joseph de Blainville aus dem Jahre 1705:

Die Treppe hat nichts besonders, allein die Decken der Zimmer sind köstlich ausgezieret und das Geräthe ist sehr prächtig und kostbar.

15

 Zu den ältesten bis zum Zweiten Weltkrieg erhaltenen Elementen der Raumausstattung gehörte die Stuckdecke des ehemaligen Spiegelzimmers, die dem Mainzer Stuckateur Johann Jakob Vogel zugeschrieben wird (

Abb. 4

;

Taf. 36

,

37

).

16

 Sie ging auf Kurfürst Lothar Franz von Schönborn zurück, dessen Wappen eine der Ecken schmückte und in den anderen durch das Kurmainzer Rad und den Bamberger Löwen ergänzt wurde. Man wird davon ausgehen dürfen, dass Lothar Franz auch die übrigen Räume des Appartements dekorieren ließ und sich damit, anders als immer wieder unterstellt wird, durchaus für den Ausbau seines Residenzschlosses engagierte.

17

 Ihm war wohl ebenso die Neugestaltung des Schlossgartens zu verdanken.

18










Abb. 4: Kurfürstliches Schloss, Rheinflügel, 1. Obergeschoss, ehem. Spiegelzimmer , Stuckdecke, Hauptfeld, Teilansicht, vor 1942










Abb. 5: Jean Lepautre, Entwurf für eine Stuckdecke, Mitte 17. Jh. (

Quarts de plafons nouvellement inventés

)



Hierzu passte auch der Stil der Ornamente mit dem von Festons aus Früchtewerk gerahmten Ovalfeld im Zentrum, das von Rollwerk-Kartuschen gestützt und von Akanthus-Laub begleitet wurde. Anregend wirkten hier wohl vor allem die verbreiteten französischen Ornamentstichvorlagen von Jean Lepautre aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, aus denen das Zentralmotiv abgeleitet ist (

Abb. 5

).

19

 Eine nahverwandte Decke findet man im Kabinett der Prälatur der Abtei Seligenstadt, die die gleichen, im Oval angeordneten Puttengruppen aufweist und ebenfalls Johann Jakob Vogel zugewiesen wird.

20

 Vergleichbare Formen zeigen auch die unter Lothar Franz ausgestatteten Innenräume der Bamberger Residenz.

21



In einer Neujahrsschrift zum Jahre 1705 wird das Mainzer Kabinett ausdrücklich wegen seiner Spiegel erwähnt, die

ein wunderbares Licht zurückwerfen

 (

admirabilem lucem reflectunt

).

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 Voraussetzung hierfür war die von Lothar Franz betriebene, seit 1699 in der Herstellung von Spiegeln erfolgreiche Glas- und Spiegelmanufaktur in Lohr am Main, die über das gesamte 18. Jahrhundert hinweg für eine angemessene Ausstattung der Kurmainzer sowie der Schönborn‘schen Schlossbauten sorgte.

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 Der Raum gehörte damit zu den frühesten Vertretern der bekannten Reihe von Spiegelkabinetten der Schönborn-Zeit, die dann in den Kabinetten der Schlösser von Pommersfelden (1719) und Würzburg (1740–1745) gipfelte. Eine differenziertere Vorstellung des Raumes gewährt der Reisebericht Blainvilles aus dem gleichen Jahr:

Am Ende dieses ersten Zimmers ist ein großes und kostbares Spiegelcabinet, welche in kleine vergüldete Vierecke gefasset sind. Die Untergestelle sind mit zierlichen Schildern gezieret, in welchen artige Landschaften gemalet sind, welche sich so wol als die Personen, die sie ansehen, in den Spiegeln unzählige mal vervielfältigen. Von hier hat man eine Aussicht auf den Rhein, den Main und die ganze umliegende reizende Gegend

.

24

 Landschaftsdarstellungen waren auch auf den kleinen Deckengemälden im Erker zu sehen, während die zentralen Bilder hier und in der Mitte des Raumes Puttengruppen mit Blütenkränzen zeigten (

Taf. 37

).



Wie die noch heute erhaltenen stuckierten Akanthusranken in den Fensternischen des Ostflügels belegen, gehörten auch das Oratorium mit dem stadtseitigen Erker sowie das Kabinett auf der Rheinseite in die Zeit des Spiegelzimmers (

Abb. 6

8

). Deren Decken sind jedoch nicht dokumentiert.

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 Das bereits erwähnte Inventar der ausgemusterten Stücke von 1780 führt darüber hinaus verschiedene Einrichtungsgegenstände auf, die zur älteren Ausstattungsphase vor den Veränderungen der Mitte des 18. Jahrhunderts unter Kurfürst Johann Friedrich Carl von Ostein gehörten: So waren die Wände des Tafelzimmers durch aufwendige, mit Goldfäden gewirkte Tapisserien geschmückt, die nach der Schilderung Blainvilles die Geschichte von Aeneas und Dido darstellten.

26

 In die Decke waren offenbar vier als